Porträt Die fabelhafte Welt der Treichls
Eine Familie wie die Treichls aus Österreich gibt es in Deutschland nicht. Heinrich Treichl, der Patriarch, Bankier in fünfter Generation und ehemals Generaldirektor der damals international renommierten österreichischen Creditanstalt (CA), erinnert an den alten Hermann Josef Abs. Und auch die Söhne, jeder auf seine Weise, reüssieren in der Welt des Geldes.
Der ältere, Michael Treichl, als kühler Investor am Londoner Finanzplatz, ein Global Player unserer Zeit. Der jüngere, Andreas Treichl, als Vorstandsvorsitzender der Ersten Bank, einst biedere Sparkasse, heute europäische Großbank mit enormem Wachstum im Osten. Dabei halten die Treichls an dem ethischen Rahmen, den jeweils die Eltern vorgaben, bis heute fest; an dem Bewusstsein, dass Einfluss und Vermögen verpflichten. Die Treichls - eine große österreichische Familie.
In der Familiengeschichte der Treichls gibt es Helden und Verlierer. Bauern und Barone. Elegante Salons und berühmte Namen. Große Vermögen und herbe Verluste. Und immer wieder schöne Frauen. Man ist sportlich. Schon Ururgroßmutter Thorsch verfügte in der Wiener Jaurèsgasse über einen privaten Tennisplatz; heute kämpft Emma, Ehefrau von Michael Treichl, beim Pferdepolo auf dem Rasen.
Man ist musisch. In dieser Familie wird und wurde musiziert - und werden bis heute Gedichte geschrieben. Man ist sozial. Helga Treichl, die verstorbene Ehefrau von Heinrich, hat Maßstäbe gesetzt, als aktive Helferin, nicht als Charity-Lady heutigen Stils. Und man ist "social". Desirée ("Desi"), Ehefrau von Andreas Treichl, hat soeben den Opernball, eine Wiener Institution, erfolgreich entstaubt.
Und was für eine Tradition! Im Gästeklo von Parnham House, Michael Treichls prachtvollem Landsitz in Südengland, hängen zwei Geldscheine an der Wand, in schmalem Rahmen, hinter Glas: ein 500-Schilling-Schein, von Vater Treichl unterzeichnet; und ein Fünf-Gulden-Schein mit Datum 1839 und der Unterschrift von Michaels Urururgroßvater, Freiherr von Ferstel. Das darf man Kontinuität nennen.
Die Tür in der Wiener Salmgasse führt nicht nur in eine herrschaftliche Wohnung voller kostbarer Bücher, Gemälde, Antiquitäten. Sie ist auch das "Sesam, öffne dich!" zu einer verlorenen Zeit. "Was mein Vater das feudale Bürgertum genannt hat - das ist weg", sagt Heinrich Treichl, bald 95 Jahre alt, noch immer ein gut aussehender Mann, gern gesehener Gast, ein kritischer Geist, wach und interessiert. Den Ersten Weltkrieg, Inflation, Auschwitz habe diese Gesellschaftsschicht nicht überlebt. "Die Vermögen sind verloren und auch der Schichtzusammenhang." Verschwunden seien damit die alten Vorurteile - aber eben auch die alten Wertordnungen. "Darin liegt die Wurzel eines verhängnisvollen Verlustes moralischer Kategorien."
Wie jeden Vormittag hat Treichl, noch unter dem Kaiser Franz Joseph im großen Österreich-Ungarn geboren, seine gymnastischen Übungen gemacht, das Buch "Die Fünf Tibeter" liegt griffbereit, ebenso das italienische Wörterbuch, er lernt gerade Italienisch, man müsse schließlich in Bewegung bleiben. Er sagt: "Ich habe Österreich viermal erlebt: k. u. k. Monarchie, Erste Republik, NS-Zeit, Zweite Republik."
Ungeschriebene Dos and Don'ts
In diesem vierten Österreich galt Treichl, Generaldirektor der Creditanstalt, als mächtiger Mann. "Ich hätte es vorgezogen, man hätte die große Aufgabe und die Verantwortung gesehen. Ich bin gegen Macht in der Wirtschaft." Treichl war und ist ein Liberaler im klassischen angelsächsischen Sinn. Kein Manchester-, ein Ordoliberaler, der schon lange bevor die Krise und der Vertrauensschwund bei Banken die öffentliche Diskussion bestimmten, die Ansicht vertrat, der Staat habe Rahmenbedingungen vorzugeben und bei Auswüchsen einzuschreiten.
