
PepsiCo Indras letzte Runde
Wer im Wirtschaftsklub der US-Stadt Grand Rapids, Michigan, auftritt, hat in der Regel schon eine Karriere mit Höhen und Tiefen durchlaufen. George W. Bush hat hier gesprochen, Bill Clinton und der U2-Frontmann Bono.
Im Februar schreitet eine hochgewachsene Dame ans Rednerpult, die jahrelang nur den rasanten Aufstieg erlebt hatte, von der Mathe- und Physikstudentin im indischen Madras zur wohl einflussreichsten Wirtschaftsführerin der Vereinigten Staaten: Indra Nooyi (56), seit Oktober 2006 Chefin von PepsiCo, mit 66 Milliarden Dollar Umsatz einer der größten Lebensmittelkonzerne der Welt.
"Wie bereits Darwin bemerkte", sagt die Topmanagerin mit sanftem, aber bestimmtem Ton, "sind es nicht die Stärksten, sondern die Anpassungsfähigsten, die überleben und Erfolg haben."
Auch Nooyi muss sich jetzt anpassen. Ansonsten könnte ihre Karriere bei Pepsi ein jähes Ende nehmen.
Eigentlich wollte sie den Chips- und Limonadenkonzern zum Anbieter gesunder Nahrungsmittel wie Fruchtsäfte, Joghurts und Vollkornsnacks ausbauen. Doch zuletzt meuterten Aktionäre und Analysten gegen Nooyis Wellness-Offensive: Die Pepsi-Chefin und ihre Manager, so der Vorwurf, vernachlässigten das Kerngeschäft mit Cola, Chips und anderen Dickmachern, die immer noch satte 80 Prozent der Pepsi-Erlöse ausmachen.
Ökologischer Umbau: Gesunde Nahrungsmittel statt Chips und Limonade
"Sie müssen erkennen", forderte Ali Dibadj, Analyst bei Sanford Bernstein, "dass Pepsi im Kern eine zuckersüße, fette Cola-Company ist." Das US-Finanzhaus befragte Pepsi-Investoren - und konstatierte "ein tiefes Misstrauen" gegenüber dem Management.
Auch auf die Treue ihrer Führungsriege kann sich die Pepsi-Chefin nicht mehr verlassen. Der Vorstand, berichten Insider, habe sich über Pepsis Kurs zerstritten. Einige Aufsichtsräte forderten, die Nooyi-Nachfolge zügig zu klären.
Die Börse gibt den Skeptikern recht. Der Kurs der Pepsi-Aktie bewegte sich unter Nooyis Ägide kaum von der Stelle. Mehr Erfolg hatte die Konkurrenz: Coca-Cola legte im selben Zeitraum um gut 50 Prozent zu (siehe Grafiken links) .
Auch beim Absatz ist Pepsi weit hinter den ewigen Rivalen zurückgefallen. Im US-Ranking der verkaufsstärksten Limonaden liegt das Flaggschiffprodukt Pepsi-Cola, jahrelang die klare Nummer zwei, inzwischen nur noch auf dem dritten Platz - hinter Coke und Diet Coke.
Als der Druck zu groß wurde, lenkte Nooyi ein: Limonaden und fette Snacks stehen jetzt wieder ganz oben auf der Agenda. Man dürfe nicht nur gesunde Marken unterstützen, forderte der neue Getränke-Chef Albert Carey: "Wir müssen auch die Genussmarken stärken."
Braucht PepsiCo eine neue Nummer eins?
Nooyi versprach notgedrungen, die Investitionen ins darbende Getränkegeschäft erheblich zu steigern. Zudem brachte sie potenzielle Nachfolger in Stellung: Der bisherige US-Lebensmittelchef John Compton rückte ins Amt des operativen Präsidenten - und damit in die Poleposition hinter Nooyi.
Ist die Mission der Starmanagerin, PepsiCo zum nachhaltigen Musterkonzern umzubauen, damit gescheitert? Braucht PepsiCo eine neue Nummer eins, um wieder ganz vorn mitzumischen?
