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Börse: Der nächste Crash kommt bestimmt

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Anlagestrategie Wie man vor dem Crash noch Geld an der Börse verdient

Der nächste Crash wird kommen. Doch bis dahin lässt sich an der Börse noch ordentlich Geld verdienen - vorausgesetzt, man beachtet fünf Sicherheitsregeln.

Kaum zur Tür rein, haben die Herren schon die erste Frage: Ob denn der neue Whisky von Ardbeg schon da sei? Marc Friedrich und Matthias Weik (beide 38), Ökonomen, Autoren und "Vermögenssicherer", testen gerade neue Investmentmöglichkeiten. Draußen hängt grauer Himmel schwer über Stuttgart, doch die Stimmung in dem kleinen Ladenlokal in der Rotenwaldstraße könnte kaum besser sein. Was auch, aber nicht nur, am neuen Ardbeg liegt. Limited Edition, sagt der Verkäufer. 120 Euro, vor einem Monat gab's den noch für 80.

Friedrich hat das natürlich gewusst. "Ich hab' mal einen Ardbeg für 45 Euro gekauft und fünf Jahre später für 1000 verkauft." Peter Sondheim, Inhaber des Bestwhisky-Shops, kennt solche Geschichten, also wird jetzt gefachsimpelt und dann verkostet. "Steht ja nirgends geschrieben, dass Geldanlegen keinen Spaß machen darf", sagt Weik.

Ihren Kunden empfehlen Friedrich und Weik, 1 bis 3 Prozent des Vermögens in Whisky zu investieren. Single Malt, gern schottisch, limitierte Auflagen. "Lässt sich leicht lagern, ist handfest, und der Wert steigt jedes Mal, wenn irgendwo jemand eine Flasche davon trinkt", sagt Friedrich.

Krisen-Propheten und ihr Feldzug für Sachwerte

Das Faible für Hochprozentiges ist Teil des Kreuzzugs, mit dem Weik und Friedrich gegen Papier- und für Sachwerte zu Felde ziehen. In Hunderten Vorträgen und zwei Büchern prophezeien sie als Folge der Euro-Krise den Zusammenbruch des Finanzsystems, wie wir es kennen. Ihr Buch "Der größte Raubzug der Geschichte" verkaufte sich bislang 130.000-mal; das aktuelle "Der Crash ist die Lösung" stieg gleich auf Platz 1 der Bestsellerliste des manager magazins und auf Platz 5 der SPIEGEL-Sachbuchliste ein. Zu ihren Vorträgen kommen Hunderte: Lehrer, Krankenschwestern, Unternehmer. "Wir haben einen Nerv getroffen", sagt Friedrich.

Die Profischwaben bieten eine apokalyptische Erzählung: "Renten- und Lebensversicherungen, Fonds, Aktien, Papiergeld jeglicher Art werden die großen Verlierer sein im Crash." Dass der kommt, steht für die Krisenpropheten fest. Statt Aktien empfehlen sie deshalb Wald, Ackerland, Edelmetall und die Vergabe von Krediten an den Bauernhof von nebenan, rückzahlbar gern in Naturalien. Und vor allem: keine Schulden, das ist schwäbische Hausmännerehre.

Sehnsucht nach der gestrengen Bundesbank und nach Werten, die man anfassen kann: Mit ihrer Endzeittonalität spiegeln Weik und Friedrich die Stimmung im Land - und verstärken sie. Die Deutschen vermissen ihre Bundesschatzbriefe, sie schwelgen in Untergangsszenarien, obwohl der deutsche Leitindex Dax  nur knapp unter Rekordniveau notiert. Die Angst vor dem Absturz lähmt sie.

Laut Bundesbank haben die Bürger weniger als 6 Prozent ihres Vermögens in Aktien investiert. Sie nehmen in Kauf, dass Sparkonten Kaufkraftverluste einbringen, weil der Zins niedriger ist als die Inflationsrate. Lieber als Dax-Aktien mit durchschnittlich 2,7 Prozent Dividendenrendite kaufen sie Großstadtimmobilien - die laut Bundesbank bereits um 25 Prozent überbewertet sind.

