
Technologie Geringes Drehmoment
Die Halle ist getaucht in unscheinbares Weiß und Grau. Sie erstreckt sich in einem bescheidenen Gewerbegebiet, abgelegen in der sächsischen Kleinstadt Kamenz. In der Nachbarschaft tummeln sich eine Fensterbaufirma, ein Fahnenhersteller und ein Abfüllbetrieb von Jägermeister. In diesem Ambiente aus Handwerk und bravem Mittelstand reift, so scheint es, die Zukunft des Automobils.
Im Innern der Fabrik bewegen sich Menschen, wie Chirurgen gekleidet, mit Kittel, Haube, Überziehern und Handschuhen. Daneben rotieren allerlei Walzen in staubfreien Räumen.
Hauchdünne Folien werden hier beschichtet, mit einer Metallverbindung, Grafit oder einer speziellen Keramik. Daraus baut die Firma Li-Tec - ein Gemeinschaftsunternehmen von Daimler und dem Essener Evonik-Konzern - den Tank für eine neue Generation von Autos: die Lithium-Ionen-Batterie.
"Das ist eine wirklich große Sache", sagt Henrik Hahn, Geschäftsführer bei dem Hightech-Unternehmen. Ab 2011 wird die Fabrik im Dreischichtbetrieb jährlich 12.000 solcher Akkus für das erste Elektro-Großserienmobil made in Germany, den E-Smart, fertigen. Ein Jahr später soll er bei den Händlern zu kaufen sein.
Der 42-jährige Verfahrensingenieur hat sich selbst eine gewisse Zurückhaltung verordnet. Doch natürlich verspricht er sich ein Riesengeschäft. Die ökologische Notwendigkeit der Elektrifizierung des Autos ist unübersehbar. Kein Knattern, kein Benzingestank, keine Abgase, weniger Abhängigkeit vom Öl. Außerdem steht Li-Tec im Wettbewerb ziemlich weit vorn. Auch die übrigen knapp 20 Hersteller starten gerade erst die Massenproduktion von autotauglichen Lithium-Ionen-Akkus.
Nicht nur in Kamenz - ganze Teile der Industrie scheint eine Elektroeuphorie erfasst zu haben. Carolin Reichert, E-Mobilitäts-Beauftragte beim Energiekonzern RWE, rechnet damit, dass in zehn Jahren bis zu 2,5 Millionen Akku-Stromer über Deutschlands Straßen surren.
Auch professionelle Vordenker begeistert das E-Gefährt als Massenvehikel. Die Unternehmensberatung Bain etwa erwartet, dass 2020 die Hälfte aller neu zugelassenen Fahrzeuge reine Elektroautos sein werden. Dazu kommen sogenannte Plug-in-Hybride, die an der Steckdose aufgeladen werden. McKinsey beziffert das mögliche Umsatzvolumen für die E-Vehikel im Jahr 2020 auf 50 Milliarden Euro.
Doch Vorsicht. Die Visionen scheinen der Technik ein wenig enteilt zu sein. Einige Prognosen dürften sich als zu gewagt erweisen. Denn der technologische Kern des neuen Autos - die Batterie - ist längst noch nicht reif für das Massengeschäft.
Der Lithium-Ionen-Akku ist zwar gut für Handys und Laptops, aber als Stromspeicher im Auto nur eine Notlösung. Noch dazu eine, die ausgesprochen teuer ist, selbst wenn große Stückzahlen produziert werden. Ein Quantensprung ist ausgeschlossen, zumindest für die kommenden 20 Jahre.
Ohne kräftigen Anschub wird die Technik kaum Akzeptanz finden. Nach Meinung fast aller Experten kann die Elektrifizierung nur dann rasch in Gang kommen, wenn etwa Verkehrsemissionen per Regulierung reduziert werden.
Herausforderung Energiespeichertechnik
Auch staatliche Zuschüsse beim Kauf eines Elektrogefährts wären notwendig, wie sie zurzeit in Frankreich oder China gezahlt werden. Die USA gewähren ebenfalls Hilfen von mehreren Tausend Dollar.
