
Billige Energie Die Fracking-Blase
Die meisten bahnbrechenden Innovationen haben eines gemeinsam: Experten überschlagen sich mit Prognosen, von denen viele interessengeleitet sind und sich im Nachhinein als falsch herausstellen. Wetten genug Marktteilnehmer auf die so geschürten Erwartungen, entstehen Blasen, bei deren Platzen eine Menge Leute eine Menge Geld verlieren.
So geschehen, als im Jahr 2000 die Interneteuphorie abrupt zerstob und gleich ein ganzes Börsensegment, den Neuen Markt, mit dahinraffte. Oder als 2008 die Kreditverbriefung implodierte und die Finanzmärkte rund um den Globus ins Verderben riss.
Die neueste bahnbrechende Entwicklung, die derzeit halb Amerika euphorisiert, heißt Fracking, eine Methode, um Schiefergas und -öl in bisher unerreichbar tiefen Gesteinsschichten zu fördern. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und (teils giftigen) Chemikalien in Tausenden Metern Tiefe mit Hochdruck ins Gestein gepresst. Dort öffnet es Poren, in denen Öl und Gas über Millionen Jahre gefangen waren. Durch die Risse strömt der fossile Brennstoff an die Oberfläche.
USA: Selbstversorger statt am Tropf der Opec
Für "beinahe 100 Jahre" würden diese Gasvorräte reichen, schwärmte US-Präsident Barack Obama bereits. Nach Jahrzehnten am Tropf der Opec könnte Amerika endlich zum Selbstversorger werden und - weil Energie jetzt wieder so schön billig ist - seine bereits halbtote Industrie wiederbeleben.
Die Welt, so der neue amerikanische Traum, stehe am Anfang einer neuen Energieordnung, in der vor allem einer als strahlender Gewinner hervorsticht: das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Fürs alte Europa inklusive Deutschland sagen US-Experten dagegen einen schleichenden Verfall der Wettbewerbsfähigkeit voraus. Deutschland riskiere mit der Energiewende "einen Großteil seiner industriellen Basis", warnte Daniel Yergin, Vizepräsident der US-Analysefirma IHS in der "Zeit".
Wirklich? Wer genau hinschaut, erkennt, dass das Wirtschaftswunder made in the USA nicht annähernd so nachhaltig ist, wie von den Propheten verkündet. Amerika könnte schon bald zum Opfer seines Bohrwahns werden.
Schiefergasboom könnte Wertschöpfungskette der deutschen Industrie sprengen
Die Gefahr für die deutsche Wirtschaft ist nur: Der Schiefergasboom könnte lange genug andauern, um die fein abgestimmte Wertschöpfungskette der wichtigsten Industriezweige zu sprengen.
Dass Amerikas Gas- und Ölhausse auch im eigenen Land bereits negative Effekte zeitigt, erklärt der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem jüngsten World Economic Outlook: Zwar verbessert sich die US-Handelsbilanz, weil die Exporte von Energie und energieintensiven Produkten zu- und die Importe abnehmen. Das werde aber an anderer Stelle wieder kompensiert.
Denn durch den Gasboom wertet der Dollar auf, die Industrielöhne steigen. "Damit verlieren weniger energieabhängige Industrien gegenüber ausländischen Anbietern an Wettbewerbsfähigkeit", sagt der Ökonom und Dortmunder Universitätsprofessor Henrik Müller.
Diese Entwicklung lässt sich in der US-Außenhandelsstatistik schon erkennen: Bei Autos und Autoteilen, Industrie- und Konsumgütern hat sich die Handelsbilanz zuletzt verschlechtert. Selbst beim Exportschlager Landwirtschaft ist der Überschuss geschrumpft.
Schub für kapitalintensive Industrien - doch keine Job-Bonanza
Der Aufschwung beschränkt sich auf energieintensive Branchen wie Raffinerien und Chemiebetriebe. Abseits dieser Industrien boomt kaum etwas.
