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Investmentbanken: Wie die Topbanker ihre Gewinne hebeln

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Investmentbanken Die Unbelehrbaren

Trotz Finanzkrise und Euro-Malaise zocken die Geldhäuser ungeniert weiter. Der US-Kongress hat unterdessen die umfassendste Finanzreform seit der Großen Depression erlassen. Doch können strengere Regeln die Topbanker bremsen?
Von Ulric Papendick

Der beleibte Herr, der diesen Sommerabend mit Geschäftspartnern in einem Edelrestaurant der französischen Künstlerenklave Saint-Paul de Vence verbrachte, war bester Laune. Soeben hatte Dirk Röthig (43) das hervorragende Abendessen mit dem dritten Nachtisch gekrönt. Jetzt bekam er Lust auf eine ordentliche Havanna.

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Die Gastgeber, hochrangige Manager namhafter , ließen ihren Geschäftsfreund gern gewähren. Termine wie dieses ausgedehnte Treffen an der Côte d'Azur waren für sie Routine. Und Röthig war nicht irgendwer. Für die Vertriebsprofis internationaler Investmentbanken war der sinnenfreudige Banker, zumindest invor einigen Jahren, einer der gefragtesten Gesprächspartner. Das lag weniger an seinem geselligen Naturell als an seinem Job: Dirk Röthig war bis Januar 2006 Chefeinkäufer für strukturierte Finanzprodukte bei der IKB Deutsche Industriebank .

Das kleine Geldhaus aus Düsseldorf, offiziell dem deutschen Mittelstand verpflichtet, hatte sich über die Jahre zu einem der größten Investoren für sogenannte Collateralized Debt Obligations (CDOs) entwickelt. Dafür stand, neben dem damaligen Bankchef Stefan Ortseifen (60), vor allem ein Mann: Dirk Röthig. Die IKB sei zu sehr abhängig von der deutschen Wirtschaft, sie müsse "diversifizieren", tönte er in Fachblättern.

Für Investmenthäuser wie Goldman Sachs , Merrill Lynch , Deutsche Bank  oder UBS  war die IKB ein echter Glücksfall. Denn sie investierte nicht nur große Summen in die CDOs, hochkomplexe Finanzprodukte, die Tausende einzelner Kredite bündelten, meist aus den USA. Die Düsseldorfer kauften auch gern die besonders riskanten Konstrukte, die den Herstellern die höchsten Profite einbrachten.

Eines davon war ein von der New Yorker Investmentbank Goldman Sachs konzipiertes "synthetisches" CDO namens "Abacus-2007 ACI", im Prinzip eine Wette auf die Wertentwicklung am amerikanischen Immobilienmarkt. Die IKB-Manager kauften, wie meistens, die sogenannte Mezzanine-Tranche, die besonders satte Renditen versprach.

Es gab bei dem Deal allerdings noch einen anderen Investor. Einen schlanken, dunkelhaarigen Mann mit durchdringendem Blick. Dieser Hedgefondsmanager, John Paulson (54), setzte nicht wie die fidelen Düsseldorfer darauf, dass die seit Jahren steigenden Preise am amerikanischen Häusermarkt weiter in die Höhe klettern würden.

Paulson rechnete damit, dass die IKB mit ihren Investments Schiffbruch erleiden würde. Dass der US-Immobilienmarkt einbrechen würde. Und er stand mit dieser Erwartung nicht allein. Auch manche Investmentbank sah zu dieser Zeit, im Frühjahr 2007, schon seit Längerem ein Ende des Häuserbooms voraus. Eben jene Gastgeber, die ihre Klienten mit teuren Weinen und dicken Zigarren verwöhnten, stellten sich deshalb mit der eigenen Anlagestrategie irgendwann gegen die Kunden.

Und anders als den IKB-Oberen war den Kapitalmarktprofis sonnenklar, dass dieses Geschäft ein Nullsummenspiel war. Dass am Ende einer die Wette gewinnen würde - und der andere bezahlen musste. Genau das passierte auch: Die IKB brach im Sommer 2007 de facto zusammen. Paulson verdiente im gleichen Jahr fast 4 Milliarden Dollar. Goldman Sachs 12 Milliarden Dollar. Die Deutsche Bank immerhin 6,5 Milliarden Euro.

Großbanken agieren wie riesige Hedgefonds

Die aktuelle Fehde der amerikanischen Finanzaufsicht mit Goldman Sachs wirft ein Schlaglicht auf die Praktiken einer Branche, in der Moral und Ethik schon vor Langem verloren gegangen sind. Der Zunft der Investmentbanken geht Gewinnmaximierung offenbar über alles - wie, ist nahezu egal.

