
Bankerdynastie Im Reich der Rothschilds
Papa, frag nicht, bring mir sofort 200 Millionen. Beeil dich." Baron Guy de Rothschild, überrumpelt vom Anruf seines Sohnes David, wusste umgehend, dass Schreckliches passiert und große Gefahr im Verzug war. Nichtsdestotrotz setzte er in aller Seelenruhe seine allmorgendlichen Gymnastikübungen fort; Geschmeidigkeit ging ihm nun mal über alles. "Großvater hatte seine Prinzipien", erläutert Alexandre, der Enkel.
Wir sitzen in einem kleinen Besprechungszimmer, im grandiosen Jugendstilbau der Avenue de Messine 23b, Paris von seiner prächtigen Seite. Kein aufsehenerregendes Firmenlogo, wie sonst üblich, wenn mit großem Geld Staat gemacht wird, schreit von der Fassade. Nur ein bescheidenes Messingschild neben dem Portal verrät, wer hier waltet.
Baron junior holte uns persönlich dort ab. Eine Geste, die zur Kenntnis genommen werden darf im Kosmos der "Executives", wo der Besucher gewöhnlich mehrere Sicherheitsschleusen passiert, ehe er vor dem pompösen Schreibtisch des Chefs landet. Rothschild junior versteht selbstredend auch die Kaffeemaschine zu handhaben. Wir sollen am besten gleich verstehen: Ein Rothschild ist ein Mensch wie Sie, du und ich. Charmanter Versuch.
Wiewohl es in ihrer Geschichte an menschlichen Dramen nicht mangelt, bleibt der damals Entführte unversehrt, äußerlich zumindest. Wir werden ihm bald als Baron David begegnen. Nur so viel sei vorausgeschickt, er leitet seit vielen Jahren einen der beiden bedeutenden Stämme in Frankreich.
"Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rothschild ist sein Prophet"
In Deutschland wurde er gerade als "European Banker of the Year" geehrt, als "Privatbankier mit beeindruckender Lebensleistung". Er ist auch der Vater von Alexandre und vollendet in diesem Jahr sein 70. Lebensjahr.
"Was für eine Familie", rief uns der Historiker Fritz Stern zu, der ihre Historie bis in die Verästelungen hinein kennt, "ihr Aufstieg ist die Parallelerscheinung zum Aufstieg Napoleons und dessen Selbstkrönung, nur dass die Rothschilds eben heute noch existieren und prosperieren." Und nach wie vor ist Heinrich Heines Apodiktum Allgemeingut: "Das Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rothschild ist sein Prophet."
Heine hatte dabei das Bankiersgenie Nathan Mayer vor Augen, in dessen Schloss er häufig als Gast weilte, und der auf dem Londoner Börsenparkett dafür sorgte, dass die Rothschilds im 19. Jahrhundert zur reichsten Familie der Welt aufstiegen. Kriege und Frieden finanzierten, einen Gutteil der industriellen Revolution in England und Frankreich, die erste Eisenbahn in Österreich, den Suezkanal, den Aufstieg des britischen Empire. Zum Beispiel.
"NM", wie ihn die Familienmitglieder heute noch ehrfurchtsvoll nennen, war der talentierteste der fünf Söhne des Mayer Amschel, die alle in der Frankfurter Judengasse geboren sind, im armseligen Getto. Das Haus mit dem roten Schild war längst verlassen, als der Vater sie hinausschickte in die damals großen Wirtschaftszentren Europas, nach London, Paris, Neapel und Wien.
Nur die Deutsche Bank kann mehr Transaktionen vorweisen
"Das Netzwerk unserer Vorfahren war wie eine frühe Version des Internets von heute", erläutert Baron Eric de Rothschild vergnügt. Auch er residiert in der Pariser Bankzentrale und verantwortet dort die private Vermögensverwaltung; zudem das einzigartige Weingut Lafite und die vielen Stiftungen der Familie.
Tatsächlich klapperten die Kutschen der Rothschilds nonstop über den Kontinent und transportierten neueste Nachrichten über geschäftlich Relevantes. Die Brüder schrieben sich täglich, hatten sie doch Kontakte vom Feinsten geknüpft. Regierungschefs und führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Geldadel trugen ihnen ihre Geldsorgen, Investitions- und Kreditwünsche an.
