Fotostrecke

Russland: Die Rolle der Oligarchen

Foto: AP/ RIA-Novosti

Tui-Großaktionär Alexej Mordaschow Russischer Reiseleiter

Milliardär, Vorzeigeoligarch, Putin-Liebling - der Russe Alexej Mordaschow trägt viele Attribute. Jetzt ist er auch noch größter Aktionär von Tui und wichtiger Partner von Siemens. Auf wen haben sie sich da eingelassen?

Die Seligkeit seiner Jugend, bekannte er einmal, waren seine ersten Jeans. Er bekam sie in der neunten Klasse, "und ich habe sie sehr lange geschont".

Alexej Alexandrowitsch Mordaschow wuchs da auf, wo die Sowjetunion am sowjetischsten war: in Tscherepowez, 500 Kilometer nördlich von Moskau, reich nur an Rauch und Schloten. Stalin selbst hatte angeordnet, in der feuchten Ebene ein gewaltiges Stahlkombinat hochzuziehen. Eine ganze Stadt lebte von der Planwirtschaft. Oder besser: überlebte sie. "400 Gramm Wurst und 200 Gramm Butter pro Kopf und Monat", erinnert er sich, "das war die ganze Freude."

Wenn er sich heute der alten Heimat nähert, dann meist im Privatjet. Minutenlang dauert der Flug über das schier endlose Industriegelände, und alles - na ja, nach Aktien gerechnet gut 80 Prozent - gehört ihm. Heute zählt er, der Spross kleiner Leute, zu den reichsten Menschen der Welt, geschätzte 18,5 Milliarden Dollar schwer.

Es ist der Kontrast, der Alexej Mordaschow auszeichnet. Der scharfe Gegensatz in seiner Biografie. Und das Paradoxe seiner Erscheinung.

Wollte man sich einen russischen Oligarchen ausmalen, also jemanden, der mit List und Entschlossenheit - um es einmal vorsichtig zu formulieren - Milliarden an sich gezogen hat und sie ebenso entschlossen verteidigt, man käme zuletzt auf einen wie ihn. Das Gesicht noch jugendlich, das dichte dunkelbraune Haar zu einer Tolle aufgeworfen, wirkt er noch jünger als seine ohnehin bescheidenen 45 Jahre. Sein Anzug sitzt perfekt, englischer Schnitt. Dieser hochgewachsene Bursche könnte als Broker durch die Londoner City ziehen.

Geschäftspartner staunen über sein ziviles Auftreten. Im Ausland reist er ohne Personenschutz, in Russland bleiben seine Leibwächter unauffällig. Andere lassen schon aus Prestige ein Dutzend Kleiderschränke aufmarschieren.

Mordaschow fragt mehr, als er redet

Er fragt mehr, als er redet. Hört aufmerksam zu. Dabei tippt sein rechter Zeigefinger ans Kinn, während der Daumen die Wange stützt. Ganz so, als denke er intensiv nach. Oder wolle zumindest so wirken. "If I could ask one more question?", leitet er seine Rede gern ein, fast so, als müsse er wirklich um Erlaubnis bitten.

Lob bleibt da nicht aus. "Herr Mordaschow ist für mich einer der wichtigsten russischen Unternehmer, mit hoher Seriosität und vor allem Handschlagfähigkeit", preist ihn Klaus Mangold, lange Jahre Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und heute Aufsichtsratschef von Tui .

Mordaschow, urteilt ein Investmentbanker, sei "der westlichste und verlässlichste der Oligarchen".

Der Konzernherr spendet für Kultur und Soziales. Seinen Heimatort hat er herausputzen lassen und ihn mit einem erstklassigen Eishockeyklub begönnert. Vor allem aber sammelt er Ehrenämter. Er sitzt im Präsidium des russischen Unternehmerverbands, ist Vizepräsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, Verhandlungsführer der russischen Industrie für den ersehnten Beitritt zum Welthandelsbund WTO.