So könnten sich auch die Hoffnungen auf ein Jobwunder als überzogen herausstellen. Der IWF schreibt der Schiefergasrevolution ein Beschäftigungsplus von 0,5 Prozent zu und rechnet mit einem Wachstumseffekt von 1,2 Prozent über die nächsten 13 Jahre - immerhin.
In der Tat werden gegenwärtig vor allem kapitalintensive Industrien revitalisiert, die aber schaffen nur wenig neue Arbeitsplätze. Auf einem zwei bis drei Milliarden Dollar teuren Cracker, der Öl oder Gas zerlegt und damit Ausgangspunkt jeglicher Chemieproduktion ist, arbeiten nur 1000 bis 1500 Menschen. Zwar siedeln sich nebenan meist Chemiebetriebe an, die die Vorprodukte weiterverarbeiten. Für eine Job-Bonanza reicht das nicht.
Trotz der für US-Verhältnisse nach wie vor hohen Arbeitslosenquote von knapp 7 Prozent sind die Löhne vielerorts kräftig gestiegen, vor allem in rohstoffreichen Regionen wie der texanischen Golfküste. Dort zahlen die Ölmultis für Ingenieure, die frisch von der Uni kommen, 90.000 Dollar im Jahr - 40 Prozent mehr als die Metall- und Elektroindustrie.
Chemie- und Ölkonzerne jagten sich gegenseitig die besten Köpfe ab, berichtet Flemming Bjoernslev, Nordamerika-Chef des Chemiekonzerns Lanxess. "Damit fehlen Ingenieure in anderen Bereichen."
Ähnlich wie billiges Geld - Branche fährt Investitionen bereits zurück
Führt billige Energie also - ähnlich wie billiges Geld - zu einer Fehlallokation von Ressourcen? Nimmt die Produktivität gar wieder ab, weil Gas und Öl im Überfluss vorhanden sind? "Die Gefahr ist, dass die günstigen Energieressourcen durchaus zu einer anhaltenden Verknappung von Talenten, besonders bei Ingenieuren, führen können", sagt Bjoernslev, der auch dem US-Chemieverband angehört. Dies werde lebhaft diskutiert. Dabei kann niemand mit Sicherheit voraussagen, wie lange der Energieboom noch anhält; wie lange also der Gaspreis bei einem Drittel des deutschen Niveaus verharrt.
Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, glaubt, dass die Preise auch in Amerika langfristig wieder anziehen werden. Zum einen, weil der Energiehunger unablässig größer wird; zum anderen, weil die Erschließung neuer Gas- und Ölvorkommen aufwendiger und damit teurer wird. Selbst die noch junge Schiefergasindustrie musste erfahren, dass manche Felder schneller erschöpft sind als gedacht. Beim Öl wird das maximale Fördervolumen Schätzungen zufolge schon 2016 erreicht.
Und so macht sich bei den großen Frackern in den USA Ernüchterung breit. Seit 2008 gaben die Förderunternehmen unterm Strich mehr Geld für Land, Ausrüstung und Förderung aus, als sie mit dem Verkauf des Rohstoffs eingenommen haben.
Nun fährt die Branche ihre Investitionen drastisch zurück. 2013 wurden nur noch 3,4 Milliarden Dollar in Schiefergas- und Schieferölvorkommen gepumpt, ein Zehntel der 2011 eingesetzten Summe.
Deutschland droht dennoch Gefahr
Beim Fracking wird horizontal gebohrt, das macht es wesentlich teurer als konventionelle Methoden. Da der Gaspreis pro Megawattstunde seit 2008 von 43 Dollar auf zeitweise 6 Dollar abgestürzt ist, mussten Energiekonzerne wie Shell, BP, Encana und BG Group Milliarden auf ihre Beteiligungen an nordamerikanischen Vorkommen abschreiben.