Er sagt: "Die Finanzbranche ist Moden unterworfen. Plötzlich machten alle dasselbe, das konnte ja nur in eine Katastrophe führen" - Aber war es nicht vielmehr Gier? - "Aber die Gier ist doch Teil der menschlichen Natur! Einer unserer Hauptantriebe. Ohne Gier würden wir uns nicht mal reproduzieren." Nicht die Gier solle man bekämpfen, das ginge ohnedies nicht, sondern ordentliche Rahmenbedingungen etablieren. "Ohne die kann der Kapitalismus nicht unangefochten weiterexistieren." - Und die Gambler in den Banken? - "Schrecklich! Ich vermute, die Überwachungssysteme sind nicht sehr gut."
Wir sitzen auf den alten Lederfauteuils in der kenntnisreich bestückten Bibliothek. Und das Leben seiner Mutter, Baronesse Ferstel, Enkelin des Erbauers der Votivkirche, Freiherr von Ferstel, zieht vorbei. Die Vorfahren des Vaters, Bauern vom Wolfganghof in Leogang, treten auf, einfach, bürgerlich. Natürlich führten Heinrichs Eltern einen Salon. Da kamen Ökonomen wie Schumpeter vorbei, Industrielle, Sängerinnen und Minister, Militärs, Beamte und Journalisten. Nur die Großspekulanten der Ersten Republik waren nicht "reçu". "Ein krasserer Gegensatz zwischen dieser Gesellschaft und dem heutigen Promi-Auftrieb", sagt Treichl, "lässt sich kaum denken."
Wenn er "Das weite Land" von Schnitzler auf der Bühne sieht, hat er die Sommer auf den Landsitzen der Großeltern vor Augen. Die heile Brühler Gartenwelt. Die Älteren spielten Whist oder gingen auf die Jagd, die Kinder übten Theaterszenen aus "Der Widerspenstigen Zähmung". Oder sie spielten mit Tanten und Cousinen auf dem Rasen Krocket. Endlose Sommer, in denen nichts geschah und die Zeit stehen blieb.
Aber diese Welt war nicht mehr heil, die Erwachsenen wussten das. Österreich-Ungarn, das für sie Österreich war, gab es nicht mehr. Neben den Klassikern standen in der Bibliothek viele Jahrgänge der "Fackel" von Karl Kraus in kräftigem Rot "und ließen keinen Zweifel daran, dass diese heile Welt bereits untergegangen war".
In diesem Spannungsfeld zwischen der gediegenen Opulenz der mütterlichen Vorfahren und der bäuerlichen Herkunft der väterlichen Seite bewegen sich die Treichls bis heute. Michael, der Londoner Investmentbanker und Multimillionär, zelebriert wieder den Lebensstil der Aristokraten; Andreas Treichl, der Sparkassenchef, eingebunden in die enge Wiener Gesellschaft, grummelt dagegen: "Was mir so auf die Nerven geht, ist dieses ewige Gerede von den Ferstels und Thorschs ... Wir heißen Treichl! Und die Treichls waren Bauern! Und ich bin ein Treichl!" Darauf Michael, gelassen: "Unsere Familiengeschichte ist ja relativ bunt, da kann sich jeder heraussuchen, was ihm passt, den Bauern oder den Großbürger."
Aber die ungeschriebenen Dos and Don'ts dieser Gesellschaft, die haben beide noch, Andreas wie Michael, mit der Muttermilch aufgesogen. Je egalitärer die Gesellschaft, desto unerbittlicher die Abgrenzungen. "Protzen ist eine von den ärgsten Sachen, das brachte man uns frühzeitig bei", sagt Heinrich, der Vater. Auch das Benehmen gegenüber Hausangestellten - das Wort Dienstboten war verpönt - wurde streng überwacht. Man hatte besonders freundlich zu sein; nur sehr gewöhnliche Leute behandeln ihre Angestellten unfreundlich.
Verhandlungen mit Ullstein und Bucerius
Im Alter von 90 Jahren hat Heinrich Treichl noch seine Erinnerungen aufgezeichnet, und entstanden ist ein scharfsinniges, analytisches, dabei wunderbar farbiges Buch. Der Bub erlebt, wie die Eltern, um eine Insolvenz der Biedermann Bank abzuwenden - der Vater war dort Geschäftsführender Verwaltungsrat -, ihr Privatvermögen opferten: "der Vater ganz, die Mutter fast ganz". Der Vater habe einige Tage lang selbst an einem der Schalter der Bank gesessen, um Einleger auszuzahlen. Und der alte Heinrich meint heute: "Ohne ein vergleichbares verantwortungsbewusstes Verhalten ist eine kapitalistische Gesellschaft gar nicht akzeptabel."
