BYD Volle Ladung
Der reichste Mann Chinas versetzt Berge. Um Platz für den Hauptsitz seines Unternehmens BYD zu schaffen, ließ Wang Chuanfu (44) am Rand der südchinesischen Stadt Shenzhen die Landschaft abtragen, erzählt er. "Nur 360 Tage haben wir dafür gebraucht, wir nennen das Shenzhen-Geschwindigkeit." Shenzhen-Geschwindigkeit: Das bedeutet, aus dem Nichts Gigantisches zu stemmen. Schließlich war die erste Sonderwirtschaftszone bei ihrer Gründung vor 30 Jahren kaum mehr als ein Dorf. Heute ist sie zu einer Zwölf-Millionen-Metropole gewuchert, hier ballt sich Chinas Hightech-Industrie.
Genau der richtige Standort also für ein Unternehmen, dessen Initialen für Build Your Dreams stehen. Der richtige Ort für einen Mann wie Wang Chuanfu, Chef und Gründer von BYD, der mit der Produktion von Batterien für Handys und neuerdings auch für Autos im vergangenen Oktober im Ranking der reichsten Chinesen an die Spitze gestürmt ist. 5,1 Milliarden Dollar Vermögen werden Wang zugeschrieben: Seit dem Einstieg von Starinvestor Warren Buffett bei BYD im September 2008 ist der Kurs des in Hongkong gelisteten Unternehmens zwischenzeitlich um mehr als das Zehnfache angeschwollen.
Glaubt man dem unscheinbaren studierten Chemophysiker Wang, dann ist das alles nur der Anfang. Der Mann will nicht weniger als eine Wirtschaftsrevolution anzetteln. Sein Ziel: dank Elektroautos die weltweite Nummer eins der Automobilhersteller zu werden. 2010 soll bereits ein Serienmodell auf den Markt, als Speerspitze des Fortschritts.
Größer, schneller, weiter: Lebt der etwas pummelige Chinese mit der randlosen Brille in einer Traumwelt? Oder wird BYD langfristig tatsächlich die Antriebstechnik dominieren?
Der Zeitpunkt für einen Angriff scheint jedenfalls goldrichtig. Mit dem Einzug moderner Elektrobatterietechnik in die Welt der Autobauer steht der Branche die größte Umwälzung seit 100 Jahren bevor. Die Verbraucher wollen umweltschonende Autos am liebsten heute schon fahren, Politiker stellen ambitionierte Forderungen. Und die etablierten Branchengrößen können noch nicht liefern. Es sind die Kleinen, Unbekannten, Firmen mit seltsamen Namen wie BYD, Leclanché oder Enerdel, die bei der alles entscheidenden Technik der Lithium-Ionen-Batterien den Takt vorgeben.
"Der Elektrobatteriemarkt hat für die Automobilindustrie die unangenehme Eigenschaft, völlig neu zu sein", sagt ein hochrangiger deutscher Branchenmanager. "Ich warte auf den Tag, an dem ein Handyhersteller in das Rennen einsteigt", fügt, nur halb im Scherz, Andreas Gutsch hinzu, Chef von Li-Tec, einem Joint Venture zwischen Evonik und Daimler zum Bau von Elektrozellen.
Steil bergauf
Und was, wenn unberechenbare Branchenfremde, die die neue Technologie dominieren, die alten Größen auf einmal überrennen? "Die großen Hersteller sehen zwar dasselbe Potenzial wie wir, sie können sich aber nicht so schnell bewegen", sagt Richard Canny, langjähriger Ford-Manager und Chef des norwegischen Elektrofahrzeugpioniers Think. Was dann passieren kann, das hat Microsoft einst in der IT-Branche vorgemacht.
Doch keiner der neuen Herausforderer ist bisher so weit vorgeprescht wie BYD.
Vor 14 Jahren gründete Wang Chuanfu sein Unternehmen. Für den Start lieh sich der Ex-Staatsbedienstete und Sohn armer Bauern Geld von der Familie. Er wollte es mit den damals dominierenden japanischen Herstellern wiederaufladbarer Batterien für Mobiltelefone aufnehmen. Heute ist BYD einer der größten Batteriehersteller weltweit, Japaner sind längst abgeschlagen in diesem Geschäft.