Mutig sein - doch zugleich die Risiken im Blick behalten

Es klingt paradox, doch gerade die Furcht der Anleger vor Aktien ist ein starkes Signal dafür, dass ein Kurssturz wie 2000 oder 2008 noch fern ist. Denn jedem großen Crash ging eine Euphorie voraus, in der alle Aktien haben wollten.

Und: Trotz Höchstständen stimmt nach wie vor das Verhältnis von Kurs zu Gewinn, Cashflow und Buchwert. "Nur in den USA sind die Leitindizes teurer, als es die Firmengewinne rechtfertigen", sagt Frank Naab (48), der beim Bankhaus Metzler die Portfoliostrategie erstellt. "Die Bewertung europäischer Aktien liegt immer noch unter dem langjährigen Durchschnitt, dies gilt auch für Japan und die Schwellenländer."

Kühle Rechner und erfahrene Investoren setzten deshalb unbeirrt auf Aktien. Auch Neueinsteiger können die aktuelle Börsenphase noch nutzen: Wenn sie einige Sicherheitsregeln beachten, die helfen, Dividenden und Kursgewinne mitzunehmen; und wenn sie dennoch auf das unvermeidliche Ende des Booms vorbereitet sind.

Peter Ackermann: Das Dornige und Verschmähte zieht ihn an

Mutig, ohne die Augen vor den Risiken zu verschließen - so hat es Peter Ackermann in seiner Laufbahn als Privatinvestor gehalten. Der 75-jährige Jurist hat sich dank seiner Gewinne mit Aktieninvestments vor gut zehn Jahren einen Traum erfüllt: Er gründete die Kreuzberger Kinderstiftung mit Sitz in einem roten Backsteinhäuschen am Berliner Landwehrkanal, von der Hauptstadtpresse als "Dornröschenschloss" bezeichnet. Passanten mussten früher auf die andere Straßenseite wechseln, um hinter der hohen Hecke das 1925 gebaute Schleusenwärterhaus zu erahnen. Auf dem schwarzen Dach, zwischen Giebeln und Türmchen, wuchsen Birken.

Jetzt glänzt das Dach wieder in der Sonne, die Hecke ist geschnitten. Der Hausherr sitzt auf der Terrasse und blickt auf den hölzernen Anleger für das Solarboot, mit dem Schulklassen und Projektgruppen auf dem Kanal fahren.

So wie Ackermann Häuser erwirbt, kauft er auch Aktien. Das Dornige, Verwunschene und Verschmähte zieht ihn an. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, als viele den Konkurs der Banken und Versicherer fürchteten, erstand er günstig Allianz-Aktien. "Bloß weil draußen die Kanonen donnern, kündigt doch keiner seine Haftpflichtversicherung", so seine Überlegung. "Schauen Sie sich mal an, was für ein Prämienvolumen die Burschen jedes Jahr einnehmen!" Die Allianz-Anteile hat er längst wieder verkauft - für das Doppelte des Einstiegskurses.

Sicherheitsregel 1: Überteuerte Trendaktien meiden

Das Investment in den Versicherungskonzern Allianz  illustriert diese Leitlinie. Es lohnt sich, fair bewertete Qualitätsunternehmen zu finden und überbewertete Modetitel zu meiden. Mit diesem Value-Investing-Ansatz ist schon US-Anlegerlegende Warren Buffett reich geworden.

Nach fünf Jahren Aktienrallye ist es heute allerdings schwieriger als noch 2009, Schnäppchen zu entdecken, sagt Metzler-Stratege Naab: "Wir müssen heute 100 Muscheln umdrehen, um eine Perle zu finden."

Möglich ist es aber, wie einige Value-Investoren zeigen, die bei einer Konferenz der Fondsgesellschaft Value Intelligence Advisors in München Ende Juni ihre "Top Picks" verrieten. Dazu zählen zum Beispiel die Ölkonzerne Total  und Royal Dutch Shell  , die Swatch Group , der Breitbandnetzbetreiber Liberty Global , der US-Speisenlieferant Sysco, der japanische LED-Hersteller Koito, der schwedische Kompressorbauer Copco, der Kohleförderer Hargreaves Services und der Logistikdienstleister CMA Logistics.

