Maria-Elisabeth Schaeffler Königin ohne Land
Der Mann wollte seine unheilbare Krankheit einfach nicht wahrhaben. Sogar an Tagen unerträglicher Schmerzen glaubte er, bald wieder an seinem Platz im Betrieb zu sein. Zwei qualvolle Jahre lang zog sich dieser die Wirklichkeit leugnende Zustand hin. Als sich Georg Schaeffler, 79-jährig, der Einsicht in das Unvermeidliche fügte, sammelte er noch einmal seine Kräfte.
Nahm die Hand seiner 25 Jahre jüngeren Frau Maria-Elisabeth, die ihn aufopfernd gepflegt und 33 Jahre lang so jugendlich, so schön an seiner Seite geleuchtet hatte. Eine Frau, groß und schlank, von innerer Robustheit, eine Wienerin. Sein Schmuckstück! Die einzige Extravaganz, die sich der schnörkellose Techniker je in seinem Leben geleistet hatte.
Er hatte sie erzogen in seinem Sinne. Für ihn gab die 21-Jährige das Medizinstudium auf. Als sie später in Nürnberg daranging, Betriebswirtschaft zu studieren, lotste er sie zurück mit dem schlagenden Argument, "was du da lernst, kann ich dir auch beibringen". Auf dem Totenbett gab er ihr die letzte Order: "Maria, führ du das Unternehmen in die Zukunft!"
Beginnt in jener Augustnacht 1996 die Erweckungsgeschichte der Maria-Elisabeth Schaeffler? Was zunächst an einen Rosamunde-Pilcher-Plot erinnert, hagelt nun, knapp 13 Jahre später, Schlagzeilen: "Der Untergang der Titanin"; "Absturz einer Milliardärin"; "Die Ohnmächtige"; "Einstieg der Banken bei Schaeffler rückt näher".
Ist wieder ein Todesfall zu betrauern im fränkischen Herzogenaurach, dieses Mal der des gesamten Betriebs? Stehen wir bereits am ausgehobenen Familiengrab? Selten ist ein Niedergang dramatischer gewesen.
Dabei schien es, keine zehn Monate ist es jetzt her, als hätte Maria-Elisabeth Schaeffler (67) eine Dynastie begründet, wie es in Deutschland nur wenige andere gibt: die Sippe der Porsches und Piëchs etwa, Herrscher über die Autokonzerne Porsche und Volkswagen, und die Gebrüder Albrecht, Gründer und Besitzer des Einzelhandelsimperiums Aldi.
Die Sache klang wie der Coup des Jahres 2008: Die Schaeffler KG, ein mittelständisches Unternehmen, bekannt vor allem für seine Kugellager, überrascht am 11. Juli die mächtige Continental AG, den dreimal größeren Dax-Konzern in Hannover, mit dem Fait accompli: Wir werden euch übernehmen.
Jämmerliches Trauerspiel statt großer Oper
Die Branche hielt für einen Moment die Luft an - was ging da vor sich? Aus Schaeffler/Conti sollte etwas ganz Großes werden: mit 220.000 Mitarbeitern, 35 Milliarden Euro Umsatz, 3 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern. So zumindest stand es auf der Verkündungsrolle der Vision.
Doch seit Juli entwickelt sich kaum etwas so wie geplant. Es entspinnt sich eine Geschichte, in der getarnt wird, getrickst und getäuscht. Eine Manipulationsmaschinerie ist in Schwung gekommen, die auch ohne Schaeffler-Kupplung einen immer höheren Gang einlegt und bislang von keiner Bremse dieser Welt gestoppt werden konnte.
Vor der Ansage des großen Conti-Deals besaßen Maria-Elisabeth Schaeffler und ihr Sohn Georg (44) ein Juwel: glänzend positioniert, hochprofitabel, nahezu schuldenfrei; kurzum, kerngesund wie die fränkische Landluft.
