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Wirtschaftsmoral: Vorsicht, Falle!

Foto: Oliver Sperl für manager magazin

Tatort Büro Wie Unternehmen ihre Kunden ausnehmen

Tarifwirrwarr, Provisionsschinderei, Desinformation: Auch Unternehmenskunden sind gegen die dreisten Tricks vieler Anbieter nicht gefeit. Eine Schadensbilanz.

Alles begann mit einer Lüge. Der britische Pay-TV-Sender BSkyB plante, seine Callcenter zu modernisieren, und schrieb das 77-Millionen-Euro-Vorhaben aus. Die Vertriebler des texanischen IT-Spezialisten EDS wollten den Auftrag unbedingt ergattern und versprachen vollmundig, ein "weltklasse" Kundenzentrum aufzubauen. Man verfüge über hoch qualifizierte Mitarbeiter, der vorgegebene Zeitrahmen werde selbstverständlich eingehalten.

EDS erhielt den Zuschlag - eine der wohl kostspieligsten Fehlentscheidungen der IT-Geschichte.

Schon wenige Monate nach Projektbeginn dämmerte den BSkyB-Managern, dass die EDSler völlig überfordert waren. Es fehlte allerorten an Personal, insbesondere an versierten Softwareentwicklern. Zwangsläufig überschritten die Teams ihre Deadlines.

Schließlich trennte sich BSkyB  von EDS und koordinierte die Arbeiten selbst. Erst nach sechs Jahren - und nicht wie vorgesehen nach 18 Monaten - war das Projekt beendet. Die Kosten waren mehr als fünfmal so hoch wie ursprünglich kalkuliert. Den Schaden bezifferte BSkyB auf fast 900 Millionen Euro.

Entnervt zerrte das BSkyB-Management seinen Dienstleister vor den Londoner High Court. Das Gericht stellte fest: EDS hatte schon bei den Vertragsverhandlungen getrickst. Die Zusicherung, den Zeitplan überprüft zu haben, war gelogen. Tatsächlich wusste niemand, wie umfangreich das Projekt war und wie lange es sich hinziehen würde. Das Gericht sprach EDS 2010 des Betrugs schuldig. Das Unternehmen, das seit 2008 zum IT-Konzern Hewlett-Packard (HP)  gehört, zahlte rund 380 Millionen Euro als Wiedergutmachung an BSkyB.

Vermutlich wurde in der IT-Industrie noch nie ein so hoher Schadensersatz fällig. Denn nur selten gelingt es geschröpften Kunden, ihren Dienstleistern vorsätzliche Täuschung nachzuweisen. Gleichwohl ist der EDS-Fall keine Ausnahme.

Grat zwischen Abkassieren und Arglist wird immer schmaler

"Grundsätze wie Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen verlieren zunehmend an Bedeutung", konstatiert Matthias Uhrig, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Intargia und Gerichtsgutachter bei IT-Streitsachen. Es sei "ein Horror", zu sehen, wie Firmen ihre Kunden ausnähmen.

Was in der IT-Branche um sich greift, gilt längst auch für Bauunternehmen, Leasingfirmen, Banken oder Ratingagenturen: Die Sitten in der Businesswelt werden rauer. Immer mehr Führungskräfte empören sich über rücksichtslose Methoden ihrer Geschäftspartner. Der Grat zwischen freiem Markt und frecher Masche, zwischen Cleverness und Abzocke, zwischen Abkassieren und Arglist, er wird zunehmend schmaler.

Fast im Wochentakt kommen Dreistigkeiten aus den Chefetagen des Kapitals ans Tageslicht, die guten Kaufmannssitten hohnsprechen. Topbanken sollen den wichtigen Zinssatz Libor manipuliert haben. HP-Chefin Meg Whitman wirft dem Softwarehaus Autonomy, das ihr Vorgänger Léo Apotheker für über zehn Milliarden Dollar gekauft hatte, Bilanzfälschung vor, was Autonomy allerdings bestreitet. Die Hersteller von Bahnschienen kungelten jahrelang ihre Preise aus. Waschmittelfirmen änderten vorübergehend ihre Rezeptur, um die Stiftung Warentest zu täuschen. Die Lufthansa  entwertete nachträglich die Bonusmeilen ihrer Vielflieger. "Vielen Managern ist das Gefühl für Angemessenheit abhandengekommen", klagt BWL-Professor und Buchautor Max Otte. "Wir befinden uns in einer Epoche des Hauens und Stechens."

