Selbstanzeige Aus dem Tagebuch eines Steuersünders
7. Februar: Bei Sprüngli in Zürich
Carl Moll* (72) bestellt einen Schümli-Kaffee, studiert die Unterlagen der Bank und wartet auf seine Frau. Christa hatte Geburtstag, nun soll sie sich - same procedure as every year - visàvis bei dem Juwelier Türler etwas Hübsches aussuchen. Luxus. Aber wie sonst das Schweizer Geld ausgeben? Noch ein Urlaub im Engadin? Sinnvoller: von den Zürich-Trips die erlaubte Bargeldmenge (undeklariert bis 9999 Euro) nach Deutschland mitzubringen.
8. Februar: Zollkontrolle im EC 195
Der EC 195 nähert sich dem Bahnhof St. Margrethen, der letzten Station in der Schweiz. Carl Moll verlässt seine Frau und das Erste-Klasse-Abteil. Wenige Minuten später sitzt er in der Zweiten Klasse, vertieft in die "NZZ". Der Ex-Manager fühlt sich miserabel, sein Blutdruck ist bei 230:140. Moll weiß: Jetzt sind Grenzbeamte im Zug auf der Suche nach Steuersündern. Wie ihm. 9000 Euro hat er in seiner Brieftasche. Verboten ist das nicht, aber verdächtig.
Entdecken die Zöllner das Geld, dann könnten sie so fürchtet Moll eine Kontrollmitteilung an sein Finanzamt schicken. Nicht der GAU, aber ein Hinweis auf sein Schwarzgeldkonto. Vor allem, wenn die Beamten weitere 9000 Euro bei seiner Frau entdecken - und die neue Academia-Uhr von De-Witt. Um das Risiko zu reduzieren, setzt man sich auseinander - für jene 25 Minuten zwischen St. Margrethen und Lindau.
9. Februar: Vorsicht oder Paranoia?
Manchmal fühlen sich Molls wie Schwerkriminelle: die Telefonnummer der Schweizer Bank - verschlüsselt im Adressbuch; Anrufe dorthin nur von der Telefonzelle; das Handy - vor der Schweizer Grenze ausgeschaltet; Rechnungen in Zürich - keinesfalls mit Kreditkarte bezahlen; die Unterlagen der Bank - zerreißen und in den Papierkörben auf der Bahnhofsstraße entsorgen. Vorsicht oder Paranoia? Könnte die Steuerfahndung Molls Schwarzgeldkonto womöglich über die Nummer seiner Schweizer Autobahnvignette aufspüren - den jährlichen, anonymen Weihnachtsgruß seiner Bank?
14. Februar: Fahnder bei Zumwinkel, Moll beim Arzt
Molls Arzt ist besorgt: Hypertonie, Hypercholesterinämie, Tachyarrhythmie. Moll kennt den Grund: ein Mercedes der S-Klasse mit dem Kennzeichen NRW 4 1448. Mit ihm fuhren die Steuerfahnder bei Post-Chef Klaus Zumwinkel vor, Moll verfolgte die Razzia live im "ZDF-Morgenmagazin". Zumwinkels Name war auf einer DVD, die der BND von einem ehemaligen Mitarbeiter des Liechtenstein Global Trust (LGT) gekauft hat.
Kein Einzelfall: Auch bei der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) wurden Daten gestohlen, und die Bank wurde erpresst. Datenklau sei inzwischen das größte Risiko für Steuerflüchtlinge, liest Moll. Er hat zwar keine Stiftung in Vaduz, aber ein Nummernkonto in Zürich. Das klingt sicher, ist es aber nur bedingt: Auf dem Kontoauszug steht diskret eine Nummer, aber einige Mitarbeiter der Bank kennen seinen Namen. Und warum sollte es bei den Eidgenossen keine Datendiebe geben? Der Arzt rät zum Stressabbau.
Jagd auf Steuersünder
15. Februar: Datendiebe bei einer Schweizer Bank?
Moll recherchiert: Vor Jahren wurden der Julius-Bär-Bank Unterlagen entwendet, von ihrem Ex-Manager auf den Cayman Islands: Der musste als Hurrikan-Verantwortlicher jeden Abend eine Sicherheitskopie der Bankserver-Daten mit nach Hause nehmen. Als er entlassen wurde, schickte er später eine CD mit Kundendaten an die Zeitung "Cash", Drohbriefe an Kunden (Absender "Teddy Bär") und schließlich Informationen an die deutschen Behörden. Mehrere Strafverfahren wurden eingeleitet. "Ein bedauerlicher Einzelfall", so die Bank.