Andere Oligarchen kommen nur zum Prassen in den Westen. Mordaschow sucht das internationale Business. Er hat Stahlwerke in den USA und Italien gekauft; sein Stammhaus Sewerstal an die Londoner Börse gebracht. Gemeinsam mit dem deutschen Industriekonzern Siemens (Kurswerte anzeigen) baut er Turbinen. Beim Reisekonzern Tui  ist er gar zum dominierenden Aktionär aufgestiegen, mit mehr als einem Viertel der Anteile, bisher ohne sichtbare Verwerfungen.

Und doch wird er diesen gewissen Zweifel nie los. Das miserable Image der postkommunistischen Kapitalisten klebt auch an ihm. Glücksritter seien das, sagen viele, die mehr raffen als entwickeln. Wo sie als Heilsbringer auftraten, wie der Aluminiumkrösus Oleg Deripaska beim Baukonzern Hochtief , stand am Ende meist nichts als Enttäuschung.

Wie viel Substanz steckt in Mordaschow und seinen Geschäften? Was treibt ihn zu Engagements wie bei Tui  ? Und wie viel Verstellung liegt in seiner Miene, die - bei aller Konzilianz - verschlossen bleibt?

Beinharte Privatisierung bei Sewerstal - und eine Schlacht um Arcelor

Seine Chancen, so viel steht fest, hat er stets genutzt - auf konventionellen wie auf unkonventionellen Wegen. Schon der Schüler Alexej fiel als heller Kopf auf. Ein Wirtschaftsstudium in Leningrad - heute St. Petersburg - absolvierte er mit Bestnoten. Er trat, wie vorbestimmt, daheim bei Sewerstal an, was übersetzt "Nordstahl" heißt und damals auch nur dafür stand: Stahlproduktion in schroffer, nördlicher Umgebung.

Das Jungtalent begann als Büroleiter - die beste Voraussetzung für eine schöne Karriere am Schreibtisch, zumal er bald die Gunst des Generaldirektors Juri Lipuchin gewann. 1990 durfte er zu einem ausgedehnten Praktikum beim österreichischen Stahlkocher Voestalpine, wo er Deutsch lernte.

Als 1993 die Privatisierung der Staatsbetriebe anbrach, sollte Mordaschow - inzwischen Finanzchef - die Sache im Sinne Lipuchins regeln. Der Alte hatte wohl geplant, sich selbst zum Großeigner aufzuschwingen. Sein junger Mann ging ans Werk, kaufte den Arbeitern ihre Anteile für Kleingeld ab. Und behielt sie für sich. Mordaschow rechtfertigt sich, er habe mutig investiert, während andere nicht an die Zukunft des verrotteten Kombinats geglaubt hätten. Die Mittel dazu will er redlich aufgebracht haben.

Bei der Privatisierung von Sewerstal ging es beinhart zu

Die dubiosen Anfänge Mordaschows spielen in seiner Heimat heute keine Rolle mehr. Zwar hat kaum jemand Zweifel, dass es bei der Privatisierung von Sewerstal beinhart zuging; aber es gab immerhin kein Blutvergießen wie anderswo.

Zugute hält ihm die russische Öffentlichkeit auch, dass er sein neues Firmenreich nicht ausplünderte. Im Gegenteil: Er nahm Kredite auf, besorgte westliches Know-how, modernisierte das marode Werk. Heute liefert er unter anderem Bleche für japanische Autobauer, die Qualität scheint zu stimmen.

Von persönlichen Ausschweifungen ist nichts zu hören. Von Jachten, Palästen im Ausland und großen Sausen keine Spur. Der Multimilliardär besitzt ein Wohnhaus in Moskau, eins in Tscherepowez und eins auf der Krim. Sein teuerstes Hobby scheinen seine Skiurlaube in der Schweiz zu sein.