Als junger Mann muss er Marie von Ferstel, die Großmutter, zu einer Untersuchung in das Anthropologische Institut der Universität Wien begleiten. Um den "Längenbreitenindex des Schädels" zu vermessen. Der Dozent war höflich routiniert, so als gelte es, die Alterssichtigkeit zu bestimmen. Es waren aber die Ungeheuerlichkeiten der Nürnberger Gesetze, die die alte Frau zu dieser Erhebung zwangen. Treichl erinnert: "Ein Hutmacher hätte auch nicht viel anders Maß genommen. Aber die Alternative hieß hier - Auschwitz." Die Treichls wurden für "deutschblütig" erklärt, durften jedoch nicht in die Partei. Wir haben das, sagt Heinrich, gern hingenommen.
Nach dem Krieg holte ihn der Schwiegervater als Geschäftsführenden Gesellschafter in den Ullstein Verlag Wien. Helga Treichl war eine Ullstein-Enkelin. Und Heinrich wäre beinahe Verleger geworden - in Deutschland. Zwischen Rudolf Ullstein, Treichl und dem Verleger Gerd Bucerius war es zu freundschaftlichen Beziehungen gekommen. Und man kam überein, dass Bucerius seine Verlagsobjekte, die defizitäre "Zeit" und seine Anteile am "Stern", gegen einen entsprechenden Aktienanteil in den Berliner Ullstein Verlag einbringen sollte; daneben liefen Verhandlungen mit der britischen Besatzungsmacht über die Weitergabe von Zeitungen.
Ein Jahr wurde diskutiert, begutachtet, bewertet, dann schien klar: Ullstein würde mit einem Schlag das führende deutsche Pressehaus: Mit "Die Welt", "Welt am Sonntag", "Stern" und "Zeit". Statt der in Wien mit Spannung erwarteten Vollzugsmeldung aber kam ein Fernschreiben von Karl Ullstein aus Hamburg: "Konnte mich nicht entschließen. Habe soeben Herrn Springer gratuliert."
Springer habe aus dem Verlag weit mehr gemacht, als es den Ullsteins jemals gelungen wäre, meint Treichl heute, der diese Episode gern erzählt, weil sie seiner Meinung nach in der Geschichtsschreibung des Hauses Springer nicht richtig wiedergegeben werde. "Springer war ja ein hoch talentierter Mann." Er lächelt: "Das ließ seine aufgesetzten, in Wahrheit sehr deutschen Allüren des Weltmanns verzeihen."
Nichts Schöneres, als in der Salmgasse am Mittagstisch zu sitzen. Wenn die Haushälterin Tafelspitz reicht und der alte Treichl Anekdoten serviert. Vom alten Linksliberalen Kreisky, der am Ende am liebsten mit den Rothschilds oder Frau von Karajan (damals noch Anita, geborene Gütermann) speiste. Oder vom jungen, ehrgeizigen Hannes Androsch. Und dessen spürbarem Bestreben, weltmännisch zu wirken, als Ersatz für das nicht Angeborene oder Anerzogene - fast meint man, Treichl erzählte über Ex-Kanzler Gerhard Schröders erste Gehversuche in rahmengenähtem Schuhwerk. Heute trifft sich Treichl mit Androsch - "der hat inzwischen ein riesiges Vermögen gemacht" - regelmäßig zum Mittagessen. Verstehe einer Wien.
Am Tisch beim alten Treichl ist gedanklich immer auch Helga dabei, seine verstorbene Frau. Sie war der Mittelpunkt seines Lebens. Die talentierte Fechterin und Dressurreiterin arbeitete als Übersetzerin, keine dilettierende Dame der Oberschicht, sondern respektierte Sprachschöpferin. Und sie war bis zuletzt karitativ engagiert, hat MS-Kranke gepflegt, gewaschen, den Haushalt besorgt. Zu Helgas Tod schrieb Andreas ein anrührendes Gedicht. Und Michael sagte irgendwann: "Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an sie denke."
"Konkurrenz zwischen Brüdern"
Und irgendwie ist auch Wolfgang, Heinrichs nur 20 Monate jüngerer Bruder, immer präsent. Ein musischer junger Mann, dann ein zum Äußersten entschlossener Gegner des Nationalsozialismus. Er fiel, als Fallschirmspringer in britischer Uniform, 1944 beim Absprung bei Tolmezzo nahe der österreichischen Grenze, 29 Jahre alt.