17. Februar: Steinbrück will ans Schwarzgeld
"Deutschland sucht den Super-Sünder" titelt die "FAZ"-Sonntagszeitung. Das SPD-Präsidium will das Strafmaß für Steuersünder erhöhen und den Deal "Straffreiheit bei Selbstanzeige" abschaffen. Peer Steinbrück will vor allem Geld und fordert Steuersünder zu Selbstanzeigen auf. Molls sind beunruhigt und überlegen - wie 2004/2005 bei Eichels Steueramnestie. Damals fühlten sie sich sicher - heute nicht mehr. Aus dem Ersparten sind mit den Jahren 1,85 Millionen Euro geworden. Erfreulich, einerseits. Andererseits ist dieses wie man in der Schweiz sagt "steuerneutrale Geld" für Moll längst ein Problem.
19.-26. Februar: Jagd auf Steuersünder
Eine unruhige Woche: etwa 50 Ermittler rund um München im Einsatz. Steuerfahnder bei dem bayerischen Datenschutzbeauftragten Karl Michael Betzl. Günther Oettinger fordert, Steuersünder bis zu 15 Jahre ins Gefängnis zu stecken. "Her Majesty's Revenue & Customs", das britische Finanzamt, fordert auf, Steuerbetrüger zu denunzieren - unter 08 00/ 78 88 87. Senator Carl Levin jagt US-Steuersünder, will bei ihnen jährlich 100 Milliarden US-Dollar an Steuern eintreiben. BND-Informant Kieber hat offenbar LGT-Daten auch an Großbritannien verkauft und Frankreich, Kanada und Australien angeboten. Finnland, Schweden, Norwegen und die Niederlande möchten die Kieber-DVD vom BND, Dänemark hingegen will keine Hehlerware, noch nicht. Der Paragraf 370 der Abgabenordnung (AO) bringt Molls um den Schlaf: Bei Steuerhinterziehung drohen in seinem Fall bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.
27.-28. Februar: Was Banker jetzt raten
Christa Moll googelt "Schwarzgeld": 200.000 Ergebnisse. Dazu Werbung, ganz oben der Link www.hypovereinsbank.lu. Die Luxemburger Dependance wirbt auf der Schwarzgeldseite. Dreist, findet Christa Moll, und lässt sich beraten: Eine Schweizer Großbank empfiehlt, das Geld auf ihre Finanzplattform in Singapur zu transferieren. Eine andere rät zur Gründung einer Corporation in Panama garantiert ohne Kooperation mit der EU. Oder eine Offshore-Gesellschaft auf den Seychellen? Molls sind sicher: Ferien auf den Seychellen: immer, das Geld dorthin transferieren: niemals.
Was der Steuerfachanwalt rät
29. Februar: Auf der Anklagebank
In Rostock wird gegen vier Männer Anklage erhoben, die von der Liechtensteinischen Landesbank neun Millionen Euro erpresst haben sollen, für 1600 Kontenbelege.
9. März: Boom bei Selbstanzeigen
Die Angst geht um: Angeblich haben 140 Steuersünder Selbstanzeige erstattet, obwohl sie kein Konto in Liechtenstein besitzen. Moll macht einen Termin beim Steuerfachanwalt.
12. März, 10 Uhr: Was der Steuerfachanwalt rät
Das Besprechungszimmer des Anwalts, Dr. Berg ist Experte für Selbstanzeigen. Molls erfahren: Nur beim Steuerrecht kann man nach "Tatvollendung" straffrei bleiben durch eine Selbstanzeige. Der Anwalt berichtet von Risikofaktoren: verlassenen Ehefrauen, frustrierten Geschäftspartnern und zerstrittenen Schwarzgelderben. Überhaupt werde es immer riskanter, Schwarzgeld zu haben.
