
SAP "Eine Form von Stolz"
mm: Herr McDermott, Herr Snabe, Sie sind das einzige Duo an der Spitze eines großen deutschen Unternehmens. Reicht ein Vorstandschef nicht aus, um die Probleme von SAP zu lösen?
McDermott: Zwei Chefs sind besser als einer. Jim und ich arbeiten nun schon seit acht Jahren zusammen. Wir vertrauen einander und ergänzen uns in unseren Fähigkeiten - ich als Vertriebsmann, er als Entwickler.
mm: Und wie lösen Sie die Interessenkonflikte, die zwangsläufig auftreten, wenn ein Entwickler und ein Vertriebler aufeinandertreffen?
Snabe: Der Vorteil der Doppelspitze besteht doch gerade darin, dass wir nicht immer einer Meinung sind. Wir betrachten Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln, treffen dadurch bessere Entscheidungen und können diese gemeinsam viel schneller umsetzen. Wir haben in den ersten 150 Tagen unserer Amtszeit bewiesen, dass das funktioniert; und das werden wir weiter tun.
mm: Anfang des Jahres war die Stimmung bei SAP noch denkbar schlecht. Nach einer internen Befragung hatte nicht einmal mehr die Hälfte der Belegschaft Vertrauen in die Führung. Ihr Vorgänger Léo Apotheker musste nicht zuletzt deshalb gehen. Wie ist die Situation heute?
Snabe: Die Umfrage vom letzten Oktober hat gezeigt, dass unseren Mitarbeitern Orientierung fehlte. Doch inzwischen hat sich die Stimmung wesentlich gebessert. Seit unserem Amtsantritt im Februar haben Bill und ich für Klarheit in der Strategie gesorgt. Sie besteht aus vier einfachen Elementen: Stärkung des Kerngeschäfts mit stationärer Software, Wachstum in den neuen Feldern Internetsoftware und mobile Anwendungen sowie die logische Verbindung dieser drei Säulen.
mm: Ganz neu kommt uns die Strategie nicht vor - im Gegenteil.
Snabe: Natürlich gab es all diese Elemente schon vorher, aber wir haben sie jetzt so klar formuliert, dass jeder Mitarbeiter sich damit identifiziert und weiß, wo es langgeht ...
McDermott: ... und darauf kommt es an. So bringen wir den Kampfgeist zurück in die Organisation. Jim und ich haben die Arbeitsweise des Unternehmens vereinfacht und Mitarbeitern mehr Entscheidungsfreiheit gegeben. Beispielsweise arbeiten unsere Entwickler jetzt in kleineren Teams mit größerer Verantwortung für das Produkt, und zwar direkt beim Kunden. Es motiviert die Mitarbeiter, wenn sie mehr Einfluss bekommen. Wir CEOs müssen nicht unbedingt alle Entscheidungen selbst treffen.
"Happy wie Apple"
mm: Braucht ein Konzern mit zunehmender Größe nicht auch mehr Kontrolle?
Snabe: Nein. Kontrolle braucht nur, wer keine eindeutige Strategie hat. Wer hingegen klare Ziele verfolgt, kann den Mitarbeitern an der Front mehr Entscheidungsgewalt geben. Nur so ist es möglich, trotz Größe nicht an Geschwindigkeit zu verlieren.
mm: SAP erinnert uns in manchem an forschungsschwache Riesen aus der Pharmaindustrie. Trotz hoher Gewinne und Tausender Entwickler bringen Sie seit Jahren keine bahnbrechenden Neuheiten auf den Markt. Woran liegt das?
Snabe: Je größer man wird, desto schwieriger wird es, durchschlagende Neuheiten zu entwickeln. Für SAP ist es besonders kompliziert, weil wir unseren Kunden nicht jedes Jahr ein neues Produkt präsentieren dürfen. Denn das würde ihre Betriebsabläufe stören. Darüber hinaus sind wir zu bürokratisch geworden. Wir haben versucht, alles zu kontrollieren, statt unseren Leuten zu vertrauen.
mm: SAP-Mitgründer und Aufsichtsratschef Hasso Plattner forderte, das Unternehmen müsse "so happy wie Apple" werden. Ist der Hersteller des iPhones und des iPads Ihr großes Vorbild?
McDermott: Wir sind unser eigenes Vorbild, und wir wollen Vorbild für andere sein. Happy zu sein bedeutet für uns, sehr ehrgeizig in die Zukunft zu blicken. Jeder einzelne unserer 48.000 Mitarbeiter soll zu Recht das Gefühl haben, zu den Siegern zu zählen und Teil unserer gemeinsamen Mission zu sein, jedes Unternehmen zu einem "best run business" zu machen. Eine solche Form von Stolz kann man nicht von Apple oder Google kopieren. SAP hat seine eigene Identität.
mm: Apples Stärke basiert vor allem auf einer charismatischen und mächtigen Leitfigur: Mitgründer und Chef Steve Jobs. Kann Hasso Plattner Jobs das Wasser reichen?
