Bertelsmann Mohndruck
Am 19. Mai um die Mittagsstunde warf Reinhard Mohn (78) den besten Mitarbeiter, den er jemals hatte, raus. Was ein echter Patzer war in der blitzblanken Biografie des hoch gerühmten Bertelsmann-Stifters.
Mark Wössner (62), der als Vorstandschef die Bertelsmann AG zu einem Weltkonzern geformt und 1998 mit Erreichen der Altersgrenze seinen Posten geräumt hatte, wird vollends getilgt: Mohn selbst kehrt zurück auf die Schlüsselpositionen in der Stiftung und in der Bertelsmann-Verwaltungsgesellschaft (BVG/siehe Kasten unten).
Allenthalben taten Kommentatoren den Rausschmiss als Zwist zweier in die Jahre gekommener Männer ab, denen der Abschied von der Macht gründlich misslungen sei, ein Ärgernis allenfalls für Stiftung und BVG.
In Wahrheit aber trifft der Verlust der Identifikationsfigur Wössner den Konzern in seinem Kern. Beobachter vom Fach rätseln: Hat das Medienhaus ein Mohn-Problem?
So viel ist gewiss: Im Vorstandsensemble der Bertelsmann AG (Umsatz: 26 Milliarden Mark) macht sich Verunsicherung breit: "Das hätte Mohn uns ersparen sollen", klagt einer. "Das hätte man dringend anders, gesichtswahrend, lösen müssen", sagt ein anderer.
Für Konzernchef Thomas Middelhoff (47) eine heikle Situation: Der westfälische Multi steckt mitten in der programmatischen und unternehmenskulturellen Renovierung, in der Neuausrichtung zum E-Handels- und Internet-Medienhaus. Viele Mitarbeiter fragen sich, ob der neue Chef nicht allzu ungestüm in das Internet-Zeitalter stürmt; ob er womöglich die alten Medien, die das Geld verdienen, arg vernachlässigt.
Ausgerechnet in diesem komplizierten Prozess, der die Wettbewerbssituation gegenüber der börsennotierten US-Großkonkurrenz verbessern soll, zeigt der bald 80jährige Mohn in einem einsamen Akt, was Bertelsmann in Wirklichkeit ist: ein Familienbetrieb aus Gütersloh, immer mal wieder der Unberechenbarkeit des Patrons ausgeliefert.
Middelhoff hatte seinem einstigen Mentor Wössner eine zentrale Rolle bei der Wende zugedacht: Der Altmeister sollte als Vertrauensobmann wirken auf jene der 65.000 Hintersassen in dem weit verzweigten Konzern, die sich nur mühsam in der neuen, temporeichen Medienwelt zurechtfinden oder wegen des Strategieschwenks den Absturz ins Bedeutungslose fürchten, Führungspersonal in Druckereien etwa oder in den Buchverlagen.
Die stilferne Demontage Wössners macht Middelhoff einen Strich durch diese Rechnung.
Weggefährten sind tief getroffen, nicht nur Entertainment-Vorstand und Wössner-Intimus Michael Dornemann (54) oder der Bruder des Geschassten, Frank Wössner (59), seines Zeichens Leiter der Buchsparte. Auch Middelhoff, dessen Beziehung zu Wössner wegen einiger öffentlich vorgetragener Flapsigkeiten zwar abgekühlt, aber nie so schlecht war, wie das mancher gern hätte. Selbst bei den Verhandlungen über den Vertragsausstieg, an deren Ende Wössner wohl eine Abfindung von etwa 30 Millionen Mark einstreicht, geht Middelhoff seinem einstigen Förderer zur Hand.
Auf völliges Unverständnis in der Führungsriege stieß, wie das Miteinander von Mohn und Wössner, die sich seit gut 30 Jahren kennen, in bitterer Sprachlosigkeit endete.

Nun ist bekannt, dass sich der bullige Wössner als Firmenphilosoph in der Abgeschiedenheit der Bertelsmann-Stiftung weder sonderlich wohl noch ausgelastet fühlte. Unbekannt aber war die inhaltliche Dürftigkeit der Querelen zwischen Wössner und Mohn, die andere bei einem Pils gelöst hätten. Der Konflikt entzündete sich an einer Bagatelle: dem Fahrplan der von Wössner vorangetriebenen Gründung einer US-Zweigstelle der Bertelsmann Stiftung.
Im April veröffentlichte die "New York Times" eine Stellenanzeige, in der die Bertelsmann Foundation um Führungskräfte warb. Mohn ging dies wohl alles zu schnell.