Das Geheimnis des Chinesen: Wang ersetzte teure japanische Roboter in der Fertigung durch die in China schier unendlich vorhandene billige Arbeitskraft. 2003 kaufte er schließlich einen maroden chinesischen Autohersteller - und vertreibt nun dank Niedrigstpreisen mit dem F3 eines der derzeit meistverkauften Automodelle in China.
Sein Erfolgsrezept - mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Handarbeit so gut wie alles selbst in der Fertigungskette herzustellen - setzt Wang Chuanfu nun auch im Kampf um den Elektroautomarkt ein. "Als Unternehmer muss man die vorhandenen Ressourcen richtig auszubeuten wissen. In China gibt es viele Menschen, und es gibt einen riesigen Markt", sagt Wang. Nach der Heimat will er mit seinen Elektroautos auch die Welt erobern. Schon 2010 will er Elektroautos in den USA verkaufen, 2011 in Europa.
"Dieser Typ ist eine Mischung aus Thomas Edison und Jack Welch", sagt Charlie Munger, Warren Buffetts langjähriger Partner bei dessen Holding Berkshire Hathaway . "Wie Edison, wenn es darum geht, technische Probleme zu lösen, und wie Welch, wenn es darum geht, das erledigt zu bekommen, was erledigt werden muss."
In der Tat gilt Wang Chuanfu in seiner Heimat als typischer Vertreter einer neuen Unternehmergeneration. Wilde Kerle, denen keine Hürde im entfesselten chinesischen Markt zu hoch ist und die mit ihren verrückten Geschäftsideen in TV-Shows um die Gunst der Fernsehzuschauer buhlen. Männer und Frauen, die kein Risiko scheuen, viel arbeiten und wenig schlafen, mithilfe von Aufputschmitteln, wenn es sein muss.
"Für Leute meiner Generation in China kommt zuerst die Arbeit, dann das Leben", sagt Wang selbst. Um Investoren von seinem Engagement zu überzeugen, trinkt der BYD-Chef vor ihren Augen auch mal ein Glas gefüllt mit Flüssigkeit aus den eigenen Batterien leer. Als Beweis, dass es ihm mit dem Thema Umweltverträglichkeit wirklich ernst ist.
Voll ins Risiko
Trotz der 130.000 Mitarbeiter herrsche noch eine Stimmung wie in einem Start-up, erzählt ein Insider mit viel Einblick bei BYD: "Die kennen nicht die Zwänge eines Großkonzerns." Für das Topmanagement hat Wang zum großen Teil Chinesen rekrutiert, die Auslandserfahrung haben. Einzelne BYD-Fabriken müssen gegenseitig um Aufträge buhlen; nur Fabrikdirektoren, die sich im harten Konkurrenzkampf bewähren, können aufsteigen. Und Know-how ist anscheinend unbegrenzt vorhanden: 10.000 Ingenieure beschäftigt BYD inzwischen.
BYD ist nur einer von vielen in China. Auch die Konkurrenten Chery, SAIC, Wanxiang und viele mehr arbeiten an der Batterietechnik; die chinesische Regierung unterstützt sie nach Kräften. Die Kommunistische Partei hat schließlich schon vor über einem Jahrzehnt einen Masterplan ersonnen, wie die eigene Automobilindustrie auf Weltmarktniveau zu katapultieren ist. Peking ist klar, dass der Vorsprung des Westens in der herkömmlichen Antriebstechnik nicht mehr aufzuholen ist. Umso ambitionierter sind die bereits gestarteten Pilotprojekte für die rasche Entwicklung der Elektrotechnologie.
Über eine Milliarde Euro pumpen die Machthaber allein in den nächsten drei Jahren in den Markt. Bis 2020 sollen 15 Prozent aller neu zugelassenen Autos alternative Antriebe haben. Noch ist der Staat der größte Abnehmer, der Kauf eines Elektro- oder Hybridfahrzeugs wird mit 6000 Euro bezuschusst. "China wird aufgrund der staatlichen Anreize in der Batterietechnologie auf Augenhöhe mit dem Westen sein, wenn nicht vorangehen", prophezeit Analyst Phil Gott vom US-Marktforscher IHS Global Insight.