Er rät zu einer Selbstanzeige und erklärt das Prozedere: Weil zwischen strafrechtlicher Verjährung (zurzeit nach fünf Jahren) und steuerrechtlicher Festsetzungsverjährung (nach zehn Jahren) unterschieden wird, soll die Schweizer Bank zunächst die Erträgnisaufstellungen der letzten fünf Jahre schicken. Er würde dann die Höhe der nicht versteuerten Kapitalerträge berechnen und die Unterlagen als "Berichtigungserklärung" beim Finanzamt einreichen.
Damit sei der erste, der wichtigste Schritt getan: Es tritt Strafbefreiung ein. Meist verlange das Finanzamt aber auch die Unterlagen über die vorherigen fünf Jahre. Dem Fiskus gehe es ja vor allem ums Geld. Apropos: Man sollte mit dem Anwalt über sein Honorar sprechen.
12. März, 11 Uhr: Was kostet die Selbstanzeige?
Was wird aus Molls 1,85 Millionen? Ein Viertel weg? Ein Drittel? Die Hälfte? Der Anwalt zögert: Das hängt von den Kapitalerträgen und Molls Steuersatz in den vergangenen zehn Jahren ab. Hinzu kommen 6 Prozent Zinsen für jedes Hinterziehungsjahr. Großes Plus für Moll: Seit zwölf Jahren ist er im Ruhestand mit entsprechend niedrigem Steuersatz. Eine Geldstrafe fällt bei einer Selbstanzeige nicht an. Anders, wenn das Schwarzgeldkonto auffliegt: Dann gibt es ein Strafverfahren und eine Geldstrafe, von dem Schwarzgeld bleibt dann manchmal nicht mehr viel übrig.
Die Nacht der Entscheidung
22.-23. März: Die Nacht der Entscheidung
Carl Moll holt einen Bordeaux aus dem Keller. Um Mitternacht ist die Karaffe leer, die Entscheidung gefallen: für die Selbstanzeige. Und damit rund 480.000 Euro für den Staat, schätzt der Anwalt. Aber wie viel ist ein gutes Gewissen, wie viel Molls Gesundheit wert? Außerdem will Moll kein zweifelhaftes Erbe hinterlassen.
Vom Anwalt weiß er: Wer Schwarzgeld erbt, hat eine "Berichtigungspflicht", muss Hinterzogenes nachversteuern, jedoch kein Buß oder Strafgeld zahlen, schließlich steht der Erblasser jetzt vor einem höheren Richter. Für alle Erben gilt: Verschweigen sie das Schwarzgeld und geben die Erträge nicht in ihrer nächsten Steuererklärung an, dann begehen sie wie der Erblasser Steuerhinterziehung. Führen mehrere Erben ein Schwarzgeldkonto weiter, dann bilden sie eine "fortgesetzte Hinterziehungsgemeinschaft". Fliegt einer auf, sind alle dran. Familienkrach ist programmiert.
26. März: Steuersünder allerorten
Erstaunlich? Nicht nur Berlusconis Landsleute haben Stiftungen in Liechtenstein, die Polizei ermittelt in 400 Fällen. Auf der LGT-DVD stehen auch Namen aus Österreich, Spanien und Frankreich.
1. April: Das Projekt "Athena"
Dr. Berg erhält grünes Licht für die Selbstanzeige. Aus der Kanzlei ruft Carl Moll in der Schweiz an: Der Anwalt benötigt detaillierte Erträgnisaufstellungen. Man vereinbart ein Codewort: "Athena", nach der griechischen Göttin der Weisheit und auch des Friedens. Anonymität ist wichtig: Falls Molls Bankunterlagen Steuerfahndern in die Hände fallen, bevor die Selbstanzeige beim Finanzamt eintrifft, dann platzt der Deal "Geld gegen Straffreiheit". Denn eine Selbstanzeige ist nicht mehr wirksam, wenn eine "Sperre" eingetreten ist, die Tat entdeckt ist, ein Amtsträger zur Prüfung erschienen oder ein Strafverfahren eingeleitet und auch bekannt gegeben worden ist. Juristen sprechen kurz von "Strafbefreiungsausschlussgründen". Um Finanzkommissar Zufall keine Chance zu geben, rät der Anwalt zur Verschwiegenheit.
6. April: Spannung und Anspannung
Christa Moll sieht "Schatten der Angst", einen "Tatort". Carl Moll findet seine Lektüre ebenso spannend: "Die Steuerfahndung" (von Michael Streck und Rainer Spatscheck). Moll erfährt viel Neues: dass etwa eine Kontrollmitteilung des Zolls an das Finanzamt nicht als Entdeckung der Tat gilt. Wer also mit viel, zu viel Bargeld erwischt wird, kann sich noch schnell selbst anzeigen. Auch ohne Unterlagen der Bank, man schätzt die Höhe der nicht versteuerten Einkünfte. Wichtig ist dabei, großzügig zu schätzen. Denn stellt sich später heraus, dass die Erträge höher waren, dann gilt Straffreiheit nur für den deklarierten Betrag. Manche Anwälte raten auch noch nach Entdeckung der Tat zu einer Selbstanzeige. Dies könne strafmindernd wirken wie die freiwillige Kooperation mit dem Finanzamt, den Steuerfahndern.
Eingangsstempel vom Finanzamt
28. April: Bedrohte Geldberge?
Konrad Hummler vom traditionsreichen St. Galler Bankhaus Wegelin sagt in der "Süddeutschen Zeitung": Er habe schon unzählige Angriffe auf das Schweizer Bankgeheimnis erlebt. Aber diesmal sei etwas anders, die Schweiz sei geschwächt, sie stehe jetzt an einer Weggabelung. Isolation oder Kooperation mit der EU, so wie es die Grünen und Roten im Schweizer Parlament fordern.
Das Aus für das Schweizer Bankgeheimnis? Ein Banker versucht zu beruhigen: "Bis de geit no hüffu Wasser de Rottu emab." Für sprachlich Unkundige: "Rottu" bedeutet "Rhône".
30. April: Es wird abgerechnet
Post aus der Schweiz: die Unterlagen über Dividenden und Zinseinkünfte, andere Kapitalerträge sowie Veräußerungsgewinne aus Wertpapiergeschäften. Wie bei jeder Steuererklärung kann man auch bei einer Berichtigungserklärung Kosten geltend machen, zum Beispiel ausländische Steuern und Werbungskosten wie Depotgebühren und Vermögensverwaltungskosten. Beratungskosten kann man ebenfalls absetzen, allerdings nur für die Ermittlung der Einkünfte, nicht für die Kosten der Selbstanzeige.
8. Mai: Brisante Unterlagen
Anruf vom Anwalt. Die "Berichtigungserklärung" sei fertig. Molls sollen sie abholen, ansehen und absegnen. Den Terminus "Selbstanzeige" müsse man vermeiden, so Dr. Berg, der könne unter Umständen eine Strafverfolgung auslösen. Auch ein Bedauern darüber, dass man jahrelang Steuern hinterzogen habe, sei nicht angebracht.
Das Anschreiben an das Finanzamt klingt für Molls überraschend beiläufig: "Die Eheleute Moll haben uns gebeten, Ihnen die nachfolgenden, der deutschen Finanzverwaltung bislang nicht bekannten Konten sowie sich hieraus ergebende Erträge und Gewinne nach zu erklären."
Am Nachmittag deponieren Molls die Unterlagen des Anwalts bei verreisten Nachbarn. Nie hatten sie belastendes Material im Haus. Das soll auch heute, einen Tag vor Abgabe der Selbstanzeige, so bleiben. Um 17.15 Uhr klingelt es. Die Steuerfahndung? Ein Messerschleifer.
9. Mai: Der Eingangsstempel vom Finanzamt
Dr. Berg schickt einen Boten mit der Berichtigungserklärung zum Finanzamt. Sie bekommt einen Eingangsstempel, und ab sofort müssen sich Molls nicht mehr vor Datendieben, Denunzianten und Dummheit fürchten und können sich ganz offiziell Geld aus der Schweiz überweisen lassen. Erleichterung.
Geschäft mit Denunzianten?
30. Mai: Volkes Stimme?
Abendessen bei Bekannten. Ein Gast sympathisiert mit den Linken. Nach dem Mohnsoufflé und den Managergehältern nimmt er sich die Steuerhinterzieher vor: Die müssten alle lange Haft und hohe Geldstrafen bekommen. Jeder Bürger solle auf seiner Steuererklärung eidesstattlich versichern, dass er kein Schwarzgeld habe. Und wenn er lügt, dann ab in den Knast. Das sei noch human: Im Mittelalter hätte man denen die Zunge herausgeschnitten oder die Hand abgeschlagen.
1. Juni: Die Kinder werden informiert
Birgit, Heike und Andreas sind erleichtert über die Selbstanzeige der Eltern. Vor allem Birgit: Ihr Ex-Mann weiß von dem Schwarzgeld, kennt die Kontonummer und zurzeit keine Skrupel. Heike, die Anwältin, fürchtete "berufsrechtliche Folgen", falls sich die Geschwister nach dem Tod der Eltern nicht einigen könnten, eine Berichtigungserklärung abzugeben. Und Andreas fand die Steuerhinterziehung seiner Eltern nie in Ordnung.
Einige Tage später faxt er ihnen ein Interview mit dem Fundamentaltheologen Gregor Maria Hoff: Wenn jeder selbst entscheide, welche Gesetze für ihn gelten, dann führe dies in der Summe zur Erosion der Grundstruktur unseres Gemeinwesens.
2. Juni: Cash und Crash
Rund 480.000 Euro werden Molls in einigen Monaten an das Finanzamt überweisen müssen. Also jetzt schon Aktien verkaufen? Der Dax pendelt seit Wochen um die 7000 Punkte, rund 15 Prozent unter dem Allzeithoch vom Juli 2007. Was tun? Auf eine Hausse warten?
Aber was, wenn die Börse abstürzt? Christa Moll rechnet: Infolge der Dotcom-Blase verlor der Dax mehr als 70 Prozent. Falls es wegen der US-Immobilienkrise ebenfalls zu solchen Verlusten kommen sollte, dann bliebe von dem Schweizer Vermögen nach der Steuernachzahlung kaum etwas übrig. Christa Moll hat Angst, Carl Moll versucht zu beruhigen. Doch schließlich beugt er sich der weiblichen Intuition und beauftragt die Schweizer Bank, Aktien und Anleihen zu verkaufen. Drei Tage später sind 500.000 Euro als Tagesgeld angelegt. Der Dax nun bei 6900. Volatilität oder Vorzeichen?
14. Juni: Geschäft mit Denunzianten?
Die "Welt" berichtet von einem angeblichen neuen Geschäftsmodell: Wer Steuersünder kenne, könne damit Geld machen. Die Firma Steuerverrat.de biete Denunzianten an, Beweise auszuwerten und dann mit den Behörden eine Belohnung auszuhandeln für 15 Prozent Provision.
Das Finanzamt will mehr
19. Juni: USA contra UBS (I)
Die Großmacht USA will die UBS, den größten Vermögensverwalter der Welt, zwingen, Daten ihrer US-Kunden preiszugeben. Ex-UBS-Vermögensverwalter Bradley Birkenfeld gesteht in einem Fall, dass die Bank ihren US-Kunden systematisch dabei geholfen habe, Steuern zu hinterziehen.
Es geht um insgesamt 20.000 Konten und 20 Milliarden Dollar. Das Aus des Schweizer Bankgeheimnisses für die US-Kunden der UBS? Auch für EU-Kunden? Noch gibt es keinen zwingenden Informationsaustausch mit der Schweiz, stattdessen zahlen EU-Bürger eine Quellensteuer. Zumindest die Dummen, so der "Tages-Anzeiger". Denn kreative Banker haben längst in "Steuerfluchtprodukte" umgeschichtet. Ein Katz-und-Maus-Spiel. Es geht um viel: Finanzexperten schätzen, dass die Deutschen etwa 170 Milliarden Euro Schwarzgeld in der Schweiz deponiert haben.
6. Juli: Das Finanzamt will mehr
Post vom Finanzamt: "... und bitte Sie auch für die Jahre 1997 bis 2001 um Nachmeldung der Erträge aus Geld und Wertanlagen ..." Keine Überraschung, doch für Molls etwas kompliziert: 2001 hatten sie die Bank gewechselt. Würde die frühere kooperieren? "Die müssen", so Anwalt Berg. Doch die Bank windet sich: Dies gehöre nicht zu ihrem Tagesgeschäft, die Unterlagen seien im Keller. Wenn Moll 1500 Euro überweise, dann werde man gern aktiv, brauche aber etwa sechs Wochen. Dr. Berg beantragt beim Finanzamt eine Fristverlängerung.
18. Juli: Pressenotizen
Das erste Urteil in der LGT-Affäre: Ein Immobilienkaufmann wird zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 7,5 Millionen Euro verurteilt. Zwei Wochen später veröffentlicht das Magazin "Format" die Namen von angeblichen österreichischen LGT-Kunden. Adel verbindet: Zu den Kunden der Fürsten-Bank gehört auch der österreichische Geld, Hoch und Höchstadel. Aufregung auch bei LLB-Kunden: Die Rostocker Staatsanwaltschaft erhält von einer Verteidigerin Belege über 1600 geheime Konten ihr Mandant dafür Strafmilderung.
Allein die Bochumer Staatsanwaltschaft soll seit Februar rund 110 Millionen Euro Steuernachzahlungen eingetrieben haben. Einige aufgeflogene Steuersünder wollen die LGT auf Schadensersatz verklagen.
15. August: Der Steuerberater wird eingeschaltet
Carl Moll informiert Sven Schulz, seinen Steuerberater. Der wusste nichts von dem Schweizer Konto, nichts über die geplante Selbstanzeige. Mit gutem Grund: Der Steuerberater gilt, so das Bundesverfassungsgericht, nicht als "Interessenwahrer seines Mandanten", sondern als "Mittler zwischen Finanzamt und Steuerbürger", als "Wahrer des Rechts". Wenn man seinen Steuerberater einweiht und sich dann gegen eine Selbstanzeige entscheidet, dann muss der Steuerberater sein Mandat niederlegen. Er wird seinen Mandanten zwar nicht anzeigen, darf sich aber nicht an dessen Straftat beteiligen. Ein guter Grund für Molls, erst einmal fremdzugehen zu Dr. Berg.
Erneut Post vom Finanzamt
20. August: Erneut Post vom Finanzamt
Eine Zahlungsaufforderung. Molls Steuervorauszahlungen wurden erhöht, auf Grundlage der höheren Kapitalerträge. 48.700 Euro sollen sie zahlen. Steuerberater Schulz wundert sich, rechnet nach und stellt fest: Steueranwalt Berg hatte die Kapitalerträge zum Teil doppelt berechnet und zudem nicht berücksichtigt, welche Kosten man absetzen kann. Dr. Berg meint lapidar: Es sei Aufgabe des Finanzamtes, die aus den eingereichten Unterlagen ersichtlichen Werbungskosten zu berücksichtigen und die Kapitalerträge nur entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu besteuern.
21. August: Der Steuerberater übernimmt
Molls Steuerberater dazu lakonisch: Das sei, als ob man als Steuererklärung einen Schuhkarton voller Belege abgibt. Der Anwalt bietet nun an, diese Arbeit von seinem Büro erledigen zu lassen. Molls bitten um seine Rechnung. Dr. Berg berechnet 9000 Euro.
Steuerberater Schulz macht sich nun an die Kärrnerarbeit: nicht nur die Kapitalerträge zusammenzustellen und nach Art der Besteuerung zu deklarieren, sondern auch Nachweise über Werbungskosten und anrechenbare Steuern zu besorgen, etwa die Original-Steuerbescheinigungen auf Dividenden deutscher Aktien. Das ist nicht leicht und kostet: Pro Aktientitel und Jahr verlangt Molls Bank 80 Franken. Ärgerlich auch: Die Erstattung eines Teils der von der Schweiz einbehaltenen Quellensteuer ist nur für die letzten drei Jahre möglich.
10.-17. September: Operation "Athena"
Die bislang umfangreichste Bargeld-Kontrolloperation in Europa. Mehr als 13.000 Personen und 22.000 Gepäckstücke werden in Deutschland kontrolliert. Allein am Grenzübergang Bregenz erwischen die Fahnder in drei Stunden acht Personen mit Geldsummen zwischen 15.000 und 20.000 Euro. Witziger Zufall: die EU-weite Aktion läuft unter dem Codewort "Athena" - wie Molls Selbstanzeige.
6.-10. Oktober: Wo ist das Geld sicher?