Ein ganzes Bündel von Faktoren lässt das Büro zum Tatort werden: Steigender Wettbewerbsdruck und Margenhatz verleiten dazu, Kunden zu übervorteilen. Die Konzentration in vielen Branchen verführt zum Machtmissbrauch.

Vor allen Dingen aber ist es die sprunghaft wachsende Komplexität von Projekten und Produkten im Zuge der Digitalisierung, die selbst gestandene Manager den Überblick verlieren lässt. Immer mehr Informationen prasseln auf sie ein, statt mehr Transparenz gibt es weniger. In diesem "Informationscrash", den Otte in einem Buch beschrieben hat, werden Führungskräfte zu leichter Beute für ruchlose Geschäftemacher.

Der Kunde steckt in der Falle

Daher sind auch wenige Unternehmen gefeit gegen einen Albtraum, wie ihn BSkyB mit EDS erlebte. Weil insbesondere IT-Vorhaben zunehmend vielschichtig werden, fühlen sich die Auftraggeber nahezu hilflos. Wird zum Beispiel die gesamte Datenverarbeitung ausgelagert, sind davon alle Produkte, Standorte und Abteilungen einer Firma betroffen. Zudem muss eine Fülle gesetzlicher Regularien beachtet werden, von Haftungsrisiken bis zum Datenschutz.

In so einer Situation sind die Auftraggeber komplett von der Solidität und Kompetenz ihrer Lieferanten abhängig. "In dem Moment, in dem der Zuschlag erteilt ist", sagt der auf IT-Fälle spezialisierte Anwalt Ulrich Bäumer aus der Kanzlei Osborne Clarke, "sind die Unternehmen erpressbar."

Seit einigen Jahren hat es sich eingebürgert, dass IT-Arbeiten ausgeschrieben werden. Damit steigt vermeintlich die Transparenz, tatsächlich aber ist aufgrund der Komplexität solcher Unterfangen und angesichts von komplizierten, sich schnell wandelnden Technologien ein Vergleich der Angebote nur schwer möglich. Mithin zählt meist der Preis - und damit ist das Verhängnis oftmals programmiert.

"Der Anbieter schreibt in den Vertrag, was der Kunde will, obwohl er weiß, dass er im Rahmen des vorgegebenen Budgets nicht voll umfänglich liefern kann", hat Berater Uhrig mehrfach erfahren. "Da wird dann Software im Entwicklungsstadium als fertige Version deklariert, und Leute, die gestern noch Praktikanten waren, werden als erfahrene Projektleiter angepriesen."

Gerät das Vorhaben ins Stocken, steckt der Auftraggeber in der Falle. Auf Vertragserfüllung kann er nicht immer pochen, denn häufig sind die Konvolute nicht wasserdicht, weil aus Unwissenheit wichtige Regelungen vergessen wurden. Oder es war schlicht unmöglich, alle Eventualitäten abzudecken. Damit das Projekt zu Ende gebracht wird, gibt der Kunde oft klein bei. Er nimmt Zeitverzögerungen hin, oder er überweist einen Nachschlag, etwa für mehr Personal.

Was sich im Großen in der IT-Industrie abspielt, erleben die Kunden von Telekommunikationskonzernen im Kleinen: Sie zahlen überhöhte Gebühren, lassen sich Knebelverträge aufschwatzen oder kaufen Produkte und Dienstleistungen, die sie nicht brauchen.

Strafe fürs Nichttelefonieren

Ein Grund für die Misere ist das Gestrüpp aus unterschiedlichsten Tarifen. Die sind zwar alle im Internet nachzulesen. Aber die unübersichtlich formulierten Angebote samt den mannigfaltigen Zusätzen im Kleingedruckten verunsichern eher, als dass sie Orientierung geben. Oft werden die Kunden so absichtlich verwirrt.