Allesamt Qualitätsunternehmen mit starker Substanz, moderater Verschuldung, stabilen Erträgen, Preissetzungsmacht und hohen Markteintrittsbarrieren für Rivalen. Solche Firmen haben gute Chancen, auch nach dem Ende des Booms Werte für ihre Aktionäre zu schaffen.

Sicherheitsregel 2: Festlegen, wie hoch der Aktienanteil im Depot sein soll

Einem solchen Plan zu folgen schützt vor Fehlern durch zu viele Emotionen. Peter Ackermann hat seit seinem Berufsstart 1969 stets mehr als die Hälfte seines Kapitals an der Börse investiert und in diesem knappen halben Jahrhundert durchschnittlich mehr als 7 Prozent pro Jahr mit Aktien erzielt. Trotz zwischenzeitlicher Kurseinbrüche.

Das Kapital zum Investieren verdiente der Jurist in den 70er Jahren, der "Goldgräberzeit für Berliner Bauträger und ihre Anwälte". Doch durch Arbeit allein hätte Ackermann nicht genug zusammenbekommen, um eine Stiftung mit mehr als drei Millionen Euro Kapital zu gründen. "So 'ne Jebühren gibt's nu och wieder nich'", berlinert er, "dafür braucht man unternehmerische Beteiligungen."

30 bis 60 Prozent des Kapitals in Aktien - je nach Alter und Nervenstärke

Risikoscheue können es da behutsamer angehen. "Vorsichtigen Anlegern empfehlen wir, langfristig ein Drittel ihres Kapitals in Aktien anzulegen", sagt Alfred Roelli (62), Anlagestratege bei der Genfer Privatbank Pictet. Theoretisch hält Roelli eine doppelt so hohe Aktienquote für optimal. Doch dafür sind die Nerven der meisten Kunden zu schwach. "Wenn jemand bei einem Kursrückgang in Panik verkauft, verliert er so viel, dass er das schwer wieder aufholen kann", warnt er.

Wer kaum Aktien besitzt und eine Quote von 30 Prozent aufbauen will, "sollte das nicht auf einen Schlag tun, sondern etwa über ein Jahr monatlich einen Teil des Kapitals investieren", rät Roelli.

So vermeiden es Anleger, kurz vor einem zwischenzeitlichen Kursrückgang zu kaufen, und können solche Rücksetzer für den günstigeren Einstieg nutzen.

Sicherheitsregel 3: Aktienquote senken, wenn Aktien teuer sind

Beim Umsetzen ihrer Anlagestrategie müssen Investoren vor allem auf die Bewertungen achten, also auf das Verhältnis von Aktienkurs und Ertragskraft des Unternehmens, das sich etwa im Kurs-Gewinn-Verhältnis spiegelt. Die Bewertung ist so etwas wie die Schwerkraft des Finanzmarktes: Auf Sicht von zehn Jahren zieht sie Aktien und Anleihen zu ihrem Mittelwert zurück, auch wenn die Kurse zwischenzeitlich oft stark darüber oder darunter ausschlagen. Derzeit gilt ein Kurs-Cashflow-Verhältnis von zehn als die goldene Mitte.

Je höher Aktienindizes über ihren fairen Mittelwert steigen, desto mehr sollten Investoren den Anteil im Depot reduzieren. Bei einem Zielanteil von 30 Prozent können Anleger etwa eine Mindestquote von 15 Prozent definieren. Für Peter Ackermann liegt die angestrebte Marke eher bei 70 Prozent.

In den Finanzcrash 2008 ging er mit diesem Aktienanteil, beim Krisentief des Dax im März 2009 hatte er immer noch mehr als 50 Prozent und kaufte rasch nach - so dass 2012 sein gesamtes Vermögen in Aktien steckte. Seitdem sind die Bewertungen weiter geklettert - weshalb Ackermann seine Aktienquote wieder auf 70 Prozent reduzierte.

Wall Street: Vor früheren Crashs war die Überbewertung drastischer

Der Berliner Stifter befindet sich mit seinem Aktienoptimismus in guter Gesellschaft. Die erfolgreichsten Anleger der vergangenen Jahrzehnte sind, anders als die meisten Deutschen, nicht im Panikmodus. Das gilt selbst für große Skeptiker unter den Investoren wie Jeremy Grantham (75). Der Brite hat die Crashs von 2000 und 2008 vorhergesagt und das Geld der Kunden seiner Bostoner Fondsgesellschaft Grantham Mayo van Otterloo (GMO) rechtzeitig von der Börse abgezogen.

