
Seelische Krise: Thesen dreier Wissenschaftler
Antriebslosigkeit Die müden Manager
Der "Lanserhof" in den Bergen über Innsbruck ist einer jener eleganten Rückzugsorte, die Wohlhabende ohne gravierende Leiden aus purer Freude an der Erholung aufsuchen.
Wo früher ein rustikales Tiroler Sporthotel mit Kuhfellhockern und Sauna stand, umkapseln heute lang gestreckte Kuben aus Holz, Glas und Beton eine ambitionierte Gesundheitsoase.
In weißen, blauen und grünen Behandlungszellen wird gekneippt, massiert, gecremt und entschlackt. Ärzte und Therapeuten erspüren jedes Zipperlein ihrer Gäste und applizieren auf Wunsch individualisierte Ernährungs- und Fitnessprogramme auf Handy oder iPod. Zur inneren Reinigung werden Toast und Gemüsebrühe gereicht.
Erbinnen mögen den "Lanserhof". Bundestrainer Jogi Löw war schon da, der russische Milliardär Roman Abramowitsch samt Gefolge schätzt den Service - und auch Manager kommen, angelockt vom siebentägigen "Men-Energy"-Spezial samt Herztest, Prostata-Check und Ernährungsberatung. Das hat sich Andreas Wieser ausgedacht, der in jungen Jahren Robinson-Clubs aufgebaut und den "Lanserhof" vor 26 Jahren übernommen hat.
Den modernen Hochleister, sagt Wieser, mache reines Auspowern auf der Marathonstrecke schon lange nicht mehr froh. Geistig wache Topleute wollten heute "in der eigenen Mitte sein" und ihre "Happiness-Energie" pflegen, die im hektischen, entfremdeten Business-Alltag so leicht verloren gehe.
Mag sein. Vielleicht ist es auch so, dass Wiesers Gäste einfach überhaupt mal wieder etwas spüren wollen. Sich selbst. Lebensfreude. Glück.
Der eine sucht es im Luxus-Retreat auf der Alm, ein anderer in halsbrecherischer Schussfahrt auf eisigen Skipisten, wieder andere jagen ihren Porsche durch die Haarnadelkurven des Nürburgrings.
Hauptsache: Man fühlt wieder was. Einen Kick, sei er noch so kurz.
Denn innere Zufriedenheit ist gar nicht so selbstverständlich für jene Zeitgenossen, die ihr Leben auf der Überholspur verbringen. Die hart gegen sich selbst und alle anderen ihre Aufstiegspläne durchgezogen haben, die dem beruflichen Erfolg lange Jahre alles unterordneten: Liebe, Familie, Freizeit.
Ihr Sehnsuchtsort steht ihnen klar vor Augen: ein Vorstandsposten in einem Weltkonzern, die Aufnahme in den Klub der Mächtigen. Doch kaum dort angekommen, wundert sich mancher, wie schnell Triumphgefühle verfliegen.
Alle Kontinente gesehen, alle Widersacher ausgeschaltet, Hon-Circle-Mitglied geworden, von den Untergebenen bewundert, von Medien und Anlegern hofiert - und nun? Auf der obersten Stufe der Karriereleiter beschleicht mehr und mehr Erfolgsmenschen die Ahnung, dass die "Pointe ihrer Existenz" vielleicht schon hinter ihnen liegt, wie es der Soziologe Gerhard Schulze ausdrückt. Das Resultat dieser Einsicht kann niederschmetternd sein: Orientierungslosigkeit. Müdigkeit. Antriebsschwäche.
"Der Beweis ein toller Hecht zu sein."
Darüber sprechen mag man nur hinter vorgehaltener Hand. Undenkbar, dass - während der Unternehmenstanker über die unübersichtlich wogenden Weltmärkte schlingert - der Kapitän auf der Brücke die Lust verliert. Alphatiere kennen keine Sinnkrisen. Und allzu offen zur Schau gestellter Ennui brächte die Kontrolleure auf den Plan.