Inzwischen ist der Konzern heillos überschuldet. Selbst ein Komplettverkauf reichte nicht aus, die elf Milliarden Euro Schulden zu bezahlen. Nur weil die fünf Gläubigerbanken Abschreibungen vermeiden wollen, gehört den Schaefflers ihr Unternehmen noch. Der Konzern konnte die monatlich 70 Millionen Euro Kreditzinsen zeitweise nicht mehr bezahlen. Doch Halleluja, die Banken drehten den Geldhahn nicht zu, halfen stattdessen mit einer weiteren Milliarde aus. Sie wollen Zeit gewinnen. Für Schaeffler, aber auch für sich selbst.
Noch immer fehlen mindestens fünf bis sechs Milliarden Euro in der Familienkasse, vielleicht auch mehr. Die Frage bleibt: Müssen die Schaefflers am Ende froh sein, wenn ihnen die Banken mehr als ein paar Prozent an ihrem Konzern lassen? Was für die Musikfreundin Maria-Elisabeth Schaeffler große Oper werden sollte, ist zum jämmerlichen Trauerspiel verkommen. Hat die Königin der Kugellager gleich zwei Weltkonzerne an den Rand des Ruins getrieben? Bestimmen Größenwahn und Realitätsverlust ihr Handeln anstelle der klugen Strategie?
Von all dieser Katastrophenstimmung ist zunächst wenig zu spüren, als sich an diesem sonnigen Märztag die Schranke zum Schaeffler-Reich öffnet. Die Frau, über die ganz Deutschland spricht, die aber trotz ihrer Bekanntheit kaum einer kennt, sitzt am kleinen Konferenztisch im 6. Stock ihrer Kommandozentrale in Herzogenaurach und erzählt vom Vermächtnis. Man sieht sofort, dass hier eine weibliche Hand die Macht möbliert. Anstelle schwarzer Lederfauteuils und kalter Glastische sind die Farben hell. Ein Holztisch, ein kleines Büffet.
Weil in diesen Tagen Frisur, Garderobe und Schwung des Lidstrichs zur wirtschaftspolitischen Nachrichtenlage zählen, wollen wir nicht verschweigen: Sie sieht fabelhaft aus im fliederfarbenen Jäckchen. Trägt wieder ihre gewohnte Mähne anstelle des strengen Pferdeschwanzes. Es ist erstaunlich, wie gut sie die Strapazen der vergangenen Tage, Wochen und Monate verbergen kann. Jene drei Tage des Schreckens etwa nach dem Lehman-Kollaps im vergangenen September; sie wurden für die Mozartliebhaberin zur Schicksalsmelodie.
"Panik ist ein schlechter Ratgeber"
In diesen drei Tagen nach der Kernschmelze im amerikanischen Finanzreaktor läuft das Übernahmeangebot für Conti noch. Die Aktionäre der Continental AG können der Schaeffler KG ihre Anteile für 75 Euro das Stück verkaufen.
Mit maximal 60 Prozent der Aktien haben die Schaefflers gerechnet, sich nicht abgesichert gegen das Risiko, dass sie mehr bekommen könnten als gewünscht. Dann aber fallen die Märkte. Ein Börsen-Tsunami verwüstet die Schaeffler-Habe: Die Aktionäre stoßen weitere 30 Prozent der Anteile ab. Für die Verkäufer eine glückliche Chance, dem absehbaren Absturz des Conti-Kurses zu entkommen, für die Schaefflers das Pech, zusätzliche 3,8 Milliarden Euro bezahlen zu müssen.
Sie waren fassungslos. "Das war wirklich nicht schön", sagt Maria-Elisabeth Schaeffler. Ganz Contenance. Suchte die Firmenpatriarchin danach nicht schleunigst nach allen nur erdenklichen Mitteln und Wegen, um ihre Soldaten zurückzuholen ins Basislager und zu retten, was noch zu retten ist?
Als sich die Entwicklung über das Wochenende abzeichnet, hält sie gerade eine Beiratssitzung in Bühl ab. Die Telefonleitungen zu Commerzbank-Chef Martin Blessing (45), einem ihrer maßgebenden Bankiers, laufen heiß. Aber ihr Wille durchzuhalten kommt nie ins Wanken. Sagt sie. "Es gibt immer Rückschläge im Leben. Da kommen Sie schnell zu der Gewissheit, es wird sich ein Weg finden, wir werden diesen Weg gehen, und wir werden diesen Weg meistern."
Wie bitte? Sprechen wir hier etwa über einen vermasselten Heiratsantrag oder über die Frage Sein oder Nichtsein? Maria-Elisabeth Schaeffler thront am Kopfende, ihr zur Linken Georg, der einzige Sohn. Es tut ihm leid, falls es uns befremden sollte, dass er mit seinen 44 Jahren immer noch "Mami" sagt.
Die beiden, über deren finanzielles Absinken täglich neue Pegelstände vermeldet werden, geben sich froh gelaunt. "Panik ist ein schlechter Ratgeber, deshalb sehen Sie mich recht entspannt", behauptet der Junior, Anwalt übrigens und mit 80 Prozent der Anteile der Mehrheitsaktionär. "Die schlimmste Krise meines Lebens habe ich ohnehin schon hinter mir; das hier kommt da nicht ran." Das Schlimmste, das war damals, als der elfjährige Georg mitansehen musste, wie der zwei Jahre jüngere Bruder durch einen Stromschlag ums Leben kam.
"Ich habe gelernt, sehr diszipliniert zu sein. Die Außenwelt hat kein Recht, an meinem Innenleben teilzunehmen", pariert Maria-Elisabeth Schaeffler. Selbstschutz also. Oder sind inzwischen Ereignisse eingetreten, von denen wir nichts wissen? Durch die Flurscheiben sehen wir, wie sich nebenan in den Konferenzräumen "Kitzbühel", "Katscher" und "Dallas" ein Nadelstreifenanzug am anderen reibt. Banker und Betriebsprüfer stellen die Zahlen des Unternehmens auf den Kopf; fast treten sie sich gegenseitig auf die Füße. Die Konzernzentrale ist nicht entworfen für einen solchen Ansturm.
Jedes vierte Auto fährt mit Schaeffler-Produkten
Sitzt in dem ganzen Gewusel endlich auch der ersehnte Investor? "Es gibt Interessenten", beteuert Schaeffler junior resolut. Schon in den Willkommensgruß legt er Entschlossenheit. Für einen Moment wähnen wir unsere Rechte in einem Schraubstock. Leichtigkeit dagegen auf seinem Schlips. Man blickt in ein Meer von Pfauenaugen.
Doch auch heute bleibt das Wunder aus. Es sind einfach nicht die Zeiten dafür. Ein arabischer Ölprinz als Retter in letzter Minute, das wär's doch. Es gibt sie, die potenziellen Käufer; einige Schaeffler-Konkurrenten etwa, die sich nur allzu gern das eine oder andere Filetstück aus dem Konzern herausschneiden würden. Aber Schaeffler will sich nicht in Einzelteile zerlegen lassen; und solange der Konzern hochgradig überschuldet ist, bleibt er vergiftete Beute.
Woher nimmt "die Schaefflerin", wie sie von den Leuten in ihrem Betrieb genannt wird, ihre Zuversicht, dass doch noch alles gut gehen wird? Woher ihren Kampfgeist? Wer ihr begegnet, wird kaum zweifeln - in dieser Frau steckt ein Feuerwerk, das so schnell nicht abgebrannt ist.
"Ich bin ein gläubiger Mensch", sprüht sie uns energiegeladen an. "Das gibt mir Kraft. Aber ich bin auch von den Menschen um mich herum überzeugt und davon, dass unsere Sache die richtige ist. Und deshalb glaube ich, dass sich eine Lösung finden wird." Überhaupt: "Wenn ich ein Dreivierteljahr zurückdenke, haben wir nur Lob und Begeisterung bekommen. Jetzt im Nachhinein will es jeder besser gewusst haben."
Sicher, konzeptionell entfaltet der Deal seine Logik: 55.000 Mechanikteile bietet die Schaeffler KG in ihrer Produktpalette an; jedes vierte Auto dieser Welt fährt mit einer ihrer Kupplungen; ihre Getriebekomponenten sind unverzichtbar, die Kugellager sowieso.
Aber, so befürchteten sie in Herzogenaurach, wenn sie im Geiste das Auto der Zukunft konzipierten, die Mechanik würde eine zunehmend unbedeutende Rolle spielen. Entwickelte sich nicht die Elektronik mit der Geschwindigkeit eines Beam-Strahls? Die wiederum bietet die Continental AG. Spätestens durch den Aufkauf der Siemens-Tochter VDO hatten sich die Hannoveraner die automobile Zukunft gesichert: Elektronik in allen Variationen, vom Navigationsgerät über elektronische Bremssysteme bis hin zur Motorsteuerung.
Eine Regionalfürstin als nationale Berühmtheit
Die Sache birgt jedoch gleich mehrere Gefahren: Conti selbst hat in den letzten Jahren ordentlich eingekauft. Teves, Temic, Motorola, schließlich VDO - längst nicht alles verdaut. Wie soll da noch Schaeffler an das Sammelsurium gekoppelt werden? Dann die Schulden! Elf Milliarden Euro allein für VDO. Überdies klopfen im Sommer 2008 leise die Vorboten der automobilen Krise an. Zehntausende sind heute in Kurzarbeit - darunter auch Schaeffler-Leute, denen nun sogar ein Stellenabbau im großen Stile droht: Nach übereinstimmenden Berichten will .
Statt Dividende an Schaeffler zu zahlen, hat Conti für 2008 einen Milliardenverlust geschrieben. Doch Maria-Elisabeth Schaeffler schwärmt nach wie vor: "Was Conti und Schaeffler zusammen anbieten, kann man gar nicht zusammenkaufen auf dieser Welt. Das ist einfach einzigartig!"
Wieder erinnert sie an ihren verstorbenen Mann. Gemeinsam mit seinem Bruder hatte der die Firma gegründet und über die Jahre und Jahrzehnte in unermüdlicher Fleißarbeit aufgebaut. Es ist eine dieser Geschichten des deutschen Wirtschaftswunders. Nicht einmal am Wochenende erübrigt er Zeit für seine junge Frau. Sie beklagt sich: "Musst du schon wieder ein Unternehmen kaufen? Ich finde das überflüssig!" Da rügt der Gatte ihr kurzsichtiges Lamento: "Stillstand bedeutet Rückschritt."
Schaeffler senior stürmt nach vorn. Im Gefolge seine Frau, "einen Schritt hinter ihm". Sie ist sein Ausstellungsstück, seine Konversationshilfe bei Autogalas, seine Verbindung zur nobleren Gesellschaft, in die sie sich aber allein begibt. Vielleicht hat er sie auch deshalb in Betriebsversammlungen geschickt, weil er um die Macht des Schönen wusste. Jetzt aber schreitet sie in seinen Fußstapfen. Ist selbst die Unternehmerin geworden. Hat so viele Erfolge eingefahren, dass sie ihrer Sache schließlich sicher ist: Am 28. Februar 2008 kauft sie die ersten Conti-Aktien höchstpersönlich: 2500 an der Zahl für 168.000 Euro.
Nach der Verkündung des Deals im vergangenen Sommer triumphiert sie von sämtlichen Titelseiten des Landes. Über Nacht steigt sie von der Regionalfürstin zur nationalen Berühmtheit auf. Ist das zu fassen? Eine Frau, nicht mehr jung, aber von aggressiver Lust getrieben, pirscht hier auf der Wildbahn des Kapitalismus und reißt ihre Beute, ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen.
Auch den Mann nicht, der sie erst auf die Idee gebracht hat: Hubertus von Grünberg (66), Aufsichtsratschef der Continental AG und einer der Hauptdarsteller im Schaeffler-Drama. Ob er dabei den Faust oder Mephisto gibt, darüber gehen die Meinungen in Herzogenaurach und Hannover weit auseinander.
Was immer über von Grünbergs Sprunghaftigkeit berichtet wird, über sein Oszillieren zwischen Genialität und Allmachtfantasien - für die Schaefflers war er viele Jahre ein verlässlicher Partner. Befreundet mit dem Senior, ließ er sich 1996 von der Witwe nicht lange bitten, dem Beirat beizutreten, den sie nach dem Tod des Mannes umgehend gründete. Noch mit Schleier und vertränten Augen sei sie zu ihm gekommen: "Herr von Grünberg, mein Mann hat gesagt, Sie müssen mir helfen."
So hat es von Grünberg, hochgradig aufgewühlt, im Conti-Aufsichtsrat erzählt. Eine Geschichte aus dem Sommer. Die Übernahme steht bevor, und von Grünberg will seinen misstrauischen Co-Kontrolleuren erklären, warum er sich so vehement für Schaeffler einsetzt.
Die Johanna Quandt von Conti?
Schon im Herbst 2006 hat er der immer ehrgeiziger werdenden Maria-Elisabeth Schaeffler die Rolle des Ankeraktionärs bei Conti angeboten. Vor dem VDO-Kauf bereits und danach erst recht. Auf verschiedenen Treffen in Franken und in Tirol soll ihr diese Chance schmackhaft gemacht werden. Mit im Bunde Contis damaliger Vorstandsvorsitzender Manfred Wennemer (61).
Ein friedliches Willkommen in einem Konzern, mit dem die Zusammenarbeit lohnt. Einmal den Fuß in der Tür, hätte sich die Sache vielleicht ausbauen lassen. Doch von Grünberg und Wennemer handeln sich eine Absage ein. "Wir wollten nicht Finanzinvestor sein. Wir wollten gestalten und weiter wachsen", klärt Frau Schaeffler auf. Das kleine Feuerchen der Idee aber ist entfacht. Bald wird es lodern.
Am 11. Juli 2008 trifft sich der übliche Schaeffler-Tross mit dem Conti-Trio von Grünberg, Wennemer und Finanzchef Alan Hippe (42) in einem Konferenzraum des Frankfurter Flughafens. Maria-Elisabeth und Georg Schaeffler, Geschäftsführer Jürgen Geißinger (49) sowie ihr Anwalt Rolf Koerfer (51) eröffnen den perplexen Conti-Bossen, dass Schaeffler sich heimlich Zugriff auf 36 Prozent der Conti-Aktien gesichert hat.
Die Schlacht, so scheint es in diesem Moment, ist entschieden, bevor sie überhaupt begonnen hat. Ein so zorniger wie hilfloser Wennemer schimpft wenige Tage später vor den Fernsehkameras, Schaeffler und Geißinger handelten "selbstherrlich, egoistisch und verantwortungslos".
"Ihre Idee war so gut, dass wir das Thema in ganz anderer Dimension umsetzen werden", lobt ein siegesbewusster Geißinger in Richtung Hubertus von Grünberg. Geschäftsführer und Aufsichtsratschef verstehen sich bestens, damals. Viele enge Schaeffler-Vertraute sind sich sicher, dass von Grünberg schon vor dem 11. Juli in die Pläne der Franken eingeweiht gewesen sei. Von Grünberg dementiert, Schaeffler-Mutter und -Sohn verweigern jede Antwort darauf, wer die Idee zur Übernahme eigentlich hatte.
In der Folge jedenfalls pflastert von Grünberg Schaeffler den Weg. Indem er auf der einen Seite die Verteidigungsideen Manfred Wennemers blockiert. Sich auf der anderen im Aufsichtsrat für Schaeffler ausspricht. Er rollt Maria-Elisabeth den roten Teppich aus, will sie zur Johanna Quandt von Conti aufbauen.
Zu einem unanständig hohen Preis: Er bricht mit seinem Vorstandschef Manfred Wennemer, warnt ihn öffentlichkeitswirksam davor, "verbrannte Erde" zu hinterlassen.
Der wendische Stratege sucht den eigenen Platz im Geschichtsbuch: Acht Jahre lang saß er dem Vorstand von Conti vor, weitere zehn Jahre dem Aufsichtsrat. Conti ist für ihn nicht weniger als sein Lebenswerk. Und Maria-Elisabeth Schaeffler soll ihm dabei helfen, aus diesem Konzern etwas Monumentales zu schaffen, einen globalen Champion.
Doch die beiden überwerfen sich. Erst gibt es Streit um einen Verkauf von Contis Gummigeschäft. Dann erkennt von Grünberg im Spätherbst, welche Finanzprobleme seinen Freunden aus Herzogenaurach drohen. Er schaltet den Rückwärtsgang ein, polt Conti um von Kooperation auf größtmöglichen Schutz vor Schaeffler, warnt erst intern, später auch öffentlich vor den Gefahren des "Schaeffler-Strudels".
