Internet Die Welt ist nicht genug
Und jetzt wird das mächtigste Unternehmen der Welt auch noch gesegnet! Ann Marie Sayers, die Stammesälteste der Ohlone-Indianer, entzündet Salbei in der perlmuttenen Schale einer Abalone-Muschel und wedelt den Rauch mit einer abgetrennten Vogelschwinge durch den fensterlosen Konferenzraum in Mountain View, Kalifornien. In traditionellen Beschwörungsformeln erfleht Sayers die Gunst der Ahnen für den Boden, auf dem Googles Stammhaus steht.
"Hoffentlich gehen die Sprinkler nicht an", flüstert einer im Publikum.
Nicht, dass Google auf Beistand aus dem Jenseits angewiesen wäre. Es läuft auch so ganz ordentlich. 23,7 Milliarden Dollar Umsatz im Geschäftsjahr 2009, ein Plus von 9 Prozent mitten in der schlimmsten Rezession seit Jahrzehnten. Die beiden Kerngeschäfte - die Vermarktung von Online-Werbung und die Anzeigen rund um die Treffer der Google-Suchmaschine - verhalfen dem erfolgreichsten Internetkonzern aller Zeiten zu einer sagenhaften Umsatzrendite von 28 Prozent und zu Cash-Reserven von mittlerweile 24,5 Milliarden Dollar.
Geld, das Google einsetzt, um mit beispielloser Aggressivität in immer neue Bereiche vorzustoßen. Zuletzt traf es 2010 den Markt für Navigationssysteme. Vor wenigen Jahren erst hatte Nokia sechs Milliarden Euro für die Übernahme des Kartendienstes Navteq ausgegeben - da begann Google Ende 2009, seine eigene Navigationssoftware zu verschenken. Nokia musste nachziehen, die Navteq-Dienste auf dem Nokia-Handy gibt es jetzt ebenfalls kostenlos.
Branche um Branche rollt Google mit dieser Gratisstrategie auf, zwingt etablierte Anbieter zu Preissenkungen, pulverisiert deren Margen. Ann Marie Sayers sollte ihren Segen besser für all jene Unternehmen sprechen, denen Google in die Quere kommt. Sie haben es nötiger.
Etwa zur gleichen Zeit, zu der sich in Mountain View ein Konferenzraum mit Salbeiduft füllt, ruft Louie Sulcer aus Woodstock, Georgia, an seinem Computer die Seite www.itunes.com auf und lädt ein neues Lied auf seinen Rechner: "Guess Things Happen that Way" von Johnny Cash. Was Sulcer noch nicht weiß: Er hat gerade die Grenze von zehn Milliarden verkauften Liedern in Apples Online-Musikbörse geknackt. 25 Prozent der US-Musikumsätze finden inzwischen bei iTunes statt.
Längst ist der Computerhersteller nicht nur zum größten Musik-Einzelhändler der Welt geworden, sondern zum einzigen gleichwertigen Gegenspieler von Google - und damit zur letzten Hoffnung für all jene Unternehmen, die der digitale Margenfraß plagt. Als einer von ganz wenigen schafft Apple es, digitale Produkte im Internet tatsächlich zu verkaufen, statt zu verschenken. Seien es Lieder oder Filme bei iTunes, seien es Programme für das Apple-Handy iPhone, die sogenannten Apps, Filme und Bücher auf dem Kleincomputer iPad.
Schutz vor der Gratiskultur
Apple verspricht Schutz vor der Gratiskultur des Internets - und verlangt im Gegenzug totale Unterwerfung. Wer mit seinen Produkten ins Sortiment des App-Store will, muss nicht nur 30 Prozent Umsatzprovision abführen - sondern sich auch Apples Geschmacksscreening beugen: Eine digitale Ausgabe der Illustrierten "Stern" flog raus, weil nackte Brüste auf dem Titel zu sehen waren.
Plattgemacht von Googles Gratisanarchie oder ausgeliefert an Apples Bezahlregime: Das sind die Alternativen für bedeutende Teile der Wirtschaft - auch der deutschen. Gefährdet ist prinzipiell jedes Produkt, das sich in digitaler Form anbieten lässt - von Medieninhalten über Telefongespräche und Banktransaktionen bis zu Softwarelizenzen.