Er passt auch nicht in eine Zeit, in der Erschöpfungsdepressionen sich anschicken, Volkskrankheit Nummer eins zu werden. Wo Überstundenopfer die Klinikbetten füllen, kann es da eine Riege gelangweilter und unmotivierter Topmanager geben?
Es kann. Der emotionale Kick im Job lässt sich schließlich nicht von Jahr zu Jahr steigern. Irgendwann gleichen sich die "Challenges", von denen man seinem Umfeld immer noch so begeistert erzählt. Im Geheimen klingt es dann so: "Ich mache jetzt meine fünfte Restrukturierung - das knallt einfach nicht mehr."
Wenn der Antrieb verloren geht, beginnt die Suche nach dem Notausgang. Karrierefrauen werden späte Mütter. Und die Männer? Probieren es mit Nervenkitzel und der Erfüllung alter Träume.
Die ehemalige Personalberaterin Karin Siegle-Kvarnström, die heute in Hamburg als Executive Coach arbeitet, kennt die typischen Fluchtreflexe der Arrivierten, die ihre innere Leere mit sensationellen Erlebnissen zu bemänteln suchen: Plötzlich steht ein Ferrari in der Garage, und im Winterurlaub muss es unbedingt Helicopter-Skiing in Kanada sein. "Wenn gar nichts anderes hilft, legt man sich eine Geliebte irgendwo auf der Welt zu oder lässt die eigene Firma teure Managementkurse bezahlen", erzählt Siegle-Kvarnström, "eigentlich geht es immer nur darum, sich oder anderen zu beweisen, was für ein toller Hecht man noch ist."
"Als hätte man gleichzeitig eine kleine Dosis Heroin und Kokain eingenommen"
Luxusprobleme? Nicht wirklich. Im Grunde spurten Manager nur mit größerer Konsequenz und mehr Energieeinsatz einem Ziel hinterher, das jedem Menschen hochgradig attraktiv erscheint: neue, spannende Aufgaben.
Entdeckerfreude und Gestaltungslust sind wichtige menschliche Antriebe, wissen Hirnforscher. Bei der Lösung interessanter Probleme versetzen hirneigene Botenstoffe den Denkapparat in einen Zustand, "als hätte man gleichzeitig eine kleine Dosis Heroin und Kokain eingenommen", erläutert der Neurobiologe Gerald Hüther. Zu viel Bekanntes hingegen lässt das körpereigene Belohnungssystem verkümmern. Frust und Resignation stellen sich ein.
Erobern, gestalten, gewinnen - für Leidenschaften wie diese bietet der Managerberuf eine einzigartige Arena. Wer sich jahrelang einem geistigen Sparring auf höchstem Niveau ausgesetzt hat, bildet oft eindrucksvolle Fähigkeiten heraus.
An "Hochleistungsrennpferde" fühlt sich Heino Lisker erinnert, der als Psychotherapeut in der privaten Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe Führungskräfte betreut. Da brüstet sich ein Patient, er könne in einer halbstündigen Präsentation "auf Anhieb" die zwei, drei Unschärfen entdecken, die schwitzende Untergebene im Powerpoint-Gewirr zu verstecken suchten. Andere wandeln in dem festen Glauben, dass ohne sie die Company keine Zukunft hätte. Ein solches Selbstbild verhilft ohne Zweifel zu einem Bombenselbstvertrauen und schierer Angriffslust. Allein: Aus derart schwindelnder Höhe stürzt man umso tiefer, wenn sich die immensen Erwartungen an die beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten irgendwann nicht mehr erfüllen. Weil den nächsten tollen Job ein anderer erhält. Oder die eigene Aufgabe zunehmend zur Routine wird.
Gesellt sich dann noch das Gefühl dazu, dass die eigenen Kräfte schwinden, ist die große Lebenskrise da. Typischerweise passiert das in den Jahren zwischen 35 und 45, in denen der Mensch ohnehin zum Grübeln neigt.
