DaimlerChrysler Wettrennen ins World Wide Web
U-n-i-m-o-g - mit zwei Fingern tippt Jürgen Schrempp (55) die Typenbezeichnung des Mercedes-Benz-Allzweckfahrzeugs in seinen Laptop. Klick die Absatzzahlen der Unimog-Sparte erscheinen im Display.
Der DaimlerChrysler-Lenker ist im Netz. Seinen Laptop stets griffbereit, mailt er Vorstandskollegen an, erledigt selbst Einkäufe höchstpersönlich - das Internet macht's möglich. Jürgen Schrempp ist drin.
Der schwäbische Autohersteller rüstet sich für das elektronische Geschäft. Und Schrempp drückt, wie gewohnt, aufs Tempo: Speed, Speed, Speed.
Seit Jahresbeginn lässt der Konzernchef alle Geschäftsbereiche durchforsten, vom Einkauf bis zur Forschung, um die Einsatzmöglichkeiten von E-Business zu erschließen.
Im weltweiten Wettlauf der Autoindustrie um Wachstum und Effizienz hat eine neue Runde eingesetzt. In den 90er Jahren haben Reengineering und Globalisierung die Branche nach vorn gebracht: Die Hersteller erreichten enorme Produktivitätssprünge, und zumindest die Großen der Branche sind in den bedeutenden Regionen und Segmenten präsent.
Jetzt lautet die Frage: Wer erobert als erster die E-Welt?
Ford-Chef Jac Nasser pusht gewaltig, würde am liebsten aus dem altehrwürdigen Autoproduzenten eine Dot-com-Firma machen: "Ich will die virtuelle und die physische Welt vereinen und das in nur drei Jahren."
Rivale und General-Motors-Lenker Rick Wagoner, vor einem Jahr noch ohne Computer im Büro, hält dagegen: "Wir wollen im E-Business führend sein."
Und die Japaner? Wie selbstverständlich sieht sich Toyota, einst Wegbereiter der Lean Production, nun auch an der Spitze der New-Economy-Bewegung. Toyotas Website Gazoo wird von Analysten gelobt.
Freilich, noch stehen alle Autohersteller als Dot-com ganz am Anfang. Einen wirklichen Vorsprung hat keiner, denn das Rennen geht jetzt erst los. Die Konzerne rüsten auf für einen Kampf an zwei Fronten: Die Hersteller wollen
- durch die elektronische Abwicklung von Geschäftsprozessen ihre Produktivität erhöhen; Arbeitsabläufe sollen noch schneller werden, die Kosten weiter gesenkt werden.
- ganz neue Geschäftsfelder aufbauen; Dienstleistungen, über das Web angeboten, sollen Wachstumspotenziale erschließen.
Indes, wollen Autokäufer von einem Autohersteller tatsächlich mehr als ein funktionierendes Automobil? Olaf Koch, bei DaimlerChrysler für E-Business-Strategien verantwortlich, ist sicher: "Die Kunden erwarten eine ganze Menge von uns."
Schon heute wird das Gros der Umsätze, die über den Lebenszyklus eines Fahrzeugs hinweg entstehen, nicht über das Stammgeschäft der Autohersteller eingefahren. Etwa 70 Prozent des Billionengeschäfts rund ums Auto entfallen auf das Angebot an Finanzierungen und an Versicherungen, auf den Verkauf von Gebrauchtwagen, auf Fuhrparkmanagement oder die Vermietung von Fahrzeugen (siehe Grafik rechts).
Gewiss, das Geschäft mit Dienstleistungen ist der PS-Branche nicht fremd. So ist Ford Credit eine der größten Finanzierungsgesellschaften der Welt. Auch DaimlerChrysler hat unter dem Debis-Dach seinen Finanzdienstleister ausgebaut. Gleichwohl haben die Hersteller in der Vergangenheit noch zu selten über die Motorhaube hinaus geblickt.