Autobauer wie Audi und BMW kooperieren mit Google, um die Kartendienste des Internetkonzerns in ihre Fahrzeuge zu integrieren. Für den Traditionsbetrieb Bosch hingegen bringt das Geschäft mit Konsumentenelektronik im Auto keine attraktiven Renditen mehr. Selbst die Energiebranche darf sich nicht länger sicher fühlen: In den USA hat Google vor einigen Monaten eine Lizenz als Stromhändler beantragt, um sich selbst, aber auch amerikanische Haushalte mit günstigem Ökostrom zu versorgen.
Etwa 7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung dürften durch Google, Apple und Konsorten massiv unter Druck geraten, schätzt die Unternehmensberatung Arthur D. Little. In einzelnen Branchen wie der Telekommunikation und der Musikindustrie droht im Extremfall ein Rückgang der Umsätze um 20 Prozent pro Jahr, nicht ausschließlich, aber zu einem großen Teil verursacht durchs Internet.
In den USA steigen wenigstens die Gewinne und Börsenkurse von Apple, Google und anderen Internetkonzernen. Doch Deutschland, ja ganz Europa ist in dieser Zukunftsbranche nicht mit nennenswerten Unternehmen vertreten. Wir erleiden die Zerstörung, der kreative Neuaufbau passiert in Kalifornien. Die deutsche Wirtschaft, sie wird gegoogelt und verappelt.
Das zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der Telekommunikationsbranche. Konzerne wie die Deutsche Telekomgalten noch vor zehn Jahren als Hoffnungsträger der digitalen Zukunftswirtschaft. Doch seit Kunden bevorzugt günstige Flatrates oder Gratissprachdienste wie Skype nutzen, erodieren Preise und Umsätze im Kerngeschäft der Telekomkonzerne. Gerade in den gesättigten Märkten Nord- und Westeuropas, darunter auch Deutschland, lässt sich mit Sprachtelefonie, SMS und Internetzugang immer weniger Geld verdienen.
Googles Kriegserklärung
Die Gewinne kassieren andere, die zwar keinen Cent in die Netze investieren, die Infrastruktur jedoch intensiver nutzen als jedes andere Unternehmen. "So kann das nicht weitergehen", ereiferte sich jüngst César Alierta, Chef der spanischen Telefónica. Er fordert die Anbieter von Web-Inhalten auf, eine Gebühr für die Nutzung seiner Netze zu bezahlen. Schließlich benötigen gerade Apple und Google hohe Bandbreiten für ihre gefräßigen Datendienste: Das Herunterladen eines Youtube-Videos auf das iPhone beispielsweise ist in etwa so datenintensiv wie das Versenden von 500.000 SMS.
Google-Chef Eric Schmidt jedoch blockt ab. "Wieso sollten wir für die Benutzung der Netze bezahlen?", fragt er im Gespräch mit manager magazin. Die Netzbetreiber verdienten doch bereits an ihren Endkunden - gerade durch den gestiegenen Datenverkehr. Nächster Versuch, anders formuliert: Könnten Sie sich vorstellen, die Telekomkonzerne bei ihren Milliardeninvestments zu unterstützen? "Die Antwort lautet, dass wir nichts bezahlen würden", erwidert der Google-Boss .
Zusätzlich baut Schmidt eine Drohkulisse auf: Mitte Februar verkündete Google, zu Testzwecken ein eigenes Highspeed-Festnetz in einzelnen US-Gebieten aufzubauen. Man darf den Schritt als Kriegserklärung auffassen. Bauen die Telekomanbieter ihre Netze nicht schnell genug aus, um Googles Bedürfnissen gerecht zu werden, übernehmen die Kalifornier das Geschäft selbst. Schmidt formuliert es geringfügig anders: Man wolle lediglich "die Industrie ermutigen, eine Technologie aufzubauen, die einen großartigen Wert für den Endkunden schafft".
Besinnen sich die Telekommanager nicht schleunigst auf ein neues Geschäftsmodell, verpassen sie auch noch den Zugang zu ihrem wichtigsten Zukunftsmarkt: dem mobilen Internet. Bereits in diesem Jahr werden in Westeuropa mehr Konsumenten mit mobilen Geräten ins Netz gehen als mit stationären PC. "In vier Jahren werden mehr als 90 Prozent der Verbindungen über das mobile Netz laufen", prognostiziert Roman Friedrich, Partner bei der Unternehmensberatung Booz & Company.