"Männer um die 40 suchen den Reset Button."
"Was in der geheimen Stunde des Lebensmittags geschieht ..., ist die Geburt des Todes", hat der berühmte Psychoanalytiker Carl Gustav Jung einst formuliert. Jung beschrieb, wie in der Lebensmitte die Endlichkeit seines Daseins zum ersten Mal wirklich ins Bewusstsein des Menschen rückt. Mit Blick auf den Tod beginne er, seinen bisherigen Lebensweg kritisch zu bilanzieren. Verfehlte Ziele oder hochgesteckte Erwartungen schmerzten nun stärker, da die Zeit davonzulaufen scheine.
Zur Seelenpein gesellen sich erste beunruhigende Signale des Körpers. Der Hormonhaushalt der Männer stellt sich schleichender als bei Frauen, aber doch unumkehrbar auf das Altern um. Nach dem Fußball zieht es in der Wade, das Geschrei der Kinder dringt mit einem Mal ungewohnt schrill ans Ohr, immer drängender wird das Bedürfnis, nach endlosen Meetings und strapaziösen Geschäftsreisen einfach einmal auszuruhen. "Lanserhof"-Chefärztin Monika von Hahn hört es häufig von ihren Patienten: "Um die 40 nimmt bei Männern die Lebensfreude ab."
Der natürliche Wendepunkt der Lebensmitte könnte ein guter Zeitpunkt sein, Ehrgeiz und Antriebe zu überdenken oder - wie es der Benediktinermönch Anselm Grün ausdrückt - die "Lebenskurve" anzuerkennen, die eben nicht endlos nach oben weist.
Manager tun meist das Gegenteil, sagt Jürgen Kugele, Psychoanalytiker und Coach in Berlin. Wo Stagnation droht oder es abwärts geht, werden alle Reserven mobilisiert, um den Status quo zu halten oder sogar noch einmal durchzustarten: "Dann heißt es: Jetzt oder nie. Einmal noch in die Vollen, bevor es zu spät ist."
"Die nächste Stufe brauche ich nicht, denn das bin nicht mehr ich."
Der Frankfurter Topheadhunter Heiner Thorborg hat an sich selbst erlebt, dass "Männer um die 40 den Reset Button suchen", wie er es nennt. Mit 45 kündigte er seine lukrative Anstellung bei der Personalberatung Egon Zehnder, trennte sich von seiner Frau und baute ein ganz neues Leben auf: eigene Firma, neue Ehe. Heute fühlt er mit all den frisch geschiedenen Mittvierzigern, die ihn um einen weiteren aufregenden Job beknien.
Freilich kann er nicht für jeden Wechselwilligen etwas tun. "Vielen zeige ich ihre Möglichkeiten auf und lasse sie zu dem Schluss kommen: Die neue große Chance gibt es für mich gar nicht mehr." Dies innerlich zu akzeptieren kann zu wahrer Zufriedenheit führen, stellt Thorborg mit Blick auf seine Klienten fest: "Die Leute sagen sich dann: Ich habe viel erreicht, worauf ich stolz sein darf - und die nächste Stufe brauche ich nicht, denn das bin nicht mehr ich."
In jeder Karriere komme irgendwann der Moment der "persönlichen Erdung", meint Jörg Staff, Personalleiter bei SAP. Der Konzern ermöglicht seinen Mitarbeitern, Sabbaticals zu nehmen. Nach einer Auszeit kämen die Kollegen oft mit größerer Motivation zurück, selbst wenn sie ihre bisherigen Jobs wieder aufnehmen, so Staff: "Sie schöpfen die Möglichkeiten ihrer Aufgabe intensiver aus."
Es gibt aber auch diejenigen, die frustriert abziehen, um ihr Ego andernorts zu Markte zu tragen. Weil sie felsenfest der Meinung sind, dass auf sie immer noch ein Hauptgewinn warten müsste.