Heinrich Treichl empfindet den Tod des Jüngeren bis heute als Amputation; geblieben ist auch die Frage, ob man nicht selbst zu wenig gewagt hat, "ich sehe das Fragwürdige des Überlebens". Zu Ehren des Bruders hat die Familie eine Kapelle gebaut und ein Buch mit dessen Briefen und Gedichten herausgegeben, Hilde Spiel, die große alte Dame der österreichischen Literatur, nannte es ein "unsäglich erschütterndes Zeitdokument", und dennoch findet Treichl den Tod des Bruders nicht genügend gewürdigt. "Kaum ein Stein, kaum eine Tafel erinnert an die Menschen, die für die Befreiung Österreichs starben."
Beide Söhne sind von diesen Vorbildern geprägt. Und könnten dabei nicht unterschiedlicher sein. Michael, lange Junggeselle, sei ein Einzelgänger, Einzelkämpfer. Der Vater sagt über ihn: "Er ist Österreicher geblieben, wäre aber beruflich in Österreich kaum vorstellbar." Andreas, der zwei Jahre jüngere, war immer gruppenorientiert, Anführer im Gymnasium, im Chor und bei den Ministranten. "Ein begnadeter Motivator, der die Energien von Mitarbeitern zu bündeln und zu leiten versteht."
Wir treffen Michael Treichl ein erstes Mal in München, beim Frühstück im "Mandarin Oriental", einen auf den ersten Blick eher unauffälligen Mann, schlank, leise, zurückhaltend, mit überraschend ausdrucksvollen Augen. Er hat sein Sportprogramm bereits hinter sich, mal macht er Aerobic, mal mehr Gewichtheben, er möchte fit bleiben für Tennis, Reiten, seine halsbrecherischen Heli-Skitouren in Kanada und natürlich: für die Jagd. "Wir jagen seit Generationen", sagt er, "der Vater hat in seinem Leben sicher schon Hunderte von Gamsböcken geschossen." - Und er? - "In England alles, was fliegt; in Schottland Hirsche."
Auch sprachlich hat er Österreich abgestreift, er redet, wenn er mag, Hochdeutsch ohne jede Dialektfärbung. "Natürlich gibt es Konkurrenz zwischen Brüdern", meint er nach einer Pause. Er habe aber nie den Druck des Wettbewerbs gespürt, weil er das Land früh verlassen und seine Karriere im angelsächsischen Bereich gemacht habe. "Und da tritt dann doch recht schnell der Effekt ein", sagt er fein, "dass man Österreich und Wien als relativ überschaubar empfindet."
Von seinem Bruder aber spricht er dann mit auffallender Wärme. "Andreas möchte in der Gesellschaft Einfluss haben, mitgestalten, eine Spur hinterlassen. Das ist mir weniger wichtig." Oft klingt Bewunderung durch. "Sie müssen seine künstlerische Seite beleuchten", sagt er, "das hat er von unserer Mutter. Er schreibt bis heute Gedichte." Auch setze sich Andreas, der Jazzliebhaber, ans Klavier und improvisiere jede gewünschte Melodie. Und ein begnadeter Weinkenner sei er noch dazu: "Wenn Sie ihm drei Gläser unterschiedlichen Bordeaux hinstellen, nennt er Ihnen den Jahrgang." Er zerteilt sorgfältig sein Spiegelei und fragt: "Ist das nicht bemerkenswert? Mein Bruder könnte sich auch als Barpianist durchschlagen." Er setzt die Kaffeetasse ab und grinst. "Bei mir reichte es gerade zum Jagdgehilfen."
Michael Treichl kann gelassen loben. Die 4,4 Millionen Euro, die sein Bruder als höchstbezahlter Bankmanager Österreichs im Jahr bekommt, gelten in Londoner Finanzkreisen als Peanuts. Michael hat ordentlich Geld verdient. Auch als Spezialist für feindliche Übernahmen.
"Sonnyboy ohne Durchsetzungsvermögen"
Ist er der Böse im Stück? Ein Investor wie Treichl denkt in anderen Kategorien. "Wenn Pirelli Conti kaufen will und Conti das nicht will, wer ist da der Gute, wer der Böse?"
Michael Treichl ist der personifizierte Global Player. Die Grenzen zwischen den europäischen Unternehmen hätten sich in den vergangenen zehn Jahren völlig verwischt. "Es gibt kein deutsches Modell, wenn man die Fakten zusammenzählt - höchstens im Selbstverständnis der Medien." Und er spricht von seinen "unternehmerischen Phasen" (mit Ex-Thyssen-Chef Dieter Vogel) und von seinen "Engagements" - was auffällt: ohne jede Emotion. "Ich empfinde keine Leidenschaft für Unternehmen, in die ich investiere", sagt er knapp. Das gehöre zum Job, "dass man schon beim Einstieg Überlegungen anstellt: Wie komme ich da wieder raus?"
Eine Heuschrecke mag man ihn dennoch nicht nennen. Heuschrecken fressen ungebremst. Das würde ihm nicht passieren. Er sagt Sätze wie: "Jeder gewinnt gern." Aber er bleibt sachlich, faktenbestimmt. "Private Equity, so wie ich es verstehe, wird ein Unternehmen nicht ausbeinen, sondern seinen Wert steigern, um es besser zu verkaufen. Das heißt: Man muss auch langfristige Strategien verfolgen." Aber bloß kein Gefühl. "Zu passioniert im Investmentgeschäft darf man nicht werden. Steigert man sich zu sehr hinein, trifft man nicht die richtigen Entscheidungen."
Sie sind das ungekrönte Königspaar der Wiener Gesellschaft, Andreas Treichl, der Sparkassenchef, und seine Ehefrau Desirée, geborene Gräfin Stürgkh. Dazu gehört, dass sie das natürlich unter keinen Umständen sein mögen, aber sie sitzen auf diesem Thron, ob nun gewollt oder nicht. Wie besonders dieses Paar ist, merkt man erst beim Rundumblick in der Berliner Republik. Wo gäbe es Vergleichbares? Paare mit so viel Stil, Glamour, Tradition? Nein, die Wiener Treichls sind konkurrenzlos, das gilt es festzustellen, neidfrei.
Der Andreas sei halt nicht nur ein guter Banker, sagt Graf Clary, Chef des futuristischen "Do & Co Hotels", des "Käfers" von Wien direkt am Stephansdom, sondern eben auch ein ungemein liebenswerter Zeitgenosse, sinnlich und genussfreudig. Ein kontrollierter Renaissance-Mensch sozusagen. Feinde stilisierten ihn zum Leichtfuß, "ein begnadet begabter Bursche", kommentierten sie, aber für große Aufgaben zu verspielt. "Ein Sonnyboy ohne das nötige Durchsetzungsvermögen."
Heute spielt er eine Rolle in Wien, die man nur mit der von Alfred Herrhausen in Frankfurt vergleichen kann (dem einst seine Eleganz und Parkettsicherheit ebenfalls nicht nur zum Vorteil gereichten): politisch im Hintergrund agierend, dabei eloquent und visionär.
In der Nachbarschaft des Hauptsitzes der Ersten Bank liegt die Kirche St. Peter in voller Pracht. Im nahen Trendrestaurant "Fabios" (an dem Treichl privat beteiligt ist), feiern Geschäftsleute in der Bar mit viel Champagner einen Abschluss. Wien strahlt wie in alten Zeiten - die ganze Stadt profitiert vom Aufschwung Ost.
"Demnächst heiliggesprochen"
Treichl holt selbst ab. Er wirkt abgespannt, graugesichtig. Für ihn ist es kein guter Tag. Ein schwarzer Freitag. "Es ist ein Blutbad", sagt er mit schiefem Lächeln. "Es ist fürchterlich." Die Flure vor seinem Büro haben den Charme einer bulgarischen Außenhandelsbank. Sein Zimmer wirkt, als sei man dort nicht beim Chef, sondern einem Abteilungsleiter gelandet. Offensichtlich hat hier Ehefrau "Desi", ehemals Mitarbeiterin bei "Männer-Vogue", heute Herausgeberin des Lifestyle-Magazins "Home", noch nicht wirken dürfen.
Er setzt sich, den Blick zum Fernseher gerichtet, und zuckt zusammen ... aah! ..., als trete ihm jemand in den Bauch. Zwar habe die "Erste" die Hände vom Subprime-Geschäft gelassen - "wir machen nur Sachen, die wir überblicken" -, aber dennoch fällt unaufhörlich der Kurs. "Entsetzlich", stöhnt Treichl auf, " ... der Vertrauensverlust ist enorm!" - Aber sind dies nicht virtuelle Verluste? - Natürlich, bald könne alles schon wieder ganz anders aussehen, antwortet er lahm und schaut zum Monitor wie ein Mann, dem man gerade die Brieftasche geklaut hat. Und da ist alles da, was Bruder Michael im Tagesgeschäft als störend empfindet. Mit einem Wort: Leidenschaft.
Erst als wir anmerken, dass Bankchefs gemeinhin in würdigeren Hallen angetroffen werden, freut er sich ein bisschen: "Dieses grauenhafte pompöse Gehabe." Er lehne das bewusst ab. Und auch seine jungen Mitarbeiter befleißigten sich größter Bescheidenheit. "Wir wollen keine schönen Büros."