Eigentlich hätten Konzerne wie die Deutsche Telekom beste Voraussetzungen, um die neuen Spielregeln im mobilen Web mitzugestalten. Denn anders als Google und Apple kennen die Mobilfunkbetreiber jeden ihrer Kunden quasi persönlich: Sie wissen Bescheid über Alter, Geschlecht, Bonität und Reiseverhalten ihrer Klientel. Mit solch kostbaren Informationen kann man zielgerichtete Dienstleistungen und Werbung anbieten - und die amerikanischen Internetkolosse damit ausstechen. In der Theorie.
Letzter Telekom-Trumpf in Gefahr
In der Praxis ist Rainer Deutschmann bei der Deutschen Telekom für den Zukunftsbereich Mobilfunkprodukte zuständig. Zum Thema mobile Online-Werbung fällt Deutschmann als Erstes ein, dass die Telekom ja Ende vergangenen Jahres testweise per SMS Rabattgutscheine für Gesundheitsprodukte verschickt habe, und zwar gezielt an einige Tausend weibliche Kunden über 35. "Jeder fünfte Kunde hat den Gutschein tatsächlich eingelöst", jubiliert Deutschmann.
Für die gesamte Industrie gilt: Der ursprüngliche Vorsprung vor Google und Apple geht schnell verloren. Noch bis vor wenigen Jahren waren allein die Telefondienstleister in der Lage, über die nächstgelegene Mobilfunkstation den Aufenthaltsort ihrer Kunden ausfindig zu machen. Diese Information gilt als Schlüssel zur mobilen Online-Werbung, weil sie neben der personen- auch eine ortsbezogene Werbung ermöglicht. Etwa den Hinweis auf ein Restaurant in der Nähe des Nutzers, das auch noch zu seinen Essensvorlieben und seinem Budget passt.
Doch dieses Informationsmonopol haben die Telekomunternehmen bereits verloren, bevor sie es genutzt haben. Wie viele andere Smartphones enthält auch Apples iPhone einen GPS-Empfänger, der eine genaue Ortung unabhängig von den Mobilfunkdaten ermöglicht.
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Telekom und Co. auch ihren letzten Trumpf noch verspielen: die exklusive Zahlungsbeziehung zum Kunden über den Mobilfunkvertrag und die Telefonrechnung.
Apple hat mit seinen Onlineshops bereits selbst Kontakt zum Nutzer hergestellt. Google tritt seit Anfang des Jahres als Verkäufer seines Smartphones Nexus One auf - und gewinnt dadurch eine direkte Verbindung zum Konsumenten. "Für uns gibt es eine neue Regel", sagt CEO Schmidt, "sie lautet: mobile first."
Was Google so unberechenbar macht: Das Unternehmen weigert sich hartnäckig, den althergebrachten Spielregeln des Kapitalismus zu gehorchen. Die üppige Rendite aus ihrem Kerngeschäft wollen die beiden Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page vor allem dazu einsetzen, die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln.
Dieser missionarische Eifer zeigt sich auch bei dem Workshop, zu dessen Auftakt Ann Marie Sayers ihren Segen gesprochen hat. Zwei Tage lang sollen über 50 Angehörige verschiedener US-Indianerstämme den Umgang mit der Kartografie-Software Google Earth erlernen, um auf diese Weise die Bedrohung ihrer Reservate mithilfe von Online-Landkarten deutlich zu machen. Eine Handvoll Mitarbeiter kümmert sich inzwischen Vollzeit um die sogenannte Google Earth Outreach.
Ein Quasimonopolist im Semichaos
Google funktioniert nach Organisationsprinzipien, die intern als "Semi-chaos" beschrieben werden: Wer ein neues Projekt starten will, muss freiwillige Mitstreiter im Unternehmen finden und anschließend irgendwie die Führungsebenen davon überzeugen, dass Kosten und Nutzen im angemessenen Verhältnis stehen. Wobei Nutzen ausdrücklich alles sein kann: von schneller Rendite bis zu purer Weltverbesserung.
Im Kern der Google-Ideologie steht der Glaube, dass Informationen für alle Menschen frei verfügbar sein sollten. Klingt sympathisch, schließt aber auch umstrittene Projekte wie Google Street View ein, bei dem das Unternehmen massenhaft Privathäuser fotografieren lässt, um sie verknüpft mit den jeweiligen Adressen ins Netz zu stellen. Den Datenschutzbedenken, die Google mit Streetview oder auch der Online-Community Buzz vor allem in Europa auslöst, begegnet der Konzern mit kaum kaschiertem Unverständnis: "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht gar nicht erst tun", beschreibt Eric Schmidt sein Verständnis von Privatsphäre.
