Barbara Kux Eiserne Lady
Beim ersten Kennenlerngespräch trat sie auf, wie man das heute von einem Vorstand eines Dax-Konzerns erwartet. Kompetent, tatkräftig, kommunikativ. Sie wirkte frisch und selbstbewusst. Ihre dringlichste Bitte - "Ich möchte keinesfalls im Vordergrund stehen" - unterstrich sie mit einem feinen Lächeln.
Es ist ein besonders hübsches Lächeln. Das ihrem Gesicht sofort einen mädchenhaften Zug verleiht. Wir haben auch registriert, dass sie ein elegantes dunkelblaues Ensemble trug und dazu die winzigsten Goldohrringe, die man bei Cartier überhaupt finden kann.
Doch da kommen wir sogleich an einen heiklen Punkt. Natürlich haben wir uns im Laufe der Jahre bei Herren aus der Vorstandsetage schon mal über einen zu strengen Seitenscheitel, ein manieriertes Einstecktuch oder allzu verspieltes Schuhwerk geäußert ("Italian Stepdancer" war der Spitzname von Ex-Deutschbanker Rolf Breuer). Aber dürfen wir über Äußerlichkeiten reden bei Barbara Kux?
Barbara Kux ist die erste Frau im Vorstand der Siemens AG (Kurswerte anzeigen) seit der Gründung vor 161 Jahren - eines vornehmlich von Männern gesteuerten Riesentankers mit weltweit über 400.000 Mitarbeitern, tätig auf den Gebieten Industrie, Energie, Medizin. Keine alltägliche Personalie. Denn Siemens ist damit das einzige der im Dax notierten Unternehmen mit einem weiblichen Vorstandsmitglied. "Das ist ein historischer Einschnitt", kommentierte die "Süddeutsche Zeitung". "Und vielleicht so ungewöhnlich wie die Wahl des Schwarzen Barack Obama ins Weiße Haus."
Barbara Kux ist Teil der Zukunftsinitiative von Peter Löscher, der seit knapp zwei Jahren an der Spitze des Unternehmens steht. Und sehr bald wissen ließ, dass er die Führung des Münchener Konzerns als "zu weiß, zu deutsch und zu männlich" empfindet. Der Österreicher möchte den urdeutschen Traditionskonzern offener, flexibler, internationaler aufstellen. Nach Abschluss der lähmenden, über zwei Jahre währenden US-Korruptionsermittlungen strebt man nach einer neuen Unternehmenskultur. Und dazu gehört auch - für alle sichtbar - eine Frau im Vorstand.
Netzwerkerin mit Speed und Drive
Die möchte nun natürlich nach allen möglichen Kriterien beurteilt werden - nur nicht nach ihrem Kleidungsstil. Bringen wir es also gleich hinter uns: Der Auftritt der 55-jährigen Schweizerin ist makellos. Wie aus dem Managerlehrbuch. Konservativ, dabei nicht zu brav. Diszipliniert, aber unverkrampft.
Barbara Kux wirkt sehr viel jünger, als sie ist, sportlich - tatsächlich macht sie jeden Morgen um 7.30 Uhr Fitness und ist eine glänzende Skiläuferin -, und im Gespräch sachlich, geradlinig, konzentriert. "An ihr ist nichts Aufgesetztes", beschreibt es René Umlauft, ihr Kollege im Sustainability Board und CEO der Division Erneuerbare Energien.
Das zweite Treffen, das eigentliche Interview, bereitet Kux akribisch vor. Der Presseabteilung benennt sie Kollegen und Weggefährten, die bereit sind, Statements über ihren Werdegang und Führungsstil abzugeben. Und die Siemensianer der verschiedensten Hierarchiestufen wurden dann nicht müde zu versichern, wie normal es doch sei, dass Kux das neu geschaffene Ressort Supply-Chain-Management (SCM) führt, also für das gesamte Siemens-Einkaufsvolumen von rund 40 Milliarden Euro (Siemens-Umsatz 2008: 77,3 Milliarden Euro) verantwortlich zeichnet.