Die Neuorientierung ist im Gange. Getrieben wird sie keineswegs nur von den Möglichkeiten, die E-Business nun eröffnet. Die ungemütliche Enge auf den weitgehend gesättigten Automärkten der Triade beschleunigt die Suche nach neuen Wachstumsfeldern. Da kommen Profit verheißende Dienstleistungen wie gerufen. Und die Tür zum Kunden weit aufstoßen soll das World Wide Web.
Toyota bietet über Gazoo.com ein ganzes Bündel an Produkten an. Was vor vier Jahren mit dem Verkauf gebrauchter Fahrzeuge über das Internet begann, erwuchs zu einer der beliebtesten Websites in Japan.
Das Geschäft ist freilich auf die Insel beschränkt. Gleichwohl erwarten Optimisten, dass Toyota in fünf Jahren rund 20 Prozent des Gewinns aus Dienstleistungen erwirtschaftet.
Ob die Prognose realistisch ist oder nicht das scheint derzeit gar nicht die Frage. Wichtig hingegen: Internet ist bei den Finanzanalysten Favorit, und die Börse verlangt Fantasie. Toyota ist höher bewertet als DaimlerChrysler, Ford und General Motors (GM) zusammen; und Jürgen Schrempp vermutet nicht zu Unrecht, dass dies mit den Online-Aktivitäten der Japaner zu tun hat.
So ist also nun der Wettlauf ins Netz angesagt. GM und Ford steigen massiv ein. Die Autobauer wissen, dass drei von vier US-Kunden vor dem Autokauf ins Netz schauen. Dort müssen sie geködert werden.
Über gmbuypower.com kann sich der Kunde - klick - ein Gefährt vors Haus liefern lassen. Was der Show dient, wird angepackt. Der neueste Clou von GM: Wenn sein Auto montiert wird, bekommt der Käufer eine E-Mail, und dann kann er via Internet die Montage verfolgen. In einer GM-Pilotfabrik in Michigan werden für diese Inszenierung bis Ende des Jahres Kameras installiert.
Freilich, das Angebot umfasst nicht nur Spielereien. GM macht Ernst mit dem Angriff auf das Geldgeschäft. Wie wäre es mit einem Kredit für das neue Auto? Brauchen Sie vielleicht auch ein Darlehen fürs Häuschen? Bis Ende des Jahres will GM gmbuypower.com in 20 Ländern installieren.
DaimlerChrysler wählt bei seinem Weg ins Netz die schwäbisch solide Methode. Erst muss es am Back-End so der IT-Jargon stimmen, dann will der Konzern richtig loslegen. Erst müssen also die internen technischen Voraussetzungen geschaffen sein, vor allem die Verknüpfung der zahlreichen Datenbasen im Konzern.
Die Arbeiten laufen auf Hochtouren. In wenigen Monaten soll der neue Online-Auftritt stehen. Gary Dilts, Leiter der E-Aktivitäten in den USA, prophezeit: "Dann werden wir besser sein als die Konkurrenz."
Für Chairman Schrempp ist entscheidend, was Autofahrer an Zusatznutzen wünschen. Beispiel fahrzeugnahe Telematik-Dienstleistungen. Spätestens in drei Jahren wollen die Stuttgarter mit diversen Diensten beim Kunden sein. Große Hoffnungen liegen in der Entwicklung von Prognosemodellen, die es Autofahrern ermöglichen sollen, Staus zu umfahren. Das Gut Zeit, das wissen die Manager, wird immer wertvoller.
Kurzfristiges Ziel ist eine Verbesserung der Navigationssysteme. DaimlerChrysler entwickelt derzeit eine Technik, bei der Fahrzeuge selbst als Sensoren eingesetzt werden und Informationen über den Fahrzustand des Autos oder über die Verkehrsdichte an eine Zentrale rückmelden. Anhand des so gewonnenen Datenmaterials könne den Nutzern von Telematik-Diensten dann tatsächlich die jeweils optimale Fahrstrecke empfohlen werden.