"Wenn Google doch noch scheitert, dann nicht an seinem Geschäftsmodell, sondern an den Folgen seiner Hybris", sagt Klaus von den Hoff, Direktor der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Google werde immer weniger als sympathischer, unkonventioneller Newcomer wahrgenommen - sondern als Quasimonopolist vom Schlage Microsofts.
Der Anspruch, für das Gute in der Welt zu streiten, vermischt sich bei Google mit dem Schutz des eigenen Kerngeschäfts zu einer aggressiven Gesamtstrategie. Das zeigt sich an den Betriebssystemen Android (für Smartphones) und Chrome (für sogenannte Netbooks). Beide Projekte binden bei Google Hunderte von Entwicklern, verschlingen Millionen. Trotzdem stellt Google die Betriebssysteme als Open-Source-Software gratis ins Netz.
Android und Chrome richten sich direkt gegen Apple und Microsoft. Google will um jeden Preis verhindern, dass die beiden Wettbewerber gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung bei mobilen Betriebssystemen erlangen. Denn dann könnten beide Firmen auf Handys und Kleincomputern eine andere Suchmaschine voreinstellen - und Google wäre raus aus dem Mobilgeschäft.
Nebeneffekt der Gratisstrategie: Sie zwingt die Konkurrenz zum Nachziehen und gefährdet so das Milliardengeschäft mit Softwarelizenzen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss inzwischen auch Nokia sein Handybetriebssystem Symbian verschenken. Und Microsoft wird demnächst eine internetbasierte Gratisversion von MS Office auf den Markt bringen - bei Google gibt's vergleichbare Bürosoftware schon lange kostenlos.
Microsoft verschenkt seine Cashcow
Dass Microsoft seine Cashcow MS Office in einer Basisversion verschenken will, macht deutlich, wie sehr sich der weltgrößte Softwarekonzern in seinem Stammgeschäft bedrängt fühlt - aber wie entschlossen Microsoft andererseits in neue Geschäftsfelder vordringt und so zum dritten großen Internetspieler neben Google und Apple heranreift.
Es war im Februar 2007, als Microsoft von Verteidigung auf Angriff umschaltete. Wie jedes Jahr hatten sich die rund 90 höchsten Microsoft-Führungskräfte um acht Uhr morgens im Sitzungssaal von Gebäude 37 auf dem Firmencampus in Redmond versammelt. Firmenchef Steve Ballmer fragt bei dieser "World Review" üblicherweise die Zahlen der einzelnen Geschäftsbereiche und Regionen ab, anschließend wird noch ein bisschen über Strategie geredet, und gegen 20 Uhr ist Schluss.
Dass es diesmal anders laufen würde, merkte der damals frisch ernannte Microsoft-Deutschland-Chef Achim Berg, als er gerade von der Toilette zurückkam und ihm Ballmer quer durch den Saal zurief: "Achim, was für E-Mail-Adressen nutzen eigentlich die Lehrer in Deutschland? Ihre private oder die der Schule?" Immer neue Fragen warf Ballmer in die Runde, kritzelte jede neue Information mit Filzstift auf eine Wandtafel.
Gegen 23 Uhr ließ man Pizza kommen, und als das Treffen gegen vier Uhr morgens endete, hatte Microsoft eine neue Strategie: Der Konzern wollte sich nicht mehr allein auf das Lizenzgeschäft mit Firmenkunden konzentrieren, sondern auch für den Konsumenten wieder attraktiver werden - denn, so Ballmers Logik, beide Bereiche wachsen zusammen. Am Arbeitsplatz wollen die meisten Menschen keine andere Suchmaschine nutzen als auf dem privaten Rechner. Das Firmenhandy wird auch privat genutzt - und umgekehrt. Wer bei Privatnutzern nicht beliebt ist, dessen Umsätze werden über kurz oder lang auch im Firmenbereich bröckeln.
Im Zentrum dieser neuen Strategie: die Suchmaschine Bing, die 2009 in den USA ans Netz ging. Mit der bevorstehenden Übernahme der Suchfunktion des Online-Portals Yahoo dürfte Bing in den USA auf einen Marktanteil von mehr als 20 Prozent kommen. "Wir wollen zur großen Nummer zwei im Markt heranwachsen", sagt Bing-Weltchef Stefan Weitz.