Snabe: Als CEO von Apple, der die operative Verantwortung für das Unternehmen trägt, ist Steve Jobs eher mit Bill und mir vergleichbar. Jobs begreift sich nicht nur als Visionär, sondern auch als tatkräftiger Manager. Das entspricht auch unserem Führungsverständnis: Wir packen selbst mit an. Wir selbst treffen Kunden, arbeiten mit den Entwicklerteams, testen Software. Wir wollen keine Powerpoint-Vorstandschefs sein, die ihre Hauptaufgabe im repräsentativen Bereich sehen. Wenn wir uns selbst engagieren, erkennen Mitarbeiter und Kunden, dass wir es ernst meinen.
McDermott: Jim und ich führen das Unternehmen - ganz klar. Wenn es um technologische Visionen geht, gibt es keinen Besseren als Hasso Plattner. Intelligente CEOs lernen von den Besten und versuchen, die Dinge weiter zu verbessern. Wir nutzen die Visionen und Technologieexpertise von Hasso Plattner und setzen das zum Vorteil von SAP um.
"Eine Milliarde SAP-Nutzer im Jahr 2015"
mm: Sie haben verkündet, künftig eine Milliarde Menschen mit SAP-Anwendungen erreichen zu wollen - statt bisher 35 Millionen. Das klingt für uns nach Hokuspokus.
Snabe: Dazu brauchen wir keine Zauberei. Sehen Sie: Die aktuelle Nutzerzahl von 35 Millionen bezieht sich auf SAP-Kunden, die hochkomplexe Software verwenden. Künftig werden wir aber auch verstärkt Applikationen für mobile Endgeräte wie das iPad anbieten. Schon heute sind rund 4,6 Milliarden mobile Endgeräte im Markt, die etwa zu einem Viertel von Geschäftsleuten genutzt werden. Das bedeutet ein gewaltiges Potenzial für uns, weil diese Klientel auch von unterwegs auf Unternehmensdaten zugreifen will.
mm: Bis wann wollen Sie die Milliardenhürde übersprungen haben?
McDermott: Dazu müssen wir erst einmal die geplante Akquisition des IT-Unternehmens Sybase abschließen, das auf mobile Lösungen spezialisiert ist. Außerdem steht uns Ende Juli noch der Start der Markteinführung der Mittelstandssoftware Business by Design bevor ...
mm: ... die ursprünglich schon für 2008 geplant war. Wegen technischer Probleme musste der Produktstart jedoch mehrfach verschoben werden.
McDermott: Wenn das alles geschafft ist, können wir uns darauf konzentrieren, unseren Nutzerstamm auszuweiten. Unser ambitioniertes Ziel ist es, eine Milliarde SAP-Nutzer im Jahr 2015 zu erreichen.
mm: Mag sein, dass künftig eine Milliarde Menschen mobil Filme anschauen oder Magazine lesen. Aber meinen Sie im Ernst, dass SAP-Zahlen aus Vertrieb oder Buchhaltung genauso begehrt sein werden?
McDermott: Alle 18 Monate wird das weltweite Datenvolumen verdoppelt. Die PC von morgen sind smarte mobile Endgeräte. Business-Konsumenten wollen heute auch unterwegs und in Echtzeit erfahren, was in ihrem Unternehmen passiert. Hinzu kommt, dass Topmanager rund um den Globus ihre Vorstandssitzungen zunehmend virtuell abhalten wollen, um Zeit und Reisekosten zu sparen. Diese Trends steigern die Nachfrage nach unseren mobilen Anwendungen ganz automatisch.
mm: Steigende Kundenzahlen bedeuten nicht, dass die Umsätze proportional zunehmen. Eine Softwarelizenz für ein mobiles Gerät dürfte kaum mehr als ein paar lausige Cents einbringen.
Snabe: Das ist eine Frage der Reichweite. Apple beispielsweise verkauft viele seiner Apps, ob sie nützlich sind oder nicht, für 79 Cent. Damit erzielt das Unternehmen inzwischen einen Milliardenumsatz. Unser Modell sieht vor, dass wir sowohl sehr günstige einfache Applikationen anbieten werden, aber auch anspruchsvolle Anwendungen zu einem höheren Preis. Zugleich setzen wir auf den Multiplikatoreffekt: Wir erreichen mit mobilen Anwendungen einen viel größeren Nutzerstamm. So können wir auch viele potenzielle Neukunden gewinnen und sie vom Mehrwert überzeugen, den SAP ihnen bietet.
"Umsätze in Brasilien, Russland, Indien und China verdoppelt"
mm: Zum Beispiel?
Snabe: Vorstellbar wäre eine Anwendung für die individuelle Kontrolle des Stromverbrauchs. Eine solche Anwendung würden wir preiswert oder sogar kostenlos anbieten - und damit den Stromanbietern und vor allem ihren Endkunden die Vorteile von SAP-Software näherbringen.
mm: Wird SAP alle Anwendungen selbst entwickeln?
