
Nachhaltigkeit Warum Umweltschutz gut für die Bilanz ist
Hamburg - Früher zitterten die Konzerne vor Gerd Leipolds Kampagnen. Der langjährige Greenpeace-Weltchef forderte etwa den Computerbauer Apple auf, endlich "grüne Macs" ohne giftige Chemikalien zu bauen. Während eines einstündigen Treffens mit Firmengründer Steve Jobs ging es hitzig zur Sache, hässliche Worte sollen gefallen sein. Vor McDonald's-Filialen wiederum ließ Leipold Öko-Aktivisten in Hühnerkostümen aufmarschieren, um den Verzicht auf Tierfutter aus Regenwaldregionen zu erzwingen.
Je stärker Umweltprobleme ins Bewusstsein von Kunden und Aktionären rückten, desto gefährlicher wurde Leipold für die Konzerne - aber auch interessanter. Der einstige Siemens- und heutige Alcoa-Chef Klaus Kleinfeld etwa suchte schon häufiger den Plausch mit dem Wirtschaftskritiker Leipold. Auch Coca-Cola-CEO Muhtar Kent, ebenfalls Opfer diverser Leipold-Aktionen, hat inzwischen gern ein offenes Ohr für den hartnäckigen Öko-Kampagnero.
Von Greenpeace zu McDonald´s
Nach seinem Abschied von Greenpeace erhielt Leipold im Jahr 2010 sogar ein Jobangebot vom Big Business. Ein Konzern, den er bis zuletzt bekämpft hatte, wollte ihn als Berater für Nachhaltigkeit engagieren: McDonald's. Nach kurzem Zögern willigte Leipold ein.
Was mancher Ex-Kampfgenosse als Wechsel auf die falsche Seite kritisiert, betrachtet Leipold als Fortsetzung seiner Ökomission mit anderen Mitteln. Und als Bestätigung dafür, dass die Unternehmen es inzwischen ernst meinen mit der Nachhaltigkeit.
"In den Chefetagen setzt sich die Erkenntnis durch", sagt Leipold, "dass es höchste Zeit ist, langfristiger zu denken und zu wirtschaften."
Auf seine Anregung hin hat das McDonald's-Management in Deutschland konkrete Umweltziele verabschiedet, etwa die Umstellung auf grünen Strom bis 2014. Werden die Ziele verfehlt, können sogar die Boni geringer ausfallen. Noch vor wenigen Jahren wären solche Schritte undenkbar gewesen.
Schonung der Ressourcen - PR-Offensive oder Umdenken?
Ähnlich wie McDonald's ändern momentan zahllose Konzerne quer durch alle Branchen und Regionen ihren Kurs. Ob Technologieriesen wie Siemens, Konsumgüterkonzerne wie Procter & Gamble oder Sportartikelhersteller wie Puma: Zunehmend setzen Topmanager vermeintlich weiche Themen wie Klimaschutz, Ressourcenschonung oder eine verantwortungsvolle Personalpolitik auf ihre Agenda.
Eine PR-Offensive, um den verlorenen Kredit bei der Gesellschaft zurückzugewinnen? Oder ernsthaftes Umdenken von kurzfristiger Gewinnmaximierung auf nachhaltiges Wirtschaften?
Der Druck von außen ist jedenfalls beträchtlich. Die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie explodierende Energiepreise lassen ein Weiter-so nicht zu. Es herrscht Knappheit an vielen Ressourcen, vor allem aber an Vertrauen.
Kunden, Investoren und Politiker zweifeln zunehmend an den althergebrachten Strategien der Großkonzerne. Bedingungsloses Profitstreben gilt heute nicht mehr als Grundlage, sondern als Grundübel der Weltwirtschaft. "Nie zuvor in der Geschichte", sagt der Managementvordenker und Harvard-Professor Michael E. Porter, "stand die Legitimität der Unternehmenswelt stärker infrage."
