Fotostrecke

Südkoreas Konglomerate: Weltoffen, riesig, breit

Foto: PARK JI-HWAN/ AFP

Südkorea Wie Samsung und Hyundai den Markt erobern

Riesige Konglomerate wie Hyundai, LG und Samsung mischen die Weltmärkte auf - und machen fast alles anders, als es westliche Strategen empfehlen. Die Riesen aus Südkorea sind Fanatiker im Vergleichen: Ihre Entscheidungswege sind kurz und schnell - und sie gehen bewusst enorme Risiken ein.

Hamburg - Lotte ist omnipräsent. Lotte - dessen Gründer Shin Kyuk-Ho ein Goethe-Verehrer war - ist einer der großen koreanischen Mischkonzerne. Eines jener "Chaebols", die wie Kraken überall ihre Arme im Spiel haben. Sie beherrschen die koreanische Wirtschaft, sie sind erfolgreich, und sie sind eine Provokation für westliche Propheten guter Unternehmensführung, weil sie vieles ganz anders machen.

Ob global unbekannte Konzerne wie SK, GS oder eben Lotte, ob die großen drei, Hyundai , LG und Samsung  - kein hoch entwickeltes Land wird so stark von wenigen Konglomeraten dominiert wie die asiatische Aufsteigernation. Zusammen erwirtschaften sie 40 Prozent des Sozialprodukts.

Der koreanische Begriff "Chaebol" bedeutet übersetzt so viel wie Familiengeschäft. Das klingt harmlos. Nach allen gängigen Managementtheorien der vergangenen beiden Jahrzehnte müssten diese Dinosaurier längst tot sein, gestorben an Hypertrophie.

Denn sie hielten sich nicht an die üblichen Rezepte: Konzentration aufs Kerngeschäft, Outsourcing, Streubesitz. Nein, die Chaebols taten und tun das Gegenteil. Sie diversifizierten in viele Richtungen, pflegen hohe Fertigungstiefen, von risikoreichen Übernahmen ließen sie die Finger. Bis heute ziehen Gründerfamilien die Fäden.

Volkswagen und Apple fürchten die Konkurrenz aus Korea

Trotzdem - oder gerade deshalb - sind diese Konzerne erfolgreich, sehr erfolgreich sogar. Allein Samsung Electronics machte 2010 so viel Gewinn wie die gesamte japanische Konkurrenz - von Sony bis Panasonic - zusammen.

Die westliche Business-Class fürchtet längst nicht mehr die Japaner, sondern die hyperpotenten Koreaner. Marktführer Apple  offenbart seine Angst dadurch, dass er seinen Konkurrenten Samsung mit Klagen überzieht. In der Autoindustrie zollen Manager Hyundai höchsten Respekt. Für VW-Chef Martin Winterkorn ist nicht mehr Toyota  der Angstgegner, sondern Hyundai: "Die greifen überall an."

Bob Lutz, der Oldtimer von General Motors , pflichtet Winterkorn bei: "Hyundai ist eine größere Gefahr als jeder andere."

Vom Kopisten zum Erfinder: Die "Chaebols" sind stärker denn je

Früher waren die Chaebols Kopisten, nicht Erfinder. Sie folgten den westlichen Marktführern, schnell und effizient, aber mit Abstand. Das hat sich geändert: "Sie sind nicht mehr Fast Follower, sondern schon fast Leader", urteilt Roland Villinger, Bürochef von McKinsey in Seoul. Koreas Big Business hängt sich nicht mehr an Trends - es kreiert selbst welche.

Und weil die Chaebols so erfolgreich sind, läuft derzeit auch die Volkswirtschaft rund. Kein OECD-Land kam schneller aus der letzten Rezession als Korea. Die Wachstumsraten liegen wieder bei 4 bis 5 Prozent.

Warum ist das "koreanische Modell" so erfolgreich? Kann es auch anderswo funktionieren oder eben nur in Korea?