Bei den schamlosen Versuchen, Handytelefonierer und Internetnutzer übers Ohr zu hauen, steht kein Unternehmen dem anderen nach. So sah ein All-inclusive-Paket von Vodafone vor, dass sich der Kunde mit einer schmaleren Bandbreite als vereinbart zufriedengeben muss, falls der versprochene DSL-Anschluss nicht zur Verfügung steht. Der Preis für die geringere Leistung blieb der gleiche. Ein Gericht hat die Klausel im September für unzulässig erklärt.

Ebenso grotesk ein Ansinnen von Mobilcom-Debitel: Der Provider verlangte - zusätzlich zum Grundtarif - knapp fünf Euro, wenn jemand drei Monate lang sein Handy nicht benutzte. Auch die absurde Strafzahlung fürs Nichttelefonieren haben die Gerichte gekippt.

"Unternehmen werden systematisch falsch beraten", sagt Michael Landwehr. Der Geschäftsführer der Firma K2L Nürnberg, die Anwälte mit Spezialsoftware und Telekommunikationsservices versorgt, stellte kürzlich fest, dass einer Kanzlei in Passau statt eines zusätzlichen Internetzugangs ein kompletter Telefonanschluss verkauft worden war. Unnötige Zusatzkosten pro Jahr: 660 Euro.

Gute und böse Gewinne

Abzocker mögen sich über solche erschlichenen Profite freuen. Andreas Dullweber, Partner bei Bain & Company, unterscheidet jedoch zwischen guten Gewinnen einerseits und schlechten Gewinnen andererseits. Letztere entstehen dann, sagt der Unternehmensberater, "wenn ein Kunde irregeführt oder übervorteilt wird", ob er es nun merkt oder nicht (siehe Kasten "Böse Gewinne" links).

Gerade jetzt sind schlechte Gewinne wieder en vogue. Denn in wirtschaftlich angespannten Zeiten nimmt die Unredlichkeit zu. "Es gibt Wellenbewegungen, die der Konjunktur folgen", sagt Reiner Münker, Chef der Wettbewerbszentrale, die im Auftrag der Wirtschaft die Sitten im Geschäftsverkehr überwacht. Kein Wunder also, dass die Bauernfänger im Augenblick zur Bestform auflaufen: Selten war die Wirtschaft von so großen Unsicherheiten belastet wie heute. Erst platzte Amerikas Immobilienblase, dann fraß sich die Finanzkrise durch Bilanzen und Auftragsbücher. Und nun reißt die Staatsschuldenkrise ein Land nach dem anderen in die Rezession.

Je weniger es zu verteilen gibt, desto härter die Kämpfe. In kaum einem Industriezweig sind daher die Sitten über die Jahre so verroht wie in der lange von Überkapazitäten geplagten Baubranche. Hier ist sich jeder selbst der Nächste, und meist verliert der Endkunde. Die Bauträger drücken die Architekten, die Bauunternehmer nehmen Bauträger aus. Und der Bauherr guckt zum Schluss in die Röhre, weil seine Kalkulation nicht aufgeht. Das Desaster beim Bau der Elbphilharmonie in Hamburg steht auch für diese Kulturverrohung.

Jeder ist sich selbst der Nächste

Ist der Wettbewerb besonders giftig, wird manche Halsabschneiderei aus der Not geboren. "Wegen des harten Konkurrenzdrucks kalkulieren die Firmen die Angebote für Bauvorhaben oft unter Kosten, um den Auftrag zu bekommen", erläutert Jürgen Mintgens, Partner der Kanzlei GTW in Düsseldorf. "Erst über Nachträge sichern die Bauunternehmer ihre Gewinnspanne." Kleinste Veränderungen bei Neubauten - hier eine Tür mehr, dort ein paar Fenster weniger - werden dann exorbitant bepreist.

Immer weiter verbreitet, sagt Mintgens, sei auch das Erzeugen von Druck zum Ende der Bauphase. Wenn etwa Investoren von künftigen Mietern hohe Schadensersatzansprüche drohen, verlegen sich Baufirmen auf "Dienst nach Vorschrift". Will der Bauherr dann die Dinge beschleunigen, flattern zusätzliche Rechnungen ins Büro. Bei manchen Verhaltensweisen hilft dann selbst ein guter Anwalt nicht: "Schlechtes Benehmen ist leider kaum justiziabel", sagt Mintgens.