Investiert hat Mordaschow nicht zuletzt auch in sich selbst. Er studierte nebenher Betriebswirtschaft und schloss die Aufschulung 2001 mit dem MBA-Grad der Universität Newcastle ab. Geschäftlich griff er immer höher, flankierte Sewerstal mit diversen Nebengesellschaften, expandierte im Bergbau - von Kohle bis Gold - und in allerlei Industrien, sogar in eine eigene Fluglinie, in Versicherungen und Zeitungen. Im Westen blieb er trotzdem unbekannt. Bis dieser Inder kam.

Niederlage gegen Lakshmi Mittal in der Schlacht um Arcelor

Anfang 2006 wollte der indische Stahlunternehmer Lakshmi Mittal den Luxemburger Konkurrenten Arcelor  schlucken. Das Arcelor-Management wehrte sich, erspähte in Mordaschow einen möglichen Retter und bot ihm die Fusion an. Sewerstal hätte mit einem Schlag zum größten Stahlkonzern der Welt aufsteigen können. Die Aussicht elektrisierte den jungen Oligarchen geradezu, vor einheimischen Journalisten nahm er die Zukunft vorweg. Mittal aber legte nach, am Ende gewann er die Schlacht.

Die Niederlage hat Mordaschow regelrecht traumatisiert. Fragen zu seiner Schmach will er sich gar nicht erst anhören. Er könnte Trost darin suchen, dass der geplatzte Deal ihm eine hübsche Entschädigung einbrachte und Arcelor sich für Mittal als schwer verdaulich erwies. Doch Mordaschow quält, wie Kundige meinen, bis heute der Gedanke, er könne vor allem deshalb nicht zum Zug gekommen sein, weil er Russe ist.

Fortan suchte er erst recht nach prominenten Investments im Ausland - und landete ausgerechnet beim Reiseklassiker Tui  .

Ersten Avancen, mit einem Briefwechsel eingeleitet, wich Tui-Chef Michael Frenzel noch aus. Als er dann zunehmend in Nöte geriet, der Aktienkurs absackte und der berüchtigte amerikanische Gelegenheitsinvestor Guy Wyser-Pratte auch bei Tui rebellierte, ging Frenzel auf das russische Werben ein.

"You have to work harder!"

Mordaschow wurde Frenzels Retter. Verteidigte ihn gegen die giftigen Attacken des norwegischen Reeders John Fredriksen, der Wyser-Pratte nachgefolgt war und mit ungleicher Wucht die Ablösung des Tui-Chefs betrieb. Mordaschow widerstand einem Pakt mit dem Norweger; ein geheimes Treffen verlief desaströs, man trennte sich bald. Sogar eine Vertragsverlängerung bis 67 bewilligte Mordaschow Frenzel.

Bei Tui  gibt der Oligarch einen gewissenhaften Großaktionär. Fünf- bis sechsmal im Jahr lässt er sich persönlich unterrichten, meist mehrstündig. In den Aufsichtsrat hat er seine zwei besten Leute geschickt, keine Sitzung haben die beiden je geschwänzt. Bleibt nur diese eine große Frage, die keiner bei Tui schlüssig beantworten kann: Was eigentlich will der Stahl- und Rohstoffmann mit seiner Erwerbung anfangen?

Und dann ist da noch dieser Auftritt in Hamburg, der Rätsel aufgibt.

Als 2009 die große Schifffahrtskrise auch die Tui-Tochter Hapag-Lloyd erfasste, präsentierte das Management in der Hansestadt einen drastischen Sanierungsplan. Mordaschow folgte dem Vortrag scheinbar ruhig. Dann platzte er heraus: "That is not enough", polterte er mit dunkler Stimme, "you have to work harder!" Und forderte doppelt so hohe Einsparungen, bevor er mit seiner Entourage den Saal verließ.

Die Beobachter sind sich uneins. Hat Mordaschow da für einen Augenblick sein wahres Wesen gezeigt? Oder ist er nur russischen Usancen gefolgt, das Doppelte zu fordern, um wenigstens die Hälfte davon zu bekommen? Klar scheint: Er kann auch ganz anders.