Die Antworten liegen in der Geschichte des Landes begründet: Das kriegsgeschundene Korea war Anfang der 60er Jahre ein armes Land, auf dem Entwicklungsniveau Ghanas. Doch dann kam Präsident Park Chung-Hee, der Vater des koreanischen Wirtschaftswunders. Ein Anti-Ludwig-Erhard, der Staatskredite an Unternehmen vergab. Der bestimmte, in welche Branchen zu investieren war, und der auf eine Exportoffensive setzte.

Ausleseprozess in der Asien-Krise 1997

In dieser angeordneten Aufbruchstimmung begann der Aufstieg der meisten Chaebols - von ganz unten. Hyundai war ein kleines Bauunternehmen, das mit ein paar Dutzend Arbeitern die Autobahn Seoul-Pusan baute. Samsung  begann als Zucker- und Textilproduzent. Posco startete 1968 mit 39 leidgeprüften Beschäftigten, die Reis mit Sand aßen, die Stahlproduktion. Heute ist Posco der effizienteste Stahlkocher der Welt.

Die Gründerfiguren bekamen Geschäftslizenzen für weitere Bereiche. Manche Firmen wuchsen zu mächtigen Mischkonzernen heran. Dann kam 1997 die Asien-Krise (in Korea "IWF-Krise" genannt), und viele machten die Chaebols mitverantwortlich. Die Politik reagierte und zerschlug die Konzernkolosse - ein bisschen zumindest. Einige ließ man immerhin in Konkurs gehen. Daewoo war das prominenteste Beispiel.

Die Regierung versuchte, die Transparenz der Chaebols zu erhöhen. Ohne großen Erfolg. Die Corporate Governance ist weit von westlichen Standards entfernt. Im Detail bleiben die Strukturen selbst für Experten undurchschaubar. Über Minderheitsbeteiligungen werden sie von den Gründerfamilien kontrolliert.

Trotz offensichtlicher Schwächen sind jene Chaebols, die nach der Asien-Krise übrig blieben, heute stärker denn je - allen voran die drei Giganten Hyundai, LG und Samsung. Sie sind Weltmarken, freilich mit sehr unterschiedlichen Kulturen, die gerade im Umgang mit den Medien deutlich werden.

Die besten Elemente beider Managementwelten

Im Süden Seouls, jenseits des Han-Flusses, stehen die Twin Towers, das weithin sichtbare Headquarter des Elektronikkonzerns LG. Im firmeneigenen Restaurant, wo das mittägliche Buffet Speisen aus aller Welt bietet, gibt Ken Hong, Vice President für Kommunikation, offen und unprätentiös etwas vom Innenleben des LG-Konzerns preis: "Wir hatten immer einen Minderwertigkeitskomplex."

So wussten die Konsumenten in anderen Ländern lange nicht, dass LG (ursprünglich Lucky Goldstar) aus Korea kommt. "Die dachten, LG sei japanisch", sagt Hong. Seit Kurzem geht LG in die Offensive, zeigt sich aufgrund seiner Erfolge vor allem bei Flachbildschirmen selbstbewusster, auch gegenüber seinem lokalen Konkurrenten Samsung, giftet diesen in der Werbung sogar an.

So offen wie Hong kommuniziert sein Pendant bei Samsung Electronics, Keun Bae Kim, nicht. Vor einem Gespräch wollte er Fragen zugeschickt bekommen, die er nun in einem schmucklosen Konferenzraum in der Hauptverwaltung von Samsung Punkt für Punkt abarbeitet.

Kims häufigstes Wort ist "Chairman". Der Chairman predige dauernd Veränderungen. Der Chairman habe deshalb gesagt: "Change everything beside wife and children." Ja, der Chairman lege auch viel Wert auf Forschung; 6 Prozent des Umsatzes fließen dorthin. Der Chairman will, dass Samsung Electronics im Jahr 2020 400 Milliarden Dollar Umsatz macht.

Samsung sieht sich bei Smartphones bereits als Weltmarktführer

Und Samsung ist auf gutem Weg: Im dritten Quartal 2011 kletterte der Umsatz um 3 Prozent auf umgerechnet 26 Milliarden Euro. Mit dem Absatz von 28 Millionen Smartphones überholte Samsung nach Stückzahlen klar das iPhone von Apple und sieht sich damit im Bereich Smartphones bereits als Weltmarktführer.