"Wirtschaftlichen Erfolg mit sozialem Fortschritt verknüpfen"
Porter ist derzeit auf Wirtschaftskongressen gefragter denn je. Seine Kritik ist harsch, seine Botschaft unmissverständlich: Viel zu lange hätten Manager die Natur ausgebeutet, Kundenwünsche ignoriert, Mitarbeiter nur als Kostenfaktoren behandelt - kurzum: grundlegende Interessen der Stakeholder verletzt. "Die Unternehmen", fordert Porter, "müssen wirtschaftlichen Erfolg wieder mit sozialem Fortschritt verknüpfen."
Ein neues Managementprinzip soll den Konzernen nun helfen, Akzeptanz für die Marktwirtschaft zurückzugewinnen: das Konzept des "Shared Value". Nur wer die scheinbar widerstreitenden Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft eint, so Porters Petitum, kann dauerhaft Erfolg haben.
Das bedeutet: Unternehmen werden ihre Strategie künftig stärker an gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausrichten, neue Ziele definieren und nachprüfbare Lösungen bieten müssen.
Dass die Manager den Ernst der Lage erkennen, beweist auch eine bislang einmalige Initiative der deutschen Wirtschaft. Ende 2010 verabschiedeten 21 Topmanager und Unternehmer ein "Leitbild für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft", das inzwischen rund 60 Unterstützer gefunden hat. Zu den Unterzeichnern zählt Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann genauso wie BMW-Lenker Norbert Reithofer, Linde-CEO Wolfgang Reitzle und Evonik-Vormann Klaus Engel. Sie alle konstatieren eine "wachsende Unzufriedenheit mit dem Wettbewerbssystem, den Unternehmen und ihren Entscheidern".
Die Konzernchefs wollen vor allem eines erreichen: ihr demoliertes Ansehen wiederherstellen. "Denn ohne Vertrauen", so das Credo der Manager, "funktioniert unsere Wirtschaft nicht."
Die Versäumnisse von Eon und RWE
Ein simples Heuern und Feuern von Personal etwa soll es künftig nicht mehr geben. Im Vorfeld eines Stellenabbaus, so heißt es in dem Memorandum, müssten erst "sämtliche personalpolitischen Maßnahmen geprüft werden". Zudem verpflichten sich die Manager, "unerwünschte Belastungen für Klima und Umwelt kontinuierlich zu verringern". Fazit: Die Wirtschaft müsse das "Wohl der Menschen" fördern.
Die neuen Führungsprinzipien könnten die Unternehmenswelt dauerhaft verändern. Doch bislang hapert es an der Umsetzung der hehren Grundsätze teilweise noch gewaltig.
Deutschbanker Ackermann etwa muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, sein Institut sei "mitschuldig an Hungersnöten in den ärmsten Ländern der Welt": Spekulationen mit Agrarrohstoffen trieben die Nahrungsmittelpreise in die Höhe, klagte Foodwatch vergangenen Herbst per Brief an.
Zeitgleich startete die Organisation eine Kampagne unter dem Motto: "Hände weg vom Acker, Mann!" Der Banker sah sich gezwungen, den milliardenschweren Rohstoffhandel des Geldinstituts intern überprüfen zu lassen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, werde man "entsprechende Konsequenzen ziehen", versprach Ackermann.
Die Versäumnisse von Eon, EnBW und RWE
Versorger wie Eon, EnBW oder RWE versäumten es, systematisch auf erneuerbare Energien umzurüsten. Stattdessen klammerten sie sich jahrelang an ein überholtes Geschäftsmodell. Sie ließen längst abgeschriebene Kernkraftwerke einfach weiterlaufen und erzielten damit Milliardengewinne.
Pompös angekündigte Umweltmaßnahmen entpuppten sich oft als Etikettenschwindel. So wirbt RWE mit dem Slogan "VoRWEg gehen", schmückt sich in Werbefilmchen mit Windrädern und modernen Gezeitenkraftwerken. In Wahrheit ist RWE Deutschlands größter CO2-Emittent. 2010 gingen 23 Prozent der industriellen Kohlendioxidemissionen auf das Konto des Essener Konzerns.