Und zusätzlich auch noch als Chief Sustainability Officer das grüne Gewissen von Siemens geben soll. "Mich hat mehr überrascht, dass der Einkauf Vorstandsrang bekommt, als die Tatsache, dass diese Position eine Frau ausfüllt", sagt Siegfried Russwurm, der Siemens-Personalvorstand. Und Jan Hommen, CEO der ING Group, der ihr als Finanzvorstand bei Philips begegnete, antwortete auf die Frage, ob ihn die Berufung von Barbara Kux in die Führung eines Großkonzerns erstaunt habe, knapp: "She was ready for that."
Alle bezeugten, was Wunder, dass sie Speed und Drive habe. Lobten und frohlockten, wie tough, talentiert, energiegeladen und zielstrebig sie sei. Was aber auffiel: Sie machten das offensichtlich gern. Barbara Kux ist eine begnadete Netzwerkerin. Sie hat immer dafür plädiert, sich in die bestehenden Seilschaften der Männer einzuklinken, keine separaten Netze zu knüpfen. Eine Vorgehensweise, die inzwischen sogar von Soziologen empfohlen wird. "Ich rate Frauen: Setzt euch zu den Männern, und raucht eine Zigarre mit", erklärte Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, einmal, "sonst kommt ihr nicht rein."
"Sei besser, schneller, billiger!"
Und Barbara Kux ließ zur Vorbereitung Material schicken. Videos und Artikel über das Kick-off-Treffen Mitte Januar in Feldafing - ihren ersten großen Aufschlag im Unternehmen. Eine Tagung mit Führungskräften der Supply-Chain-Management-Organisation aus allen Sektoren und Regionen. Den Top 100 im Einkauf. Der offizielle Start der SCM Initiative, die den Einkauf stärker bündeln und zudem die Zahl der Zulieferer um 20 Prozent reduzieren soll.
"Da ist eine richtige Aufbruchstimmung entstanden", sagt da zum Beispiel Robert Suchy, Einkaufsleiter Sektor Energy. "Wir haben im Vorstand jetzt einen Anwalt für den Einkauf. Das gibt neue Kraft. Da kann man die Hebel ganz anders ansetzen." Kux (Ihr Credo: "Sei besser, schneller, billiger!") habe "der Einkaufs-Community neues Leben eingehaucht".
Unser Mittagessen ist um zwölf Uhr in der Siemens-Zentrale am Wittelsbacherplatz in München. Sie wirkt angestrengt. Am liebsten würde sie sich wohl hinter all den CDs, Aufsätzen, Quotes und Videos verstecken. "Das Team ist wichtig", sagt sie wieder fast beschwörend. "Nicht meine Person." Zum Auftakt des Gesprächs gibt es Karotten-Orangenschaum-Suppe, und das bleibt dann auch schon das Lockerflockigste an diesem Tisch. Barbara Kux hält ihre Hände wie eine Fernsehansagerin ordentlich übereinandergelegt und gibt in tadelloser Haltung Statements ab - als habe die "Tagesschau" Mikrofone und Kameras aufgestellt. Oder Siemens eine Medienschulung für Vorstände anberaumt.
Auf die Frage, ob sie auf dem Gymnasium ihre Begabung eher im schöngeistigen oder im naturwissenschaftlichen Bereich gesehen habe, teilt sie mit: "Ich habe ein ziemlich ausgewogenes Profil in beiden Bereichen." Punkt. - Angesprochen auf die grandiosen Schwierigkeiten, in einem dezentralisierten Unternehmen wie Siemens eine konzernübergreifende Einkaufsstrategie durchzusetzen, meint sie, ohne eine Miene zu verziehen: "Wir sind ein exzellentes Team. Wir haben unsere klaren Ziele. Wir sind gut unterwegs." - Und wie steht es um ihre Menschenkenntnis? "Ich leite das von den Zielen ab. Wie weit kann derjenige, um den es geht, einen Beitrag für die Aufgabe leisten?"
Da nützt dann auch kein gut gewürztes Zackenbarschfilet auf Rote-Beete-Risotto. Barbara Kux kann, wenn sie es für sinnvoll erachtet, knochentrocken sein. Und ihre Gedanken hinter einem freundlichen Pokerface verbergen. Verhandeln möchte man in solch beinharter Phase mit ihr nicht. Die Gefahr wäre zu groß, dass man den Kürzeren zieht.
