Investment-Atlas Neue Geografie
Während Philippe Graziani durch die Ausstellungsräume des Pariser Bürostandorts La Défense führt, hat er sich einen bunt gestreiften Schal eng um den Hals geschlungen. So schützt er seine vom Schwärmen angestrengten Stimmbänder: "La Défense ist ein faszinierendes Viertel. Und jetzt wächst es auch noch nach oben", sagt der 36-Jährige, der das Frankreich-Geschäft des Vermögensverwalters Invesco Real Estate verantwortet. "Davon haben Pariser Architekten schon im 19. Jahrhundert geträumt."
La Défense - das ist das Zentrum des Zentrums Kontinentaleuropas. Kein anderer Ballungsraum auf dem Kontinent bringt es auf eine vergleichbare Ansammlung von Unternehmenszentralen, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, Sozialprodukt wie der Großraum Paris; und La Défense, das 1958 begründete Geschäftsviertel, ist sein ökonomisches Epizentrum.
"Hier stehen einzigartige Gebäude, gebaut von großen Architekten", sagt Graziani mit schneller werdender Stimme. Mit großen Schritten eilt er durch die Fußgängerzone des Viertels und nennt zu fast jedem Büroturm das Datum der Fertigstellung und den Architekten.
Und: Es wird kräftig weiter gebaut. Trotz Wirtschaftskrise. Boden ist knapp, deshalb dürfen den bestehenden Gebäuden seit 2006 Etagen aufgesetzt werden, ohne dass dafür staatliche Abgaben anfallen. Architekten entwickeln seitdem futuristische Projekte. Die Baupläne institutioneller Investoren schießen buchstäblich in die Höhe.
Obwohl die Krise natürlich auch La Défense nicht verschont hat, glaubt die Fachwelt fest an deren Zukunft. Zumal es im zentralistisch organisierten Frankreich nur diesen einen bedeutenden Bürostandort gibt: 150.000 Menschen auf engem Raum, die jährlich so viel umsetzen, wie der französische Staatshaushalt zur Verfügung hat. 20.000 Einwohner sorgen dafür, dass das Viertel auch abends belebt ist.
Mehr noch: Mit einer jungen und sehr gut ausgebildeten Bevölkerung zählt das Département Hauts-de-Seine am Pariser Stadtrand, in dem La Défense liegt, zu den zukunftsträchtigsten Regionen der EU: Platz 7 unter mehr als 1000 europäischen Standorten, wie eine Studie der Unternehmensberatung Contor für manager magazin zeigt.
Ein Spitzenplatz, der La Défense auch für Privatanleger interessant macht. Büroflächen oder Wohnraum, obwohl bereits heute keineswegs zu Schnäppchenpreisen gehandelt, gelten als solide Investments mit Perspektive.
Grundlegende Trends
Immobilien sind wieder gefragt - die Angst vor Inflation und vor weiteren Verwerfungen an den Finanzmärkten treibt das Anlegerinteresse an Büros und Wohnungen. Noch sind die Zinsen niedrig. 30 Monate nach dem Platzen der Immobilienblase in vielen Ländern steigt die Zahl der Objektverkäufe wieder an. Allein in Deutschland haben im dritten Quartal 2009 Objekte im Wert von 2,7 Milliarden Euro den Besitzer gewechselt. Doch wie eh und je schauen sich die meisten Privatanleger lediglich in der Nähe ihres Wohnorts um - und übersehen dabei Möglichkeiten, die sich ihnen im großen EU-Binnenmarkt oder wenigstens im Euro-Raum bieten.
Für manager magazin hat Standortexperte Henner Lüttich, Geschäftsführer von Contor, die Regionen der EU einer umfassenden Analyse unterzogen. Jeden Landkreis ("Nuts-3-Regionen" im EU-Jargon) hat er auf 25 Standortfaktoren hin untersucht. Wie hat sich eine Region bislang entwickelt? Wächst oder schrumpft die Bevölkerung? Wie viele Akademiker gibt es? Wie viel wird investiert? Wie hoch ist das verfügbare Einkommen? Ein Bündel von Faktoren, die sowohl die Wirtschaft direkt als auch die Immobilienmärkte beeinflussen.
"Wir wollten wissen, wie die europäische Wirtschaftsgeografie nach der Krise aussieht", sagt Lüttich. Herausgekommen ist eine Art Europa-Atlas für die Immobiliensuche.
Die einzigartige Herangehensweise der Untersuchung offenbart mehrere grundlegende Trends:
- Die künftige wirtschaftliche Entwicklung wird vor allem von den geografischen Zentren Europas getrieben - Süddeutschland, das nördliche Frankreich, Benelux; nur wenige Standorte an den Rändern der EU haben es unter die Top-25-Regionen geschafft.
- Nach wie vor sind es etablierte Ballungszentren wie die Großräume Paris und München, auf die sich die ökonomische Dynamik konzentriert.
- In Osteuropa finden sich insbesondere in Polen und in der Slowakei interessante Standorte.
- Deutschland schneidet überraschend gut ab, insbesondere der Süden. Aber: In keinem anderen EU-Land klafft eine so große Lücke zwischen prosperierenden Topregionen und hoffnungslos abgeschlagenen Gebieten, zumal im Nordosten.
Aus Sicht eines Immobilienkäufers sind gerade die "B-Lagen" am Rande der Zentren interessant. Die Preise sind tendenziell niedriger, die Renditechancen höher - bei ähnlich guten Zukunftsaussichten.
Deutsche Beispielstädte
Beispiel Ingolstadt. Heimat der ersten bayerischen Universität (gegründet 1472) und des Reinheitsgebots für Bier (1516). Heute glänzt Ingolstadt mit einer weitgehend erhaltenen Altstadt, der Gegenwart von Spitzenunternehmen (Audi, EADS) und einer hervorragenden Bahnanbindung an München - 37 Minuten mit dem ICE, 44 Minuten mit dem Regionalzug. Zahllose Pendler genießen die Ruhe der grünen Donau-Auen und die malerische Innenstadt, während sie ihr Geld in München verdienen. Henner Lüttich prognostiziert Ingolstadt gute Aussichten.
Ein Großteil der Beschäftigten ist in wissensintensiven Bereichen tätig, auch aus diesem Grund schafft es die Donau-Stadt im mm-Ranking auf Platz drei. Beschäftigung und Wirtschaftsleistung dürften auf lange Sicht zulegen - Grundvoraussetzung für erfreuliche Investments in Wohn- und Geschäftsimmobilien. Die zahlreichen Studenten der Stadt schaffen eine stetige Nachfrage nach Wohnraum.
Für Anleger lohnt sich der Ausflug in die Provinz. In Ingolstadt ließ sich zwischen 1995 und 2008 für Wohnimmobilien eine Rendite von 7,38 Prozent pro Jahr erzielen, ermittelte Bulwien Gesa, ein Marktforschungs- und Beratungsunternehmen für Immobilien. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt konnten Investoren lediglich 5,77 Prozent Rendite erwirtschaften.
Mit einer Rendite von 8,14 Prozent ist auch Regensburg ein lukratives Anlageziel für Wohnimmobilien. Die Hauptstadt der Oberpfalz zählt zu den stabilsten Zukunftsregionen in Europa (mm-Ranking Platz 8). 14 von 30 Dax-Unternehmen sind mit Werken oder Niederlassungen vertreten, unter anderen Siemens und BMW.
Zu klassischen Industriezweigen wie Auto und Maschinenbau gesellen sich zahlreiche Start-ups aus der Informationstechnologie- und Biotech-Branche.
Kein Wunder, dass Lüttichs Studie bei Regensburg besonders den hohen Beschäftigungsanteil und die überdurchschnittliche Produktivität hervorhebt. Seit 2006 gehört die Altstadt mit Stadtamhof zum Unesco-Welterbe, Regensburg glänzt mit mehr als 1000 romanischen und gotischen Denkmälern. Diese böten sich, dank ihrer hohen Wertbeständigkeit und Sonderabschreibungsmöglichkeiten, auch als Investitionsobjekte an, sagt Gunther Freibauer von Engel & Völkers.
Topregionen in Europa
Den Blick über den heimatlichen Wohnort hinaus sollten insbesondere Investoren wagen, die in Regionen mit trüben Aussichten leben und arbeiten. Und auch von diesen abstiegsbedrohten Gegenden gibt es in Deutschland eine ganze Menge: Unter den 25 Regionen am Ende des Contor-Rankings finden sich 17 deutsche. Am schlechtesten schnitt Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) ab - Platz 1032 von 1034 (das komplette Deutschland-Ranking finden Sie hier).
Es gibt allerdings auch Standorte im ehemaligen Ostblock, die es an die Spitze der Europa-Tabelle geschafft haben. Zum Beispiel Warschau (Rang 4), das prosperierende Zentrum des größten östlichen EU-Staats. Oder Bratislava (Rang 22), Hauptstadt der Slowakei und gewissermaßen ein Vorort von Wien. Und die benachbarte Kleinstadt Trnava (Rang 10), Standort einer Peugeot-Citroën-Fabrik.
Zwar sind die neuen EU-Staaten beim Lebensstandard immer noch abgeschlagen, zwar hat die Finanzkrise sie noch härter getroffen als den Westen. Aber anzunehmen, dass die östlichen Wirtschaftszentren ewig daniederliegen werden, erscheint nicht eben realistisch. Für risikobereite Investoren ist womöglich jetzt genau der richtige Zeitpunkt für den Einstieg. Sogar im Euro-Mitgliedsland Slowakei, wo die Wirtschaft derzeit wieder Tritt fasst, liegt der Immobilienmarkt seit der krisenbedingten Kapitalflucht immer noch am Boden. "Ein sehr interessanter Markt" sei das, glaubt Simon Mallinson von Invesco Real Estate.
Ordentliche Renditen für Bratislava prognostiziert denn auch das Research-Haus Feri auf Fünfjahressicht: rund 11 Prozent bei Büroobjekten und Einzelhandelsimmobilien, 8,6 Prozent bei Wohnimmobilien. Derzeit kostet ein Quadratmeter Wohnfläche im Schnitt 1760 Euro.
Doch ausländische Bauherren kehren bis heute nur zögernd zurück. Wer als Privatinvestor ein Engagement in der Slowakei wagt, sollte einen Anwalt oder einen Makler hinzuziehen, der mit dem slowakischen Rechts- und Steuersystem gut vertraut und der Landessprache mächtig ist. Um die Vermietung der Liegenschaft kümmern sich Immobiliendienstleister wie DTZ oder Catella.
Von den Behörden werden Investoren derzeit jedenfalls mit offenen Armen empfangen. Denn die Stadt braucht dringend Wohnraum, Einzelhandelsimmobilien und Büroflächen. "Sehr kulant" sei man in Bratislava, verspricht Victoria Miller von der Maklerfirma CB Richard Ellis - Bauherren bekämen Grund und Boden derzeit quasi geschenkt.
Tabelle - Top 25 der EU-Regionen
Die Top 25 unter den europäischen Regionen
Rang | Stadt | Land | Standortprofil |
---|---|---|---|
1 | Luxemburg | Luxemburg | junge, wachsende Bevölkerung mit sehr hohem Bildungsstand, hohes Einkommensniveau, große Wirtschafts- und Beschäftigungsdynamik, sehr hohe Produktivität |
2 | München (Landkreis) | Deutschland | große Ballung von Spitzentechnologie, hohe Investitionsdynamik, wachsende Bevölkerung |
3 | Ingolstadt | Deutschland | wachsende Bevölkerung, hoher Beschäftigungsstand, hohe Produktivität |
4 | Warschau | Polen | relativ junge, gut ausgebildete, aber schrumpfende Bevölkerung. Produktivität auf Westniveau |
5 | München (Stadt) | Deutschland | Topwerte beim Faktor Wissen, wachsende Bevölkerung mit hohem Einkommen |
6 | Riga (Pieriga) | Lettland | hohe ökonomische Dynamik bis zur Krise, viele Beschäftigte in Wissenschaft und Technologie |
7 | Paris (Hauts-de-Seine) | Frankreich | überzeugt durch den höchstmöglichen Wert beim Faktor Wissen. Wirtschaftskraft und Alterungsstatus sind überdurchschnittlich gut |
8 | Regensburg | Deutschland | hohe Einkommen, technologielastige Wirtschaft, dynamischer Arbeitsmarkt |
9 | Starnberg | Deutschland | reiche, relativ alte Bevölkerung, technologielastige Wirtschaft (sehr viele Patentanmeldungen) |
10 | Trnava | Slowakei | junge, gut ausgebildete Bevökerung, hohe ökonomische Dynamik, Krise hinterlässt Spuren |
11 | Altötting | Deutschland | reiche, relativ alte Bevölkerung, hohe Technologie- und Akademikerdichte |
12 | Rosenheim (Stadt) | Deutschland | leicht wachsende, relativ alte Bevölkerung, Wirtschaft mit hohem Technologieanteil |
13 | Freising | Deutschland | wachsende Bevölkerung, viele Beschäftigte in Wissenschaft und Technologie |
14 | Dublin | Irland | rasch wachsende, junge Bevölkerung, hohes Einkommen, große Akademikerdichte |
15 | Paris (Stadt) | Frankreich | wachsende, junge Bevölkerung, höchstmöglicher Wert beim Faktor Wissen, sehr hohe Einkommensniveaus und Kaufkraft |
16 | Schweinfurt | Deutschland | leicht schrumpfende Bevölkerung mit sehr hoher Erwerbsbeteiligung (höchster Wert EU-weit), hohes Einkommensniveau bei mittlerer Dynamik |
17 | Stockholm | Schweden | wachsende, junge Bevölkerung, technologielastige Wirtschaft, hohes Einkommensniveau |
18 | Kolo | Polen | stark wachsende Bevölkerung (höchster Wert EU-weit), hoher Anteil von jüngeren Leuten mit mittlerem Ausbildungs- und niedrigem Einkommensniveau |
19 | Stuttgart | Deutschland | leicht wachsende Bevölkerung, höchste Dynamik bei Wissenschaft und Technologie EU-weit |
20 | Rosenheim (Landkreis) | Deutschland | wachsende, relativ alte Bevölkerung, hohe Beschäftigungsdynamik, technologielastige Wirtschaft |
21 | Plock | Polen | leicht schrumpfende, gut ausgebildete Bevölkerung, rasche wirtschaftliche Entwicklung |
22 | Bratislava | Slowakei | wachsende, junge Bevölkerung, hohe Wirtschafts- und Beschäftigungsdynamik |
23 | Aschaffenburg | Deutschland | leicht wachsende, wohlhabende Bevölkerung, exzellente Arbeitsmarktentwicklung |
24 | Kokkola | Finnland | junge, gut ausgebildete Bevökerung, sehr hohe Zahl von Patentanmeldungen |
25 | Bad Tölz-Wolfratshausen | Deutschland | wachsende Bevölkerung mit hohem Einkommen, große Technologiedichte |
Die komplette Standortstudie ist zu beziehen unter www.contor.org oder www.thema-standortanalyse.de.
Quelle: Contor