Der Dauerfrust eskalierte in einem mit kalter Höflichkeit geführten "Notizenwechsel", in dem Wössner darlegen konnte, dass er sich an die Beschlusslage gehalten habe. Doch Mohns Entschluss war zur Unwiderruflichkeit gereift: Anfang Mai teilte er Wössner die Entscheidung mit.
Mohns Rückkehr an die Schaltstellen der Macht, meint ein Vorstand, "heißt nichts anderes als: Ich darf weitermachen, ich darf weiterleben".
Mit Middelhoff kommt der Unternehmensgründer blendend aus. Mohn rechnet es seinem erfolgreichen Konzernchef hoch an, dass der ein Angebot, als CEO zu AOL Time Warner zu wechseln, im Frühjahr ausgeschlagen hat.
Doch Middelhoff hätte Wössner gerade jetzt gut gebrauchen können in einer Phase, in der Bertelsmann vor fundamentalen Weichenstellungen steht und das Umfeld, nicht zuletzt das interne, bereitet werden muss.
Zwei Großprojekte sollen in Angriff genommen werden. Es geht um die Bereiche enger Wössner-Vertrauter: eine sensible Angelegenheit.
- Die für April 2001 geplante Zerlegung der Buchsparte und altersbegründete Ablösung Frank Wössners wird, zumindest inoffiziell, bereits jetzt vollzogen. Peter Olson (49), der künftig die Verlagsgeschäfte führen soll, rückt im Juli in den Konzernvorstand ein als "Gast", wie es sprachgebügelt heißt. Klaus Eierhoff (46), der die Vertriebsgeschäfte übernehmen soll, ist bereits Vorstandsmitglied. Vertraute schließen nicht aus, dass Buchchef Frank Wössner, der nichts mehr zu sagen hat, schon im Herbst seinen Abschied einreicht.
- Einschneidende Veränderungen stehen der vom Konzernintellektuellen Dornemann geführten Bertelsmann Music Group (BMG) bevor: Die Plattenfirma konnte ihre Marktanteile auf dem wichtigen US-Markt zwar erheblich verbessern. Nach der Übernahme von EMI durch Warner rangiert BMG aber abgeschlagen auf dem vierten Platz.
Im Zuge der wahrscheinlichen Übernahme des Unterhaltungs- und Getränkekonzerns Seagram durch den französischen Mischkonzern Vivendi eröffnet sich für Middelhoff tatsächlich die Perspektive, sein Ziel zu erreichen.
Der geplante Kauf von Seagram, zu dem die Plattenfirma Universal und die gleichnamigen Hollywood-Studios ("Schindlers Liste", "Jurassic Park") gehören, erfolgt in enger Abstimmung zwischen Vivendi-Chef Jean-Marie Messier (43) und seinem Freund und Board-Mitglied Thomas Middelhoff.
Bertelsmann selbst hatte mit einer Seagram-Übernahme geliebäugelt. Doch Verhandlungen verliefen ergebnislos: "Die wollten kein Bargeld, die wollten Aktien", sagt ein Bertelsmann-Manager. So trat Option B in Kraft: die Akquisition durch den börsennotierten Vivendi-Konzern.
Messier und Middelhoff planten, wie ein Führungskader sagt, eine "intelligente Partnerschaft": Entweder reicht Vivendi die Musikfirma Universal an Bertelsmann weiter, oder BMG und Universal, die jeder für sich auf Dauer gegen EMI/Warner nicht bestehen können, gehen in einem neuen Gemeinschaftsunternehmen auf.
Fraglich ist, ob der von Middelhoff intern bisweilen kritisierte, aber als glänzender Stratege geltende Musikchef Dornemann Vorstand bleibt: "Michael Dornemann", sagt Middelhoff dunkel, "wird in der bestehenden Struktur weiterhin für das Musikgeschäft verantwortlich sein." Nur: Selbige Struktur wird gerade energisch verändert.
Im einstmaligen Gütersloher Kontinuitätsinstitut ist nur mehr wenig, wie es einmal war. Auf die Führung der Bertelsmann Music Group mag keiner mehr wetten. Ein Vorstand sagt ahnungsvoll: "Es ist eine schnelle Zeit. Ein Deal jagt den nächsten." Nach Wössners Abschied gibt es viele einsame Herzen bei Bertelsmann.
Und Wössner selbst? Dem manager magazin sagt er: "Wir damals Jungen haben zusammen mit Herrn Mohn die heutige Unternehmenskultur entwickelt. Ich denke, dass ich für mich in Anspruch nehmen kann, sie vorgelebt zu haben."
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