Interview "Wir müssen die Linke versöhnen"

Kanzleramtsminister Bodo Hombach über die Kritik an der Regierung, den Richtungsstreit in der SPD und seine Vision einer Angebotspolitik von links.

mm*:

Herr Hombach, sind Sie frustriert?

Hombach: Worüber sollte ich frustriert sein?

mm: Über den kläglichen Start der Bundesregierung.

Hombach: Ich weiß nicht, was Sie daran kläglich finden. Die Koalitionsverhandlungen verliefen schneller als je zuvor, wir haben in kürzester Zeit ein Fundament für die Regierungsarbeit gegossen und die ersten wichtigen Gesetze auf den Weg gebracht.

mm: Schnelligkeit ist nicht gleichbedeutend mit Qualität. Oder sind Sie der Ansicht, daß Rot-Grün mit dem Koalitionsvertrag der von Ihnen angekündigte Befreiungsschlag gelungen ist?

Hombach: In vier Jahren lasse ich mich gern daran messen, was wir zustande gebracht haben. Jetzt ist es dazu ein bißchen früh. Die christliberale Koalition hat uns einen riesigen Reformstau hinterlassen und weit größere Haushaltslöcher, als wir uns je erträumt hätten. Wir brauchen einen seriösen Zeitraum, um Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Auch Sozialdemokraten können nicht zaubern.

mm: Von Ihren Steuerplänen war die Fachwelt maßlos enttäuscht. Jetzt wird die Reform auch noch Stück für Stück von den Lobbyisten zerpflückt. Wo bleibt die von Ihnen verlangte Radikalität bei der Realitätsbewältigung?

Hombach: Das, was bislang korrigiert wurde, wie die Rücknahme der Jahreswagenbesteuerung, läßt sich gut begründen. Politik wird nun mal mit vielen Interessen konfrontiert. Unsere Aufgabe ist es, einen Ausgleich dieser Interessen zu finden. Und da sind wir ein ganzes Stück vorangekommen. Das Bündnis für Arbeit wird Realität. Alle Beteiligten haben sich dazu bekannt, die Probleme Schritt für Schritt zu lösen.

mm: Dieses Bündnis hätten Sie fast gefährdet. Viele Wirtschaftsführer waren nach Bekanntwerden der Steuerpläne außer sich vor Wut. Sie fühlten sich als Zahlesel der Nation.

Hombach: Der rot-grüne Machtwechsel bedeutet eine Zäsur. Die Wirtschaftsführer hatten uns nicht zur Wahl vorgeschlagen, wir haben trotzdem gewonnen. Dann schimpften sie, daß wir ihre langjährigen Forderungen nicht umgesetzt haben. Noch bevor wir richtig in unsere Büros eingezogen waren, sollten wir schon den revolutionären Wurf zur Umgestaltung der Gesellschaft präsentieren. Mit der Regierungserklärung ist es Gerhard Schröder gelungen, sehr viel mehr Orientierung in die Debatte zu bringen. Die Unternehmer bilanzieren nun nüchterner.

mm: Daran, daß die Unternehmen die Hauptlast der Gegenfinanzierung tragen, ändert dies allerdings nichts.

Hombach: Der Kanzler hat klargemacht, daß er den Höchststeuersatz für Unternehmen so schnell wie möglich auf 35 Prozent reduzieren wird. Das wird mit dem Finanzminister abgestimmt.

mm: Viel einfacher wird das komplizierte deutsche Steuerrecht dadurch nicht.

Hombach: Das Projekt bleibt auf der Tagesordnung. Es gilt, den Staatsanteil zu senken und die nominalen den tatsächlichen Steuersätzen immer näher zu bringen.

mm: Gewinnen nach der vernichtenden Kritik der ersten Wochen nun langsam die Angebotspolitiker unter Gerhard Schröder die Oberhand?

Hombach: Der Kanzler hatte vom ersten Tag an die Richtlinienkompetenz. Ihm geht es um pragmatische Problemlösungen.

mm: Dort, wo der Koalitionsvertrag konkret wird, geht es vor allem um die Stärkung der Massenkaufkraft. Bei der Verbesserung der Angebotsbedingungen bleibt er dagegen sehr vage.

Hombach: Die Koalitionsvereinbarung zeichnet sich dadurch aus, daß sie viele Freiheiten läßt. Der Vertrag ist kein Drehbuch, das die Regierungsarbeit für die nächsten vier Jahre festlegt.

mm: Ihr Koalitionspartner sieht das nicht ganz so optimistisch. Vielen Grünen gehen die Reformen auf der Angebotsseite nicht weit genug.