Gefürchtet sind seine schlechten Tage

Mordaschow, der Kontrastreiche, bietet auch als Unternehmer ein Bild der Gegensätze.

Da beschäftigt er hoch qualifizierte, gestandene Leute, gern auch ehemalige Berater und Banker. Doch in seiner Gegenwart erstarren sie. Wenn der Chef spricht, redet keiner dazwischen. Gefürchtet sind seine schlechten Tage, an denen das sorgsam verborgene Temperament ausbricht.

Mordaschow liebt die Attitüde des Strategen. Von Moskau aus steuert er sein Imperium. Zieht Hoffnungswerte an sich, die nach Zukunft und Hightech klingen, etwa den deutschen Laserspezialisten Innolume. Doch sein ausuferndes Portfolio spricht mehr für einen Unternehmer der ersten Stunde, der alles sammelt, was sich am Wegrand findet.

Wo sein Business ans Politische stößt, lässt Mordaschow alle Westlichkeit fahren. Während hiesige Unternehmer der Regierung gern mal öffentlich einheizen, übt Mordaschow sich in perfekter Demut. "Ich bin kein Experte für Politik", entgegnet er reflexartig, wenn eine politische Frage an ihn gerichtet ist. Um bald darauf dem russischen Präsidenten oder dem Ministerpräsidenten mit deren letzten Äußerungen "vollkommen recht" zu geben. Russlands Allmächtiger, Wladimir Putin, schätzt Alexej Mordaschow sehr. Treu und vorzeigbar wie ihn wünscht er sich alle Oligarchen.

Joint Ventures mit Siemens bei Power Machines

Russisch ist wohl auch die Art zu nennen, wie Mordaschow zuweilen private Differenzen austrägt. Ein Unterhaltsstreit mit seiner ersten Frau - zugegebenermaßen kein russisches Spezifikum - eskalierte derart, dass Jelena Mordaschowa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die russische Justiz vorgehen wollte. Inzwischen ist es ruhig um den Fall geworden, ein Einvernehmen scheint geglückt. Seine zweite Scheidung erregte keinerlei Aufsehen mehr.

Sein eigentümliches Lavieren zwischen den Welten zahlt sich für ihn aus. Denn es treibt ihm Geschäfte zu, die anderen verwehrt bleiben. Wie im Fall Siemens. Der deutsche Elektroriese wollte den russischen Turbinenbauer Power Machines mehrheitlich übernehmen, um am russischen Markt aufzuholen.

Die Behörden indes mauerten, nationale Interessen sprächen dagegen. Schließlich sprang Mordaschow als Großgesellschafter ein. Siemens  musste sich mit einem 25-Prozent-Anteil begnügen, obwohl die Münchener ihre überlegene Technik einbrachten.

Vertrauen und Dienst am Vaterland

Künftig soll es anders laufen. Siemens-Chef Peter Löscher kündigte soeben an, das Aktienviertel an Mordaschow zu verkaufen und ein neues Joint Venture zu bilden, bei dem die Deutschen zwei Drittel der Anteile halten sollen - wenn die Behörden es zulassen. Mordaschows Power Machines sind für ein Drittel des Gemeinschaftswerks vorgemerkt.

Das Tui-Engagement hat sich für Mordaschow bisher nicht gerechnet - vordergründig. Die Aktie ist heute billiger zu haben. Dividenden fehlen seit Jahren. Und doch fällt etwas ab. Gemeinsam mit Tui entwickelt Mordaschow den russischen Pauschaltourismus, das geht als Dienst am Vaterland durch.

Als Großaktionär stärkt er sein westliches Netzwerk und lernt die hiesige Wirtschaftskultur genau kennen. Mordaschows Treue zum Management schließlich festigt auch seinen Ruf als verlässlicher Partner. Alles in allem ein ansehnlicher immaterieller Gewinn - das Kostbarste, wenn man Geld schon im Überfluss besitzt.

Überblick: Die Rolle der Oligarchen

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren