
Milliardär Reinhold Würth Schraubenhändler und Schöngeist
Ein ödes Gewerbegebiet hinter dem Salzburger Flughafen. Ein Geschäftshaus aus den 70ern. Im tristen Vorraum ein Empfang, der statt mit diensteifrigem Portier lediglich mit Telefon und einer Rufnummernliste vor dem verschlossenen Haupteingang aufwartet. Ein herbeigerufener Angestellter führt den Gast schließlich zu einem unscheinbaren Seiteneingang, wo es eine steile Treppe nach oben geht.
Hier, im schlichten Konferenzraum, doch umgeben von feinster Kunst, residiert der Patriarch. Vor sich: Kaffee und Guglhupf. Im Hintergrund: eine abstrakte Komposition von Serge Poliakoff.
Wie Reinhold Würth hierhergelangt ist, das Haar wehend, die Augen wach, 77 Jahre jung, ob selbst gesteuert in einem seiner fünf Jets, gestartet vom eigenen Flughafen in Schwäbisch Hall, oder vielleicht geradewegs von seiner 100-Millionen-Euro-Jacht im Mittelmeer oder doch mit der Limousine herangebraust von seinem Salzburger Wohnsitz, der biedermeierlichen Villa Preuschen im feinen Vorort Aigen, die seinerzeit für 15 Millionen Euro zum Kauf angeboten war - es bleibt unklar. Was zählt: Jetzt ist er hier.
In gelöster Stimmung und blau gestreiftem Jackett, am Handgelenk einen goldfunkelnden Klotz von Uhr, preist der alte Herr den wahrhaft wolkigen Kuchen an. Und gibt gern Auskunft über Kunst und Kultur, sein Engagement im Gastgewerbe, als Denkmalschützer und Stifter, über seine Liebhabereien und Leidenschaften. Nur die Harley-Davidson, das will er gleich einmal sagen, die rühre er nicht mehr an. Wegen der Unfallgefahr. Auf Bitten seiner Frau.
Schwäbischer Oligarch oder der gute Mensch von Künzelsau?
Und seine vielfältigen Aktivitäten als Gönner und Mäzen, wiegelt er ab, sollen doch nur signalisieren, dass er nicht nur auf Umsatz und Gewinn hinarbeite, sondern auch für die schönen Dinge des Lebens eine Ader habe.
Ob nun rastloser Tausendsassa, PR-Profi oder Schöngeist - eines ist sicher: Reinhold Würth, Begründer der Würth-Gruppe (knapp zehn Milliarden Euro Umsatz rund um Schrauben, circa 65.000 Mitarbeiter) und einer der zehn reichsten Deutschen hat es weit gebracht. Sowohl was den Wohlstand angeht wie auch das Ansehen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, gemessen an Ehrentiteln und Auszeichnungen.
Er beeindruckt durch die Etablierung eines Reiches aus mal privaten, mal firmeneigenen Schatzhäusern und Latifundien ebenso wie durch sein Bekenntnis zu Demut und Bescheidenheit - die Tugenden, die er am häufigsten im Munde führt. Niemand käme auf die Idee, ihn ob seines Hortes von rund 15.000 Kunstwerken einen Protzer zu nennen. Und bereits den Verdacht, er könnte ein Steuersünder sein, der 2008 gegen ihn erhoben wurde, hat Würth gründlich übelgenommen.
Wer den knorrigen Herrn näher kennt, den dürfte kaum verwundern, dass er auch für das schöne Nebenher, für Kultur, Kulinarik und feine Lebensart eine ebenso amüsante wie rentierliche Erklärung parat hat: "Wir sind als Unternehmen von Topqualität besessen, doch wir liefern nur schwere, derbe, solide Ware. Aber wir wollen unsere Kunden auch begeistern, was mit Dessous und Highheels freilich einfacher wäre als mit Schrauben. Mit unseren Aktivitäten gelingt uns auch dies."
So kommt es, dass diesen Selfmade-Schraubenhändlerkönig zwei Legenden umwehen. Für die einen ist er der Oligarch von Schwäbisch-Sibirien, gut für flippigen Lebensstil und steile Ideen. Für die anderen ist er der gute Mensch von Künzelsau, braver Kaufmann und herzenswarmer Wohltäter.
