Boston Consulting Die Qual der Wahl
Es gibt Nachrichten, die klingen derart nach Selbstverständlichkeit und Langeweile, dass man eigentlich stutzig werden müsste. Wie diese zum Beispiel: Hans-Paul Bürkner (56), so vermeldete die Unternehmensberatung Boston Consulting (BCG) Ende April, sei zum dritten Mal zu ihrem Vorsitzenden gewählt worden. Eine Sensation? Ein Spektakel? Irgendwie berichtenswert? Eher nicht. Er habe mit diesem Ergebnis gerechnet, antwortete Bürkner denn auch im "FAZ"-Interview auf die Frage, ob ihn das Resultat überrascht habe. Vulgo: Formsache.
Eine solche Äußerung zeugt von einem tief im Innern verankerten Selbstbewusstsein, das vielen Ostfriesen - Bürkner wuchs am Jadebusen auf - eigen ist und das diese gern mit Unscheinbarkeit (Brille, Seitenscheitel) tarnen. Sie zeigt aber auch eine beträchtliche Verharmlosung der Lage an. Denn in Wahrheit verbirgt sich hinter der Weltchefkür ein Machtkampf ohnegleichen. Schlimmer noch: Die Wahl ist Beleg für die Zerrissenheit des Beratungsunternehmens. Und dafür hat vor allem ihr Chef gesorgt.
Seit 2003 ist Bürkner im Amt. Gleich nach Dienstbeginn verordnete er den 600 Partnern einen strikten Wachstumskurs. Bis dahin hatte sich BCG eher durch ein intensives Grübeln ausgezeichnet, mit kreativen Innovationen die Kunden begeistert. Das konnte schon mal etwas länger dauern, der Return on Investment war nachrangig. Bürkners Devise hingegen lautete: Umsatz. Punkt.
Er wollte vor allem im hochprofitablen deutschen Consultingmarkt die Lücke zum Branchenführer McKinsey schließen, der damals doppelt so viel Geschäft auswies wie BCG. Die Strategie ging auf. Etliche Finanzkunden konnte die Bürkner-Truppe dem Konkurrenten abspenstig machen. Sogar im einst verhassten Kostenkürzen ist BCG mittlerweile eine veritable Größe. "Wir sind nicht mehr die netten Jungs", sagt ein BCGler.
Der Wachstumskurs hat einen hohen Preis, für viele BCG-Partner einen zu hohen. Bei all dem Cash-Sammeln geht die Firmenkultur verloren, das Unverwechselbare. Noch hat die elitäre Marke, im Recruitingmarkt schon seit Längerem die Nummer eins der Zunft, nicht gelitten; das belegt auch die Fink-Studie. Aber, so fürchten viele Bostoner, das könnte sich schon bald ändern.
Bei der Weltchefwahl entlud sich der Zorn. Bürkner wurde abgestraft, musste sich einem denk- und entwürdigenden Wahlmarathon stellen.
BCG-Gründer Bruce D. Henderson, Sohn eines Bibelverlegers aus Tennessee, hatte einst für die Wiederwahl hohe Hürden in den Statuten errichtet. Wer Chef werden will, muss die Hälfte der Partner hinter sich bringen. Wer zum zweiten Mal antritt, braucht schon 10 Prozent mehr. Und wer, wie Bürkner, eine dritte Amtszeit anstrebt, muss 70 Prozent überzeugen. Mit diesem Mechanismus wollte Henderson verhindern, dass in einer Gemeinschaft gleichberechtigter Partner die Macht zementiert wird.
Ein tiefer Riss geht durch die Belegschaft
Bürkner gewann nur etwas mehr als die Hälfte der Stimmen, verfehlte also das erforderliche Quorum. Nun gilt bei BCG das ungeschriebene Gesetz, dass eine solche Abfuhr dazu führt, dass man den Weg für einen Nachfolger frei macht. Bürkners Vorgänger Carl Stern (63), von 1998 bis 2003 an der BCG-Spitze, hatte sich an diese informelle Regel gehalten, genauso wie andere CEOs zuvor.
Doch Bürkner wollte von der Macht nicht lassen und trat erneut an. Nun wurde ein komplett neues Wahlverfahren eingeleitet. Per Mail schlugen die Partner Kandidaten vor, die zehn beliebtesten wurden veröffentlicht.