Hierzulande muten die Bemühungen dagegen bescheidener an. 2020 sollen eine Millionen Elektroautos über Deutschlands Straßen säuseln. So steht es im Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung. Damit möglichst viele der Öko-Fahrzeuge aus Deutschland kommen, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (55, CDU) am 3. Mai zum Gipfel nach Berlin laden. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung angekündigt, zusätzliche zwölf Milliarden Euro in Bildung und Forschung zu investieren. Eine Milliarde davon, so plant ein loser Bund von Berliner Mächtigen, soll der Elektromobilität gewidmet werden; zusätzlich zu den im Konjunkturpaket ausgelobten 500 Millionen Euro - doch bislang sind das nur Pläne.
Die westliche Automobilindustrie selbst befindet sich in Sachen Elektroauto-Strategie in der Findungsphase: Die einen lassen sich die nötige Batterietechnik zuliefern, andere gehen Kooperationen ein, wenige, meist Japaner, haben feste Partnerschaften geschlossen. Die Branche scheut die hohen Entwicklungskosten, die Automanager haben Angst, sich zu früh festzulegen - auf den womöglich falschen Partner.
BYD dagegen geht voll ins Risiko.
Learning by Doing
Nur so konnte Wang Chuanfu der Welt das weltweit erste Plug-in-Hybridserienmodell schon Ende 2008 präsentieren und die gesamte Branche damit in Staunen versetzen. Diese Technik funktioniert ähnlich wie bei einem Hybrid, die Akkus lassen sich jedoch auch an einer Steckdose laden. Der Nachteil der Asiaten: Das Auto hinkt in puncto Fahrkomfort, Sicherheit und Design weit hinter dem westlichen Standard her.
"BYD hat die Serienproduktion gestartet, bevor die Technologie einen wie bei uns erwarteten Reifegrad hatte. Die notwendigen Entwicklungen müssen nachgeholt werden", konstatiert Wolfgang Bernhart, Marktexperte beim Berater Roland Berger. Und auch beim angekündigten Vollelektroauto dürfte das Ergebnis nicht viel überzeugender ausfallen. "Es ist eine fahrbare Batterie", fasst ein Branchenkenner, der einen Prototyp vor Ort gefahren hat, das Fahrvergnügen zusammen. Die Batterietechnik bleibt bis dato die wertvollste Kerntechnologie, die BYD beherrscht.
Kein Wunder, dass die Chinesen im Westen als Kooperationspartner gefragt sind. Etliche Autohersteller und Zulieferer buhlen um ihr Wissen in der Batterietechnik, VW hat bereits eine Kooperation vereinbart, weitere Bündnisse sind nicht ausgeschlossen. Der Grund für den Flirt von VW & Co.: BYD liebäugelt damit, seine Batterien in Zukunft auch an andere Autobauer zu verkaufen.
In der Zwischenzeit dient China Wang Chuanfu als gigantisches Experimentierlabor. Chinesische Autofahrer gelten als nicht so anspruchsvoll wie westliche. Zudem sind Millionen durch die vielen Elektromofas daran gewöhnt, ihre Fahrzeuge mit rudimentären Vorrichtungen nachts aufzuladen. "Und wenn die Technik nicht funktioniert, dann wird sie eben wieder ausgetauscht. Das nennt man Learning by Doing", sagt Gerd Möhrke von Management Engineers zur Markteinführungsstrategie von BYD.
Derartige potenzielle Rückrufaktionen kämen für einen globalen Hersteller wie VW einem Gau gleich. Den Chinesen ist das gleichgültig. Sie wollen sich mit der Hauruckmethode einen gewaltigen Erfahrungsvorsprung sichern, wenn es darum geht, Batterie- und Fahrzeugtechnik aufeinander abzustimmen. "Genau das kann die Chance für BYD werden, den Weltmarkt zu erobern", glaubt Möhrke.