Und was stimmt nun?
Schlösser im Grünen
Womöglich lässt sich die Wahrheit im Hohenlohischen finden, jenem gottverlassenen Winkel ganz im Nordosten des reichen Baden-Württemberg. Wo man zwar darauf pocht, eine erkleckliche Zahl von Weltmarktführern hervorgebracht zu haben. Wo es aber in den Dörfern noch Bauernhöfe mit Ställen voller Kühe gibt. Und in wuchtigen Renaissanceschlössern noch die Nachfahren des einst stolzen, heute eher nachrangigen Reichsgrafengeschlechts Hohenlohe hausen.
Hier ist Reinhold Würth im Flecken Öhringen geboren, hier ist er ganz und gar zu Hause, hier fühlt er sich verantwortlich.
So hat er bereits 1974 das Jagdschloss Hermersberg, idyllisch zwischen Wäldern auf der Hochebene an einem See gelegen, aus fürstlichem Besitz gekauft und zu seinem Wohnsitz ausgebaut.
Gut 30 Jahre später, 2005, kam - ebenfalls aus veräußertem hohenlohischem Fürstenbesitz - das Schloss Friedrichsruhe hinzu. Irgendwo im Grünen zwischen Streuobstwiesen und Mischwäldern erhebt sich breitschultrig ein weißer Bau mit barockem Mittel-Risalit, das 300 Jahre alte Jagdschloss, inmitten einer Ansammlung älterer, moderner und modernster Hotelbauten. Angefügt ist ein 4400-Quadratmeter-Spa mit Außen- und Innenbecken, Saunalandschaft und Liegewiese, zeitgenössisch lässig gestylt von Designerin Niki Szilagyi. Gleich daneben liegt der würthsche Golf-Club Heilbronn-Hohenlohe, 27 Loch, ständig gut bespielt.
Da kommt er dann raus, der Schwabe
Die Kulinarik in vier verschiedenen Restaurants besorgt mit Bravour Sterne-Koch Boris Benecke, bodenständig und zugleich filigranen Aromen zugetan. Neben der Küche hält er einen separaten Chef's Table für diskrete Zusammenkünfte bereit, um den sich gern Vorstände aus der schwäbischen Industrie versammeln.
Mit seinem Brotherrn hat der Spitzenkoch freilich eher Pech. "Ich bin der schlechteste Gast", bekennt Würth freimütig. Weil er die Hohe Schule der Kochkunst eher verschmäht: "Ich esse lieber gutbürgerlich, wenn es geht schwäbisch." Kutteln und Nierle eben, Schlachtplatte mit heißer Blutwurst. Obendrein fehlt ihm Zeit für die entspannte Lebensart seines Luxushotels. Vielleicht einmal im Quartal sei er dort, ansonsten unterwegs in aller Welt am Steuer eines seiner Jets.
"Das Waldhotel war zuvor schon ein Spitzenhaus in der Region, aber ein bisschen angestaubt und abgewirtschaftet", erzählt Würth, der Kümmerer. "Ich habe gesagt: Wir übernehmen das, damit kein Kettenhotel daraus wird." Brot und Backwaren liefert Tochter Marion, die auf dem elterlichen Schlossgut Hermersberg - sehr zurückgezogen - einen Demeter-Hofladen betreibt.
Geld sei mit der Hotellerie leider nicht zu verdienen, sagt Würth. Einzig das "Panoramahotel", ein Business-Kasten im Schatten des Schlosses von Waldenburg, schreibe schwarze Zahlen.
Woher dann die überraschende Begeisterung für das aufreibende Hotelgewerbe?
Da kommt er dann raus, der Schwabe: "Es ist eine Mischung aus PR zugunsten des Unternehmens, Wohlwollen für die Region und Erhaltung der Attraktivität dieser Gegend. Und natürlich bringen wir hier auch Gäste der Firma unter." So ist das Private immer auch firmenpolitisch, und das Firmenpolitische privat.