Ihre Insiderinformationen konnten aber selbst dann, wenn die Briefe abgefangen wurden, von keinem Konkurrenten entziffert werden; sie waren in einem eigens kreierten Judendeutsch verfasst. Seit 40 Jahren übersetzt der fleißige Mordechai Zucker im Londoner Archiv ihre Korrespondenz, und ein Ende ist nicht in Sicht.
Das Rothschild-Reich des Jahres 2012 wird von der Londoner St. Swithin's Lane am New Court, wo schon NM residierte, der Züricher Zolliker-Straße und von Paris aus regiert, und die Herren Barone fahren heute ganz unprätentiös vor. Eric mit nagelneuem Motorroller, immer noch trauernd, dass das Vorgängermodell, doch "gerade erst zwölf Jahre alt", den Geist aufgab; Alexandre im Smart.
2800 Banker weltweit im Einsatz - Diskretion geht über alles
In 40 Ländern mühen sich in ihrem Namen 2800 Banker, eingeschworen auf den Stil des Hauses, in dem Diskretion über alles geht, um Investmentopportunitäten, um M&A-Deals, Aktientransaktionen, um Vermögensverwaltung, sämtliche Bankgeschäfte eben, solange es nicht um Kreditvergabe geht. Die Rothschilds bieten nur guten Rat feil.
Auch in Deutschland. Seit 1989, dem Jahr der Wende, ist die Rothschild-Bank wieder präsent in Frankfurt, wo alles anfing. Der ehemalige Daimler-Vorstand Klaus Mangold sitzt dem Aufsichtsrat vor. Ein alter Fuchs, der die Fährten kennt in der deutschen Industrie, obendrein hervorragende Beziehungen nach Osteuropa pflegt. Verpflichtet wurde auch Altkanzler Gerhard Schröder, sicherlich nicht nur, um den exzellenten Rotwein des Hauses zu preisen.
Und der von der UBS abgeworbene Martin Reitz leitet ein Team von 55 Investmentprofis. Ein größeres hat nur die Deutschen Bank, und nur sie kann mehr Transaktionen vorweisen als die Rothschilds: deren Kundschaft entsprechend das ganze Alphabet der Giganten repräsentiert, Allianz, BMW und Bosch, Volkswagen Vz. und Porsche, Rolls-Royce, ThyssenKrupp. Aber auch Familienunternehmer wie Arend Oetker legen den Rothschild-Bankern ihre Geschäftsstrategien offen, Theo Müller oder Petra Grotkamp, die jüngst die Finanzierung ihrer 500-Millionen-Übernahme der Brost-Anteile an der "WAZ" von ihnen einfädeln ließ.
Als Lebensmittelriese Nestlé in einem Rund-Zwölf-Milliarden-Dollar-Deal von Pfizer den Lebensmittelsektor übernahm, beriet im Hintergrund eine Rothschild-Mannschaft.
Familienzwist in London
Eine vergleichbar spektakuläre Aktion gab es in Deutschland, als der Versicherungskonzern Allianz 51 Prozent der französischen AGF aufkaufte. Allerdings erst im zweiten Anlauf. Der damalige Vorstandsvorsitzende Henning Schulte-Noelle hatte beim Konkurrenten in Paris mit allem antichambriert, was das kernige Flair eines sturen Westfalen hergibt, und wurde doch brüsk vor die Tür gesetzt. Erst die geschmeidige Vermittlung von Baron David und seinem Halbbruder Edouard brachte den Erfolg.
In der Folge konnte die Allianz als weißer Ritter auftreten; durch die französische Adoption kam der Münchener Konzern auch an ein Aktienpaket von Paris Orléans, und damit der Rothschild-Bank.
Ein hervorragendes Investment sei das, beteuert Paul Achleitner, der ehemalige Vorstand, der im Mai Chefkontrolleur der Deutschen Bank wurde. Die gute Beziehung pflegt man weiterhin. Rothschilds setzen auf Treue.