Die Amerikaner denken in diesem Fall nicht nur ökologisch, sondern auch industriepolitisch. Sie wollen ihren daniederliegenden Autoherstellern und deren Zulieferern wieder internationale Geltung verschaffen (siehe Kasten links).
Aber können sich Staaten in Zeiten rigiden Sparzwangs solche Subventionen leisten? Und wenn ja, wie lange? Denn käme der Verkauf von Elektroautos tatsächlich in Schwung, würde es für die öffentlichen Haushalte richtig teuer. Bleibt das E-Auto also ein Lifestyle-Vehikel, ein cooler Zweit- oder Drittwagen für reiche Städter, ein Nischenprodukt?
Ein genereller Systemwechsel ist jedenfalls alles andere als leicht zu bewerkstelligen. Der Stromtank im Auto wirkt im Vergleich zum gewohnten Tank, der mit Benzin oder Diesel befüllt ist, wie ein kolossaler Rückschritt. Hauptmanko ist die vergleichsweise geringe Energiedichte des Lithium-Ionen-Stromspeichers. Um den Energiegehalt von 50 Litern Benzin zu ersetzen, bedarf es einer Batterie, die über eine Tonne schwer ist.
Da solche Brummer in kein herkömmliches Auto passen, sind die Elektrowagen in ihrem Aktionsradius stark eingeengt. Heutige Spitzenbatterien fürs Auto leisten etwa hundert Wattstunden pro Kilogramm Batteriegewicht. Durch Verbesserungen der chemischen Mixturen in dem Speicher könnte der Wert in den kommenden Jahren auf 150 Wattstunden pro Kilo angehoben werden. Damit würde ein Golf bei vorsichtiger Fahrweise etwa 300 Kilometer weit kommen. "Das ist aus heutiger Sicht die obere Grenze der Lithium-Ionen-Batterie-Systeme", sagt Andreas Jossen, Lehrstuhlinhaber für Elektrische Energiespeichertechnik an der TU München.
Nur mit einem Reichweitenverlängerer, einem zusätzlichen Motor, der die Batterie unterwegs auflädt, kann das E-Auto Strecke machen. So funktioniert auch der Opel Ampera (baugleich mit dem Chevy Volt), eines der ersten E-Gefährte, die auf den Markt kommen werden. Die Batterieladung reicht in der Praxis für eine Fahrt von rund 40 Kilometern. Dann erzeugt ein Benzingenerator den notwendigen Strom. Die geringe Reichweite kommt dadurch zustande, dass die Kapazität nicht komplett genutzt werden kann. Der Grund: Bei vollständiger Entladung würde der Stromspeicher zu schnell altern.
Mit Herausforderungen wie beim Ampera haben die Batteriebauer stets zu kämpfen. Denn Energiedichte, Lebensspanne, Sicherheit und Leistung des Akkus stehen in Wechselwirkung. Ein Mehr bei der einen Größe geht zulasten einer anderen. Deshalb vermitteln Erfolgsmeldungen mitunter ein falsches Bild.
So ist es Forschern am US-amerikanischen MIT zwar unlängst gelungen, eine Autobatterie binnen einer Minute zu laden. Das ist Weltrekord. Allerdings hält das Material die Turboprozedur auch nur ein einziges Mal durch.
Batterieentwicklung ist ein mühseliges Optimierungsspiel. "Das Ziel ist, 130 bis 150 Kilometer Reichweite, 8 bis 10 Jahre Lebensdauer, Ladezeit unter 3 Stunden hinzukriegen", sagt Christian Malorny, Autoexperte bei McKinsey. "Und heiß laufen soll der Akku natürlich auch nicht."
Mehr ist auf absehbare Zeit nicht drin. "Die Elektrochemie ist in der Entwicklung sehr langsam. Bei Stromspeichern dauert es etwa zehn Jahre, bis eine neue Technologie marktreif ist", erklärt Forscher Jossen.