Während LG und Samsung immerhin Auskunft geben, blockt Hyundai ab. Weil oben niemand mit manager magazin reden will, besteht auch unten - für die PR-Abteilung - Redeverbot. Doch ein ehemaliger hochrangiger Manager - nennen wir ihn Mister Lee - gibt im Meeting-Room eines Hotels unweit der Hyundai-Zentrale ein paar Einblicke. "Wir sind wie eine Armee", sagt er und lächelt. "Einer gibt die Richtung vor, und wir marschieren hinterher."

Der Mann, der die Marschrichtung vorgibt, ist der 73-jährige Hyundai-Chef Chung Mong-Koo, ein begnadeter Patriarch und vierschrötiger Kerl, der früher gern mit seinen Mitarbeitern Ringkämpfe veranstaltete.

Der knallharte Top-down-Ansatz, der bei allen Chaebols mehr (Hyundai) oder weniger (LG) vorherrscht, hat einen Vorteil: Die Entscheidungsprozesse sind kurz und schnell. Und die Riesen gehen bewusst enorme Risiken ein.

Fanatiker des Vergleichens - und ein geringes Gefahrenbewusstsein

Jürgen Wöhler, Geschäftsführer der Deutsch-Koreanischen Handelskammer, sagt: "Die Koreaner haben ein unterentwickeltes Gefahrenbewusstsein." Ihre Unternehmen würden viel mehr nach der Methode "Versuch und Irrtum" verfahren als die deutschen. Ständig schauen die Führer der Chaebols, was die Konkurrenz im Ausland macht.

Die Koreaner gelten als Fanatiker des Vergleichens. "Ein Großteil unserer Arbeit hier sind Benchmark-Projekte", erzählt McKinsey-Berater Villinger.

Mister Lee, der mehr als 30 Jahre bei Hyundai arbeitete, sagt, dass sie sehr genau Mercedes, BMW  und vor allem Toyota  studiert hätten. "Nun sind wir besser als Toyota, vor allem bei der Qualitätskontrolle." Das ist der Ehrgeiz: irgendwann den Lehrmeister zu überholen.

Die Koreaner mischen die besten Elemente beider Managementwelten, der westlichen und der östlichen, und kreieren ein interessantes Hybridmodell.

Um an westliches Know-how zu gelangen, stellen sie immer mehr westliche Manager ein und erweisen sich als viel offener als die Japaner. Hyundai hat Designer von BMW und Audi abgeworben, bei LG sind auf höchster Ebene mehrere ausländische Manager - vor allem aus den USA - aktiv.

Samsung installierte schon 1997 die Global Strategy Group (GSG), in der die besten Absolventen westlicher Eliteuniversitäten in einem zweijährigen Kurs auf ein Arbeitsleben bei Samsung vorbereitet werden, inklusive Sprachunterricht in Koreanisch. Mehr als 200 Jungmanager haben diese harte GSG-Schule inzwischen durchlaufen.

Auch im Inland fahndet man nach den Topleuten der Nation. Samsung ist der Wunscharbeitgeber unter Koreas Studenten, gefolgt von Hyundai und LG. Die Chaebols können die Besten der Besten auswählen. Und Korea produziert viele Beste. Kein Land in der OECD gibt mehr Geld für Bildung aus, überwiegend private Mittel der Eltern.

In der Forschung hingegen ist der Staat sehr aktiv. Die Zusammenarbeit mit den Konglomeraten funktioniert fast noch wie in alten Zeiten. Der jetzige Präsident Lee Myung-Bak wird als Genosse der Bosse gesehen. Schließlich kommt er von Hyundai.

Es herrscht reger personeller Austausch zwischen Politik und Konzernen. Die nächsten beiden großen Ziele sind bereits anvisiert: grüne Technologien und Healthcare. So haben es die Bürokraten beschlossen, und die Manager führen es aus - kürzlich hat Samsung Electronics neben der Infotainment-Sparte eine Lifecare-Division gegründet.

So funktioniert Korea. Ganz anders, aber trotzdem erfolgreich.

Autoindustrie: Warum Hyundai Volkswagen und GM das Fürchten lehrt

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren