Spezial E-Business Kurzer Prozess
Behutsam nimmt die Maschine vier Plastikholme aus einer Kiste und presst sie mit kräftigen Greifarmen zu einem Rechteck. Ein anderer Roboter entfernt surrend die Schweißnähte von den Holmen, die einmal ein Fensterrahmen werden sollen.
Plötzlich erstirbt das Geräusch. Kurzschluss.
Norbert Lahr, leitender Ingenieur bei dem Maschinenbauer Stürtz, weiß sofort, was Sache ist: Der Rechner in seinem Büro meldet Fehlercode 1200. In Minuten ist die Anlage repariert.
Dass der Störfall die Produktion nicht für Stunden lahm legt, verdanken Lahr und seine Fensterroboter ausgefeilter Internet-Technik. In den Maschinen stecken unzählige Sensoren, die mit der elektronischen Nervenbahn des Betriebs verbunden sind.
Brennt irgendwo eine Sicherung durch oder bricht ein Kabel, senden die Sensoren einen SOS-Ruf an jeden Computer im Netz. Und weil vom firmeninternen Mini-Internet eine Brücke zu dessen weltumspannenden großen Bruder führt, kann Lahr die Maschinen an jedem Internet-PC der Welt überprüfen.
"Wir proben ständig den Ernstfall", erklärt Ingenieur Lahr die Teststörung. Schließlich soll die Pilotanlage, die so eifrig am Stürtz-Sitz im rheinländischen Dörfchen Neustadt/Wied-Rott vor sich hin schnurrt, ein weltweiter Verkaufserfolg für den Mittelständler werden.
Nicht nur virtuelle Glitzerbuden wie Amazon oder Yahoo schlachten das Internet kommerziell aus. Auch der ganz normale Betrieb von nebenan zieht Nutzen aus dem weltweiten Datennetz.
Der Web-Einsatz vermeidet teure Produktionsausfälle, optimiert komplizierte Abläufe, kürzt pompöse Beschaffungsprozeduren und verringert Reibungsverluste im Zusammenspiel mit Zulieferern und Abnehmern.
Nach Einschätzung von Branchenkennern kaufen webaktive Unternehmen Materialien und Dienstleistungen 5 bis 40 Prozent günstiger ein. Die Transaktionskosten der Beschaffungen fallen um bis zu 60 Prozent. Die Ausgaben für Marketing und Kundenservice sinken um 20 Prozent, die Lagerhaltung verbilligt sich um 10 Prozent.
Auch die im idyllisch-abgelegenen Wenden angesiedelte Elektro-Mechanik GmbH (EMG) hat die Gelegenheit zur Produktivitätssteigerung ergriffen.
Die Firma wirkt in der real existierenden Welt, als sei sie in den 50er Jahren stecken geblieben. Der Name erinnert an einen Kombinatsbetrieb der verblichenen DDR. Aus barock vertäfelten Speise- und Besprechungsräumen blickt der Besucher auf lieblich-verträumte Weiden.
Beim Blick unter die leicht angestaubte Oberfläche entpuppt sich der Hersteller von Regel- und Steuerungstechnik jedoch als Pionier. Die Firma aus dem Sauerland ist ein durchsichtiges Gebilde für den, der das richtige Kennwort in die Browser-Maske seines Computers tippt.
In akribischer Kleinarbeit hat das Team von EMG-Prokurist Jürgen Koch mit der Münchener Software- und Beratungsfirma Wassermann die Wertschöpfungskette des Unternehmens seziert und optimiert. Jeder Schritt der Produktion, von der Beschaffung einzelner Kabel bis zur Lackierung von Hydraulik-Aggregaten, ist im hauseigenen Intranet sichtbar. Penibel wird dokumentiert, ob und wann die jeweiligen Arbeitsabschnitte erledigt sind.
Mehr noch: Die Elektro-Mechanik GmbH hat ihr lokales Netz mit dem Internet verknüpft. So können EMG-Manager, Außendienstler und sogar Kunden jederzeit überprüfen, ob die Produktion im Plan liegt.
Der Durchblick zahlt sich aus. Vor einigen Monaten lief das System an, seither hat sich die Lieferzeit von sechs auf zwei Wochen verkürzt. Die Lagerbestände sind um ein Drittel geschrumpft, die Liefertermintreue ist von katastrophalen 60 auf respektable 90 Prozent gestiegen.
Mit Web-PC ausgerüstete Vertreter können heute binnen eines Tages Angebote schreiben und feste Termine zusagen.
Früher mussten Interessenten bis zu zwei Wochen auf die EMG-Offerten warten. In der Zeit schnappte nicht selten ein Konkurrent dem Unternehmen die Order weg.
Das webgestützte EMG-System schöpft seine Wirkkraft nicht allein aus der Verbesserung interner Abläufe. Eine Tochterfirma in Oschersleben und ein Motorenhersteller aus der Umgebung hängen ebenfalls an der elektronischen Leine. Als Zuliefe- rer haben sie ständig Einblick in die Auftragslage ihrer großen Abnehmerin und können sauber disponieren.
Noch vor wenigen Monaten werkelten die drei Unternehmen ständig aneinander vorbei. Bei den Lieferanten stapelten sich die Einzelteile. Dennoch entstanden immer wieder Versorgungsengpässe, die bei der EMG die Abläufe ins Stocken brachten. Heute funktioniert das Zusammenspiel zeitsynchron.
Die elektronische Verkettung der drei mittelständischen Firmen gehört in Deutschland noch zu den Ausnahmen. Bislang konnten es sich fast nur große, finanzkräftige Unternehmen leisten, ihre Computernetze miteinander zu verbandeln, zum Beispiel Autohersteller und ihre Zulieferer.
Die Giganten tauschten meist über bilaterale Computerleitungen ihr Herrschaftswissen aus. Die kostspieligen Systeme unter dem Kürzel EDI (Electronic Data Interchange) signalisierten weniger kapitalstarken Firmen: Wir müssen draußen bleiben.
Das Internet macht Schluss mit der strikten Trennung zwischen den IT-"Welten" von Groß und Klein. Egal wie winzig eine Firma ist, egal welche Computersprache sie spricht: Sie kann sich mit jedem Billig-PC in die Datenflüsse ihrer Lieferanten, Partner und Abnehmer einklinken.
Und je mehr Unternehmen eine gemeinsame Wertschöpfungskette bilden neudeutsch "supply chain management" betreiben , desto höher ist die Effizienzsteigerung.
Die frohe Kunde hat sich längst auch beim Berliner Büroartikelhersteller Herlitz herumgesprochen. Über drei Stufen reicht die virtuelle Kette, die IT- und Logistikvorstand Andreas Resch geknüpft hat. Mit Abnehmern wie Metro, Tengelmann und McPaper ist Herlitz schon seit geraumer Zeit elektronisch verbunden; neuerdings pflegt das Unternehmen auch den direkten Internet-Draht zu rund einem Dutzend seiner Lieferanten.
Nun können die Hersteller von Pappen, Heftzwecken und Papieren ihrem Abnehmer über die Schulter gucken: Sie überblicken online, wie viele ihrer Erzeugnisse bei McPaper und Co. über die Theken wandern. Die reibungslose Produktion entlastet Herlitz und die liierten Firmen jährlich um 1,5 Millionen Mark.
Die perfekte Vernetzung aller Teilnehmer am Wertschöpfungsprozess ist die hohe Schule der Internet-Anwendung. Aber selbst wer sie nicht vollständig beherrscht, kann aus dem Web Nutzen ziehen etwa beim Einkauf von Schraubenziehern, Schreibtischlampen oder Stempelkissen.
Die Beschaffung profaner Alltagsgüter geht gehörig ins Geld. Mehr als 200 Mark gibt ein Unternehmen im Schnitt für die Abwicklung aus, wenn es Büromaterialien, Glühbirnen oder Werkzeuge bestellt selbst wenn die Artikel nur 20 Mark kosten.
Der größte Batzen entfällt auf die Bürokratie. Vertriebsleute verzetteln sich in einem Wust von Artikelnummern; Einkäufer und Lieferanten bombardieren sich gegenseitig mit Auftragsbestätigungen, Eingangsbescheinigungen und Rechnungsformularen.
Per Internet geht's einfacher. Ein Arbeiter des Dürener Elektrotechnik-Unternehmens Isola musste früher vier Wochen lang die Nägel mit der Zange in die Versandkisten klopfen, wenn sein Hammer kaputt war. Heute kann er nach zwei Tagen loshämmern.
Ist das Arbeitsgerät verschlissen, setzt er sich an einen PC und klickt auf einer Bildschirmmaske sein Wunschmodell an. Ein System des Web-Beschaffungsdienstleisters IPS kümmert sich um den Kleinkram.
Es überprüft, ob der Arbeiter den Hammer bestellen darf, bucht die Artikelnummer ein und bestellt das Werkzeug bei einem der IPS-Vertragslieferanten. "Durch die Online-Beschaffung sparen wir bis zu 50 Prozent unserer früheren Prozesskosten", sagt Isola-Einkaufsmanager Bernd Haynberg.
Mit dem so genannten E-Procurement (E-Beschaffung) von Allerweltsprodukten lässt sich im großen Stil knausern. Bei Boehringer Ingelheim in den USA kosteten die Reagenzgläser, Chemikalien und Geo- Dreiecke, die Bürokräfte und Laboranten im dritten Quartal 1999 auf ihren virtuellen Einkaufszetteln ankreuzten, 3,6 Millionen Dollar. "Auf traditionelle Weise beschafft, hätten die Einkäufe eine Million Dollar mehr gekostet", schätzt Holger Hüls, Finanzchef des Pharmakonzerns in den USA.
Die Einsparungen bei der Internet-Beschaffung resultieren aus zwei Quellen. Einmal sinken die Prozesskosten durch die vereinfachte Abwicklung. Zum anderen können sich mehrere Käufer leichter zusammentun und die Preise drücken. Web-Dienstleister wie das US-Unternehmen Ariba bündeln die Bestellungen ihrer Kunden. Als Abnehmer mit rasch wachsender Einkaufsmacht trotzen sie den Lieferanten ansehnliche Rabatte ab.
Große Erfolge beim Bündeln und Feilschen erzielen insbesondere die großen Konzerne. Unilever spart bis zu 64 Millionen Dollar mit einem globalen Einkaufsnetz für Computer. General Electric verringert seine Beschaffungskosten mit virtuellen Bestellungen um 500 bis 700 Millionen Dollar pro Jahr.
Die beeindruckenden Zahlen dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass hohe Einsparpotenziale bei der elektronischen Beschaffung immer erst das Ergebnis tiefgreifender Umbauprozesse sind. "Es ist müßig, ein Internet-System auf verkorkste Strukturen aufzupfropfen", warnt McKinsey-Berater André Krause.
Wie verlockende Sparmöglichkeiten verschenkt werden, wenn reale und virtuelle Prozesse nicht nahtlos ineinander greifen, zeigt das Beispiel der Kieler Firma Fluxx.com.
Unter deren Web-Adresse jaxx.de können Lottospieler ihre Glückszahlen via Internet übermitteln. Schade nur, dass Fluxx die Tipps erst umständlich auf Formularbogen der Lottogesellschaften übertragen muss, damit sie von deren Lesegeräten entziffert werden können.
Noch steht die Nutzung des Internets in Deutschland am Anfang, noch werden vielerorts Fehler gemacht. Doch die Lernkurve steigt steil an.
Die Liste der Unternehmen, die sich erfolgreich der neuen Technik bedienen, wird mit jedem Tag länger. Industriefirmen, aber gerade auch Dienstleister profitieren vom Web. So haben sich im vergangenen Jahr 60.000 Lufthansa-Kunden für das Rabattprogramm "Miles & More" per Internet registriert. Mit jedem Eintrag spart der Konzern 80 Prozent der Kosten, die anfallen, wenn ein Mitarbeiter die Daten eingibt.
Die Kosten sinken, die Produktivität steigt. Via Web rationalisieren die Unternehmen Prozesse, kaufen in aller Welt ein und binden Lieferanten und Abnehmer eng an den eigenen Betrieb an. Und manchmal können die Internet-Neulinge dank des Webs sogar zusätzliches Geschäft generieren.
So auch die Kunden der Firma Stürtz mit ihren vernetzten Fenstermaschinen. "Bei den Fensterproduzenten rufen oft ungeduldige Kunden an", erklärt Stürtz-Ingenieur Norbert, "die wollen wissen, wie es um ihren Auftrag steht." Üblicherweise läuft dann ein Mitarbeiter los und sieht nach, ob die Scharniere schon angeschraubt sind. Das kostet ihn eine halbe Arbeitsstunde und den Anrufer viel Geduld.
Mit der Internet-Technik kann der Kollege demnächst die gesuchten Fenster in Sekunden aufspüren. Das beeindruckende Tempo gerät zum Wettbewerbsvorteil: "Wenn der Mann geschickt ist", sagt Lahr, "akquiriert er am Telefon gleich einen weiteren Auftrag."
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