E-Business-Stratege Koch verspricht ein ganzes Angebot an Informationsdiensten und natürlich Entertainment. Pfiffige Lösungen, wie einen Schallmantel, der jeden Passagier im Auto etwas anderes hören lässt, haben die Schwaben in der Pipeline.
Eine große Chance, die das World Wide Web der gesamten Autoindustrie bietet, liegt zudem in der Verbesserung der Arbeitsabläufe. Die Hoffnungen sind auf Einkaufsplattformen im Internet gerichtet. In einer Studie schätzten die Investmentbanker von Goldman Sachs, dass mit den Plattformen die Kosten pro Auto um bis zu 4000 Dollar sinken könnten.
Viel zu optimistisch, sagen inzwischen zwar etliche Experten. Und: Profiteure seien letztlich die Endabnehmer, die Konsumenten. Etwa 70 Prozent der Ersparnisse wandern auf deren Konten, so das für die Autobauer ernüchternde Ergebnis einer neuen Studie von Roland Berger und der Investmentbank Deutsche Bank Alex Brown.
Aber trotzdem: B2B, Business to Business, ist das Modethema bei den Big Three in Motown Detroit. Sie lassen sich nicht beirren, sie setzen auf ihre Einkaufsplattformen im Netz.
Erst hatten im vergangenen Jahr Ford mit AutoXchange und GM mit TradeXchange eigene Plattformen entwickelt. Im Februar einigten sich Nasser und Wagoner, gemeinsame Sache zu machen. Drei Wochen später war DaimlerChrysler überzeugt. Im April kam Renault/Nissan dazu. Und Toyota teilte mit, dass sie auf Covisint, wie die Autoplattform mittlerweile heißt, aufspringen wollen; rund 500 Milliarden Dollar Einkaufsvolumen wären dann in Covisint gebündelt. Diese unvorstellbare Zahl erschreckt die Kartellbehörden. Federal Trade Commission und EU-Kommission ermitteln. Und das kann dauern. Kaum vorstellbar, dass sie das gigantische Einkaufskartell genehmigen werden; zumindest nicht ohne gewichtige Auflagen.
Kein Zweifel, so manch hochtrabendes Vorhaben in der sich eröffnenden Welt des E-Business wird zerplatzen.
Doch das wird den Siegeszug des Webs in der Industrie nicht zum Stillstand bringen. Das Netz wird die Geschäftsbeziehungen verändern, zu den Lieferanten wie zu den Kunden. Damit ist klar: Die neuen Aktivitäten müssen koordiniert werden. Die alten Strukturen der Autokonzerne passen da nicht mehr.
DaimlerChrysler stellt sich derzeit neu auf. Die Leiter der E-Business-Gruppen sind mit Olaf Koch (Strategien), Gary Dilts (Chrysler Group) und Harald Schuff (Mercedes-Benz) benannt. Und der Konzern bündelt alle E-Aktivitäten in einer Holding Börsengang nicht ausgeschlossen.
Eine wichtige Rolle beim Aufbruch ins E-Business wird die Gruppe um Ted Lewis spielen. Der 58-jährige Amerikaner sitzt für DaimlerChrysler in Palo Alto mitten im Silicon Valley, dem Dorado der Dot-coms.
Computer-Professor Lewis verfügt in dem Hightech-Mekka über ein exzellentes Netzwerk. Seine Aufgabe: Er soll dort für die fernen Stuttgarter nach Ideen und Start-ups Ausschau halten, die den Konzern und seine neue E-Holding weiterbringen.
Späher Lewis ist siegessicher: "Wir werden bald Erfolge nach Stuttgart melden." Und Jürgen Schrempp wird der Erste sein, der sie vor Augen hat als E-Mail auf seinem Laptop.
Interview: Schrempp will die Pole-Position Stärken und Schwächen: Vergleich der vier Großen DaimlerChrysler: Eine Konzernbilanz