Hombach: Das sind doch erfreuliche Töne. Über solche Anstöße kann man sich nur freuen.

mm: So mancher Unternehmer hält die Grünen inzwischen für flotter und innovativer als die SPD.

Hombach: Ich finde es erfrischend, wenn der Koalitionspartner zu mehr Modernisierung und rascherem Handeln drängt. Viel schlimmer wäre es, wenn sich die Grünen als Bremsklotz profilieren würden.

mm: Der Realo-Grüne Oswald Metzger träumt bereits von einer Achse der Reformer, um den "Vulgär-Keynesianer“ Oskar Lafontaine in Schach zu halten. Nehmen Sie Metzgers Angebot an?

Hombach: Zunächst nehme ich Oskar Lafontaine in Schutz. Der ist kein theoretischer Dogmatiker, sondern ein mutiger Kämpfer für das, was er als richtig erkannt hat. Ich bin mir mit Oskar Lafontaine zugleich völlig einig, daß nur die kluge Verbindung von Angebots- und Nachfragemaßnahmen erfolgreich sein kann.

mm: Der Finanzminister ist bislang vor allem dadurch aufgefallen, daß er die Bundesbank zu weiteren Zinssenkungen drängt, um das Wachstum anzukurbeln.

Hombach: Natürlich gibt es unterschiedliche Akzente. Der eine glaubt mehr, der andere weniger an die Beschäftigungswirkung von geldpolitischen Entscheidungen. Doch das sind minimale Unterschiede. Die versöhnen sich im praktischen Alltagsgeschäft schnell.

mm: Das sehen viele anders. Kritiker werfen dem mächtigen Schatzkanzler vor, er wolle das Land in die 70er Jahre zurückführen.

Hombach: Die ursprüngliche Polarisierung zwischen Traditionalisten und Reformern in der SPD hat sich mittlerweile eingeebnet. Oskar Lafontaine hat deutlich gemacht, daß er sich nicht in eine ideologische Schublade schieben läßt. Aus dem vielkritisierten Dualismus an der Spitze entwickelt sich immer mehr ein arbeitsteiliges Konzept. Das könnte ein Politikmodell werden, das Schule macht.

mm: Reden Sie sich die Lage nicht ein bißchen schön?

Hombach: Der Konflikt, der in der Öffentlichkeit zwischen Kanzleramt und Finanzministerium hochgespielt wird, ist ein Popanz. Dieser Dualismus zwischen Nachfrage- und Angebotspolitikern ist eine rein akademische Debatte. Die Polarisierung ist letztlich genauso grotesk wie die Kategorisierung in Rechts und Links. Moderne Ökonomen würden sich weder als Nachfrage- noch als Angebotstheoretiker, sondern als analytische Pragmatiker bezeichnen.

mm: In Ihrem Buch propagieren Sie dennoch eine "Angebotspolitik von links". Was steckt hinter diesem Zauberwort?

Hombach: Die Angebotspolitik von links ist der Versuch, mich vom Vulgärliberalismus der Neoliberalen abzugrenzen. Sie reicht von einer Ausbildungspolitik im Konsens bis hin zur Gründungsoffensive.

mm: Was ist an einer Gründeroffensive links?

Hombach: Die Art und Weise, wie sie organisiert wird. Anders als in Bayern sitzen zum Beispiel bei der Go-Initiative in Nordrhein-Westfalen Verbände, Unternehmen, Gewerkschaften und der Staat an einem Tisch. Angebotspolitik von links heißt also, daß wir alle gesellschaftlichen Gruppen in das Vorhaben integrieren. Damit versöhnen wir die Linke.

mm: Nehmen Sie mit dem ständigen Interessenausgleich nicht Reibungsverluste in Kauf?

Hombach: Das Gegenteil ist der Fall. Wer glaubt, eine gesellschaftliche Kraft könne die andere überwinden, erntet hierzulande nur eines: Stillstand. Die Regierung Kohl wollte mit den Karenztagen ein Fanal setzen. Damit hat sie die Gewerkschaften gegen sich aufgebracht. Sie hat die Vertrauensbasis für das Bündnis für Arbeit verspielt. In Deutschland führt Konfrontation immer zu Blockade, Konsens dagegen zu Erfolg.

mm: Inwiefern kann denn das Bündnis für Arbeit Anstöße für eine Angebotspolitik von links liefern?