Ein bisschen gezittert haben sie aber schon in Paris, ob das Band hält, als man sich entschloss, die Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft zu vollziehen, die für immer die Vorherrschaft der Familie sichern soll: indem die Minderheit des Kapitals, 47 Prozent, die Mehrheit der Stimmrechte, 57 Prozent, garantiert. So einen Kniff nutzen auch die Familien Henkel, Hermès oder Michelin.
Familienzwist in London
Dass es überhaupt zu dieser aufwendigen Neuformation kam, liegt nicht nur an den Herausforderungen, die die Globalisierung auch für die Rothschilds mit sich bringt. Die Veränderung ging von der englischen Verwandtschaft aus, den späten Nachfahren des Nathan Mayer.
Sie werden heute von zwei großen Zweigen repräsentiert, denen Sir Evelyn und Lord Jacob vorstehen. Bis 1980 marschierten die beiden gemeinsam, bis der Lord Sehnsucht nach noch mehr Größe ventilierte und sich mit fremden Bankgöttern zusammentun wollte. Lord Jacob hätte dabei gar das wichtigste Pfund, mit dem die Dynastie trumpft, einfach weggeworfen - den an Strahlkraft nicht zu überbietenden Familiennamen.
Die Rothschilds aller Länder waren außer sich. Vorbei war es mit dem ansonsten streng gepflegten Prinzip der Eintracht. Man trennte sich.
Sir Evelyn de Rothschild, heute 81, der uns gleich damit vertraut macht, dass die Rothschilds ihr Telefon eigenhändig abnehmen, führte die englische Dynastie bis 2003, um dann an seinen französischen Cousin, Baron David, zu übergeben. Nach und nach verkaufte er dem französischen Zweig auch seine Anteile, während seine drei Kinder - unter ihnen der bekannte Abenteurer und "Plastiki"-Umweltaktionist David - ihr Erbe in die neu formierte Dachorganisation Paris Orléans einbringen. Diese steuert fortan die gesamte Rothschild-Gruppe.
Erfolgsgeheimnis Diskretion
"Bis zu einem gewissen Grad haben wir die fünf Pfeile wieder zusammengebracht", freut sich Eric. Die fünf Pfeile, zusammengehalten von einem engen Band, stehen für den Geist der Sippe genauso wie für die Corporate Identity der Bank; sie zieren jeden Briefbogen, jeden Notizblock, jede Visitenkarte und auch die Aktentaschen der Familienoberhäupter.
Schon auf den ersten Blick signalisieren sie die Botschaft, die Mayer Amschel seinen fünf Söhnen mit auf den Weg gab: Nur gemeinsam seid ihr stark. Dazu verordnete er Concordia, Industria, Integritas - Eintracht, Fleiß und Redlichkeit.
Unter den Beraterbanken der Welt rangierte die Rothschild-Gruppe im vergangenen Jahr an zehnter Stelle; sie verbuchte Einnahmen in Höhe von 1,14 Milliarden Euro. Das Geschäftsmodell sieht keine eigenen Produkte vor, keinen (Eigen-)Handel oder Vabanquespiele mit spekulativen Papieren. Während in den 2000er Jahren bekanntermaßen die meisten Bankhäuser zu Spielkasinos mutierten und die führenden Akteure im Gewinntaumel abhoben, blieben die Rothschilds nolens volens auf dem Teppich und wurden belächelt.
Als aber der faule Zauber aufflog und die Welt im Zuge der Finanzkrise in den Abgrund starrte, stand Rothschild immer noch als die größte Bank der Welt in Familienbesitz auf festem Boden.
Deutsch-Französin heiratete den reichsten der Rothschilds
Die Bank der Elsässer Brüder Lazard mit vergleichbarem Geschäftsmodell ging schon 2005 an die New Yorker Börse; das Bankhaus Sal. Oppenheim, wo Stammvater Mayer Amschel vor über 200 Jahren in die Lehre ging und das seit der Gründung im Jahr der Französischen Revolution in Familienbesitz war, wurde vom Strudel der eigenen Fehlspekulationen aus den Fundamenten gerissen und stand schließlich vor der Alternative, unterzugehen oder unter das Dach der Deutschen Bank zu schlüpfen.