"Sie giert nach Macht"
Maria-Elisabeth Schaefflers wichtigster Verbündeter verwandelt sich in einen erbitterten Feind. Anfang März verlässt er den Rat der Aufseher wie ein geprügelter Hund. Am Ende fehlt ihm eine Stimme der Anteilseigner. Er unterliegt vier zu fünf. Die Schaefflers wollen ihn weghaben, bei Conti schützen sie ihn nicht mehr. "Er hat uns diesen Deal doch eingebrockt", schimpft ein Aufsichtsrat.
Erst ist Wennemer gegangen, dann die Finanzchefs Hippe (Conti) und Thomas Hetmann (47, Schaeffler), jetzt auch von Grünberg. Die Liste der Opfer in der Kabale und Liebe um Schaeffler und Conti wird immer länger. Eine garstige Cruella also, die alle Störer aus dem Weg räumt? Oder eher eine im Umgang mit sensiblen Topmanagern unerfahrene Schaefflerin? Bisweilen überrascht es sie selbst, was ihre aggressive Attacke auf Conti und die Methoden des raubeinigen Geschäftsführers Geißinger anrichten. Dann versucht sie, etwa bei Wennemer, in stundenlangen Telefonaten alles wieder gutzureden.
Denn das Bild der Schaefflerin, die sagt, "meine Mitarbeiter sind für mich wie meine Verwandtschaft", gibt es auch. Die zu den Treffen der Schaeffler-Pensionäre geht und nicht ohne Selbstironie anmerkt, "natürlich möchte ich von allen geliebt werden". Als Anbiederung darf man sich das nicht vorstellen. Mit ihrer kühlen Aura hält sie das Umfeld auf Distanz. Ein Schaeffler-Aufsichtsrat bringt vor, "sie giert nach Macht".
Als sich die Schaeffler-Spitze am 24. Januar erstmals dem Conti-Aufsichtsrat präsentiert, wird schnell deutlich, wer das Sagen hat. Nicht Geschäftsführer Geißinger, nicht Anwalt Koerfer, der an diesem Tag zum künftigen Vorsitzenden des Gremiums auserkoren wird. Auch nicht Georg Schaeffler, der doch die dicksten Aktienpakete an beiden Gesellschaften hält.
Maria-Elisabeth dominiert. Sie redet als Erste, sie erteilt den anderen in der Fragerunde das Wort. Eine Frau mit Glamour. Aber, da sind sich die Räte nach der Sitzung sicher: "Diese Frau ist nicht 'Gala' und 'Bunte'. Sie fällt die Entscheidungen." Längst lässt sich Maria-Elisabeth Schaeffler dabei nicht mehr hineinreden. Auch nicht von Josef Ackermann, ihrem Hausbanker. Der Chef der Deutschen Bank hat für Schaeffler 2001 die bravourös durchgezogene Übernahme von FAG Kugelfischer finanziert. Wieder will Schaeffler ihn im Sommer ins Boot holen, wieder lässt er seine Experten das Projekt wohlwollend prüfen. Doch die warnen, das Gesamtrisiko werde mit einem Fremdkapitalvolumen von bis zu 25 Milliarden Euro unüberschaubar.
Dann wird auch noch Christoph Seibt (43) aktiv, Partner der Kanzlei Freshfields und Conti-Berater. In einem Schreiben warnt er Ackermann vor möglichen juristischen Folgen der gewählten Übernahmemethode. Die Deutsche Bank sagt ab.
Maria-Elisabeth Schaeffler fängt an, sich über Josef Ackermann zu beschweren; sie bekommt ihn nicht einmal mehr ans Telefon. Es ist alles gesagt. Sie will keine Warnungen. Sie will ihren Deal. "Die waren sehr beratungsresistent", erfahren wir allenthalben.