Nooyis missglückte Reform zeigt: Das Ziel aller Lebensmittelkonzerne von Nestlé bis Unilever, gesunde und nachhaltige Produkte anzubieten, führt nicht automatisch zum Erfolg. Im Gegenteil: Die neue Strategie kann einem Unternehmen sogar schaden, wenn sie fehlerhaft umgesetzt wird und das Kerngeschäft darunter leidet. Pepsi steht gegen Ende der Ära Nooyi vor einem schmerzhaften Neuanfang.
Dabei hat niemand das Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten stärker geprägt als die gebürtige Inderin. Die Tochter einer Mittelschichtfamilie - der Vater Bankier, die Mutter Hausfrau - wanderte 1978 in die USA aus. Nach Stationen bei Motorola und ABB holte sie der damalige Vorstandschef Wayne Calloway 1994 zu PepsiCo. Als Strategie- und später Finanzchefin leitete sie einen beispiellosen Wandel ein.
Feindbild vieler Fitnessgurus
Nooyi wollte den Chips- und Colaproduzenten - Feindbild vieler Fitnessgurus - als Anbieter vielfältiger Nahrungsmittel positionieren. Sie forcierte den Verkauf der Fast-Food-Marken Pizza Hut, Kentucky Fried Chicken und Taco Bell. Im Gegenzug setzte Nooyi den Kauf starker Lebensmittelmarken durch: Für mehr als 13 Milliarden Dollar akquirierte Pepsi 2001 den Frühstücksflocken- und Sportdrinkanbieter Quaker Oats (Gatorade, Cap'n Crunch).
Weggefährten attestieren Nooyi strategischen Weitblick, aber auch einen ausgeprägten Machtinstinkt. "Indra wollte immer die Vorreiterrolle spielen", sagt ein Topmanager eines großen US-Konzerns. "Sie hielt sich selbst für besser als die meisten ihrer Vorgesetzten."
Als der Chefposten frei wurde, setzte sich Nooyi geschickt gegen ihren Widersacher, den Auslandschef Michael White, durch. Sie versprach, den angesehenen Pepsi-Manager trotz ihrer Ernennung zum CEO im Konzern zu halten. Den späteren Abgang Whites nahm sie jedoch billigend in Kauf: Nooyi, sagen Insider, sei gegenüber dem alten Rivalen nicht immer um Harmonie bemüht gewesen.
Auch nach außen gab sich Nooyi resolut. Sie versprach, die Fettleibigkeit der Amerikaner zu bekämpfen, die Umwelt zu schonen - und dabei im Zweifel wenig Rücksicht auf kurzfristige Aktionärsinteressen zu nehmen.
Um möglichen Anlegerklagen vorzubeugen, gab die Topmanagerin bei ihrem Justiziar ein Gutachten in Auftrag. Dies sollte belegen, dass Nooyis neue Strategie richtig und rechtens sei. Später polterte die Pepsi-Chefin öffentlich: "Falls ihr nichts anderes wollt, als dieses Unternehmen einzuengen und zweistelliges Gewinnwachstum zu erreichen, dann bin ich die falsche Person."
Bestseller vernachlässigt
Zumindest in einem Punkt sollte Nooyi recht behalten: Die Gewinne entwickelten sich in ihrer Amtszeit dürftig. Während der Pepsi-Umsatz dank vieler Zukäufe zwischen 2007 und 2011 um mehr als zwei Drittel zulegte, wuchs das Nettoergebnis lediglich um magere 15 Prozent. In diesem Jahr rechnet der Konzern sogar mit einem Gewinnrückgang.
Der Konzern verweist auf steigende Rohstoffpreise und ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld. Doch Investoren halten Nooyi vor, sie habe ausgerechnet die Bestseller in ihrem Portfolio vernachlässigt. Allen voran Pepsi-Cola, das bis heute meistverkaufte PepsiCo-Produkt.
Werbung für Dickmacher schränkte die Vorstandschefin ein. "Indra hat uns zu äußerster Vorsicht in der Kommunikation angehalten", erzählt ein ehemaliger PepsiCo-Marketingmanager. Der Anteil der Werbekosten am Pepsi-Umsatz sank von einst rund 8 Prozent auf zuletzt magere 3 Prozent.