"Zero emission will not come for free"
Mit einer neuartigen Superbatterie ist erst in zwei Jahrzehnten zu rechnen. Eine Lithium-Luft-Batterie könnte das sein. Die verspricht geringeres Gewicht und eine zehnmal höhere Energiedichte. Forscher des US-Konzerns IBM erhoffen sich, dass der Stromtank dann für eine Fahrtstrecke von 800 Kilometern reicht.
Vorläufig allerdings konzentrieren sich die Batterieexperten wie Li-Tec-Mann Hahn darauf, die gigantischen Produktionskosten der Lithium-Ionen-Batterie in den Griff zu bekommen.
Derzeit kostet die Kilowattstunde einer Qualitätsbatterie zwischen 500 und 800 Euro. Folglich würde der Stromspeicher für einen Golf mit einer Leistung von 23 Kilowattstunden - das ermöglicht eine Reichweite von 150 Kilometern - mit 11.000 bis 18.000 Euro zu Buche schlagen. Gegenüber einem Standard-Golf wäre die E-Variante also fast doppelt so teurer.
Selbst wenn es der Industrie gelingen sollte, die Preise auf etwa 150 Euro pro Kilowattstunde zu senken, käme die Batterie für einen Smart immer noch auf rund 4000 Euro. Entsprechend würde sich der Preis des Autos erhöhen. "Zero emission will not come for free", sagt Thomas Weber, Entwicklungsvorstand bei Daimler.
Angesichts dieser Aufschläge halten sich einige große Autohersteller beim Thema E-Mobilität noch zurück. VW , die weltweite Nummer zwei im Autobau, erwartet für 2020 lediglich einen Marktanteil der Stromer von 1 bis 2 Prozent. Das wären weltweit 750.000 bis 1,5 Millionen Autos. Die Nummer eins, Toyota, sieht es kaum anders.
Ein wenig mehr elektrisiert ist Thomas Weber. "Wenn wir heute nicht mit dem Umstieg anfangen, haben wir morgen nicht die Technik, die wir brauchen." Der Daimler-Mann spürt den Druck der Europäischen Union. Bis 2020 müssen die Autohersteller den durchschnittlichen Ausstoß des Treibhausgases CO2 bei ihren Flotten auf 95 Gramm begrenzen. Und die Mercedes-Flotte ist nun mal mit besonders schweren Wagen bestückt, die entsprechend viel ausstoßen.
Deshalb hat sich Daimler bereits 2008 an der Evonik-Gründung Li-Tec beteiligt. Deshalb kommt der E-Smart ein Jahr vor Konkurrenzprodukten aus Wolfsburg oder München.
Der wirkliche Treiber in Sachen E-Mobilität sitzt allerdings nicht in Stuttgart, sondern in Paris und heißt Carlos Ghosn. Der Chef von Renault und Nissan will den Verbrennungsmotor vergessen machen. Denn der Konzern kann in der Motorenentwicklung und bei den Kosten etwa mit den deutschen Herstellern schon längere Zeit nicht mehr mithalten.
Noch in diesem Jahr kommt der Nissan Leaf, ein Plug-in-Hybrid im Kompaktklasseformat, auf den Markt. Reichweite: 160 Kilometer. In den USA ist er nach Abzug von 7500 Dollar Steuerrabatt für nur 25.280 Dollar zu haben. Der Bundesstaat Kalifornien gewährt weitere 5000 Dollar.
Ghosns aggressives Vorpreschen schockt die Branche. Die Leasingrate für den Leaf beträgt 349 Dollar pro Monat. Zum Vergleich: Mercedes setzt beim viel kleineren E-Smart 700 Euro an - und selbst diese Summe soll nicht kostendeckend sein.
Daimler-Mann Weber propagiert deshalb ein "intelligentes Modell, bei dem sich Autohersteller, Staat und Kunden die Zusatzkosten teilen".
Helfen könnte den Konzernen allerdings auch das zähe Überleben des Verbrennungsmotors, von dem etliche Experten ausgehen. So wagt etwa VW-Chefentwickler Ulrich Hackenberg eine elektrisch unkorrekte Vorhersage: "Auch im Jahr 2030 wird man nicht mit einem reinen Batteriefahrzeug in den Urlaub nach Italien fahren."