Auch Linde-Chef Wolfgang Reitzle (60) warnt sie eindringlich vor dem großen Scoop. Der ehemalige BMW-Vorstand kennt die Branche durch und durch, national und international. Er ist bestens vertraut mit den Strukturen der Schaeffler KG. Georg senior hätte den jungen Reitzle nur allzu gern nach Herzogenaurach geholt. Und die Freundschaft ist auch mit seiner Frau Maria gewachsen. Bis in den Dezember hinein soll er versucht haben, sie zu einem Rückzieher zu bewegen. Hat sogar ein komplettes Konzept ausgearbeitet, wie sie aus der Verpflichtung zur Aktienübernahme herauskommt.
Ärger mit Blessing bedeutet Ärger mit Steinbrück
Er erreicht nicht mehr ihr Ohr. Sie wehrt sämtliche Warner mit den immer selben Worten ab: "Geißinger sagt, Geißinger sagt aber." Und Geißinger, ihr Geschäftsführer, kennt kein Zurück; obwohl er die Risiken sieht. Im Oktober sei ihm klar gewesen, dass Schaefflers Umsatz 2009 wohl um mindestens 15 Prozent einbrechen werde, sagt er heute Vertrauten.
Schon im Spätherbst haben auch die Investmentbanken J. P. Morgan und Perella Weinberg die Finanzsituation des künftigen Gemeinschaftskonzerns geprüft, die einen für Schaeffler, die anderen für Conti. Die Ergebnisse sind erschreckend, und sie sind erstaunlich ähnlich: Addiert, benötigen die Konzerne vier bis sechs Milliarden Euro Eigenkapital; eine Summe, die Schaeffler lange bestreitet - und drei Monate später doch öffentlich eingestehen muss.
Von Grünberg und der neue Conti-Chef Karl-Thomas Neumann präsentieren Mutter und Sohn Schaeffler daraufhin ein Rettungskonzept. Die Autosparten beider Gesellschaften sollen fusioniert, der Rest soll abgespalten werden. Mittels Kapitalerhöhung, so die Idee, wäre der neue Zulieferer überlebensfähig.
Der Vorteil für die Schaefflers: Sie behielten ihr profitables Industriegeschäft. Die Nachteile: Am Automobilgeschäft bliebe ihnen nach der Kapitalerhöhung nur eine Minderheit. Zusätzlich sollen sich Geißinger und Koerfer aus dem Autobereich heraushalten.
Die Runde diskutiert sogar schon, wie man Jürgen Geißinger, dem Siegessicheren, die Nachricht verkaufen soll. Maria-Elisabeth Schaeffler erbittet sich Bedenkzeit. Doch als sich Geißinger wenige Tage später telefonisch bei von Grünberg meldet, ist die Sache klar: Die Schaefflers lehnen das Angebot ab. Schaeffler in Not? Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Das Muster zieht sich durch die vergangenen Monate. Als Maria-Elisabeth Schaeffler Ende Januar als Gast des Conti-Aufsichtsrats noch die selbstsichere Gesellschafterin gibt und der Sohn zu Protokoll gibt, "wir kommen nicht als Bittsteller", verhandelt sie schon längst mit der Politik um Milliardenhilfen.
Kurz zuvor hat ihr Commerzbank-Chef Martin Blessing einen überaus deutlichen Brief geschrieben. Angesichts der prekären Finanzsituation ihres Unternehmens verlangt er neue Sicherheiten. Mahnt an, das konfliktträchtige Verhalten gegenüber Conti einzustellen.
Maria-Elisabeth Schaeffler zeigt wenig Einsicht. Oder ist ihr die Eigendynamik der Dinge entglitten? Kein Banker ist für sie so wichtig wie Blessing. Schaeffler schuldet der Commerzbank rund fünf Milliarden Euro, Conti etwa eine Milliarde. Die Bank trägt gut ein Viertel der addierten Schuldenlast.
Dazu kommt, dass die Bundesregierung mit 25 Prozent an der Commerzbank beteiligt ist. Wer Ärger mit Blessing riskiert, dem droht Streit mit Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (62). Und das kann unangenehm sein für Unternehmer in Not.