Würde so Googles Quasimonopol gebrochen, hätten die Betreiber der Medien-Websites erstmals die Möglichkeit, ihre Inhalte an einen der beiden Suchmaschinenbetreiber exklusiv zu verkaufen, statt zu verschenken. Rupert Murdoch, mächtigster aller Verleger, hat mit dieser Option bereits gedroht. Die Online-Marktmacht würde völlig neu verteilt. Ähnliches könnte für das mobile Internet bei einem Erfolg der kürzlich vorgestellten Microsoft-Handys Kin One und Kin Two gelten.
Die Lethargie deutscher Besitzstandswahrer
In einigen Jahren könnten Googles Gratisoffensive und Microsofts Konter sogar dem einzigen Weltkonzern Ärger bereiten, der in Deutschland in den vergangenen 40 Jahren gegründet wurde: SAP, Hersteller von Unternehmenssoftware.
Denn während Microsoft zur Königin der Verbraucherherzen werden will, versucht Google im Gegenzug, auf dem Markt für Geschäftskunden Fuß zu fassen: Googles Office-Paket kostet für Firmenkunden in Europa 40 Euro je Nutzer - nein, nicht pro Monat, pro Jahr. Die Konkurrenz verlangt in der Regel mehrere Hundert Euro.
Die Kunden kaufen bei Google keine Lizenz für Software, sondern abonnieren das Zugriffsrecht auf Programme im Internet. Immer mehr Unternehmen und Behörden bevorzugen diese kostensparende Variante. In Europa entschied sich neben der niederländischen Airline KLM unlängst der Schweizer Medienkonzern Ringier für die Google-Lösung.
Sicher, mit seinen Anwendungen für die Firmenschreibstube macht Google den ausgefeilten Steuerungssystemen made in Walldorf keine Konkurrenz. Doch auf seinem neu gestarteten Online-Marktplatz für Business-Software bietet Google neuerdings auch ausgefeiltere Programme, etwa für Lohnbuchhaltung, Reisekostenabrechnungen oder Projektmanagement. "Wenn Google jetzt auf die Großkunden zugeht", sagt Peter Kreutter, IT-Experte der Elitehochschule WHU, "ist das eine direkte Konkurrenz zu SAP."
Ursprünglich wollte SAP das Innovationstempo im Markt für internetbasierte Software selbst bestimmen. Doch seit zwei Jahren warten Kunden vergeblich auf das Programm "Business by Design". Technische Mängel zwangen SAP, mehrfach den Starttermin zu verschieben, der für den Sommer geplant ist.
Ob SAP oder Telekom: Viele deutsche Konzerne eint das Problem, dass ihr Geschäftsmodell weniger auf neuen, pfiffigen Produkten als auf der Verteidigung einmal erlangter Marktmacht beruht. Ein Unternehmen, das die aufwendige Umstellung seiner Firmensoftware auf SAP mitgemacht hat, wird nicht ohne Not zur Konkurrenz wechseln. Die Telekom wiederum profitiert noch heute von ihrer Rolle als früherer Staatsmonopolist. Wem einmal ein solcher Lock-in des Kunden geglückt ist, der kann die Preise für seine Produkte nahezu beliebig selbst bestimmen. Entsprechend sprudeln die Gewinne über Jahre hinweg zuverlässig - mit einem hässlichen Nebeneffekt: Der Geldfluss macht aus innovativen Unternehmen träge Besitzstandswahrer.
Zu dieser Lethargie passt auch die Neigung deutscher Traditionskonzerne, sich am liebsten mit Apple zu verbünden. Der Computerbauer aus Cupertino, nicht mal zehn Kilometer vom Google-Hauptsitz Mountain View entfernt, pflegt wie kein anderer IT-Konzern die Philosophie des Lock-in, des Einschließens der Nutzer im eigenem Hard- und Softwarestandard.
