

Euro-Krise Unheimlich mächtig


EZB-Zentrale in Frankfurt: Der idealtypische Notenbanker ist unsichtbar. Er ist zuständig für das reibungslose Funktionieren des Zahlungsverkehrs, es ist ihm aber verboten, staatliche Haushalte direkt zu finanzieren.
Foto: dapdDürfen die das? Staaten retten, Märkte manipulieren, Banken stützen, demokratisch gewählte Regierungen beurteilen, grundsätzliche politische Kursbestimmungen vornehmen - es gibt derzeit kaum Felder in der Euro-Politik, auf denen die Notenbanker nicht gewichtige Worte mitreden.
Mehr noch: Die Notenbanker gehören inzwischen zu den mächtigsten Akteuren, gleich neben der deutschen Kanzlerin und dem französischen Präsidenten.
Entsprechend selbstbewusst positionieren sie sich in der Öffentlichkeit. Bundesbank-Chef Jens Weidmann ist zum großen Mahner wider die Vergemeinschaftung von Schulden geworden. Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), drängte zunächst auf eine Zehnjahresvision für den Euro-Raum; nun ist er maßgeblich daran beteiligt, eine solche Perspektive zu erarbeiten. Draghis Ankündigung, dass die Notenbank notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von klammen Euro-Staaten kaufen werde, reichte aus, den Dax binnen weniger Wochen um mehr als 10 Prozent in die Höhe zu treiben.
Zur Erinnerung: Draghi, Weidmann und Co. sind Beamte. Sie wurden eingestellt, einen gesetzlich ziemlich klar umrissenen Auftrag zu erfüllen (nämlich primär "Preisstabilität" zu gewährleisten, wie es im EZB-Statut heißt).
Noch mal die Frage: Dürfen die das?
EZB ist wichtigster Finanzier Europas
Der idealtypische Notenbanker jedenfalls ist fast unsichtbar. Er hält sich an Statistiken und mathematische Modelle. Er ist eine Art stiller Maschinist, der dafür sorgt, dass das volkswirtschaftliche Räderwerk gleichmäßig vor sich hin surrt. Auf Grundlage dieses monetaristischen Idealbilds wurde einst die Bundesbank und später das Euro-System rund um die EZB geformt: Die Geldbehörden sind dem Zugriff von Parlamenten und Regierungen entzogen. Unabhängig von politischen Interessen und wirtschaftlichen Zwängen sollen sie ihren Auftrag erfüllen.
Doch im Dauerkrisen-Europa gibt es ganz andere Herausforderungen: Die exorbitante Verschuldung würgt jegliche wirtschaftliche Dynamik ab, bringt Banken ins Wanken und destabilisiert ganze Gesellschaften. Nur die EZB verfügt über die Mittel, die Leiden wenigstens kurzfristig zu lindern. Inflationsbekämpfung ist als Ziel in den Hintergrund getreten. Es geht jetzt zuallererst darum, das System irgendwie am Laufen zu halten.
Die EZB ist zum wichtigsten Finanzier Europas geworden. Entsprechend hat sich die Bilanzsumme der Euro-Notenbanken im Zuge der Krise verdreifacht. Tendenz weiter steigend. Ähnlich agiert übrigens die US-Fed, die Bank of England ist sogar noch aktiver (siehe Grafiken links).
Noch mal gefragt: Dürfen die das?
Zu Markteingriffen nicht nur ermächtigt, sondern sogar verpflichtet
Es gibt darauf zwei Antworten: eine formale und eine grundsätzliche. Leider sind beide nicht eindeutig, weshalb übrigens die Rechtsabteilungen der EZB und der Bundesbank inzwischen Schlüsselressorts sind.
Rein formal betrachtet ist die Notenbank zu weitreichenden Markteingriffen nicht nur ermächtigt, sondern verpflichtet; laut Statut ist sie auch für Finanzstabilität und das reibungslose Funktionieren des Zahlungsverkehrs zuständig.
Andererseits ist es der EZB und den nationalen Notenbanken aber verboten, staatliche Haushalte direkt zu finanzieren.
So gesehen, ist der Kauf von Staatsanleihen ein Grenzfall: Er kann als finanzstabilitätssichernde Maßnahme interpretiert werden, hilft aber nebenher auch Staaten bei der Finanzierung. Entsprechend scheut sich die Draghi-EZB vor offenen Käufen italienischer oder spanischer Anleihen und möchte künftig lieber im Zusammenspiel mit dem Rettungsschirm ESM agieren.
Notenbank darf die gewählten Parlamente nicht entmachten
Und nun eine grundsätzliche Antwort: Die Notenbank darf die demokratisch gewählten Parlamente nicht entmachten. Deshalb darf sie (eigentlich) keine finanziellen Risiken eingehen - etwa durch Anleihekäufe -, die später den Volksvertretern den fiskalischen Handlungsspielraum nehmen. Sie darf (eigentlich) auch keine politischen Entscheidungen von großer Tragweite treffen, sei es über das Schicksal Griechenlands oder die künftige Struktur Europas.
Über grundsätzliche politische Weichenstellungen haben in einer Demokratie das Volk und seine Vertreter zu befinden, niemand sonst. Noch grundsätzlicher: Die Unabhängigkeit der Notenbanken ist in einer Demokratie eine Art permanenter Skandal, weil sie dem Parlament - und damit dem Volk - einen wichtigen Teil der Wirtschaftspolitik entzieht.
Notenbankautonomie ist kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel, verlässlich die geldpolitischen Ziele zu erreichen. Doch inzwischen haben die geldpolitischen Ziele schicksalhafte Dimensionen angenommen: Nichts weniger als die Errungenschaften der Nachkriegsgeschichte stehen auf dem Spiel. Und da die gewählten Politiker diesen Herausforderungen nicht gerecht werden, springen die Notenbanker in die Bresche, indem sie retten, löschen, vordenken.
Extreme Zeiten mögen extreme Lösungen erfordern. Aber auf Dauer werden die Geldbehörden sich wieder auf bescheidenere Rollen zurückziehen müssen.