Hombach: Es geht darum, die Verbesserung der Angebotsbedingungen mit einem Zugewinn an Sicherheit und Teilhabe für die Arbeitnehmer zu verknüpfen. Das Bündnis ist eine Einladung an die Teilnehmer, ihre Lösungsvorschläge vorzutragen.

mm: Ganz oben auf der Wunschliste der Arbeitgeber dürfte die Absenkung der Lohnnebenkosten stehen. Hier drehen Sie jedoch viele Reformen Ihrer Vorgänger wieder zurück.

Hombach: Diese Maßnahmen waren kleine Mosaiksteine ohne erkennbaren Zusammenhang. Zudem waren sie nicht fair abgewogen. Das Wort Reform wurde unter der christliberalen Koalition zum angstauslösenden Begriff für Arbeitnehmer.

mm: Um einen tiefgreifenden Umbau der Sozialversicherungen kommt die neue Regierung kaum herum. Warum wiegen Sie die Bürger zunächst in Sicherheit?

Hombach: Die Rücknahme der unsinnigen Reformen unserer Vorgänger ist nötig, um Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen. Ohne dieses Vertrauen ist jeder großangelegte Reformversuch in Zukunft zwecklos.

mm: Vom Bündnis für Arbeit versprechen Sie sich offenbar Wunderdinge. Was macht Sie so optimistisch?

Hombach: Dieses Kriseninstrument hat eine gute alte Tradition in Deutschland. Es wird längst auch im Ausland eingesetzt. Bezeichnenderweise haben die erfolgreichsten Länder Europas ihre Probleme im Konsens angepackt.

mm: Noch ist das Bündnis hierzulande nicht mehr als eine wohlklingende Worthülse. Was muß konkret geschehen, damit es nicht bei Sonntagsreden bleibt?

Hombach: Wir brauchen institutionelle Formen der Kooperation, wie etwa in Holland. Dort arbeiten Wissenschaftler aus Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Politik die makroökonomischen Vorlagen für die Gesprächsrunden gemeinsam aus. Das hat einen wirklich tiefgehenden Konsens zur Folge.

mm: Wie entscheidend ist es für die Gespräche, daß sich die Gewerkschaften zu Lohnzurückhaltung verpflichten? Die IG Metall lehnt Verhandlungen über die Lohnhöhe bislang konsequent ab.

Hombach: Die wahre Stärke des holländischen Modells liegt darin, daß es all das verknüpft, was zusammengehört. Die Lohnhöhe fließt in den Niederlanden genauso in die Verhandlungen ein wie die Steuern und Abgaben oder die Miete.

mm: Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck hält das Polder-Modell nicht für übertragbar. Er bezichtigt die Holländer gar des Sozialdumpings, da die Lohnzurückhaltung zu einer realen Abwertung des Gulden geführt habe.

Hombach: Man kann das holländische System tatsächlich nicht eins zu eins auf die deutsche Wirtschaft übertragen. Dazu sind die Strukturen viel zu unterschiedlich. Doch das Messen an den Besten muß auch in die Politik Eingang finden. In der Wirtschaft ist Benchmarking längst zum Erfolgsrezept geworden. Mein Ziel ist es, politisches Benchmarking zu einem Stilelement dieser Regierung zu machen. Wir werden daher den Austausch mit den Reformländern Europas weiter vertiefen.

mm: Mit Ihren Ansichten stoßen Sie in der SPD nicht nur auf Zuspruch. Können Sie vom Kanzleramt aus die nötigen wirtschaftspolitischen Akzente setzen?

Hombach: Der Kanzler kann überall Akzente setzen. Und er wird dies auch in der Wirtschaftspolitik tun. Wir haben im Kanzleramt nicht umsonst eine Wirtschaftsabteilung mit zahlreichen hochqualifizierten Ökonomen.

mm: Sie genießen den Ruf eines gewieften Wahlkampfmanagers und Strippenziehers. Einige Leute glauben jedoch, daß es für Sie als Kanzleramtsminister schwierig wird, Ihren Einfluß geltend zu machen. Sie sind nicht in der Fraktion Ihrer Partei verankert.

Hombach: Ich sitze dort schon, nur ohne Mandat. Das heißt, ich kann nicht mit abstimmen. Das ist aber zweitrangig. Ich kann in den Fraktionssitzungen zuhören, mitreden und Kontakte knüpfen. Und das reicht.

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