Aus der US-Subprime wird eine weltweite Finanzkrise. Panik an den Börsen, Molls sind mit n-tv und CNN live dabei. Wenigstens haben sie das Geld fürs Finanzamt cash, bei ihrer Schweizer Privatbank. Doch ein Radiobericht irritiert Christa Moll: Spareinlagen sind in der Schweiz bis zu 30.000 Franken gesichert. Aber Molls haben 500.000 Euro auf ihrem Tagesgeldkonto. Sie lassen sich das Geld auf ihr Konto bei der Sparkasse überweisen und vertrauen auf die Garantieerklärung von Merkel und Steinbrück. Aber was sind Garantieerklärungen von Politikern im Ernstfall wert? Sondersendungen auf allen TV-Kanälen: Spareinlagen sind sicher! Carl Moll entscheidet: Am sichersten ist das Geld bei der Finanzkasse und leistet deshalb eine Vorauszahlung auf die Steuernachzahlung: 200.000 Euro.
Ein Quantum Trost
14. Oktober: Ein Quantum Trost
Immer wieder fehlen Steuerberater Schulz Unterlagen es dauert Tage, Wochen, bis sie aus der Schweiz eintreffen. Endlich ist alles komplett, vielfach geprüft und beim Finanzamt. Molls hoffen nun auf ein schnelles Ende. Ein gutes Zeichen? Das Finanzamt akzeptiert die von Schulz berechnete Steuervorauszahlung: 22.100 Euro und nicht 48.700 Euro.
31. Oktober: USA contra UBS (II)
Die UBS muss kapitulieren und in einer Art Rasterfahndung in ihren Unterlagen nach namentlich nicht bekannten US-Steuersündern suchen. Ein Novum. Für US-Bürger gibt es damit praktisch kein Schweizer Bankgeheimnis mehr.
3. November: Einleitung Steuerstrafverfahren
9.30 Uhr: Ein Einschreiben vom Finanzamt. Der Bescheid über die Steuernachzahlung? Dann der Schock: "Gegen Sie ist am 30.10.2008 ... das Steuerstrafverfahren eingeleitet worden." Und weiter: "Es besteht der Verdacht, dass Sie in den eingereichten Unterlagen unrichtige Angaben gemacht haben." Ein Steuerstrafverfahren auch das noch.
Moll faxt das Schreiben an seinen Steuerberater. Sven Schulz wettert: Der Anwalt hätte Molls sagen müssen, dass so ein Schreiben kommen kann. "Unrichtige Angaben", das beziehe sich, so Schulz, auf die vor Jahren abgegebenen falschen Steuererklärungen. In dem Brief stehe ja auch, dass in Kürze die geänderten Steuerbescheide einträfen und bei fristgerechter Zahlung Straffreiheit eintrete. Trotzdem telefoniert Schulz mit der Sachbearbeiterin in der Strafsachenstelle. Entwarnung. Erleichterung. Die Drohung des Finanzamts war vorsorglich gemeint.
8. November: Der Bescheid des Finanzamtes
Erneut Post vom Finanzamt: der korrigierte Steuerbescheid. 248.763 Euro muss Moll nachzahlen, inklusive Zinsen. In etwa so viel wie der Steuerberater ausgerechnet hat. Da Moll bereits 200.000 Euro an die Finanzkasse überwiesen hat, muss er nur noch 48.763 Euro zahlen. Das tut er, noch am selben Tag. Mit der fristgerechten Zahlung ist nun auch das letzte Kriterium für Straffreiheit erfüllt. 248.762 Euro für ein gutes Gewissen.
Carl Moll ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen aufgrund seines niedrigeren Steuersatzes als Ruheständler und der hohen abzugsfähigen Kosten (Schweizer Banken sind teuer). Am Abend holt er wieder einen Bordeaux aus dem Keller, wie seinerzeit im März einen 90er Cheval Blanc. Doch heute Abend wissen Carl und Christa Moll, weshalb dieser St. Émilion von Weinkritiker Parker 99 von 100 Punkten bekommen hat. Wahrlich ein Jahrhundertwein. Ein hervorragender Abgang. Ein guter Abschluss.
2. Dezember: Nachtrag
Der Bundesgerichtshof verschärft Strafen für Steuersünder. Carl Moll ist erleichtert: Schwarzgeld, Steuerschulden - Tempi passati.