Für Fairness sorgen sollen vor allem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Der Findigkeit vieler Beutelschneider haben die Paragrafenwerke aber nur wenig entgegenzusetzen, denn der Weg bis zum strafbewehrten Betrug ist weit.

Oft ist Strafbares auch gar nicht erforderlich, um abzukassieren. Es reicht, sich darauf zu verlassen, dass der Kunde den Vertrag, den er unterschreibt, nicht vollständig liest.

Erst gefesselt, dann abkassiert

Der Partner einer Finanzfirma in Frankfurt wurde kürzlich Opfer einer beliebten Art des Absahnens bei 1a-Immobilien: des Schlüsseltricks. Nachdem der Vermieter einige Umbauten in der neuen Büroetage in bester Citylage vorgenommen hatte, überreichte er dem Mieter einen einzigen Schlüssel. Ach, man wollte Zugangskarten für alle 30 Mitarbeiter? Sehr gern, aber der Vertrag sehe das nicht vor, daher müsse man leider, leider 15.000 Euro extra in Rechnung stellen. Der Finanzmann knirschte mit den Zähnen und zahlte.

Gemeinsam ist den perfiden Methoden das, was Ökonomen den "Lock-in-Effekt" nennen: Bei IT-Projekten, bei Business-Software, beim Bauen oder Mieten und selbst bei Handyverträgen versprechen die Anbieter den Himmel auf Erden, um den Käufer zu ködern - mit dem Smartphone für "nur" einen Euro oder mit "kostenlosen" Updates bis zum jüngsten Tag.

Stellt der Kunde dann fest, dass er auf einen eloquenten Verkäufer hereingefallen ist, sind ihm die Kosten und Mühen für einen Wechsel nach Vertragsabschluss oft zu hoch. "Der Anbieter weiß, dass er den Kunden ausnehmen kann, wenn er ihn erst einmal am Haken hat", sagt Justus Haucap, der Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie an der Universität Düsseldorf (siehe Interview).

Erst gefesselt, dann abkassiert: Diese Erfahrung machen Manager auch beim Fahrzeugleasing. Bei 60 Prozent aller Leasingrückgaben komme es zum Streit, schätzt Axel Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbands Fuhrparkmanagement. Und da es trotz jahrelanger Diskussionen bis heute keine Standards für die Bewertung von Leasingfahrzeugen gibt, bleibt das Potenzial für saftige Mitnahmeeffekte enorm.

Regeln der Power-Player: Google und Apple treiben andere vor sich her

Noch ärger kann es beim Leasen von Maschinen werden. So unterschrieb eine Firma im Ruhrgebiet einen Vertrag für eine Druckmaschine im Wert von 500.000 Euro. Am Ende der Laufzeit wollte der Chef die Anlage zum vereinbarten Restwert von 50.000 Euro übernehmen. Nichts da, sagte der Leasinggeber, die Marktlage habe sich geändert, er könne die Maschine nun für 100.000 Euro weiterverkaufen. Der Unternehmer hielt das für Wucher, willigte aber ein: Er war auf die Maschine angewiesen.

Leasing schont die Liquidität. "Ist es aber das Ziel, die Maschine am Ende der Laufzeit zu erwerben, rate ich Mandanten mittlerweile oft, Maschinen zu kaufen, statt zu leasen, wenn es sich betriebswirtschaftlich darstellen lässt", sagt Leasingexperte Vladimir Stamenkovi'c von der Essener Kanzlei SH Rechtsanwälte.

Am besten die Zusammenarbeit mit Dienstleistern ganz vermeiden - so weit ist es für manche Betriebe schon gekommen. In einigen Märkten wird allerdings das Gegenteil zum Problem: Dort lassen sich ein paar große Akteure gar nicht mehr umgehen. Sie sind so mächtig, dass sich selbst Konzerne ihrem Diktat unterwerfen müssen.

Google  und Apple  treiben Werbende und Verlage vor sich her, Autobauer ihre Zulieferer, Ratingagenturen gleich die ganze Wirtschaft. Managern bleibt da oft nichts anderes übrig, als sich den Bedingungen der Power-Player zu beugen.

Einer der wenigen, die sich gegen die Übermacht eines Giganten wehren, ist Michael Militzer. Seine Mitec AG gehört zu den seltenen Erfolgsgeschichten des Aufbaus Ost. Mit ein paar Mann aus dem Eisenacher Wartburg-Werk fing Militzer 1990 an, heute beschäftigt er 800 Mitarbeiter, hat Werke in den USA und China und beliefert fast die ganze Autobranche. Seine Spezialität sind Systeme, die Schwingungen eines Motors absorbieren und das Auto ruhiger laufen lassen.

Groß rasiert Klein

450.000 solcher Systeme fertigte Mitec von 2002 an pro Jahr für Ford  und dessen Beteiligung Mazda. Im Jahr 2007 erfuhr Militzer durch einen Zufall, dass sein Kunde die Teile heimlich - und nach seinen Plänen, wie er beteuert - anderswo bauen ließ, um dann den Vertrag mit Mitec zu stornieren. Plötzlich fehlten Militzer 35 Millionen Euro Jahresumsatz. Und die Maschinen, die er für den Ford-Job angeschafft hatte, waren wertlos.

Ein klarer Vertragsbruch, findet der Unternehmer. Ford sieht das natürlich anders. Also zog Militzer vor Gericht.

In drei Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof siegte er seither gegen Ford beim Streit über den Gerichtsstand. Ein weiteres Urteil von Ende November spricht ihm nun das Recht auf Schadensersatz zu. Ford kann dagegen noch Berufung einlegen. Militzer fordert 20 Millionen Euro von dem Weltkonzern. Sein jüngster Sieg könnte sogar branchenweit Folgen haben: "Das neue Urteil bedeutet auch, dass nicht alle Vertragsbeziehungen in der Automobilindustrie rechtmäßig sind." Die Marktrisiken müssten fairer zwischen Herstellern und Zulieferern verteilt werden, sagt der Mitec-Eigner.

Groß rasiert Klein: Das gilt längst nicht mehr nur für Mittelständler, die es mit Weltkonzernen zu tun haben. Auch Dax-30-Riesen werden ausgequetscht.

Im Frühjahr schrieb ein Dutzend Finanzvorstände von Schwergewichten wie Daimler , RWE , Siemens , VW , Linde  oder Lufthansa  einen feurigen Brief an Torsten Hinrichs. Sie warfen dem Deutschland-Chef von Standard & Poor's (S&P) Preistreiberei vor. Der Marktführer im Dreier-Oligopol der Ratingagenturen hatte den Konzernen saftige Preiserhöhungen avisiert. Teilweise sollten sie für Bonitätsprüfungen mehr als das Doppelte berappen.

Einen ähnlichen Protestbrief schickte im Sommer die deutsche Kreditwirtschaft an S&P. "Unverschämt" sei die Preispolitik der Agentur, echauffiert sich ein Banker. Dass S&P die Gebührenerhöhung auch noch mit den Kosten für die Weiterentwicklung der Ratingverfahren begründete, findet er absurd: "Andere Unternehmen müssen ihre Produktentwicklung ja auch selbst bezahlen."

Kesse Preispolitik von S&P

Genützt hat der Radau wenig. Als sich die Spitzen der Kreditwirtschaft kürzlich mit S&P zur Aussprache trafen, blieben die Bonitätsprüfer im Ton höflich, in der Sache aber hart: Die Preise der Ratings spiegelten deren Nutzen für den Kunden wider. Punktum. Die Bonitätsermittler wissen, dass die Konzerne ihre Ratings brauchen, wenn sie ihren Zugang zum Kapitalmarkt behalten wollen.

Die kesse Preispolitik von S&P ärgert viele Manager auch deswegen, weil die Leistungen der Ratingagenturen zuletzt eher durchwachsen waren. So verhökerten die Verkaufstruppen von Investmenthäusern wie Barclays  oder Citigroup  über Jahre hinweg toxische Finanzderivate - dank der Prädikatssiegel von S&P, Moody's oder Fitch. Um "erstklassige Wertpapiere" würde es sich handeln, hieß es damals vielversprechend, "alle mit Topratings, grundsolide Ware".

Wer denn die heiklen Papiere am liebsten gekauft hätte, fragt der US-Autor Michael Lewis einen Investmentbanker in seinem Finanzkrisenbuch "Boomerang"? "Dämliche Deutsche in Düsseldorf", lautete dessen Antwort. Dort saß bis zu ihrem Ableben die WestLB, und die IKB firmiert dort noch immer.

Die zynischen Investmentexperten profitierten prächtig von den durch Schrotthypotheken vermeintlich abgesicherten Bündeln. Diejenigen Kreditinstitute aber, die den Investmentbankern naiv auf den Leim gegangen waren, verloren Milliarden, als die Blase platzte. Manche brachen ganz zusammen und mussten vom Steuerzahler aufgefangen werden.

Kartellverfahren gegen Google

Mal übervorteilen clevere Banker gierige Kunden, mal wird ein Zulieferer von einem Großkunden ausgepresst, mal stecken global präsente Unternehmen in den Fängen eines Oligopols - und im Extremfall werden halbe Volkswirtschaften von einem einzigen Riesen wie Google beherrscht.

Kaum einer kommt noch an dem Suchmaschinenspezialisten vorbei, und immer mehr Menschen beklagen sich über dessen Praktiken. Der Verdacht: Google bevorzuge in seinen Ergebnislisten Unternehmen aus dem eigenen Verbund - etwa Anbieter von Reisen, Stadtplänen und Videos - oder lasse sich Toplistings abkaufen, ohne das als bezahlte Werbung zu kennzeichnen.

Firmenchefs wie Thomas Ebeling von ProSiebenSat.1  und Markus Orth vom Reiseveranstalter L'Tur prangerten Google  deswegen öffentlich an. Springer-Chef Mathias Döpfner verglich den Suchgiganten kürzlich in der Wochenzeitung "Die Zeit" mit einer "Hehlerbande".

Für die ausgebooteten Konkurrenten kann Googles Gebaren extrem schädlich sein. Wer sein Geschäft mithilfe des Online-Business macht, dessen Erfolg hängt davon ab, ob sein Angebot auf den ersten zwei oder drei Seiten der Suchmaschine erscheint. Was weiter hinten steht, nimmt kaum ein Kunde mehr wahr. Weltweit beträgt der Marktanteil von Google in der Internetsuche 91 Prozent. Mithin entscheidet der US-Konzern über Sein und Nichtsein im Internet.

Verleger reagieren angefressen

Dem Unternehmen droht nun sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten ein Kartellverfahren. Die Behörden verdächtigen Google, seine Macht zu missbrauchen. Die Silicon-Valley-Ikone hingegen bestreitet, Suchergebnisse zu manipulieren.

Auch Googles Nachbar Apple nutzt seine Dominanz skrupellos aus. Die Kultfirma erhöhte Ende Oktober die Preise für Zeitungen und Zeitschriften in ihrem App-Store, ohne die Verlage von der Maßnahme vorab in Kenntnis zu setzen. Entsprechend angefressen reagierten die Verleger. Tun können sie aber einstweilen nicht viel, zu groß ist die Marktmacht von Apple.

Was tun, wenn einem der Stärkere oder der Ruchlosere seine Bedingungen aufzwingt, ohne sich um die allgemeinen Sitten zu scheren? Wie reagieren, wenn Anbieter - wie im Fall des IT-Dienstleisters EDS - selbst vor Lug und Trug nicht zurückschrecken? Sollte etwa der Staat mit noch strengeren Gesetzen in die Wirtschaft eingreifen?

Ökonomen wie Justus Haucap lehnen zusätzliche Regulierung ab, weil die Unternehmen sonst stranguliert würden. Bleibt also nur der Appell an die Fairness. "Nicht umsonst forderte ja schon Adam Smith eine moralische Basis für den Markt", sagt Max Otte. Denn: "Ein Liberalismus ohne Anstand führt uns zurück in die Zeiten der Räuberbarone."

Zum Interview mit Justus Haucap: "Unlautere Methoden"

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