"Happy and pleased with oneself"
Maria-Elisabeth Schaeffler hat ihr Kapital verspielt. Selbst wenn es stimmen sollte, wie der Sohn zwischen den Zeilen durchblicken lässt, dass nur die Conti-Aktien, aber keine Anteile an der Schaeffler KG an die Banken verpfändet sind. Umso erstaunlicher: In ihrem Freundeskreis und ihrem Betrieb als empfindsam und liebenswürdig gelobt, findet sie kein Wort des Bedauerns. Nicht vor ihren Leuten, die für ihre Arbeitsplätze und für sie auf die Straße gehen. Und nicht vor der Öffentlichkeit.
Der Deal war richtig, darauf beharrt sie. Rechthaberei bis zum bitteren Ende? "Zockerin", tobt das aufgebrachte Publikum. Doch vielleicht ist es noch schlimmer. Ein Zocker kennt die Karten, die Regeln und das Spiel. Ein Zocker weiß, dass er nur überlebt, wenn er Gewinn und Verlust einplant. Die Schaefflers wählten den aggressiven Weg, verließen sich aber darauf, dass niemand ihren Frieden stört. "Happy and pleased with oneself", dieser Spruch, in chinesischer Kalligrafie und in Gold geprägt, hängt großformatig im kleinen Foyer vor dem Büro von Maria-Elisabeth Schaeffler.
Und nun? Was Maria-Elisabeth Schaeffler mit Conti vorhat, darüber rätseln sie noch immer in Hannover. Ende Januar verrät sie den Aufsichtsräten nicht viel mehr, als dass bei Schaeffler der Mensch im Mittelpunkt stehe und sie nur die besten Absichten hege. Auch ein genervter Jürgen Geißinger hinterlässt sechs Wochen später ratlose Kontrolleure. Die wollen wissen, wann Schaeffler denn nun endlich ein tragfähiges Konzept vorlegen werde. Geißingers wenig erhellende Antwort: Er spreche nicht über Jahre, er spreche über Wochen und Monate.
So verbreitet man vor allem eines: tiefes Misstrauen. Aber ein Sanierungskonzept bleiben die Schaefflers schuldig, auch nach dem Aufstieg ihres Beraters Koerfers zum Vorsitzenden des Conti-Aufsichtsrats. Selbst im eigenen Kontrollgremium wächst der Missmut: "Die haben keinen Plan B", sagt ein Kontrolleur. Viel schlimmer noch. "Sie hatten auch niemals einen Plan A." Als der damalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (64), Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (59) und sein niedersächsischer Amtskollege Christian Wulff (49) bei einem Treffen mit Maria-Elisabeth Schaeffler, Sohn Georg und Geißinger realisieren, dass Schaeffler keinen Schlachtplan präsentieren kann, schicken sie die Bittsteller wieder nach Hause.
Dabei geht es für Schaeffler um Summen, die selbst manche Bank bescheiden erscheinen lassen. Sie erbitten in den Regierungsstuben von München, Hannover und Berlin vier Milliarden Euro. Als Bürgschaft zwar; aber die Politiker rechnen damit, dass binnen kurzer Zeit tatsächlich Kapital fließen würde.
Noch wehren sich die Regierenden vehement. Aber es wird bald gewählt in Deutschland. Unter diesen Umständen ist vieles möglich, auch Milliarden aus der Steuerkasse. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Schaeffler-Familie und die Banken zuvor auf große Teile ihrer Kreditforderungen beziehungsweise ihrer Anteile verzichten. Maria-Elisabeth Schaeffler stimmt sich innerlich auf Verzicht ein. Nach außen gibt sie die Optimistische. Der Konzern kann die Kredite nur noch bedienen, weil die Banken sich plötzlich großzügig geben? "Wir hoffen, dass die Automobilindustrie, dass die Konjunktur anspringt in nicht allzu ferner Zeit. Und dann stellt sich die Situation ganz anders dar."
Drängen die Banken nicht? "Wir haben noch Zeit." Aber dann müsste die Konjunktur ja schnell in Gang kommen. "Kaufen Sie ein Auto."
Glanz und Elend: Wie sich Schaeffler an Conti verschluckte Drei Milliarden Minus: Schaeffler braucht einen Investor Was aus Conti wird: Mit und ohne Schaeffler