"Für Treichl wächst die Gefahr, von der Öffentlichkeit demnächst heiliggesprochen zu werden", schrieb die "Süddeutsche Zeitung". Die auf ihn geschriebenen Hymnen häufen sich, Deutschbanker Ackermann kann von vergleichbarem Medienecho nur träumen. Treichl zeige, dass ein gern Klavier spielender, nie mit einem Glas schlechten Rotweins anzutreffender und durchaus glamouröser Banker "die soziale Dimension nicht verliert", meinte zum Beispiel Hans Rauscher, einer der kritischen Kolumnisten Wiens. Der Sparkassenchef sei eben kein kaltschnäuziger Neoliberaler, der seinen Wert daran messe, wie viele Leute er zum Wohl des Aktienkurses gefeuert habe.
Treichl gilt als Gutbanker, in Anlehnung an das Wort vom Gutmenschen. Eine Bezeichnung, gegen die er sich mit Händen und Füßen wehrt. Dankbar müsse man nicht ihm, sondern den Gründern der Stiftung der Ersten Bank sein, mit gut 30 Prozent Hauptaktionärin der Sparkasse. "Diesen Stiftungsauftrag habe ich zu erfüllen." Tatsächlich aber hat Treichl erkannt, was für ein Pfund er mit der Stiftung in der Hand hält. "Wirklich sympathische Institutionen sind Banken ja nicht."Mit der Symbiose aus Bank und Stiftung aber könne sich die Erste positiv von ihren Konkurrenten abheben. "Und erreichen, dass Kunden und Mitarbeiter wirklich gern bei unserer Bank sind."
Mit dem Geld der Stiftung wurde die "Zweite Wiener Vereins-Sparcasse" gegründet, kurz die "Zweite" genannt, die sich der Verlierer des Systems annimmt, nämlich Kunden kostenlose Girokonten anbietet, die bei anderen Banken bereits durch den Rost gefallen sind. Die Stiftung hat für dieses Projekt 5,8 Millionen Euro bereitgestellt, Pensionäre und Mitarbeiter helfen ehrenamtlich bei der Beratung.
"Ich glaube fest daran, dass in jedem Menschen die Sehnsucht steckt, mit seiner Tätigkeit auch etwas Sinnvolles, Soziales zu verbinden", meint Treichl, der da wohl auch für sich selbst spricht, denn er sagt an anderer Stelle: "Für mich ist die Stiftung von Warren Buffett und Bill Gates eines der motivierendsten Ereignisse der letzten 50 Jahre." Ein Kassierer, der täglich Dollar-Scheine gegen Euro tausche und wisse, dass von jeder Gebühr 30 Prozent in eine Stiftung flössen, der arbeite einfach motivierter. Treichl, bestimmt: "Und das merken wir auch."
Vater Heinrich war es mit der Creditanstalt als Erstem gelungen, eine Repräsentanz im kommunistischen Ostblock, in Budapest, zu eröffnen. Jetzt hat Sohn Andreas die Expansion der Ersten in Osteuropa zu einer Erfolgsgeschichte gemacht. Wie man hört, hat der Bankchef inzwischen sogar Rumänisch und Tschechisch gebüffelt und kann sich mit seinen Filialleitern verständigen. Der Markt zwischen Bodensee und Schwarzem Meer umfasst nahezu 120 Millionen Menschen. Drei Viertel des Gewinns kommen inzwischen aus dem Ostgeschäft. 20 Millionen Kunden seien das Ziel.
Von Deutschen nichts gefallen lassen
Treichl erklärt den wirtschaftlichen Erfolg seiner Bank in den Grenzen der k. u. k. Monarchie gern mit alten Gemeinsamkeiten. Österreich stehe nun einmal den Ungarn und Tschechen näher als den Deutschen. - Gilt das bis heute? - "Absolut! Von unserer Denkweise und der Art, wie wir Geschäfte machen."
Deutsche seien direkter, sie sagten ihrem Gegenüber auch unangenehme Sachen ins Gesicht. Österreicher sagten lieben alles hintenherum. "Deutsche, die bei uns arbeiten, tun sich schwer", meint Treichl, "wir Österreicher sind ja eigentlich Deutsch sprechende Balkanesen."
"Man darf sich von den Deutschen nichts gefallen lassen, dann sind sie durchaus 'traitabel' ", hat die Großmutter einst geraten. "Sie sind im Grunde nette und anständige Leute, nur manchmal taktlos und uns Österreichern gegenüber oft überheblich." Jetzt macht der Enkel den bayerischen Sparkassen den Hof. Bayern sei ein toller Markt, der regional gut zur Ersten passe. Und er meint: "Irgendwann werden wir in Deutschland landen."