"Ein Graf Krockow", der letzte Chef des Hauses, der die Bank in den Ruin spekulierte und sich einem Ermittlungsverfahren wegen Untreue stellen muss, "wäre bei den Rothschilds niemals ans Ruder gekommen", weiß ein namhafter Münchener Investmentberater, der sich jüngst mit Ariane de Rothschild öffentlich der Diskussion über die Verantwortung der Superreichen stellte. Sie ist die erste Chefin eines Rothschild-Zweigs in der über 200-jährigen Geschichte, der Edmond de Rothschild Gruppe.
Ariane, die Deutsch-Französin heiratete den reichsten aller Rothschilds, Benjamin. Parallel zu David führt er den zweiten französischen Stamm, von Genf aus und auch von einem Palastschmuckstück in direkter Nachbarschaft zum Elysée. Im Klub der Milliardäre ist er fest verankert.
Die Rothschilds von heute sind im Gegensatz zur ersten Generation ein vorsichtig agierender Clan geworden. Als sich etwa alle Welt der exorbitanten Gewinnmargen wegen um einen Einstieg beim Milliardenbetrüger Madoff riss, gestanden sie sich nach der Prüfung der Bücher ein, das Geschäftsmodell nicht zu verstehen, und wandten sich ab.
Mit 31 Jahren bereits "Executive Director" des Geschäftszweigs der Private-Equity-Fonds, ist Alexandre trotz alledem noch ein Unvollendeter. Und nicht einmal ein Rothschild würde es ihm verübeln, kostete er ein wenig von der Leichtigkeit des Seins.
Thronfolger in der Probezeit
Doch von Jeunesse dorée keine Spur. Sein todernster Blick aus dunkelbraunen Augen könnte selbst ein Stück Eisen zum Weinen bringen. Auch die buschigen Brauen, der kantige Kopf, das dunkel gewellte Haar, nach hinten pomadiert, sorgen nicht für Aufheiterung.
Die hohe Stirn ist das Markenzeichen derer zu Rothschild, und um den vollen Mund graben sich Fältchen, in denen beim Anflug eines Lächelns der Schelm nistet und auch die Melancholie der Jahrhunderte. Alexandre de Rothschild ist kein Gewöhnlicher unter den vielen Ungewöhnlichen des großen Clans. Er soll eines Tages die Familienkrone tragen. Noch kennt niemand den Tag und die Stunde, nicht einmal er selbst, nur dass es innerhalb der nächsten fünf Jahre sein wird.
"Ich bin da sehr geduldig", beteuert der Erbe des Empire. "Mein Vater und ich sprechen sehr offen darüber und sind uns einig: Die sicherste Art, es falsch zu machen, wäre, die Entscheidung über den Zeitpunkt schon im Voraus in Stein zu meißeln." Beladen mit der Bürde des Mythos, beglückt mit dem Privileg, Vollendung als echter Rothschild anzustreben, übt sich der König to be schon jetzt in Royaldiplomatie: "Es wird sein, wenn der richtige Augenblick gekommen ist."
Der richtige Augenblick hängt natürlich davon ab, wie schnell und ob überhaupt er sich Autorität bei den Kollegen Bankern im eigenen Haus und in der Branche verschaffen kann. Es reicht nicht, nur der Sohn des Chefs zu sein. "Erfolg ist der Lackmustest", unter diese Devise stellt er sein Wirken. Unter diesem Damoklesschwert steht er.
Gestalter des Trainingscamps
Aber natürlich hat Alexandre alle Freiheit, sein Trainingscamp zu gestalten. Als er 2008 ins Bankgeschäft des Vaters einstieg, machte er sich daran, mit drei Mitarbeitern einen Fonds aufzulegen, den Five Arrows Principal Investments, Fapi, mit beachtlichen 600 Millionen Euro. Bald waren sie ein Team von 30, und es folgte Fonds Nummer zwei, der Five Arrows Secondary Opportunities, Faso, mit einem Budget von 250 Millionen Euro, und soeben wurde Fonds Nummer drei geschlossen, der Five Arrows Credit Opportunities, Faco, der kleineren Unternehmen helfen soll, die bei den Banken derzeit wenig Chancen haben, an Kredite zu kommen. Da sind sie also wieder, die "Five Arrows", die fünf Pfeile. Doch in einigen Jahren erst wird sich zeigen, ob sie ins Schwarze getroffen haben.