Derzeit setzt Grantham auf europäische Qualitätsaktien. Die US-Börse hält er für um mehr als 75 Prozent überbewertet, glaubt aber, dass die Kurse dort weiter steigen - denn vor früheren Crashs war die Übertreibung meist größer als 100 Prozent. Nach möglichen Turbulenzen im Sommer werde der Markt "ab Oktober daher wahrscheinlich Stärke zeigen für die folgenden 18 Monate", sagt Grantham.

Vorerst nur kleine Rückschläge sieht auch der für seinen kritischen Blick auf den Finanzmarkt bekannte Schweizer Vermögensverwalter Felix Zulauf (64). Der Börsenaufschwung werde noch etwas weiter laufen, sagte er bei dem Treffen von Value-Investoren in München. Die Zeit zum Absprung komme näher, vorerst jedoch gilt für Zulauf: "Wir bleiben an Bord." Fazit: Anleger sollten ihre strategische Aktienquote derzeit ausschöpfen.

Sicherheitsregel 4: Vorbeugen statt vorhersagen

"Keiner weiß, ob wir Inflation oder Deflation bekommen, Prognosen dazu sind Unsinn", sagt James Montier, Fondsmanager und Kollege von Jeremy Grantham bei GMO. Seine Empfehlung: "Ein Depot bauen, das in beiden Szenarien robust ist." Im ersten Fall würden sich Aktien am besten entwickeln, im zweiten Staatsanleihen und Bargeld.

Deshalb rät er dazu, neben einer großen Aktienposition auch Bonds sicherer Staaten wie Deutschland zu halten. Eine Alternative sind unterbewertete, in Abwicklung befindliche Offene Immobilienfonds von KanAm und CS Euroreal mit rund 4 Prozent Mietrendite.

Sicherheitsregel 5: Langfristig denken - Rückschläge verkraften können

"Aktionäre müssen kurzfristige Rückschläge von 10 bis 15 Prozent verkraften können", sagt Asoka Wöhrmann (49), Co-Investmentchef bei Deutsche Asset and Wealth Management, dem Vermögensverwalter der Deutschen Bank . "Dann können sie mit Aktien 6 bis 8 Prozent Rendite pro Jahr verdienen."

Kurzfristige Schwankungen kann niemand prognostizieren, auch Wöhrmann nicht. Langfristig dagegen ist das Bild für ihn klar. "Der Dax wird in 10 bis 15 Jahren bei 20.000 Punkten stehen. Und das ist noch eine defensive Vorhersage", urteilt der Stratege, vor allem aufgrund wachsender Unternehmensgewinne.

Die einfache Alternative: Vermögensverwaltende Mischfonds. Wer nicht selbst über seine taktische Aktienquote nachdenken will, kann die Steuerung seines Depots einem Profi überlassen, so wie Jörg Lutz. "Da schießen die Renditen zwar nicht durch die Decke", sagt der HNO-Arzt, "aber ich kann nachts ruhig schlafen."

Mischfonds bieten Balance zwischen Sicherheit und Rendite

Selbst den Crash von 2008 hat Lutz, der vor seinem Medizinstudium eine Banklehre absolvierte, mit einer Schramme überstanden. In den vergangenen zehn Jahren lag seine Rendite zuverlässig zwischen 3 und 7 Prozent im Jahr, nach Abzug aller Kosten.

Dem Berliner Stifter Peter Ackermann ist solcher Mut zum Investment sympathisch. "Wer einmal verstanden hat, was der Unterschied ist zwischen einem Sparbuch und einer unternehmerischen Beteiligung, der lässt die Finger vom Sparbuch", sagt er. Wer ständig die Produkte innovativer Unternehmen nutze, findet Ackermann, sollte den Mut haben, auch Aktien solcher Firmen zu kaufen.

Jedenfalls dann, wenn er später mal ein paar Millionen Euro für die eigene Stiftung übrig haben will und ein Dornröschenschloss mit Bootsanleger. Mit Blick von der eigenen Terrasse aufs Wasser schmeckt auch ein Single-Malt-Whisky noch besser.

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