Dass der Wille zum Erfolg in Shenzhen vorhanden ist, davon konnte sich der Westen bereits überzeugen. Schon vor fünf Jahren erzählte Wang angereisten Branchenmanagern aus Deutschland: "Wir steigen ganz groß in den Automobilmarkt ein." Sie hielten die Ankündigung für einen Witz. Mittlerweile wird Wang ernst genommen.
Zu Recht. Denn bisher ging es nur bergauf. Doch die rapide Expansion, sie offenbart auch die Grenzen von BYD. Das schnelle Wachstum und neue Technologien zu managen, das seien die größten Sorgen, ließ kürzlich erst Entwicklungschef Lian Yubo verlauten. Die Aktie gilt unter Investoren als spekulativ aufgebläht. Der Börsenwert von rund 13,2 Milliarden Euro spiegele deshalb nicht den wirklichen Wert des Unternehmens wider. Zum Vergleich: 2008 verdiente BYD bei Erlösen von 2,8 Milliarden Euro rund 130 Millionen. Steigt Buffett aus, so die Befürchtung mancher Börsianer, dürfte der Kurs implodieren.
Wettlauf der Besten
Zumal auch die Batterietechnik von BYD nicht mit dem Image des Unternehmens mithalten kann. Das Know-how der Chinesen gilt als nicht fortschrittlicher als das der Konkurrenz, allenfalls als vergleichbar. Experten aus dem Westen gehen davon aus, dass eine Batterie aus dem Hause BYD nicht länger als fünf Jahre hält. Analysten bezweifeln zudem, dass mit dem hohen Anteil an Handarbeit in der Produktion Qualitätsstandards in der Massenfertigung eingehalten werden können. Von offenen eigentumsrechtlichen Fragen ganz zu schweigen. Patentstreitigkeiten, etwa mit Süd-Chemie, verbieten vorerst den Export in den Westen.
Aber Wang Chuanfu will ohnehin erst China erobern. Und er genießt einen entscheidenden Vorteil: In dem Geschäft zählt Masse, das drückt die Preise. Und BYD hat Masse. "Wer die beste Technologie hat, aber die höchsten Preise, der kann nicht gewinnen", sagt Wang. Die Chinesen beanspruchen für sich, rund 30 Prozent billiger zu sein als Konkurrenten aus dem Westen. BYD will in fünf Jahren in der Sparte profitabel arbeiten.
Dass dies so schnell gelingen kann, daran zweifeln vor allem die etablierten Autohersteller und Zulieferer im Westen. Die Kosten für ein einbaufertiges Batteriesystem liegen heute bei rund 1100 Dollar pro Kilowattstunde. Bis 2020 dürfte der Preis zwar auf dann 400 US-Dollar pro Kilowattstunde sinken, hat eine detaillierte Kostenanalyse der Boston Consulting Group ergeben.
Ein Elektroauto wäre aber trotz dieses Preisrückgangs für Verbraucher immer noch teurer als herkömmliche Autos, rechnet man Anschaffungs- und Betriebskosten. "Erst mit Kauf- oder Steuersubventionen von 5000 bis 7000 Euro würde das Elektrofahrzeug wettbewerbsfähig", sagt Georg Sticher von Boston Consulting.
An der Goldgräberstimmung ändert dies nichts: "Es ist noch genug Platz für alle Hersteller da", sagt Florian Demleitner von German Capital, einem Risikokapitalgeber, der beim Schweizer Batteriebauer Leclanché investiert hat. Das Rennen um die Technik der Zukunft, es habe schließlich gerade erst begonnen.
Und wenn Wang Chuanfu daraus nicht als Sieger hervorgehen sollte? Dann wird sich der Chinese auf eine andere asiatische Tugend besinnen können: Bescheidenheit. Auch heute noch wohnt Wang mit seiner Familie in einer Firmenwohnung auf dem BYD-Gelände, isst häufig mit den Mitarbeitern in der Kantine: "Ich versuche, ein normales Leben zu führen." Keine leichte Übung als reichster Mann Chinas.
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