Konsum Was jetzt noch Wert hat
Na bitte, geht doch! Vier Autos hat Christian Laube heute verkauft. Ein Ehepaar brauchte einen geräumigen Kombi für die Fahrten ins Ferienhaus in Südfrankreich. Eine Jurastudentin kaufte ihr erstes Auto überhaupt. Eine 79-Jährige hatte sich von ihrem Sohn überreden lassen, den 19 Jahre alten Ford endlich gegen einen sichereren Neuwagen einzutauschen. Und ein Hobbyjäger orderte ebenfalls einen Kombi, mit einer blutabweisenden Plastikauskleidung des Kofferraums als Sonderausstattung.
Die Automarke, die Laube im weiß gefliesten Tiefparterre der Kölner Renault-Niederlassung anbietet, heißt Dacia und bildet den Billigableger des ohnehin nicht besonders hochpreisigen französischen Autokonzerns. Die Armaturenbretter der beiden Dacia-Modelle Logan und Sandero wirken wie aus alten Plastiktüten recycelt, elektrische Fensterheber gibt es nur als Extra.
Obwohl dem Dacia also so ziemlich alles fehlt, was autoverrückte Deutsche gemeinhin schätzen - ausgefeilte Technik, modernes Design und ein statusverheißendes Emblem auf dem Kühlergrill -, ist der Renault-Ableger der erfolgreichste Newcomer auf dem krisengeschüttelten deutschen Automarkt. 2008 verkaufte Dacia 44 Prozent mehr Fahrzeuge als im Vorjahr, während der gesamte deutsche Automarkt um 2 Prozent schrumpfte.
Und dann kam noch die Abwrackprämie. Am Samstag nach dem entsprechenden Regierungsbeschluss musste Laube Rangeleien zwischen seinen Kunden schlichten, die stundenlang auf ein Gespräch mit einem Verkäufer gewartet hatten. "Rezession hab ich mir irgendwie anders vorgestellt", sagt Laube.
Was ist bloß mit dem deutschen Verbraucher los? Jahrelang bremste seine notorische Knickerigkeit den Aufschwung in Deutschland, ach was: in ganz Europa. Und nun, während die Bundesrepublik in der tiefsten Rezession ihrer Geschichte steckt, die Wirtschaftsnachrichten nur noch aus Hiobsbotschaften bestehen und das US-Verbrauchervertrauen auf den tiefsten Stand seit Beginn der Messungen fällt, geht ausgerechnet der Deutsche unverdrossen weiter einkaufen. Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) erwartet, dass die Konsumausgaben in Deutschland 2009 sogar leicht zulegen werden - während die gesamte Wirtschaft um mindestens 3 Prozent schrumpfen dürfte.
Der Alte tut's ja auch noch
Von der Konjunkturbremse ist der deutsche Verbraucher zur Konjunkturstütze geworden, und die Unternehmen können von diesem Rollentausch profitieren. Voraussetzung: Sie verstehen das ganz besondere Lebensgefühl, das die Bürger in dieser Krise umtreibt - und bieten entsprechende Produkte an.
In der Seele des deutschen Verbrauchers überlagern sich derzeit zwei Formen von Krisengefühl. Da ist zum einen die Reaktion auf den Konjunktureinbruch. Aus vergangenen Rezessionen wissen Marktforscher: Wie stark solche Einbrüche auf den Konsum durchschlagen, hängt vor allem an der Arbeitslosigkeit. "Ein Arbeitsloser mehr löst im Schnitt bei drei weiteren Menschen in seinem Umfeld Angst um den Arbeitsplatz aus", sagt GfK-Chef Klaus Wübbenhorst.
Sobald diese Angst da ist, werden größere Anschaffungen hinausgezögert - der alte Fernseher tut's ja eigentlich auch noch. Als Nächstes entfallen Restaurantbesuche, dafür steigen die Umsätze im Lebensmittelhandel, vor allem für Fertiggerichte und Handelsmarken. Es gibt Tiefkühlpizza von Aldi statt Quattro Stagioni beim Italiener. Die Umsätze für Sekt, Wein und Schnaps sinken ebenfalls. Stattdessen tröstet sich der Deutsche mit Pralinen, die Süßwarenumsätze steigen in der Krise.
Ob sich die relativ optimistische GfK-Prognose für 2009 erfüllt, hängt also vor allem davon ab, wie gut es durch Kurzarbeit und Konjunkturprogramme gelingt, den Anstieg der Arbeitslosigkeit mit ihrer mächtigen Hebelwirkung auf den Konsum zu dämpfen. Doch längst nicht alles lässt sich mit der konjunkturellen Lage erklären. Warum verzeichnet mitten in der Rezession zum Beispiel die keineswegs billige Spielzeugmarke Playmobil kräftige Zuwächse? Mit 5 Prozent Umsatzplus im deutschen Markt rechnet Andrea Schauer, Geschäftsführerin beim Playmobilhersteller Geobra Brandstätter.