Das sind meist jene Führungskräfte, die sich über der Konzentration auf die Karriere selbst verloren haben. Die durch die Regeln der Konzernwelt auf Bedeutsamkeit Konditionierten. Sie klammern sich mit enormem Kräfteverschleiß an ihre Laufbahn, selbst wenn diese sie eigentlich längst anödet.
"Das Leid wird nach außen exportiert"
Leider sei intensiver und permanenter Selbstbetrug ein riskanter Gegner, warnt ein prominenter Coach aus der Nähe von München, der mit Rücksicht auf seine Klienten seinen Namen hier nicht nennen will: "Manche Coachees, die abends noch gelassen im Fernsehen zu erleben waren, äußern in meiner Sprechstunde anderntags Suizidgedanken."
Das nahe Umfeld ahne meist schon lange etwas, weil es unter Launen und Verbitterung zu leiden habe: Da werde "Leid nach außen exportiert", Unglück an der Familie ausgelassen und die Kreativität der Mitarbeiter ausgebeutet, um die eigene Leere zu überdecken. Im schlimmsten Fall drohe dem begeisterungslos Angestrengten der totale Zusammenbruch, der Burn-out.
Derart seelisch vernarbte Erfolgsmenschen müssen ermutigt werden, sich wieder auf den Weg zu jenen inneren Bildern zu machen, die ihnen eine Ahnung davon vermitteln, was sie wirklich brauchen zu ihrem Glück. Das kann in Kliniken geschehen, aber auch im Coaching. Als der bayerische Coach einem seiner Klienten neulich sagte, dass "der einzige Moment, in dem ich ihn bisher innerlich gelöst gesehen habe", seine Schilderung eines Schwimmbadbesuchs mit seinem Sohn gewesen sei, brach der Mann in "sturzbachartige" Tränen aus.
Eine hart erkämpfte Selbsterkenntnis, aber eine heilsame. Wer erst einmal wieder spürt, dass ihm ganz andere Kraftquellen zur Verfügung stehen als nur das berufliche Prestige, gewinnt Distanz zu den Anreizsystemen der Konzernwelt. Er kann sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ihn die Karriere noch befriedigt, ob er sich weitere Schritte zutraut, eine Neuorientierung in Angriff nimmt - oder sich tatkräftig im Erreichten einrichtet.
Es sind übrigens gerade die erfolgreichsten Manager, die sich nie allein auf ihre Karriere als Glücksquelle verlassen, sondern trotz zeitraubender Jobs Hobbys und Interessen pflegen. Jürgen Großmann etwa, der RWE-Chef, ist begeisterter Besitzer eines Restaurants in Osnabrück und steht dort oft selbst am Herd.
Auch die Weitergabe von Weltkenntnis und Wissen befriedigt. Mancher Manager wendet sich - wenn, so zynisch das klingt, die Ehe noch hält - in den mittleren Jahren mit neuem Elan dem eigenen Nachwuchs zu, dessen Kindergartenjahre er verpasst hat. Die ganz Mutigen verhandeln mit ihrem Unternehmen über flexiblere Arbeitszeiten oder ein paar Urlaubstage mehr, um die Familie öfter zu sehen.
Wieder andere, darunter viele Spitzenkräfte, betätigen sich als Hochschullehrer. Aus Imagegründen, sicher. Aber eben auch, um etwas Sinnvolles zu tun und nachfolgenden Generationen etwas zu hinterlassen.
Ob Pläne wie diese auch in Managern reifen, die im "Lanserhof" bei Gemüsesuppe und Wasser die schneebedeckte Nordkette des Karwendel-Gebirges betrachten? Gut möglich. Würden sie sich sonst auf den weiten Weg ins österreichische Bergland machen, um Andreas Wieser seine Lebensphilosophie abzulauschen? Denn recht hat der Mann ja. Geld und Erfolg allein stellen nicht mehr zufrieden, wenn die Karriere in die Jahre kommt. Auf die "Happiness-Energie" kommt es an.