Über Alexandres Werdegang wachen auch die beiden Vorstandsvorsitzenden, die im Tandem die Investmentbank leiten, Nigel Higgins und Olivier Pécoux. Wir treffen sie in London, und natürlich drängt sich die Frage auf, wie sich die beiden Kulturen vertragen werden und welcher Einfluss größer sein wird: der des Oxford-Absolventen Higgins, eine Paradeausgabe von britischem Humor und Lässigkeit, der seit Tag eins seiner Karriere bei den Rothschilds deren Wesen und Wirken aufsog, mittlerweile im dreißigsten Jahr. Oder der Franzose Pécoux, steifer und staatstragender.
Der Brite hat sich bereits von der Bezeichnung "Investmentbanker" verabschiedet. Allzu schmutzig ist halt das Image, das unauslöschlich an Bankstern hängt, deshalb will man bei Rothschilds jetzt "Globale Finanzberatung" auf das Türschild schreiben. Nigel Higgins war auch die treibende Kraft, die klare Strukturen und den Zusammenschluss nahelegte.
Junior Alexandre soll auch lernen, sich in den wichtigsten Gremien zurechtzufinden, im Managementkomitee, in dem die Vorsitzenden der verschiedenen Unternehmensbereiche zusammenkommen, und im Aufsichtsrat, wo der Strategiekompass justiert wird.
"Wenn du aufwachst und sagst: ,Ich bin Rothschild', bist du verloren"
Eine Vita, die sich eines Tages mit Grandezza paaren soll, will orchestriert sein. Zuvorderst kann sie nicht erzwungen werden, diese Erfahrung schreibt sich von selbst ins Logbuch einer über 200 Jahre alten Dynastie. So beginnt die sich ankündigende Inthronisation des Alexandre de Rothschild, der drei Schwestern hat und einziger Sohn ist, mit dem Segen des Vaters, Baron David.
Als wir ihn treffen, stellt er gleich die Formalien klar: "Nennen Sie mich David. Mir lag immer daran, meinen Weg als David zu machen und nicht als Baron Rothschild." Warum? "Am Tag, an dem du aufwachst und sagst: ,Ich bin Rothschild', bist du verloren."
Nach der Verstaatlichung der Rothschild-Bank, 1981 unter der Regierung von François Mitterrand, fängt David in den Folgejahren mit Halbbruder Edouard, Cousin Eric und einer Million Euro wieder ganz von vorn an und darf zunächst nicht einmal den eigenen Familiennamen im Briefkopf der Bank führen.
Aber der französische Staat konnte ihn auch nicht benutzen, dank Erics pfiffiger Konstruktion zum Schutz der Marke. Artikel 3 verlangt, dass überall dort, wo der Name Rothschild eingesetzt wird, auch einer der ihren im Aufsichtsrat vertreten sein muss. Als die Regierung drohte, die Firewall per Gesetz niederzureißen, konterte Eric: "Wie wird das denn aussehen, wenn sich Kommunisten und Sozialisten den Namen der Rothschilds aneignen?" Dazu kam es nicht.
Wie erzieht man einen Erben, der einmal für diesen Mythos stehen soll? "Mit viel Liebe", sagt David de Rothschild, "außerdem sind gute Manieren wichtig, und ich habe Alexandre auch geholfen, Selbstbewusstsein zu entwickeln." "Wenn du einen Namen hast wie den unseren, dann musst du auf Nummer sicher gehen, dass man dir verzeiht, einen derart enormen Vorsprung zu haben." Diese Mahnung einer Ahnherrin werde weitergereicht über die Generationen: "Es wäre arrogant zu behaupten, der Name bewirke nichts; er öffnet Türen", sagt David.
Grandezza und Moderne
Baron David entgeht nicht, dass Alexandre, das Kind, ein leidenschaftlicher Tennisspieler ist. Also ermuntert er ihn: Du musst nicht Banker werden, du kannst auch im Tennis Karriere machen. Geh, wohin dein Herz dich trägt. Doch, so reden die Rothschilds."Das war sogar die noch cleverere Art, Druck auf ein Kind auszuüben", sagt der Sohn.
Selten öffnen die Rothschilds einen Spaltbreit die Tür in ihre Welt, so wie in den letzten Monaten dem manager magazin. Dann fällt der Blick etwa in den faszinierenden Gewölbekeller des Château Lafite, wo die besten Geschäftskunden gelegentlich zu Dinner und Konzert geladen werden; es ist eine Art Ritterschlag. Während man den Aperitif noch in den Salons nimmt, zwischen abgewetzten roten und grünen Kanapees, geht es, sobald die Musik aufspielt, in die unterirdische Sphäre. Selbst Wirtschaftsgranden, die sich aus Prinzip unbeeindruckbar gerieren, verlassen den Schauplatz in überirdischer Wallung.
Gewissermaßen das Gegenstück zum sagenhaften Weinkeller ist die neue Konzernzentrale in London, ein spektakulärer Neubau von Rem Koolhaas, der trotz aller Größe anmutig wirkt, ohnehin in der Umgebung des Finanzdistrikts mit seinem klirrenden Deklarationswahn. Ein "unsichtbarer Palazzo", befand ein Architekturkritiker in Anspielung auf die Medici, eine hochmoderne Schaltzentrale jedenfalls, in die auch der Butler mit eingezogen ist, der seit 40 Jahren die Suppe serviert.
"Ein enger Freund der Familie"
Natürlich muss, wer die fabelhafte Welt der Rothschilds erahnen möchte, auch ihre Landschlösser aufsuchen, die Nobelhotels, die Kunstsammlungen ansehen oder die Hippodrome. Auch Alexandre ist, wie die meisten Männer der Familie, passionierter Turnierreiter.
Dazu gehören aber genauso Wohlfahrtsveranstaltungen, Kulturtempel, Synagogen, Altenheime oder ganze Pariser Blöcke des sozialen Wohnungsbaus. Und selbstredend eine Reise nach Israel. Ohne rothschildsche Unterstützung stände das Land heute anders da.
Wo immer ein Rothschild, da fallen ständig die Vokabeln "natürlich" und "langfristig". Dazu gibt's eine herzliche Wir-sind-doch-ganz-normal-Vorführung. Selbstredend beteuert auch Thronfolger Alexandre, unter ganz schlichten Umständen aufgewachsen zu sein.
Er ging auf eine öffentliche Schule, besuchte das Lycée Victor Duruy, auf das auch der vier Jahre ältere John Jacob Elkann ging, sein enger Freund, der bereits mit 28 Jahren zum Familienoberhaupt der Agnellis wurde. "Englische Manieren und französische Schule halte ich für unabdingbar", dieses Motto der italienischen Elite vertraute uns Elkann senior an.
Es gilt zweifelsohne auch für die Rothschild-Sprösslinge. Mama ist schließlich eine Prinzessin aus dem Hause der Aldobrandinis, des Florentiner Nobelhauses, dessen Wurzeln zurückgehen bis in die Renaissance. Die Familie kann sich sogar damit schmücken, einen Papst hervorgebracht zu haben.
Loyale Bande
Dass Elkann soeben 25 Millionen Euro bei den Rothschilds investierte, ist da eigentlich natürlich. Genauso wie die Tatsache, dass die beiden Jugendfreunde ein Private-Equity-Joint-Venture in Asien eingingen. Das Experiment, europäische Finanz- und Industrieelite sozusagen Hand in Hand, klappte wunderbar. "Ich bin hocherfreut, dass Jaki Aktionär geworden ist, er ist meine Generation und denkt sehr - langfristig."
Jaki seinerseits mag nicht mehr über die Rothschilds sagen, als dass er ein "enger Freund der Familie" ist. Niemand, der ihnen nahesteht oder eine Führungsposition im Haus innehat, neigt zu Gesprächigkeit. Allenthalben Closed Lips. Wie bei jenen, die am Königshof engagiert sind und ein Schweigegelübde ablegen müssen. Ein solches gebe es selbstredend nicht, beteuert Martin Reitz. "Es ist auch nicht so, dass die Rothschilds wie eine Art Royal Family im Hintergrund sitzen." Gleichwohl sei Verschwiegenheit die Basis der Kundenbeziehungen. Auch deshalb achte man bei der Personalwahl besonders auf das Persönlichkeitsbild.