Die entfesselte Profitgier grassierte in der Finanzwelt wie eine Epidemie. Selbst große Geschäftsbanken wie der New Yorker Finanzkonzern J. P. Morgan Chase, die Schweizer Credit Suisse  oder auch die Deutsche Bank agieren mittlerweile wie riesige Hedgefonds. Sie ziehen den überwiegenden Teil ihres Gewinns aus Kapitalmarkttransaktionen. Sie nutzen den Überblick über die großen Geldströme, den ihre Funktion als Handelshäuser ihnen ermöglicht, um ihre Profite zu hebeln. Dass einzelne Kunden dabei zu Schaden kommen können, ist bei so einem Geschäftsmodell kaum zu vermeiden.

Die schlimmste Finanzkrise der vergangenen Jahrzehnte hat an dem aggressiven Geschäftsgebaren wenig geändert. Spätestens seit klar war, dass die Regierungen der westlichen Industriemächte ihre Geldhäuser nicht untergehen lassen, spekulieren die Kapitalmarktprofis in den Banken ungeniert auf die Hilfszusage des Steuerzahlers. Selbst wenn, wie im Fall Griechenlands, ganze Staaten ins Wanken geraten, wetten die Investmentbanker nicht selten darauf, dass die internationale Gemeinschaft am Ende einspringen und ihre Gewinne sichern wird.

Vor allem die amerikanischen Behörden, das ist seit der Klage gegen Goldman Sachs offenkundig, haben diesem System den Kampf angesagt. New Yorker Staatsanwälte ermitteln bereits gegen weitere Geldhäuser, darunter auch die Deutsche Bank. Die Fahnder prüfen, ob die Institute Ratingagenturen mit falschen Informationen dazu verleitet haben, toxische Kreditbündel zu positiv zu bewerten. Regierungsberater Paul Volcker (82), einst Chef der US-Notenbank, will große Finanzkonzerne sogar zerschlagen.

Tatsächlich ließe sich die Finanzbranche durch eine Kombination einiger relativ einfacher Maßnahmen wirkungsvoll domestizieren. Doch die Banker wehren sich nach Kräften. Ob sich die Politik tatsächlich durchsetzen kann, ist ungewiss.

Dabei zeigt die Goldman-Klage der US-Börsenaufsicht SEC überdeutlich, mit welch fragwürdigen Methoden die Investmentbanker bisweilen operieren. Man sollte sich, schrieb der Goldman-Händler Fabrice Tourre (31) Ende 2006 in einer internen E-Mail an einen Kollegen, doch bitte weniger auf Hedgefonds als Kunden konzentrieren. Die seien schließlich "meist auf der gleichen Seite wie wir, wissen, wie die Dinge laufen, und lassen uns nicht für zu viel Geld arbeiten". Viel bessere Geschäfte ließen sich mit Investoren machen, die sich auf Ratings verlassen und die Papiere einfach kaufen und halten.

Smarte Investmentprofis gegen bornierte Provinzbanker lautete das Spiel, und die großen Geldhäuser verdienten prächtig daran. Goldman Sachs gar nicht mal an erster Stelle: 2006 und 2007, kurz vor dem Platzen der US-Immobilienblase, waren die größten Verkäufer riskanter Kreditbündel die US-Konzerne Citigroup  und Merrill Lynch - und die Deutsche Bank. "Diese drei waren dafür bekannt, besonders aggressiv vorzugehen", sagt ein früherer Bankvorstand.

So entwickelte etwa die Deutsche Bank unter tatkräftiger Mithilfe des Hedgefondsgurus John Paulson eine Reihe von CDOs, die sie unter anderem der IKB verkaufte. Auch mit dem in der Finanzszene berüchtigten Chicagoer Hedgefonds Magnetar, der ebenfalls auf einen Absturz der Immobilienpreise wettete, entwickelte der deutsche Branchenprimus mehrere komplexe Finanzprodukte.

Anleihen zum Discountpreis

Die Deutsche Bank, raunen New Yorker Hedgefondsmanager, habe indes nicht nur anderen Finanzakrobaten dabei geholfen, am Absturz des Immobilienmarktes zu verdienen. Das Geldhaus habe auch auf eigene Rechnung spekuliert. Vor allem Greg Lippmann (41), ein früherer Tophändler der Bank in New York, habe ständig nach Möglichkeiten gesucht, gegen andere Marktteilnehmer zu wetten, sagt ein auf strukturierte Kredite spezialisierter Anlageprofi heute.