"The war for the web"
Apple-Chef Steve Jobs gilt als unverbesserlicher Kontrollfanatiker, was hierzulande vor allem die Deutsche Telekom zu spüren bekam: Bis heute darf T-Mobile als einziger Mobilfunk-Provider den Kassenschlager iPhone in Deutschland vertreiben. Doch die Exklusivität ließ sich Apple mit Summen von schätzungsweise bis zu 500 Euro pro iPhone subventionieren. Auch die Kosten für das aufwendige Vertriebsmarketing wurden zu großen Teilen der Telekom aufgebürdet. Die Hoheit über die inhaltliche Gestaltung der Werbekampagne blieb selbstverständlich bei Apple.
Gleichzeitig gefährdet Apple etablierte Geschäftsmodelle ebenso wie Google. Diese Erfahrung machte der Bezahlfernsehsender Sky. Spätestens seit Apples Onlineshop Serien und Filme für zwei bis vier Euro anbietet, lassen sich Konsumenten immer schwerer zur Zahlung einer fixen monatlichen Pay-TV-Gebühr bewegen. Die Folge: Der Umsatz des Münchener Bezahlsenders schrumpft, das Ergebnis ist tiefrot. "Was Apple im TV-Bereich macht, ist richtig gut", seufzt ein Sky-Funktionär. "Darauf waren wir nicht vorbereitet."
Der Musik- und Filmbranche hat Jobs seine Regeln bereits oktroyiert. Im Geschäft mit Smartphone-Applikationen hält sein App-Store einen Marktanteil von 99 Prozent. Nun hat Jobs die nächste Branche im Visier. Buch-, Zeitschriften- und Zeitungsverlage werden sein neuestes Produkt mit Inhalten füllen: das iPad, ein flunderflacher Computerbildschirm für unterwegs.
Kaum hatte Jobs das Gerät in Messiasmanier angekündigt, begannen in deutschen Großverlagen die iPad-Projektgruppen zu tagen. Alle wollen mit ihren Inhalten auf dem neuen Gerät vertreten sein, angelockt von der vagen Hoffnung, dort endlich Vertriebserlöse für ihre defizitären Online-Medien zu erzielen.
Apple gegen Microsoft gegen Google gegen den Rest der Wirtschaft: Wie wird dieser Kampf um die Vorherrschaft im Internet enden? Und wie sollen sich deutsche Unternehmen verhalten, deren Geschäftsmodell beim Ringen der drei als Kollateralschaden auf der Strecke zu bleiben droht?
Der kalifornische Computerbuchverleger Tim O' Reilly gilt als führender Vordenker der US-Internetwirtschaft. 2004 prägte er den Begriff Web 2.0 für die neuen, offenen Softwarestandards, mit denen sich Inhalte im Web austauschen und zu neuen Seiten vermischen lassen.
Für das, was sich nun im Internet abspielt, hat er eine andere Überschrift: "The war for the web", der Krieg ums Netz. Google, Apple, Microsoft und eine Handvoll anderer Unternehmen kämpfen um die Herrschaft über die digitale Identität des Kunden, inklusive Konsumvorlieben, demografische Daten, Aufenthaltsort - und Kreditkartennummer.
"Im Moment scheint Apple in diesem Kampf zu führen", sagt O'Reilly. Doch es reichten "ein, zwei Flops bei neuen Produkten, und Apples Nimbus ist dahin".
Der Erfolg von Google stünde hingegen auf breiterer Basis, "und vor allem basiert er nicht darauf, den Nutzer in ein geschlossenes System zu zwingen". Aber auch Microsoft könnte durchaus noch gleichziehen, wenn es lernt, aus der gewaltigen Zahl der Kunden, die Microsoft-Programme auf dem PC nutzen, auch online mehr herauszuholen.
Es wird deutlich: Die Zukunft der drei Netzgiganten ist so offen wie das Internet selbst. Für deutsche Konzerne wäre es fatal, ausschließlich auf einen aus dem Trio zu setzen.
Wie es besser geht, zeigt O'Reilly in seinem gleichnamigen Computerbuchverlag mit immerhin 270 Mitarbeitern: Zwar bietet er seine Bücher auch als iPhone-Apps an. Doch dass er sich auf diesen Vertriebsweg nicht allein verlassen sollte, weiß O'Reilly spätestens seit sich Apple weigerte, einen seiner Titel ins Sortiment aufzunehmen: ein Handbuch für das iPhone-Konkurrenzsystem Android von Google.
Dreikampf um Dominanz: Wo Google, Apple und Microsoft ihre Stärken und Schwächen haben Gegoogle und verappelt: Mit ihren Expansionsstrategien erobern die Internetkonzerne Branche um Branche