Nooyi setzte andere Prioritäten. Als eine Art Wellnessbotschafter verpflichtete sie Derek Yach, einen ehemaligen Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO. Er begleitete Projekte, die Pepsi eher Prestige als Profit einbrachten: Mal ließ Yach ein natriumarmes "Designersalz" entwickeln, mal gründete er ein Joint Venture zum Anbau von Kichererbsen in Äthiopien.
2010 entschied sich Nooyi für einen weiteren unorthodoxen Schritt. Pepsi hielt sich vom Topevent der Werbeindustrie fern: Beim Football-Finale Super Bowl, das jährlich mehr als 100 Millionen TV-Zuschauer verfolgen, schaltete das Unternehmen erstmals seit mehr als 20 Jahren keine Getränkewerbung.
Soziale Netzwerke statt Werbung beim Superbowl
Stattdessen setzte der Konzern auf soziale Netzwerke im Internet. Kunden sollten über wohltätige Projekte abstimmen, die PepsiCo dann mit Spenden beglückte. Das Ergebnis war der womöglich größte Flop in der Geschichte des Social-Media-Marketings: Pepsi gewann zwar Millionen von Facebook-Fans, aber keine Cola-Trinker. Die US-Verkäufe von Pepsi-Cola und Diet Pepsi brachen im selben Jahr um jeweils 5 Prozent ein.
Der damalige Getränkevorstand Massimo d'Amore, der Pepsi inzwischen verlassen hat, räumte später ein: "Wir brauchen das Fernsehen, um große und fette Statements zu machen."
Wesentlich geschickter agierte Coca-Cola. Der Konzern passte sein Reklamebudget den wachsenden Erlösen an - und förderte gezielt kalorienreduzierte Produkte wie Diet Coke und Coke Zero.
Nooyi hat die Chance verpasst, den berühmten "Cola War" zu gewinnen. Noch 2005 hatte PepsiCo den Rivalen Coca-Cola erstmals beim Börsenwert übertrumpft. Doch die alten Machtverhältnisse sind wiederhergestellt: Mit 165 Milliarden Dollar übertrifft Coke den Wert von PepsiCo um satte 60 Prozent.
Steckengeblieben mit Quaker-Müsli und Tropicana
Die Versäumnisse bei den Drinks wären nicht so tragisch, könnte Nooyi wenigstens bei den Nahrungsmitteln echte Erfolge vorweisen. Doch im Heimatmarkt nahmen zuletzt auch Vorzeigeprodukte eine ungesunde Entwicklung: Tropicana-Säfte verloren Marktanteile, die Umsätze mit Quaker-Müslis stagnierten. Neuheiten wie Flat Earth - Chips mit Obst- oder Gemüsegeschmack - entpuppten sich als Ladenhüter.
Spätestens im Sommer 2011 stand für die Pepsi-Führung fest: So konnte es nicht mehr weitergehen. Das Topmanagement beschloss, den Konzern einer mehrmonatigen Analyse zu unterziehen. "Es gab keinen Stein im Unternehmen, den wir nicht umgedreht hätten", sagt Europa-Vorstand Zein Abdalla.
Das wohl heikelste Diskussionsthema: Sollte das PepsiCo-Konglomerat besser aufgespalten werden? Könnten zwei unabhängige Unternehmen, eine Snack- und eine Soda-Firma, zielgerichteter und damit erfolgreicher arbeiten?
Gut ein halbes Jahr später zeichnen sich erste Resultate ab. "Es gibt Dinge, die wir in Zukunft anders und besser machen können", sagt Abdalla. PepsiCo will sein Portfolio straffen und sich auf seine Kernmarken konzentrieren. Der strategische Fokus, betont Abdalla, liege auf dem Geschäft mit Snacks, gefolgt von den Getränken. Pepsis Gesundheitslinie nennt er erst an dritter Stelle.
Rückkehr zum Kerngeschäft, Abbau von 8700 Stellen
Das Werbebudget wird aufgestockt, liegt aber, gemessen am Umsatz, weiter unter den früheren Reklameausgaben.