Andreas Treichl hat den Monitor ausgestellt. Und spricht vom Leben, für das er keine Zeit mehr findet. Von Musik. Theater. Literatur. "Das ist eigentlich mein größtes Problem. Ich spiele gern Klavier, ich liebe Konzerte, ich bin im Musikverein, ich kriege tolle Bücher geschenkt, aber komme zu nichts, das ist mitunter frustrierend." Für diese Defizite entschädige die Familie. "Meine Frau, die Kinder ... das genieße ich, das ist herrlich."
Ehefrau "Desi" stammt aus bester Familie, ihr Urgroßonkel war Ministerpräsident in der k. u. k. Monarchie. Sie habe sich jedoch, wie sie in Interviews freimütig verriet, als Vollwaise verarmt durchs Leben schlagen müssen. Jetzt genießt es die Lifestyle-Expertin, im Mittelpunkt zu stehen. Die "Seitenblicke", Österreichs Klatschsendung Nummer eins, haben einen neuen Star. Und der Ehemann meint: "Das ist eine neue Erfahrung für mich. Wir gehen irgendwohin, und die Leute stürmen auf meine Frau." Und er selbst, gar keine Spielzeuge? - "Ich hab eine Harley seit 1993, aber das ist natürlich eine Zeitfrage. Bei diesem Druck, den wir uns hier machen ..." Er hat den Monitor wieder angestellt. Und will es nicht fassen: "Wir brechen regelrecht ein."
Welche Rolle reizte ihn mehr? Welche Karriere würde er wählen? Haben wir Vater Heinrich gefragt. Die von Sohn Andreas? Oder doch die von Michael? Und der alte Herr hat, ohne ein Zögern, geantwortet. "England. Die Selbstständigkeit." Und auch Andreas Treichl weiß sofort, was seinem Vater besser gefällt: "Das Leben von meinem Bruder. Weil er das hat, was er selbst immer haben wollte: internationalen Glanz. Und dann dieser Landsitz ..."
Parnham House liegt in Dorset, im Süden von Beaminster. Hat man das Tor durchfahren, fällt der Blick in eine ideale Landschaft, eine "ornamented farm", wie sie Caspar Voght im Jenischpark an der Hamburger Elbchaussee zu kopieren versuchte. Es gibt sanfte Hügel, einen veritablen Fluss, Wege, See und Alleen und eine Herde Damwild, ungezählte Rehe und Hirsche, die sich wie in Zeitlupe mit anmutigen Sätzen von der Straße wegbewegen, als der Wagen passiert. Das Tudor-Haus aus der Zeit Elisabeths I. gilt als eines der schönsten historischen Gebäude Dorsets; in der Great Hall ist ein Datum eingeritzt: 1559.
Wenig ambitionierter Student
Michael Treichl hat das Anwesen samt Ländereien 2001 gekauft. Und es zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht, Ausflüge ins Londoner Domizil eingeschlossen. Eine Bilderbuchwelt, in der Jagdhunde umherwedeln und Kinder lachen und lärmen. Die Dame des Hauses, sehr schön, sehr sportlich, kommt zum Tee vorm Kamin. Sie hat sich gerade im Dampfbad erfrischt: Die Jagd am Morgen war anstrengend.
Gäste empfängt Treichl in der Halle, in der während des Zweiten Weltkriegs Mitglieder des 16. Infanterieregiments der U. S. Army Pläne für den D-Day ausgearbeitet haben, im Oak-Room dinierte einst Eisenhower. Den Tee serviert ein Butler, der Blick aus den Fenstern fällt auf leuchtend gelb blühende Narzissenfelder. An den Wänden hängen alte Meister des 18. und Gemälde des 19. Jahrhunderts, Geerbtes und Gesammeltes. Bequeme Polster, rustikale Stoffe, es herrscht das, was der Engländer Sir Rocco Forte "lässigen Luxus" nennt, und dies in seinen Hotels in dieser Vollendung doch nie erreicht.
Michael war, wie der Vater sagt, "vorsichtig ausgedrückt, ein wenig ambitionierter Student", aber nach der Harvard Business School ein intensiv arbeitender Investmentbanker. Mittlerweile, der Butler gießt Tee nach, ist Michael endlich sein eigener Herr. Aus dem Junggesellen ist ein Familienvater geworden. Ein bisschen scheint er selbst darüber zu staunen.