Auf ihr, das ist mit Händen zu greifen, lastet ein gewaltiger Druck. Sie hat den härtesten Job des Hauses. Alle Scheinwerfer sind auf sie gerichtet. Und auch, wenn sie das nach außen nicht preisgeben möchte: Es gibt genügend Kollegen auf allen Ebenen, quer durch die Sektoren, Divisionen und Business Units, die nur darauf warten, dass sich die Dame im Vorstand als Luftnummer erweist.
Scheitern ist keine Option
Wird sie sich durchsetzen? - Die Mauernden und Maulenden mitzureißen. Und dabei keinen Trümmerhaufen zu hinterlassen. Das wird ihre Aufgabe sein. Scheitern ist keine Option. "Sie ist sehr gut gestartet", sagen die, die ihr wohlmeinen. Aber am Ende zählt die nackte Zahl.
Unterschätzen sollte man sie nicht. Nach unserem Mittagessen hält sie eine Rede vor Nachwuchs-Siemensianern, und die "Young Talents" scheinen begeistert von der Verve der Vorstandsfrau und ihrer SCM-Initiative. Vom neuen Symbol - einem Kreuz aus Händen. Dem bewussten Miteinander.
Das sei ihre Stärke, meint Theo Kowalski, der Projektleiter der SCM-Initiative: "Ihr gelingt es, Leute auch auf emotionaler Ebene anzusprechen." Und sie beeindrucke mit ihrer Erfahrung. Bei Philips habe sie mit ihrer Einkaufsstrategie - gebündelte Einkäufe, günstigere Konditionen, vom Computer bis zum Fuhrpark - Milliarden eingespart. Und die Zahl der Lieferanten um ein Drittel verringert. In Feldafing hat sie für ihre Teams zu einer Olympiade der Besten aufgerufen. Ende 2009 verteilt sie die Medaillen. So was gefällt "Young Talents".
Aber wer ist die Person dahinter? Wer ist Barbara Kux? Interviews hat sie, ob als Polen-Chefin für Nestléoder Direktorin bei Ford Europe, stets zu vermeiden gewusst. - Sie spürt wohl unsere Enttäuschung darüber, dass sie so wenig Nähe zugelassen hat. Und bittet noch einmal in ihr Büro, nun ganz entspannt, zu einem Gespräch unter vier Augen. Nach und nach fügt sich so langsam ein Bild, lässt sich erahnen, woher die Schweizerin ihre Energie und Zähigkeit bezieht.
Sie steht auf dem soliden Fundament eines Akademiker-Elternhauses. Von Kindesbeinen an gefüttert mit Bildung, Internationalität, Weltoffenheit. Die Mutter, die in Tübingen Germanistik und Romanistik studierte, stammt aus einer währschaften Züricher Geschäftsfamilie. Der Vater, ein in Tschechien geborener Deutscher, der in Tübingen Philosophie belegt hatte, hielt später Vorlesungen an der Universität St. Gallen. Und arbeitete als Asien- und Russland-Experte für die "Neue Zürcher Zeitung".
Schon als Kind, erinnert sich Kux, habe sie japanische und amerikanische Spielkameraden gehabt. "Wir hatten immer Gäste." Mit 17 Jahren geht sie für ein Austauschjahr in die USA. Dort saugt sie das amerikanische Mantra auf: Wie hoch dein Ziel auch ist, du kannst es erreichen, wenn du es willst. "Diese Denkweise prägt mich bis heute."
Für die akademische Welt ihrer Eltern war sie fortan verdorben. Sie will etwas machen. Lernen, wie man ein Unternehmen führt, und zwar in Theorie und Praxis. So geht sie auf die renommierte Hotelfachschule in Lausanne. Macht den besten Abschluss ihres Jahrgangs. Im offiziellen Lebenslauf finden sich Matura, AFS Scholarship, dann Insead in Fontainebleau, wo sie ihren MBA mit Auszeichnung macht. Die Hotelfachschule fehlt, sie fügt sich wohl nicht so recht in die Bilderbuch-Vita einer Corporate-Karriere ein. Die 1984 logischerweise auch zu McKinsey führt. "Schon als sie kam, war sie mehr McKinsey als wir alle", erinnert sich ein damaliger Kollege.