Zwar hat RWE seine Forschungsaktivitäten erhöht und will nun verstärkt in regenerative Energien investieren. Doch die Wende kommt spät.
"Die Energiebranche hat ein wertvolles Jahrzehnt leichtfertig verspielt", konstatiert der thüringische Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD), als ehemaliger Staatssekretär im Bundesumweltministerium ein Kenner der Materie. "Sie hat ihr wirtschaftliches Potenzial nicht für einen rechtzeitigen Strukturwandel genutzt und deswegen ihr Geschäftsmodell gefährdet."
Die Folgen sind verheerend, für die Energiekonzerne genauso wie für ihre Stakeholder. Der zuverlässige Geldfluss, den die Altmeiler erzeugt hatten, ist nach Fukushima-Katastrophe und Atomausstieg versiegt. Eon rechnet für 2011 erstmals mit einem Nettoverlust und hat den Abbau von 11.000 Stellen angekündigt.
Wie können Unternehmen ein derartiges Desaster vermeiden? Nachhaltigkeitsberater Gerd Leipold wischt mit seiner mächtigen Pranke über sein Mobiltelefon, als suche er darin nach der Lösung. Es ist ein iPhone: Seit der Apple-Konzern seine Forderung nach schadstoffärmeren Produkten erfüllt hat, sind die Geräte auch für den Ex-Greenpeace-Mann opportun. "Vorstandschefs müssen dialogbereit und lernfähig sein", antwortet er schließlich, "nur so können sie den Bedürfnissen der künftigen Generationen gerecht werden."
Rohstoffe effizienter nutzen: Sparpotenzial in Milliardenhöhe
Hätten die Chefs von RWE, Eon & Co. die Wünsche ihrer Kunden ernster genommen, wäre deren Wechselbereitschaft heute wohl geringer. Inzwischen sind Hunderttausende zu regionalen Anbietern übergelaufen. Diese waren meist näher am Kunden - und machten ihnen frühzeitig Ökostromangebote.
Auch der Sportartikelkonzern Puma stand lange als Umweltsünder am Pranger. Noch vergangenes Jahr entdeckte Greenpeace eine toxische Substanz in Puma-Textilien. Inzwischen hat der Konzern nicht nur eine giftfreie Produktion bis 2020 versprochen. Er beziffert auch den vom Unternehmen verursachten Umweltschaden: zuletzt 145 Millionen Euro. Hätte Puma diese Summe tatsächlich bezahlen müssen, wäre der Konzernüberschuss 2010 auf weniger als 60 Millionen Euro geschrumpft.
Derlei Schadensfälle sind mit den hehren Leitlinien des Unternehmens kaum vereinbar. "Unser System darf nicht allein auf Schulden aufgebaut sein", fordert Puma-Verwaltungsratschef Jochen Zeitz, "weder auf Bankverbindlichkeiten noch auf Schulden beim Planeten."
Künftig will der Konzern weniger Rohmaterialien verbrauchen, seinen Müll reduzieren und die Lieferanten stärker kontrollieren. Dazu wird Puma stattliche Summen investieren müssen. Doch mit wachsender Produktionseffizienz, so kalkulieren die Konzern-Controller, werden mittelfristig die Kosten sinken.
Ressourcen effizienter nutzen: 100 Milliarden Euro Ersparnis pro Jahr
Eine durchaus berechtigte Hoffnung: 100 Milliarden Euro pro Jahr könnte das produzierende Gewerbe in Deutschland sparen, schätzt die staatliche Materialeffizienzagentur. Dazu müsste die Industrie die eingesetzten Ressourcen lediglich 20 Prozent effizienter nutzen.
Im Idealfall entsteht ein Produktionskreislauf, der Abfälle wiederverwertet - und den Rohstoffeinsatz senkt. Der angenehme Nebeneffekt: "Solche Investitionen in die Zukunft", sagt Puma-Oberaufseher Zeitz, "bringen neue Materialien und Produkte hervor." Und damit neue Geschäftschancen.