Einer von Lippmanns damaligen Vorgesetzten, der Londoner Deutsche-Bank-Manager Rajeev Misra (48), leitete sogar einen hauseigenen Hedgefonds, mit dem die Bank unter anderem auf einen Wertverfall am Häusermarkt spekulierte. Das Finanzvehikel soll auch mit Magnetar zusammengearbeitet haben.

Auch die Schweizer UBS und die US-Großbanken J. P. Morgan und Merrill Lynch waren regelmäßige Partner der Hedgefonds - und versorgten zugleich die IKB und diverse deutsche Landesbanken mit Kreditpaketen. Große Sorgen über mögliche Interessenkonflikte machte sich offenbar keines dieser Häuser - allzu leicht fiel es ihnen, im boomenden Markt mit den strukturierten Papieren Traumrenditen einzufahren.

Welche Methoden die Investmentbanker dabei anwandten, zeigt ein Rechtsstreit zwischen der HSH Nordbank und der Züricher UBS aus dem Jahr 2008. Demnach verkauften die Schweizer Geldmanager den Landesbankern zunächst 2002 ein vermeintlich "konservatives" CDO-Vehikel, um es dann kurz vor Ausbruch der Finanzkrise im Frühjahr 2007 mit absturzgefährdeten Kreditpapieren zu bestücken. So argwöhnte zumindest die HSH in ihrer Klageschrift. Die UBS weist die Vorwürfe zurück.

Geholfen hat das dreiste Vorgehen den meisten Investmentbanken nicht - die durch den Niedergang des amerikanischen Immobilienmarktes ausgelöste Vertrauenskrise an den Kapitalmärkten riss sie ebenfalls mit. Gelernt haben die Finanzprofis daraus allerdings wenig. Im Gegenteil: Sie zocken weiter wie gehabt.

Egal ob Deutsche Bank , UBS , Barclays  oder Credit Suisse : Nahezu alle Geldhäuser, die in den vergangenen Monaten wieder mit stattlichen Gewinnen glänzen konnten, setzen weiter auf das Kapitalmarktgeschäft (siehe Grafik links unten).

Längst haben sie eine neue Masche entdeckt, um ihre Gewinne zu hebeln. Sie besorgen sich en masse billiges Geld bei den Notenbanken und wetten darauf, dass die Regierungen kein "systemrelevantes" Finanzinstitut untergehen lassen - und schon gar nicht einen ganzen Staat wie Griechenland. Das vom Steuerzahler alimentierte Geschäft sorgt bereits wieder für Traumrenditen - und für satte Boni der Topinvestmentbanker.

Der Mechanismus ist simpel: Die Banken kaufen Anleihen angeschlagener Finanzkonzerne oder auch Staaten zum Discountpreis auf. Diese Papiere reichen sie bei den Notenbanken als Sicherheit ein und erhalten im Gegenzug günstige Liquidität. Dann legen sie die Schuldscheine in ihrer Bilanz als "held to maturity" (halten bis zur Fälligkeit) ab und verbuchen Jahr für Jahr Buchgewinne, indem sie den Wert der Anleihen kontinuierlich hochschreiben.

Die Gewinner der Euro-Krise

Schließlich erhalten die Gläubiger am Ende der Laufzeit den vollen Wert der Papiere zurück - solange die Schuldner nicht ausfallen. Dafür sorgen im Zweifel die Steuerzahler, im Fall der vom Untergang bedrohten Banken ebenso wie bei der Rettung verschuldeter Regierungen. Nicht wenige Investmentbanken, berichten Insider, hätten deshalb in großem Stil Anleihen angeschlagener Geldhäuser und Krisenstaaten eingesammelt. Andere Häuser wetteten eher darauf, dass die Euro-Zone am Ende doch auseinanderbricht.

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Zweistellige Zuwachsraten: 20 deutsche Topverdiener

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Auch die Deutsche Bank, vermuten Investmentprofis, dürfte ihr Handelsergebnis mit ähnlichen Taktiken aufgepeppt haben. Dafür spricht, dass sich Bankchef Josef Ackermann (62) genötigt sah, die Hellenen aktiv zu unterstützen. Der Deutsche-Bank-Primus forderte die Vorstandschefs anderer großer deutscher Konzerne sogar per Telefonrundruf auf, sich ebenfalls an einer Rettungsaktion für Griechenland zu beteiligen. Allzu groß war die Resonanz offenbar nicht - so mancher Konzernchef verdächtigt die Deutschbanker, an der Krise der europäischen Staatengemeinschaft kräftig mitverdient zu haben.

Schließlich fuhr das größte deutsche Geldinstitut seinen beachtlichen Vorsteuergewinn von 2,8 Milliarden Euro im ersten Quartal 2010 nahezu ausschließlich im Investmentbanking ein.