Snabe: Nein, sicher nicht. Wir planen eine offene Plattform. Darauf sollen sowohl selbst entwickelte als auch extern zugelieferte Softwareprodukte angeboten werden.
mm: Sie kopieren also den Apple-Ansatz?
Snabe: Nein, das ist auch ein SAP-Ansatz. Wir haben schon immer auf ein offenes System gesetzt. SAP wird eine stabile Infrastruktur aufbauen, auf deren Basis auch Entwickler unabhängig ihre Applikationen anbieten können.
McDermott: Und die User in Schwellenländern, die häufig niemals mit einem klassischen PC gearbeitet haben, werden die Vorreiter der globalen Bewegung hin zu mobilen Geräten sein. Im ersten Quartal haben wir unsere Umsätze in Brasilien, Russland, Indien und China verdoppelt. In China werden Unternehmensdaten schon jetzt häufig nicht mehr auf klassischen Computern verarbeitet: 57 Prozent der Business-Nutzer dort setzen inzwischen ausschließlich auf mobile Geräte. Die geplante Akquisition von Sybase wird uns dabei helfen, den Markt für mobile Applikationen sehr schnell zu erobern.
mm: Der Sybase-Kauf für 4,6 Milliarden Euro markiert die zweitteuerste Übernahme der SAP-Geschichte. Verabschieden Sie sich jetzt von der alten SAP-Philosophie, überwiegend organisch zu wachsen?
Snabe: Nein, ganz im Gegenteil. Wir sind weiterhin überzeugt, dass ein großer Teil unseres Wachstums durch eigene Innovationen generiert werden muss. Wenn wir zukaufen, dann tun wir dies, um Neuentwicklungen zu beschleunigen. Wir kaufen uns nicht künstlich Marktanteile, wie manche unserer Wettbewerber dies tun.
"Wir wollen niemanden entlassen"
mm: Sie sprechen von Ihrem Erzrivalen Oracle, der in den vergangenen Jahren weit mehr als 40 Milliarden Dollar für Übernahmen ausgegeben hat.
McDermott: Bislang haben wir uns hier so nett unterhalten, bitte verderben Sie uns jetzt nicht die Laune (lacht). Es geht uns nicht darum, Altgeschäft zu konsolidieren. Sybase ist für SAP eine perfekte strategische Ergänzung zu unseren Zukunftsbereichen. Überschneidungen mit unserem bestehenden Geschäft gibt es kaum.
mm: Kostensynergien spielen also keine Rolle?
Snabe: Wer nur zukauft, um an Größe und Marktmacht zu gewinnen, entlässt anschließend in der Regel massenweise Mitarbeiter. Unsere Wachstumsphilosophie ist anders. Wir wollen mit Sybase gemeinsam Innovationen entwickeln und unseren Kunden mehr Wahlmöglichkeiten und damit Mehrwert bieten. Und wir wollen niemanden entlassen.
McDermott: Als Oracle vor einiger Zeit Sun Microsystems übernommen hat, kalkulierte das Unternehmen mit Restrukturierungskosten von 300 Millionen Dollar. Diese sind inzwischen auf fast eine Milliarde angestiegen. Das passiert, wenn man nur zukauft, um Mitarbeiter zu feuern und die Gewinnmarge zu steigern. SAP hingegen wird Sybase als unabhängige Einheit weiter führen. So bleibt auch der kreative Geist des Unternehmens erhalten.
mm: Hasso Plattner will unbedingt verhindern, dass SAP eines Tages selbst übernommen wird. Dabei könnte ein Verkauf an einen größeren Konkurrenten den Wert für SAP-Aktionäre erheblich steigern. Schließlich stagniert der Börsenwert seit 2004. Soll SAP um jeden Preis unabhängig bleiben?
McDermott: Nur als unabhängige SAP können wir unseren Kunden garantieren, dass sie von unseren Entwicklungen profitieren und von denen unserer Partner. Wir sind fest davon überzeugt, den Shareholder-Value aus eigener Kraft steigern zu können. Jim und ich stehen für dieses Modell.
mm: Doppelspitzen gelten in der Regel nur als Übergangslösung. Wer von Ihnen beiden wird später zum alleinigen SAP-Chef gekürt werden?
Snabe: In den vergangenen vier Monaten habe ich gelernt, dass die Doppelspitze das bessere Modell ist. Zusammen arbeiten macht einfach mehr Spaß. Ich bin mit Bill erfolgreicher als ohne ihn.
McDermott: An der Zusammenarbeit mit Jim schätze ich, dass er mir nicht das erzählt, was ich hören will, sondern das, was ich hören muss. Als ich neulich ein paar deutsche Sätze einstudiert habe, um mich den Aktionären vorzustellen, behauptete jeder: Respekt, Bill, dein Deutsch ist aber wirklich gut! Nur Jim sagte mir die Wahrheit: Das klingt noch schrecklich (beide lachen). Wir sind zusammen in die SAP-Führung gekommen, und ich würde mich nicht gut fühlen, wenn wir den Weg nicht gemeinsam bis zum Schluss gingen.