Im September verkaufte Puma erstmals einen Schuh, der komplett aus recycelten Materialien besteht. Mit derartigen Produkten will sich der Konzern künftig neue Käuferschichten erschließen: Kunden mit grünem Ökogewissen - und möglichst dickem Portemonnaie.
Wer den Weg zur Nachhaltigkeit einmal eingeschlagen hat, kann kaum noch umkehren. Sind messbare Ziele verkündet, wollen Analysten, Mitarbeiter und Kunden Resultate sehen. Ex-Greenpeace-Chef Leipold nennt dies die "subversive Kraft", die sich in den Unternehmen rasch verselbstständige: "Ist die Ökolawine ausgelöst, wird man sie später kaum noch stoppen können."
Effiziente Turbinen, intelligente Stromnetze
Die nächste Stufe: Das Endprodukt wird nicht nur möglichst umweltverträglich hergestellt, sondern bietet auch echten gesellschaftlichen Mehrwert.
Kaum ein Unternehmen folgt diesem Prinzip so systematisch wie Siemens . Der Konzern setzt fast 30 Milliarden Euro mit seinem Umweltportfolio um. Dazu zählen effiziente Turbinen, Züge und intelligente Stromnetze. Produkte also, die eine moderne Industriegesellschaft am Leben halten. Der Bereich wächst schneller als der Gesamtkonzern: Bis 2014 will Siemens mit grüner Technik 40 Milliarden Euro erlösen. "Umwelttechnologien", jubelt Siemens-Vorstand Barbara Kux, "sind eine äußerst zukunftsträchtige Geschäftschance."
Ein Ende der grünen Wachstumsstory ist nicht in Sicht. Vor allem asiatische Staaten müssen gigantische Summen in Umwelttechnologien investieren. Bis 2020, prognostizieren die Berater von Roland Berger, wird der Markt von 1,4 Billionen im Basisjahr 2007 auf 3,1 Billionen Euro anwachsen.
Siemens will davon profitieren, indem es näher an die Kunden rückt. In Schwellenländern etwa bietet der Konzern preiswertere Varianten seiner Dampfturbinen an. Die Wertschöpfung erfolgt so weit wie möglich vor Ort.
Krisenresistenz durch Strategiewandel
Die Theorie dahinter: Die Interessen des Konzerns sollen mit denen der Gesellschaft im Einklang stehen. Das entspricht dem, was Managementguru Porter unter Shared Value versteht: Moderne Märkte, sagt Porter, würden von gesellschaftlichen Notwendigkeiten definiert - nicht mehr ausschließlich von ökonomischen Erfordernissen.
Statt simple Kosten-Nutzen-Rechnungen anzustellen, müssen Konzernlenker längerfristige Ziele verfolgen. Erstens: engere Beziehungen zu Kunden und anderen Stakeholdern. Zweitens: eine ressourcenschonende Produktion. Drittens: Produkte, die den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden.
Der Strategiewandel mag zunächst einmal kostspielig sein. Dafür gewinnen Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften, an Krisenresistenz. Sie werden unabhängiger von Schwankungen der Energiepreise und können auf eine stabilere Nachfrage bauen: Schnellzüge werden wohl auch in einigen Jahrzehnten noch benötigt. Konventionelle Verbrennungsmotoren dagegen eher nicht mehr.
"Die Industrie hat mehr als fünf Jahrzehnte lang auf Technologien gesetzt, die von endlichen Rohstoffen abhängig sind", sagt Carsten Gerhardt, Berater für Nachhaltigkeit bei A. T. Kearney, "jetzt ist es Zeit für den Systemwechsel."
Viele Unternehmen steuern um - sei es aus Einsicht oder aus Angst vor der Ökolobby. Die Kraft der Aktivisten bekam zuletzt der Konsumgüterriese Unilever zu spüren: Indonesische Ureinwohner demonstrierten vor der Deutschland-Zentrale in Hamburg gegen die Urwaldzerstörung durch Palmöllieferanten.
McDonald's-Berater Gerd Leipold plädiert weiter für öffentliche Proteste - und ermuntert seine ehemaligen Kampfgenossen: "Ohne Druck bewegt sich gar nichts."