Eine gigantische Kunstsammlung
Die Mischung hat Methode, wie eine andere Erwerbung zeigt, das "Alte Amtshaus" in Ailringen. Ein mächtiger Fachwerkbau mit Hotel und Sterne-Restaurant im nahegelegenen Jagsttal. "Ich war mit meiner Frau vor rund 20 Jahren mit dem Mercedes-Cabriolet unterwegs zu einer Spazierfahrt", erinnert sich Würth. "Da haben wir das Amtshaus, einst die Finanzverwaltung des Deutschritterordens, halb verfallen gesehen, mit hängenden Fensterläden, richtig traurig."
Umgehend kaufte Würth es der katholischen Kirche ab, renovierte und verwandelte das Amtshaus in ein schmuckes Hotel. Jetzt würde er zu gern auch noch das ehemalige Pfarrhaus nebenan zu seinen Besitzungen zählen, die Verhandlungen laufen.
Im Zentrum des beschaulichen Künzelsau, beim Hotel "Anne-Sophie", so benannt in Erinnerung an eine tödlich verunglückte Enkeltochter und federführend von seiner Ehefrau Carmen besorgt, ist die Arrondierung bereits weiter fortgeschritten. Einige Ecken entfernt vom Stammhaus, einem mächtigen historischen Bau am Rande des Schlossparks, ist eingerüstet, Zimmerleute und Mauer werkeln und schaffen. Hier entsteht ein mehrteiliger Erweiterungstrakt, Investitionsvolumen: 15 Millionen Euro.
Bewirtschaftet wird das Drei-Sterne-Haus zur Hälfte von Behinderten. Eine Geste, die aus Betroffenheit herrührt: Würth-Sohn Markus leidet seit seiner Kindheit an einer schweren Behinderung und lebt in einer Fürsorgegemeinschaft.
Reisebüro, Verlag, Hotels - alles in eigener Hand
Gegenüber dem Neubau von Künzelsau an der Hauptstraße liegt ein Ladenlokal der Firma Marbet, Filiale des Reise- und Event-Hauses, das die beiden Würth-Töchter Marion, die Hofladenbetreiberin, und Bettina, Beiratsvorsitzende und offizielle Chefin der Gruppe, gründeten: Ihre Namenskürzel ergeben das Firmenlogo. Entstanden aus der Idee, dass man die vielen Geschäftsreisen der Würth-Angestellten im Hause kostengünstiger abwickeln könnte - und derlei Dienste auch dem allgemeinen Publikum gewinnbringend anbieten könne. Zudem hat in Künzelsau auch der hauseigene Verlag seinen Sitz.
Sein Namensgeber ist Paul Swiridoff, ein Nachkriegsfotograf und Freund von Würth, dem dieser seinen Zug zur bildenden Kunst verdankt. Als Swiridoff starb, übernahm Würth seinen Verlag und führte ihn weiter. Heute verlegt er dort prächtige Kunstbildbände, aber auch Handwerkshandbücher und Managementbreviere.
Nun ja, die Kunst. Was 1964 eher bescheiden mit dem Ankauf eines Blattes von Emil Nolde begann, hat sich inzwischen - da bleibt sich Würth treu - zu gigantischen Dimensionen ausgewachsen. Rund 15.000 Arbeiten zählt die Sammlung und gilt als größte private Europas. Verteilt ist sie über vier Museen: eines im Firmenhauptsitz in Künzelsau-Gaisbach, die Kunsthalle und die Johanniterkirche in Schwäbisch Hall sowie die kleine Hirschwirtscheuer.
Dazu kommen zwölf über ganz Europa verteilte Dependancen, von La Rioja in Spanien über Hagan in Norwegen bis Böheimkirchen in Österreich. Gesammelt wurde und wird Klassische Moderne bis hin zur jüngsten Gegenwart, oft von Künstlern, denen Würth freundschaftlich verbunden war. Wie etwa dem österreichischen Bildhauer und Erzkommunisten Alfred Hrdlicka, dessen Würth-Büste die Eingangshalle des Firmensitzes ziert.