Vor dem Kamin liegt ein prachtvoller Eisbär, nur Kopf und Fell - wie der Tiger bei "Dinner for One". In einem der Gästezimmer stolpert man über das Haupt einer Löwin. Alles Treichl-Opfer; das gehört zum aristokratischen Leben, "einer meiner Großonkel hat 40 Tiger geschossen", bemerkt Michael, ihn selbst reize höchstens noch ein Grizzly: "Das Abenteuer - es ist ja nicht ganz ungefährlich." Da spürt er dann wohl Emotion.
Leben wir in einer goldenen Epoche? Einem zweiten gilded age? Vergleichbar der Gründerzeit, in der die Rockefellers, Carnegies und Vanderbilts wurden, was sie sind?
"In den letzten 20 Jahren sind enorme Vermögensmassen geschaffen worden", antwortet Treichl. Reiche Inder, Malayen, Russen habe es immer schon gegeben, "aber was in China passiert, das ist enorm."- Und der Verfall der Sitten? Wir gehen zu einer Palme, gut fünf Meter hoch, die dank des milden Klimas auf dem Grundstück gedeiht. "In der Idealform des Kapitalismus gibt es keine Gegensätze zwischen Arbeit und Kapital", meint Treichl, "weil alle dasselbe wollen: die Wertsteigerung des Unternehmens. Damit mehr Geld für jeden Einzelnen." Mitarbeiter müssten direkt am Erfolg des Unternehmens beteiligt sein, dann funktioniere das System. "Dazu gehört, dass die Unterschiede nicht zu krass werden; und dass die Gewinner zurückgeben. In der angloamerikanischen Welt funktioniert das besser als bei uns."
Was beunruhige, sagt er mit Blick auf den Palmenwipfel, dass man immer noch nicht wisse, wie groß das schwarze Loch sei, das die Finanzmarktkrise aufgerissen habe. 900 Milliarden Dollar? Oder gar noch mehr? Jetzt sei der Gesetzgeber gefordert, die Grundsätze für Kredit-Ratings zu überprüfen. Aber geredet hat er dann nicht von den Verlierern, sondern von den Gewinnern der Krise.
"Den Trend umdrehen"
Von Fondsmanagern wie John Paulson, der konsequent auf den Zusammenbruch des Subprime-Marktes gesetzt "und das mit bewunderungswürdiger Zähigkeit über einen Zeitraum von fast zwei Jahren durchgehalten hat". Am Ende habe er aus etwa 1,2 Milliarden mehr als 8 Milliarden Dollar gemacht. "The Trade of the Century" nenne man das in London, sagt er bewundernd, "das ist schon was".
Er selbst gibt sich zufrieden. "Wir haben ein Modell gefunden, in dem man auch in schwierigen Zeiten einen zufriedenstellenden Return erreicht." Und er sieht auch nicht düster in die Zukunft. "Die Selbsterneuerungskraft der Amerikaner wird immer wieder unterschätzt." Ernster schätzt er die Gefahr ein, dass Deutschland in den Durchschnitt abgleitet, "wäre ich Deutscher, würde ich mich sorgen".
Am nächsten Tag haben sich in der Mittagssonne die Blüten der großen alten Magnolienbäume geöffnet. "Noch schöner", sagt der Hausherr, "sieht es aus, wenn die Glyzinien am Haus blühen." Die Rehe liegen jetzt im Schatten, unter den Bäumen. Emma, hoch zu Ross, die Kinder auf Ponys im Schlepp, kommt langsam einen Hügel herunter, ein Bild wie auf einem Gemälde des 19. Jahrhunderts. "Ich glaube, dass die Welt ganz in Ordnung ist", stellt Treichl fest. Er ist kein Mann des Überschwangs.
Hat er nicht seinen Lebenstraum erreicht? Das, wovon sein Vater immer träumte?
Das sehe er eigentlich nicht so, meint er sachlich. Seine Vorfahren hätten immer wieder Geld verloren, Land und Besitztümer verkaufen müssen. "Mein Bedürfnis war es, diesen Trend umzudrehen."
Auch das Sommerhaus von Großtante Melanie Ferstel, geborene Thorsch, war im Tudorstil gebaut, erinnert Heinrich Treichl in seiner Biografie. "Da gab es einen Gartensaal mit einem riesigen Kamin und einem Geländer, auf dessen gepolstertem Lederrand man sitzen konnte."
Auf solchem Geländer sitzen jetzt wieder Kinder in Dorset. Die heile Brühler Gartenwelt. Sie ist wieder da. - Wie lange mag sie dieses Mal dauern?
In der Bibliothek haben wir die roten Jahrgangsreihen der "Fackel" nicht gesehen.