Es folgte ein harter Kampf um die Wählergunst. Die Top Ten schrieben jeder ein Manifest, über das dann in einem Online-Forum fleißig diskutiert wurde. Nach und nach wurde die Liste verkürzt und erneut zur Abstimmung gestellt. Zunächst traten fünf gegeneinander an, dann blieben noch drei Anwärter übrig. Bürkner, der frühere Amerika-Chef Ron Nicol (57) und - jetzt wird die Chose brisant - der langjährige Leiter des deutschen Büros, Dieter Heuskel (58).
Heuskel ist nicht irgendein Kandidat. Der Düsseldorfer hat eine herausgehobene Stellung in der BCG-Gemeinde. Im Executive Committee sitzt er als eine Art Arbeitnehmervertreter. Die Partner haben das Recht, einen aus ihrer Mitte in das höchste Entscheidungsgremium zu wählen. Hinter Heuskel, dem die Bürkner-Linie noch nie gepasst hat, versammelten sich viele gleichgesinnte Seniorpartner.
Das Ringen wurde intensiver. Die Kandidaten bereisten die Büros, präsentierten ihre Ideen in Videokonferenzen, fast wie im richtigen Politleben. Während Bürkner weiteres Wachstum propagierte (Slogan: "Passion to growth"), warb Heuskel mit dem Gegenteiligen. Das "Mehr" sei nicht länger gut genug. Man müsse die Richtung ändern, und zwar sofort: "We have to change direction, and we have to do it now." Vehement plädierte Heuskel dafür, die aus seiner Sicht vernachlässigte Qualität schnellstens zu verbessern, durch Investitionen in Forschung und Entwicklung, sprich in das Know-how der BCGler.
Am Ende blieben Nicol und Bürkner übrig. Drei weitere Wahlgänge zwischen den beiden folgten, weil Bürkner jedes Mal die 70 Prozent verfehlte. Schließlich waren die Partner es leid. Um überhaupt eine Entscheidung zu bekommen, sollte Bürkner die Stimmenmehrheit reichen, die er dann auch, hauchdünn, schaffte.
Das quälend lange Prozedere zeigt: Es geht ein tiefer Riss durch die Belegschaft. Auch in Deutschland. Der hiesige Chef Christian Veith (49), ein Vertrauter Bürkners, besitzt genug Sensibilität, um die Gefahr zu erkennen. Er kümmert sich derzeit vor allem um drei Punkte: Stimmung, Vertrauen, Motivation. "Mir ist der Zusammenhalt wichtig, ich möchte den Mannschaftsgeist fördern", sagt er.
Das Volk verlangt, dass Köpfe rollen
BCG-Partner wundern sich ohnehin, dass bei all dem Gezerre das Geschäft noch so passabel läuft. "Wenn wir in diesem Jahr Nullwachstum schaffen, wäre das ein gutes Ergebnis", so Veith. "Und dafür liegen wir gut auf Kurs."
Auch nach Bürkners Wiederwahl ist die Kritik an dessen Stil nicht verstummt. Nicht nur seine Strategie ist umstritten. Sein Führungsverständnis nach Art des "Basta-Consulting" stößt vielen bitter auf, die BCG bislang eher als basisdemokratische Institution verstanden haben. Bürkner, so der Vorwurf, habe Vasallen auf Schlüsselpositionen gehievt, unabhängig von deren Qualifikation. Mit dem Bonushebel hält er sie sich gewogen. Dieses "Family-and-Friends-Programm" hatte auch Kontrahent Nicol im Wahlkampf heftig moniert.
Schon vor Jahren hatte Bürkner einen größeren Gewinnanteil zu seiner eigenen Disposition eingefordert. Nur mit Mühe kam der Vorstoß damals durch. Die Abstimmung musste sogar wegen formaler Mängel wiederholt werden. "Das war wie im Iran", erinnert sich ein Partner mit Grausen an den Urnengang.
Massiv wurde die Forderung laut, er solle nun, in seiner dritten Amtszeit, Grundlegendes ändern, Leute aus seinem Führungsteam austauschen. Kurz: Das Volk verlangt, dass Köpfe rollen.
Bürkner findet solcherlei Debatten offensichtlich fruchtbar. "Die Diskussion über das Was und Wie ist immer wichtig in einer Partnerschaft", hat er der "FAZ" anvertraut.
Er hat auch schon reagiert. Zwei Arbeitsgruppen wurden eingerichtet, für ein neues Entlohnungssystem und mehr Mitbestimmung. Die Besetzung hat er, wie üblich, selbst vorgenommen. Und die Taskforces sollen an ihn berichten.
Wie Bürkner auf diese Weise die Partnerriege befrieden will, ist langjährigen BCGlern ein Rätsel. Der nächste Knall ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.