"Ich will mich selbst übertreffen"
Als junge Marketingmanagerin bei einer Nestlé-Tochter in Deutschland hatte sie Blut geleckt. Und ging ihren Weg, wie es ihre Art ist, strategisch und analytisch an. ABB, Nestlé, Ford, Philips, Siemens, da war kein Halten und kein Bruch. 1995 wird sie in den Kreis der "Global Leader of Tomorrow" in Davos aufgenommen. Heute sitzt sie im Board von Insead unter anderem an der Seite von Roland Berger. "Sie war sehr schnell im Goldfischteich." Was rasch auffällt: Die Frau mit der Silhouette eines Schulmädchens konnte in der Durchsetzung ihrer Ziele unerbittlich sein. "Sie macht keine Kompromisse", freut sich ein Bewunderer. "Notfalls macht sie auch keine Gefangenen."
In Osteuropa hat Barbara Kux nachhaltig Spuren hinterlassen. Sie habe die Basis für den heutigen Erfolg von Nestlé in dieser Region gelegt, meint Wolfgang Reichenberger, ehemaliger CFO von Nestlé. Und Sir Nicholas Scheele, heute angesehener Berater in England, der sie als Ford-Vorstand für das Ostgeschäft einstellte, bekräftigt: "Sie hat unsere dortigen Verkaufszahlen verdoppelt, das war toll. Davon profitiert Ford bis heute." Welchen Preis zahlt sie für ihre Karriere? Freunde hat sie mit ihrer Kompromisslosigkeit, mit der sie - in ihren Worten - "die Option Familie und Kinder" für sich ausschloss, mitunter irritiert, diese Zielgerichtetheit, auch im Privaten. "Es wäre gelogen zu sagen, mein Leben als Topmanagerin sei ausbalanciert", bekannte sie einmal. "Was mir die Kraft gibt, meinen Job zu tun, ist die Freude an der Herausforderung. Ich will den Erfolg, ich will mich selbst übertreffen."
Aber wie lebt sie denn eigentlich? Während ihre männlichen Kollegen gemeinhin angeregt von ihren Ehefrauen schwärmen - "Sie ist mein kulturelles Gewissen" -, teilt sie lediglich mit, dass sie seit 30 Jahren mit einem Lebenspartner zusammenlebt, einem Mann, der einer holländischen Unternehmerfamilie entstammt. Und sich um die Familienstiftung kümmert.
Sie kennt ihn seit der Hotelfachschule in Lausanne. Und die Ehefrauen auf den McKinsey-Familientreffen vermissen den gut aussehenden, charmanten Marc bis heute. Beim "Damenprogramm" war er damals Hahn im Korb. "Ein tolles Paar", sagt einer. "Er ist wirtschaftlich völlig unabhängig. Organisiert das gemeinsame Leben. Der Mann ist ein Lottogewinn."
Ihre Ferienheimat im Winter ist St. Moritz, dort wohnen sie im "Kulm", beide lieben Bücher, das Theater, die Oper und Musik, sie hört besonders gern Chopin. Was ist für sie ein glücklicher Tag? Sie sagt: "Wenn ich die Augen eines glücklichen Teams sehe. Wenn mich ein Mitarbeiter positiv überrascht." - Könnte man sich da nicht auch noch irgend etwas anderes vorstellen? - Sie überlegt. "Wir sind sehr gern in Paris", sagt sie dann. Dort gehen sie gern in Ausstellungen, essen mit Freunden.
Bis heute hat die Schweizerin 15 Jahre in Deutschland verbracht. "Aber ich denke, dass wir eines Tages wieder in Richtung Zürich ziehen werden." Freunde meinen, sie habe das bereits nach ihrem erfolgreichen Engagement bei Philips vorgehabt. Da sei das Siemens-Angebot gekommen - wer sagte da Nein?
Zum Schluss noch einmal das hübsche Lächeln: "Ich möchte in keinem Fall im Vordergrund stehen." Ganz lässt sich das, pardon, bei einem Porträt nicht vermeiden.
Freundinnen der Macht : Frauen in Dax-Vorständen