Demnächst will der Konzern erstmals eine globale Werbekampagne für Pepsi-Cola starten. Eine naheliegende Idee, die Nooyis Strategen aber offenbar erst jetzt gekommen ist. Immerhin: Der Konzern wählte ein für Pepsi-Verhältnisse erstaunlich provokantes Testimonial aus. Ließ der Konzern früher Britney Spears in seinen Werbefilmchen trällern, soll nun die US-Rapperin Nicki Minaj ("Stupid Hoe") für Pepsi sprechsingen.
Mit schnellen Erfolgen rechnet keiner, nicht einmal PepsiCo selbst. 2012 bezeichnet das Unternehmen als "Übergangsjahr".
In den kommenden Monaten steht Pepsi neben der Rückkehr zum Kerngeschäft ein schmerzhafter Umbau bevor. 8700 Stellen sollen wegfallen, Doppelstrukturen reduziert, überflüssige Vertriebszentren geschlossen werden.
Bislang werkeln in der komplexen Matrix-Organisation diverse Regionen und Produkteinheiten recht eigenständig nebeneinander her. Behördenartige Strukturen lähmen die Innovationskraft. Künftig soll der neu ernannte Präsident Compton alle Einheiten koordinieren und weitere Sparpotenziale ausloten. Die Radikallösung, eine Zerschlagung des Konzerns, wurde vorerst verworfen.
Doch reicht die Light-Reform aus, um Pepsi wieder Pepp zu verleihen?
Aktionäre quittieren den - überfälligen - Wandel bei Pepsi mit allenfalls verhaltenem Beifall. "Wir haben viele Jahre der Enttäuschung mit dem Unternehmen und seinem Management erlebt", sagt US-Analyst Dibadj, "es braucht Zeit, bis das Vertrauen wiederhergestellt ist."
Investoren fordern Aufteilung nach Sparten oder Regionen
Gelingt es der Führung nicht, das Kerngeschäft zu stärken, dürften Investoren erneut die Aufteilung von PepsiCo fordern: entweder nach Sparten (Getränke/Snacks) oder Regionen (Amerika/International). "Die Spaltung ist noch nicht endgültig vom Tisch", vermutet ein New Yorker Investmentprofi, "man will die Entscheidung jedoch einem künftigen CEO überlassen."
Zwar betont PepsiCo, Nooyi bleibe "fest am Steuer". Doch die Nachfolgedebatte läuft schon. Zu den internen Favoriten zählen neben Präsident Compton der neue US-Lebensmittelchef Brian Cornell sowie Europa-Vorstand Abdalla. "Wir verfügen über viele Optionen", sagt Abdalla sibyllinisch.
Der Neue könnte auch von außen kommen. Mancher Pepsi-Manager hofft auf ein Comeback des Mannes, der Pepsi nach dem Machtkampf mit Nooyi verlassen hatte: Ex-Auslandschef Michael White, heute CEO des Pay-TV-Anbieters DirecTV. Auf Nachfrage teilt er mit: "Ich habe meine Zeit bei Pepsi genossen."
Längst kursiert in New York und dem nahe gelegenen PepsiCo-Hauptsitz Purchase das Gerücht, Nooyi sehe sich nach einem neuen Job um. Vor Jahren soll US-Präsident Barack Obama ihr bereits den Posten der Handelsministerin angeboten haben. Später berichteten indische Medien, der Großindustrielle Ratan Tata aus Mumbai habe sie für die Führung seiner Tata Group gewinnen wollen.
Unstrittig ist, dass die Pepsi-Chefin auf der US-Shortlist für den Präsidentenjob bei der Weltbank stand. Den Zuschlag erhielt ein anderer, doch Nooyi bleibt im Gespräch für politische Topämter.
Ihre steile Karriere hat einen Dämpfer erhalten, ist aber längst nicht beendet.
Zum Abschluss ihres Auftritts im Wirtschaftsklub von Grand Rapids zitiert die Pepsi-Chefin Henry Ford: "Wir müssen lernen, dass die Rückschläge, die wir erleiden, uns in unserem Fortkommen helfen."