Schon die Erwähnung von Goldman Sachs bringt einen bei Rothschilds in Verruf. "Ich habe einfach keine Lust, mit Leuten zu arbeiten, die unangenehm sind", sagt David. Das "unangenehm" sagt er auf Deutsch, in einem Gespräch, das ansonsten auf Englisch stattfindet, und fügt hinzu, was zählt, ist, "bist du ein Mensch or not".
Das Handwerk auf die harte Tour gelernt
Die Lehr- und Wanderjahre von Sohn Alexandre finden also unter keinen Umständen bei der Bank statt, deren Chef sich rühmt, Gottes Werk zu verrichten. Nach dem Abschluss der École Supérieure du Commerce Extérieur machte Alexandre ein Praktikum in der Private-Equity-Abteilung bei Bear Stearns in New York. "Da fing ich Feuer."
Er bleibt weitere zwei Jahre an der Wall Street, als Analyst im selben Haus und zieht den klassischen Investmentbanker-Stundenplan durch. "Ich hab das Handwerk auf die harte Tour gelernt."
An freien Tagen besucht er schon mal Nat, den Cousin, der in New York ein Haus hat und den Rothschilds am meisten Kopfzerbrechen bereitet, rückt er den Namen der Familie doch immer wieder ins falsche Licht. Zu oft stehen seine Affären, seine Beziehungen zum russischen Oligarchen Oleg Deripaska in der Boulevardpresse. Dass Nat es als Einzelgänger mit seinem "Atticus"-Fonds allerdings auf die "Forbes"-Liste der Milliardäre geschafft hat, ringt dem Clan Bewunderung ab.
Für Alexandre folgen weitere drei Jahre im Private Equity bei der Bank of Americain London; bis er schließlich genug Erfahrung gesammelt hat und in das Unternehmen des Vaters einsteigen darf. Zwischenzeitlich ist er verheiratet mit Olivia de Bordeaux-Groult, die Literatur studierte und beim Kosmetikkonzern Sisley Business-Erfahrungen sammelt. Sie hegt überdies Ambitionen, eines Tages Bürgermeisterin zu werden von Pont-l'Évêque, der Heimatgemeinde der Rothschilds. 18 Jahre lang hat sich Baron David in diesem Amt um das kleine Dorf gekümmert, wie davor schon eine Ewigkeit lang seine Mutter.
Auf Odyssee mit dem Erpresser durch Paris
Dass ein Rothschild wegen seines Namens auch in Lebensgefahr kommen kann, erlebte David, 26-jährig, an jenem frühen Morgen des Jahres 1969, als der Butler einem Mann die Tür öffnete, der wünschte, den jungen Herrn Baron zu sprechen. Er hielt ihm dann eine Pistole an die Schläfe und verlangte 200 Millionen Francs Lösegeld. Wurde noch aggressiver, als man ihm eröffnete, eine solche Summe liege auch bei den Rothschilds nicht in der Haushaltskasse.
Guy de Rothschild organisierte schließlich nach der Beendigung seiner gymnastischen Übungen das Geld und machte sich mit dem Erpresser auf eine Odyssee durch Paris. Es war auch seinem guten Verhältnis zum Polizeichef zu verdanken, dass die Geschichte ein glimpfliches Ende nahm. Wieder einmal waren gut gepflegte Verbindungen lebenswichtig, sollen es auch künftig sein.
"Ein guter Investmentbanker", sagt Alexandre und referiert damit die Philosophie des Hauses, "ist jemand, der eine so intime Bindung mit dem Kunden aufbauen kann, dass dieser das Gefühl hat, der Berater sei der Familiendoktor, dem man alles anvertrauen kann, die Sorgen, die Strategien, die noch unausgesprochenen Gedanken."
Die Sorgen des Alexandre, Thronfolger in der Probezeit, liegen auf der Hand: Wird er die Hürde nehmen, zum nächsten Clanchef der Rothschilds bestimmt zu werden?