Kolumne Die Krise als Chance
In der Weltwirtschaft hat sich etwas zusammengebraut, das verdächtig an den "perfekten Sturm" erinnert. Drei fundamentale strukturelle Trends überlagern sich ungünstig: Der von der Friedensdividende am Ende des Kalten Krieges getragene, extrem lange globale Aufschwung geht seinem Ende entgegen, die Rohstoffpreise sind in ungeahnte Höhen gestiegen, und die hausgemachte US-Kreditkrise erreicht nach der Wall Street nun auch die Main Street und die Konsumenten in aller Welt.
Auch die deutsche Wirtschaft spürt mittlerweile die Folgen. Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal gegenüber dem vorherigen um 0,5 Prozent geschrumpft. Sollte das nächste Quartal ähnlich ausfallen, können wir den Verlauf sogar offiziell Rezession nennen. Entsprechend gedrückt ist die Stimmung in Deutschland. So verzeichnen wichtige Wirtschaftsindikatoren historische Tiefstände: Der Ifo-Geschäftsklimaindex und das GfK-Konsumklima stehen so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Besserung scheint nicht in Sicht, im Gegenteil. Die Wirtschaftsinstitute korrigieren ihre Prognosen weiter nach unten.
Der Abschwung trifft uns unerwartet. Wähnten sich die meisten von uns doch bis vor Kurzem noch sicher getragen von der Konjunkturwelle der vergangenen Jahre: Der "Exportweltmeister" Deutschland profitierte sichtlich von der dynamischen Weltwirtschaft, viele Unternehmen haben ihre Hausaufgaben glänzend erledigt. Die Lohnzuwächse fielen moderat aus, die Produktivität stieg. Sind jetzt die fetten Jahre schon wieder vorbei? Kommen nun - nach dem umjubelten Strohfeuer von um die 3 Prozent Wachstum in den Jahren 2006 und 2007 - wieder "sieben magere Jahre"? Es sieht so aus.
Das Konjunkturhoch hat die strukturellen Schwächen der deutschen Wirtschaft nicht beseitigt, sondern lediglich überdeckt. Wieder ist es nicht gelungen, die Rahmenbedingungen nachhaltig zu verbessern. Richtige und wichtige Wege, die eingeschlagen worden sind, werden wieder verlassen. Beispiel Agenda 2010: Nachdem die Hartz-Reformen erfolgreich zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes beigetragen haben, droht jetzt die Einführung von Mindestlöhnen Teile des Erfolgs wieder zunichte zu machen.
Weite Kreise der Bevölkerung haben zudem den Eindruck, der Aufschwung sei bei ihnen nicht angekommen. Inflation, "kalte" Steuerprogression und ein Trend zur Polarisierung von Einkommen sind handfeste Belege für dieses Gefühl. Fakt ist, dass die deutsche Wirtschaft dynamischer und nachhaltiger wachsen muss, sollen breite Bevölkerungsschichten profitieren. Die Resultate der McKinsey-Studie "Deutschland 2020" sprechen hier eine klare Sprache: 3 Prozent muss das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf jährlich wachsen, um auf lange Sicht eine soziale, prosperierende Leistungsgesellschaft zu erhalten und Wohlstandsverluste zu vermeiden.
Eine eigene Konjunktur erzeugen
Um auf diesen Wachstumspfad einzuschwenken, dürfen wir eines auf keinen Fall tun: weitermachen wie bisher. Wenn wir nichts unternehmen, wird sich auch nichts ändern, und wir drohen zu bloßen Zaungästen der Globalisierung oder - schlimmer noch - zum Spielball der Weltwirtschaft zu werden.
Nutzen wir stattdessen die Krise. Die drei Erfolgsstrategien lauten erstens: Investitionen nach Renditegesichtspunkten und nicht nach Stimmung. Zweitens: antizyklisches Handeln. Und drittens: Erzeugung von Sonderkonjunkturen durch Innovation.
Für die Politik heißt das, ihre Mittelvergabe sehr viel konsequenter auf die volkswirtschaftlich sinnvollsten Investitionen zu fokussieren: Bildung, Forschung und Entwicklung. Konsumtive Konjunkturprogramme und Sozialtarife verbrennen nur Geld, das für diese Investitionen dringend gebraucht wird.
Für Unternehmen bedeutet es, in Zukunft noch stärker auf ihre Innovationskraft zu setzen und mutig zu investieren. Bislang, so ergeben volkswirtschaftliche Analysen, richtet sich die Investitionstätigkeit vor allem nach der guten Konjunktur und nicht nach den Renditen. Dabei kommt es vor allem auf letztere an - fallen doch die Renditen für in Zeiten des Abschwungs getätigte Investitionen in der Regel deutlich höher aus als für im Aufschwung vorgenommene.
Eine McKinsey-Analyse zur Rezession in den USA Anfang der 90er Jahre zeigt es: Die erfolgreichen Unternehmen haben während der Rezession erheblich mehr Geld ausgegeben, im größeren Stil akquiriert und, verglichen mit anderen Unternehmen, doppelt so viel in Forschung und Entwicklung gesteckt.
Wie sehr sich insbesondere das Investieren in Forschung und Entwicklung auszahlt - auch und gerade in einer Rezession -, belegt ein weiteres Benchmarking: Unternehmen mit hoher Innovationsleistung wachsen jährlich um bis zu 10 Prozent stärker als der Durchschnitt und haben eine um 5 Prozentpunkte höhere Profitabilität. Sie erzeugen ihre eigene Konjunktur.
Antworten auf die schwache wirtschaftliche Lage gibt es also. Bleibt nur die Frage, warum wir eigentlich immer erst die Krise brauchen, bis sich etwas bewegt.