"In Boomzeiten schenken die Kunden ihren Kindern auch mal ein spektakuläres neues Spielzeug, das vielleicht schon nach ein paar Monaten in der Ecke liegt", sagt Schauer. "In der Krise kaufen sie lieber Playmobil, weil sie wissen: Damit werden meine Kinder jahrelang spielen." Diese Sehnsucht nach Beständigkeit ist Teil eines längerfristigen Phänomens: Seit der Jahrtausendwende vollzieht sich in Deutschland ein grundlegender Wandel der Einstellungen, auf dessen Folgen für den Konsum sich bislang die wenigsten Unternehmen eingestellt haben.
Jener gewaltige Mahlstrom namens Individualisierung, der seit den 60er Jahren alle westlichen Gesellschaften erfasste und unaufhörlich fortzuschreiten schien, er ist zumindest hierzulande zum Stillstand gekommen. Umfragen zeigen: Statt immer weiter in Richtung Selbstverwirklichung, Hedonismus und Abkopplung von traditionellen Bindungen bewegen sich die Deutschen derzeit eher wieder in die entgegengesetzte Richtung - zurück zu traditionellen Einstellungen, Lebensweisen und Konsumwünschen. Verlässlichkeit und Sicherheit stehen wieder hoch im Kurs.
"Wandel des Wertewandels"
Der Mainzer Soziologieprofessor Stefan Hradil spricht vom "Wandel des Wertewandels", der Deutschland seit der Jahrtausendwende ereilt habe. Friederike Müller-Friemauth vom Heidelberger Forschungsinstitut Sinus Sociovision hat das gleiche Phänomen "Regrounding" getauft: "Familie, Gesundheit, Heimat spielen wieder eine größere Rolle." Materieller Wohlstand bleibe wichtig, er definiere sich aber stärker über die Solidität der Produkte als über den schnellen Thrill. Der Shoppingtrip nach New York taugt längst nicht mehr als Partythema, wohl aber die edle Einbauküche.
Eine neue Biederkeit zieht ein - eine Entwicklung, die durch die aktuelle Rezession noch beschleunigt wird, deren Ursachen aber bereits im Doppelschock des Jahres 2001 zu suchen sind: dem Platzen der Internetblase an den Weltbörsen, von dem auch deutsche Privatanleger massenhaft betroffen waren, und dem Anschlag auf das World Trade Center mit anschließender Terrorangst. "Es waren diese beiden Ereignisse, die das Vertrauen der Deutschen in die politische und wirtschaftliche Steuerungsfähigkeit einer globalisierten Gesellschaft nachhaltig erschüttert haben", sagt Müller-Friemauth. Mit dem Rückzug ins Überschaubare, Familiäre, Kleinräumige als durchaus rationale Gegenreaktion.
Seitdem hat für die Deutschen die Krise nicht mehr wirklich aufgehört. Auf die Rezession 2002 folgten die Hartz-Reformen, die soziale Abstiegsängste bis weit in die Mittelschichten hinein verursachten. Auch der darauffolgende kurze Aufschwung der Jahre 2005 bis 2007 fühlte sich aus Sicht der meisten Konsumenten eher wie eine Krise an: Die Realeinkommen stagnierten, die Abstiegsängste blieben. Nur die Einkommen der Spitzenverdiener legten kräftig zu und hinterließen bei der Masse der Deutschen das Gefühl sozialer Ungerechtigkeit. Steigende Energiekosten nährten zusätzlich die Sorge, den angestammten Lebensstandard nicht halten zu können.
In diese chronisch gedrückte Stimmung sank die aktuelle Rezession hinein wie in ein längst bereitetes Bett. Gerade weil die Deutschen schon seit Jahren die Angst um ihren Arbeitsplatz umtreibt und sie deshalb ihr Geld beisammenhalten, hat die Finanzkrise nicht wie in den USA zu einem plötzlichen Einbruch bei den Konsumausgaben geführt. Gleichzeitig machen sich die Deutschen keine Illusion über das Ausmaß der Krise. Das zeigt eine Umfrage, die Sinus im Februar zusammen mit dem Marktforschungsinstitut Nielsen durchgeführt hat und deren wichtigste Ergebnisse manager magazin exklusiv veröffentlicht.
Das Regrounding-Phänomen erklärt auch den Erfolg von Dacia. Renault-Deutschland-Chef Jacques Rivoal wurde selbst überrascht von der Zuneigung zu den klobigen Balkan-Kisten: "Ursprünglich sollte Dacia nur in Osteuropa und in Schwellenländern vertrieben werden." Erst als freie Importeure den Dacia Logan mit großem Erfolg auf dem deutschen Markt anboten, sprang Renault auf den Zug. Inzwischen trägt jedes vierte Auto, das Renault in Deutschland verkauft, das Dacia-Logo.
Die rumänische Billigmarke hat mit ihren Mittelklassewagen für 7500 Euro aufwärts eine völlig neue Zielgruppe erschlossen: jene, die sich vorher noch nie ein neues Auto leisten konnten oder wollten und deshalb im Gebrauchtwagenmarkt unterwegs waren. Zum Preis eines durchschnittlichen Gebrauchten bietet Dacia gegenüber diesem einen entscheidenden Vorteil: eine Dreijahresgarantie, mit der die Folgekosten des Autokaufs kalkulierbar werden. Solche Sicherheiten suchen Verbraucher derzeit.
Die deutsche Autoindustrie hat stattdessen immer mehr Marken mit "Premium"-Anspruch zu Statussymbolen aufgepumpt - und dabei übersehen, dass immer größere, immer teurere, immer schnellere Autos nicht so recht in eine Gesellschaft passen, die sich mit Krisenängsten plagt.
Neue Sehnsucht nach Heimat
Viele etablierte Unternehmen müssen umdenken, wollen sie in der Krise erfolgreich sein. Die jahrelang gültige Regel, wonach im deutschen Markt nur noch Aldi und Armani Wachstum versprechen, das Billig- oder das Luxussegment, sie gilt nur noch eingeschränkt.
Klar, das Aldi-Prinzip geht noch immer, wie der Erfolg von Dacia beweist. Die Armani-Strategie hingegen ist kein Selbstläufer mehr. Zum Lebensgefühl der Krise passt Luxus nur, wenn er nicht übertrieben kapriziös daherkommt, sondern sich mit Verlässlichkeit paart.
Das zeigt sich zum Beispiel im Tourismus: Unter der Krise leiden vor allem teure Fernreiseziele. Zum einen, weil in unsicheren Zeiten gern am Urlaub gespart wird. Zum anderen, weil sich der Prestigewert einer Fernreise drastisch reduziert hat - es waren einfach schon zu viele Deutsche in Südafrika oder auf den Malediven, und Fliegen gilt längst nicht mehr als Luxus, sondern zunehmend als Ärgernis. "Ein Comeback des Deutschland-Tourismus zeichnet sich ab", sagt der Freizeitforscher Horst Opaschowski.
2005 nannten 32 Prozent der Deutschen ihr Heimatland als liebstes Reiseziel. 2008 waren es bereits 38 Prozent, und Opaschowski ist sich sicher: "Die Finanz- und Wirtschaftskrise verstärkt diesen Trend." Dass Urlaub in Deutschland jahrelang als Inbegriff der Spießigkeit galt und keineswegs als besonders preiswert - vergeben und vergessen. Die neue Sehnsucht nach Heimat überstrahlt alles.
Nur dank dieser Sehnsucht konnte ausgerechnet im Landwirtschaftsverlag in Münter-Hiltrup, zwischen den Redaktionen von "Top-Agrar" und dem "Fleischrinder-Journal", die erfolgreichste Zeitschriftenneugründung seit der Jahrtausendwende entstehen. "Ursprünglich wollten wir ein Magazin für Bäuerinnen machen", erinnert sich Verlagsgeschäftsführer Karl-Heinz Bonny. "Uns fiel auf, dass der deutsche Landfrauenverband mehr als 400.000 Mitglieder hat - und kein Medium, das diese Zielgruppe bedient."
Heraus kam ein Zweimonatsblatt namens "Landlust", ein Kessel Buntes aus Rezepten, Gartenbautipps und allerlei bukolischen Betrachtungen, das Ganze gedruckt auf teurem Hochglanzpapier. Mit 100.000 verkauften Exemplaren hatte Bonny kalkuliert, um die Gewinnschwelle zu erreichen. Inzwischen sind es mehr als 400.000. Die klassische Landfrau macht dabei nur rund ein Drittel der Leserinnen aus. Ein ebenso großer Teil, und das überrascht auch Bonny, sind Großstadtbewohner, die zwar keinen Garten besitzen, für die "Landlust" aber offenbar genau das richtige Lebensgefühl ausstrahlt.
So sieht es auch das Forschungsinstitut Allensbach in einer Analyse: "Der Erfolg eines Titels wie 'Landlust' kann in Zusammenhang mit einem Wertewandel in Deutschland gebracht werden." Der sei gekennzeichnet durch geringeres Streben nach sozialem Aufstieg und nach hohem Einkommen bei gleichzeitig gestiegenem Familiensinn, Gesundheits- und Umweltbewusstsein.
Wer diese neue Befindlichkeit bedient, kann auch in der Krise gute Geschäfte machen. So wie Andrea Schauer. Die Playmobil-Managerin ist sich schon jetzt sicher, welche Neuheiten 2009 die Renner im Sortiment werden: Bei den Jungs die Drachenburg, bei den Mädchen die Playmobil-Schule. Die neuen alten Werte - in den Kinderzimmern sind sie längst angekommen.
Konsum: Das Vertrauen schwindet