Kolumne Der Star ist die Mannschaft
Als wäre ein einzelner Mensch nicht nur in der Lage, das komplexe Zusammenspiel von Organisation und Markt vollumfänglich zu steuern, sondern dies auch noch unter allen Umständen und in allen Kontexten und zu aller Zeit und immer gleich erfolgreich. Der Historiker kennt dieses Männer-machen-Geschichte-Paradigma als publikumswirksame Personalisierung, die Napoleon Russland erobern lässt und den Nationalsozialismus zum Hitlerismus verschlankt.
Wir haben es hier mit einer Präsentation komplexer Ereignisabläufe zu tun, die man nicht mit den Ereignissen selbst verwechseln darf. Sie korrespondiert mit dem unvermindert beliebten "heroischen" Managementkonzept der 50er Jahre: Alles unter Kontrolle haben, direkt und direktiv eingreifen, bei Missständen sind immer Personen schuld, man selbst hat privilegierten Zugang zur Wahrheit. Entworfen werden Männer - selten eine Frau - mit Follow-me-Aura, jener "natürlichen" Autorität, die nicht mehr für Argumente werben muss, sondern sie qua Charisma durchsetzt. Bis hin zu jenem Manager, der, kaum dass er den Raum betritt, Eisblumen an die Fenster zaubert.
Nun muss man nicht gleich das eine Extrem durch ein anderes ersetzen, aber der Einfluss der Nummer eins wird in der Regel überschätzt: Sie treibt nicht die Organisation - die Organisation treibt sie; sie beschäftigt sich den Großteil ihrer Zeit mit operativen Details - und einen noch größeren Teil mit Problemen, die sie selbst erzeugt hat; ihr werden Entscheidungsspielräume unterstellt, die sie in der Realität gar nicht hat. Und je größer und globaler aufgestellt eine Organisation ist, umso weniger ist sie steuerbar. Solche Unternehmen kann man allenfalls irritieren.
Mehr noch: Unternehmen sind Kooperationsarenen, das heißt, ein Unternehmen ist um die Idee der Zusammenarbeit herumgebaut. Damit ist ausdrücklich nicht die Addition von Einzelleistungen gemeint. Sondern ein Ergebnis, das im Idealfall nur gemeinsam erzielt werden kann und das ein Zusammenspiel von Kräften voraussetzt. Das ist Synergie, das ist das Nutzen von Pool-Ressourcen, das sind Leistungspartnerschaften: Unterschiedliche Qualifikationen ergänzen sich, unterschiedliche Rollen greifen ineinander. Auch ein noch so leistungsfähiger Chef an der Unternehmensspitze kann ohne die Zuarbeit hervorragender Fach- und Führungskräfte nicht erfolgreich sein.
"It's lonely at the top"
Individuelle Leistung ist daher im Unternehmen schwer zu isolieren, Resultate sind kaum persönlich zurechenbar. Das ist unter den Bedingungen der Zusammenarbeit nicht einmal wünschenswert. Und je höher jemand hierarchisch steht, desto indirekter ist seine Wirkung.
Wer das bedauert, hat nicht verstanden, dass es Aufgabe von Führung ist, Zusammenarbeit mit Blick auf ein nur gemeinsam zu lösendes Problem zu organisieren. Und auch die Entscheidung ist eine soziale Konstruktion, sie ist, um ein Wort Hannah Arendts abzuwandeln, kein "Ich, sondern ein Wir". Das ist der Kern der Führung: Mannschaftsleitung als Mannschaftsleistung.
Deshalb müssen die Kräfte der Zusammenarbeit nicht nur per Appell, sondern vor allem strukturell gestärkt werden. Zumindest aber nicht strukturell geschwächt: Individuelle Extremlöhne an der Unternehmensspitze dementieren die Idee der Zusammenarbeit. Wer als Angestellter (!) ein Vielfaches seines direkten Mitarbeiters verdient, sollte nicht über Teamgeist reden.
Was aber kann die Nummer eins tun? Vor allem dies: die zehn erfolgskritischen Positionen mit exzellenten Personen ihres Vertrauens besetzen. Und die Ausgewählten muss sie dann machen lassen. Ihre Fähigkeit besteht also vor allem in der Kunst der richtigen Personalwahl und ihres richtigen Einsatzes. Das haben die Berner Stadtvögte in erinnerungswürdige Worte gekleidet: "Servir et disparaître" - eine frühe Definition postheroischen Managements, die Distanz zu sich selbst, die Ästhetik des Verschwindens im Dienst an der Zukunft.
Wer das Überleben des Unternehmens nachhaltig sichern will, exponiert sich nicht übermäßig. Stattdessen sorgt er dafür, dass auch (und gerade!) nach seinem Abgang sich die Dinge zum Besten entwickeln.
Karrierekampfmaschinen und selbstdarstellerische Entscheidungsathleten, die ihre Privatinteressen ideologisieren und mit kokettem Augenaufschlag "It's lonely at the top" seufzen, können das nicht. Leute wie Oswald Grübel, der bei der Credit Suisse ein Kompetenzvakuum hinterließ; Leute wie Guido Westerwelle, der allen internen Wettbewerb wegbiss und nun einer personifizierten Nullrunde vorsitzt; Leute wie Lucien Favre, der bei Hertha BSC bis zu seinem Abgang (und auch noch danach) eine Ohne-mich-läuft-hier-gar-nichts-Operette inszenierte.