"Der Besuch bei Künstlern hat mir immer viel Spaß gebracht", erzählt er. "Es war wie ein Tag Urlaub für mich, wo ich unglaublich viel Kraft geschöpft habe." Selbstredend kam kaufmännisches Kalkül dabei nicht zu kurz. "Wenn Sie Kunst kaufen, denken Sie als Kaufmann natürlich auch an das Potenzial für Preissteigerungen. Und da liege ich gar nicht so schlecht, auch wenn ich einige Werke in der Sammlung habe, die im Moment weniger wert sind, als ich dafür bezahlt habe."
Die Panne, die ihm mit ein paar Fälschungen aus der Werkstatt des unlängst verurteilten Kunstbetrügers Beltracchi passiert ist, hat Würth locker weggesteckt. Jedenfalls lässt er keinerlei Schmerz mehr darüber erkennen, dass ausgerechnet der renommierte Max-Ernst-Kenner und Vorsitzende seines Kunstbeirats, Werner Spies, den Ankauf eines Machwerks à la Ernst zum Preis von 4,4 Millionen Dollar durchgewinkt hat.
Gestern Prag, morgen Zürich
Mehr Glück hatte der Milliardär mit seinen Alten Meistern. Wenngleich er bekennt, dass ihn zu dieser neuen Liebe seine Frau "abkommandiert" habe. Die Früchte der wundersamen Beziehung sind im herausgeputzten gotischen Gemäuer der Johanniterkirche von Schwäbisch Hall zu bewundern.
Neben einer stattlichen Anzahl von Arbeiten altdeutscher Maler wie Tilman Riemenschneider, Lucas Cranach oder Hans Haider - allesamt aus dem Besitz der Fürstlich Fürstenbergischen Sammlung 2003 erworben - gibt es hier eine Spitzen-Trouvaille zu bewundern. Gerahmt von der Apsis, steht die "Schutzmantelmadonna", ein Meisterwerk des jüngeren Hans Holbein, kunsthistorisch auf Augenhöhe mit Werken von Raffael und Michelangelo. Unter viel öffentlichem Wirbel für angeblich 50 Millionen Euro von der Erbengemeinschaft Prinz Ludwig von Hessen aus dem Frankfurter Städel herausgekauft.
Zugleich trägt auch dieser würthsche Kunstbesitz den Stempel der Vergesellschaftung und des Kümmerns um die Region: Der Patriarch nimmt keine Steuergelder in Anspruch - und der Eintritt ist für jedermann frei.
Das Fertige reizt ihn weniger als das Werdende
Gleiches Prinzip in der Kunsthalle Würth, ein paar Schritte den Kocher abwärts. In dem großzügigen Bau des dänischen Architekten Henning Larsen drängen sich derzeit Besucher in Scharen vor den Bildern von Frida Kahlo, ihrem Mann Diego Rivera und anderen Mexikanern ("Mexicanidad"). Eine Ausstellung mit rund 300 Werken, die sich auch in Kunststädten wie Berlin oder Köln sehen lassen könnten, zusammengestellt unter der Schirmherrschaft von Carmen Würth.
Derweil Gatte Reinhold ständig weiter in Sachen Firmenkultur unterwegs ist. Gestern war er in Prag, morgen fliegt er nach Zürich. Das Fertige reizt ihn weniger als das Werdende. Und die Kunst hilft ihm als eine Art Kompass, seinen Standort und den der Firma im Gang der Dinge zu bestimmen.
"In St. Moritz hängt ein Triptychon von Giovanni Segantini", erzählt er. Titel: "Werden, Sein, Vergehen". Vergehen ist dargestellt als Greis vor verschneiter Hütte. Würth sagt, und einmal mehr vermischen sich Firma und Kultur, berufliches Streben und private Leidenschaft: "Ich vergleiche das Unternehmen mit dieser Allegorie. Ich will das Unternehmen im Zustand des Werdens erhalten, der Jugendlichkeit, des Wachstums. Und arbeite daran, dass es nicht in den Zustand des Seins hinüberdümpelt. Wo dann die Kameralisten kommen, die bloß den Return on Investment berechnen."
Dabei weiß der Herr von Hohenlohe nur zu gut: Auch das Geld für seine Wohltaten will erst einmal verdient sein.