Vieles spricht dafür, dass die Gaspreise sich weltweit irgendwann wieder annähern. Denn wenn die USA als Abnehmer von Gas aus dem Mittleren Osten ausfallen, macht das den Rohstoff auch für die Europäer billiger. Zumal sie überdies schon bald von US-Gasexporten profitieren könnten.
Dennoch: Selbst wenn sich die Amerikaner mit dem Hype ums Schiefergas auf Dauer keinen Gefallen tun - bis dahin könnten sie der Industrie in Deutschland empfindlich schaden. Denn wenn Konzerne ins vermeintliche Billigpreisparadies USA abwandern, durchlöchert das die exakt austarierten Wertschöpfungsketten daheim: vom Cracker bis zum spezialchemischen Endprodukt, vom Maschinenbau bis zum Auto.
Die Risiko-Szenarien der deutschen Industrie
Das würde die deutsche Industrie ihres vielleicht wichtigsten Wettbewerbsvorteils berauben. Eine Gefahr, die sich bis in die Autobranche, die deutsche Vorzeigeindustrie, durchfressen könnte. Das Problem sei, dass deren Prozesskette bei den Aluminium- und Stahlwerken beginne, sagt Michael Süß, im Siemens-Vorstand für den Energiesektor verantwortlich.
Sein Risikoszenario für die deutschen Autobauer geht folgendermaßen: Wenn die Hütten in die Rohstoffländer abwandern, folgen erst die Gießereien, dann die Schweißarbeiten der Metallteile. Im Motorenbau wären das Fräsen, Drehen und Bohren der Rohteile - Prozesse, die viel Strom und Öl verbrauchen - die nächsten Glieder in der Wertschöpfung, die womöglich verlagert werden. Die Endmontage findet ohnehin bereits häufig dort statt, wo die Autos verkauft werden, in Indien, Brasilien und China.
Seit Jahrzehnten werden hierzulande Innovationen gemeinsam mit den Zulieferern entwickelt, das Vertrauensverhältnis ist eng. Das alles wäre in Gefahr.
Grosse Verunsicherung- Abwanderung hat bereits begonnen
Und die Abwanderungswelle hat bereits begonnen. Bei der Produktion von Carbonfasern und Aluminium macht Energie bis zu ein Drittel der Kosten aus, bei Basischemikalien wie Chlor oder Ammoniak bis zu 60 Prozent. Kein Wunder, dass BMW und der Kohlenstoffspezialist SGL Carbon ihr Carbonwerk für BMWs Elektroerstling i3 in Moses Lake, drei Autostunden von Seattle, errichtet haben.
Die BASF und der norwegische Düngemittelproduzent Yara wollen an der Golfküste eine milliardenteure Ammoniakanlage bauen, der Industriegasekonzern Linde in Texas einen Luftzerleger mit Vergaserstrang für mehr als 200 Millionen Dollar.
Solche Meldungen machen nervös, zumal niemand weiß, wohin sich die ohnehin hohen Stromkosten hierzulande entwickeln. Neben der Energiewende sorgt die Ankündigung der EU-Kommission, die Befreiung energieintensiver Betriebe von der Ökostromumlage zu überprüfen, für große Verunsicherung. "Wenn die Sonderregelung gekippt wird, dann gute Nacht", stöhnt ein Chemiemanager.
Bleibt den deutschen Standortbewahrern nur zu hoffen, dass der Fracking-Zauber schnell vorbeigeht. In den USA keimt bereits Widerstand auf. Studien zufolge hat Fracking Erdbeben verursacht, in Kentucky die Fischbestände dezimiert, und selbst Neugeborene werden teilweise gesundheitlich beeinträchtigt.
Immer mehr US-Bundesstaaten steuern daher mit verschärfter Regulierung gegen: So kündigte Colorado an, die Methangasemissionen zu begrenzen. Methangas tritt aus, wenn die Bohrlöcher und Pipelines nicht dicht sind, und ist 21-mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid.
Die Fracking-Blase könnte also, wenn sie platzt, wieder viele Menschen teuer zu stehen kommen.