Ähnlich sieht die Gewinnrechnung anderer Großbanken aus. Die UBS etwa, die infolge der Finanzkrise selbst von der Schweizer Regierung gestützt werden musste, verdiente in den ersten Monaten dieses Jahres bereits wieder mehr als zwei Milliarden Franken - nicht zuletzt dank des florierenden Handels mit Anleihen, Währungen und Rohstoffen.

Konzernchef Oswald Grübel (66) setzt voll auf eine Renaissance des Kapitalmarktgeschäfts. Dazu hat er gleich mehrere Tophändler in Stellung gebracht, die früher bei der Konkurrenz das Geschäft mit strukturierten Krediten vorantrieben: Carsten Kengeter (43) von Goldman Sachs, Rajeev Misra von der Deutschen Bank und Dimitrios Psyllidis (43) von Merrill Lynch. "Die UBS", staunt ein Branchenkenner, "wird zum Sammelbecken der früheren CDO-Päpste."

Haben Politik und Aufsichtsbehörden überhaupt eine Chance, dem dreisten Treiben der Investmentbanken wirksam Einhalt zu gebieten? Die Antwort lautet: Doch, wenn sie es wirklich wollen.

Wie man die Akteure an den Finanzmärkten bändigen könnte

Drei Ansatzpunkte sehen Experten, um die entfesselten Akteure an den Finanzmärkten zu bändigen:

  • Das Kapitalmarktgeschäft, vor allem jenes auf eigene Rechnung, muss wieder vom normalen Bankgewerbe getrennt werden. In den USA war das lange der Fall, erst Ende der 90er Jahre wurde der sogenannte Glass Steagall Act, der die Trennung vorschrieb, aufgehoben. In einem derart zweigeteilten System wären nur noch die Geschäftsbanken vom Staat geschützt; die Pleite eines Handelshauses hingegen würde niemand verhindern. Den Risikoappetit der Investmentbanken sollte dies erheblich dämpfen.
  • Der Handel mit Kreditderivaten (Credit Default Swaps) muss wieder auf seinen eigentlichen Zweck reduziert werden: Risiken abzusichern. Händler sollten ihre Derivatepositionen mit deutlich mehr Eigenkapital unterlegen müssen - das würde die Spekulation eindämmen.
  • Der sogenannte Leverage, der Einsatz von Fremdkapital zum Hebeln großer Handelspositionen, muss limitiert werden. In den USA lag der maximal mögliche Fremdkapitaleinsatz bis 2004 beim 12-Fachen des eingesetzten Eigenkapitals. Als die staatlich verordnete Grenze fiel, erhöhte sich die Schuldenquote der Investmentbanken sofort dramatisch.

Würden diese Grundregeln beherzigt, wäre ein Großteil der Risiken aus dem Finanzsystem verbannt. Die Folgen für die Geldbranche wären allerdings erheblich. Vor allem die Profitabilität der großen Geschäftsbanken würde leiden. "Das wäre der Preis, den sie für mehr Sicherheit zahlen müssten", sagt Nigel Higgins, Vorstandschef der Investmentbank Rothschild.

Der Widerstand der hervorragend vernetzten Finanzbranche dürfte daher beträchtlich sein. "Der Showdown im Kampf Washington gegen Wall Street", sagt ein New Yorker Topbanker, "steht uns erst noch bevor." In dieser Woche hat der US-Kongress der umfassendsten Finanzmarktreform seit 80 Jahren zugestimmt: US-Präsident Barack Obama sprach im Vorfeld von den "härtesten Auflagen für die Finanzindustrie seit der Weltwirtschaftskrise." Die Fed soll künftig in der Lage sein, alle großen US-Banken sowie Hedgefonds zu durchleuchten. Außerdem soll es ein geordnetes Konkursverfahren für Banken in Not geben. Die Europäer hinken beim Thema Bankenregulierung noch hinterher, beim G20-Gipfel in Seoul im November sollen die Vorschläge für internationale Regularien vorangetrieben und aufeinander abgestimmt werden.

Manches regelt allerdings auch der Markt. So etwa beim Hedgefondsmagnaten John Paulson, dem Wettgegner der IKB. Anders als Goldman Sachs wird Paulson von der SEC nicht offiziell angeklagt. Probleme hat er trotzdem. Gleich mehrere seiner Geldgeber, berichten Insider, planen den Rückzug aus Paulsons Hedgefonds. Mit einem, der sein Glück so offensichtlich auf dem Elend anderer aufgebaut habe, wollen sie nichts mehr zu tun haben.

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