Kolumne Aus Lehm wird Gold
In fast allen großen Unternehmen Deutschlands hat das Mittelmanagement keinen Ruf, sondern ein pechschwarzes Image. Das Heer der Mitarbeiter an einer der wichtigsten Schnittstellen im Unternehmen wird aus der Sicht der Führungsetagen meist als das größte Hindernis bei der Umsetzung von Veränderungen wahrgenommen.
Oft als undurchdringliche Lehmschicht bezeichnet, gilt das Mittelmanagement als zäher Gegner von Reformen und Bremser bei der Verwandlung schwerfälliger Unternehmenskolosse in pfeilschnelle Jäger im globalen Wirtschaftsdschungel. Die Folge: Viele Unternehmenslenker versuchen, das Mittelmanagement zu umgehen, um es zu überwinden.
Auch von der anderen Seite betrachtet wird das Bild nicht besser. Über ein "hohes Maß an Unzufriedenheit" unter deutschen Mittelmanagern berichtet eine Studie der EU, "über die Hälfte der in Deutschland Befragten beklagen mangelnde Wertschätzung und Würdigung ihrer Arbeit".
Die Untersuchung belegt, dass deutsche Mittelmanager unzufrieden und überlastet sind. Während in Ländern wie England und Luxemburg die Zahl der Mittelmanager bis zu 22 Prozent der Erwerbstätigen ausmacht, sind es in Deutschland nur 11 Prozent - absoluter Niedrigstwert aller untersuchten Länder.
Heute rächt sich, dass in den vergangenen Jahren die Mittelschicht in deutschen Unternehmen radikal abgebaut wurde. So schrumpfte bei BASF von 1990 bis 2005 das Mittelmanagement von 2200 Mitarbeitern auf 1400. Gleichzeitig wurde der Umsatz verdoppelt. Die Arbeit in vielen Konzernen ist aber nicht nur umfangreicher, sondern auch anspruchsvoller geworden, weil viele Themen aus dem höheren Management nach unten delegiert wurden. Kein Wunder, dass sich die mittlere Ebene "strukturell überlastet" fühlt.
Dieses Unwohlsein ist nicht nur das Problem der Gruppe. Das schlechte Image als Sitzengebliebene und das Desinteresse der Unternehmensführung an diesem Sektor richtet in vielen Unternehmen immense Schäden an. Denn egal ob Meister oder Teamleiter, ob regionaler Vertriebschef oder Betriebsleiter - die Qualität dieser Mitarbeiter macht oft den Unterschied aus. Man braucht ihre Kompetenz und ihren Einsatz - und wird sie künftig noch mehr brauchen.
Was zu tun ist
Um im globalen Wettbewerb mithalten zu können, benötigen die Unternehmen auf jeder Managementebene flexible, wache Mitarbeiter, die Chancen nutzen, statt die Angst vor Veränderungen zu leben. Wer früher gewissermaßen als Beamter einer ausführenden Behörde agierte, soll nun Teil einer selbstständig handelnden Führungsschicht werden.
Aber wie will man mit ausgepowerten, überlasteten und demotivierten Mitarbeitern den Dogmenwechsel schaffen? Mit einer Lehmschicht ist das jedenfalls aussichtslos. Und einfach neue Leute für neue Aufgaben einzustellen ist auch keine Lösung. Denn selbst wenn man neue Fachkräfte bekäme - was schon auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt schwierig ist und noch schwieriger werden wird -, so wäre es doch eine Verschwendung vorhandener Ressourcen.
Was also tun?
Beheben lässt sich die missliche Situation nur durch ein radikales Umdenken in der Führungsetage. Gewonnen wäre schon viel, wenn Topmanager wie Personaler überhaupt erst den Wert der brachliegenden Potenziale erkennen würden.
Gebraucht wird eine Analyse der Arbeitsweise und der Aufgaben im mittleren Management. Es fehlen: strategische Vorgaben für die Lösung typischer Aufgaben genauso wie die Definition der Verantwortlichkeiten.
Genauso wenig weiß man über das tatsächliche Know-how im mittleren Management und kann deshalb nicht einschätzen, wie sich dieses Wissen für das Unternehmen nutzen lässt. Vor allem aber machen sich die Konzernspitzen zu wenig Gedanken darüber, wie sie Mitläufer in Mitunternehmer verwandeln.
Klar ist: Die Kreativität der Mitarbeiter, ihre Motivation und ihre Offenheit für permanente Veränderungen sind heute selbstverständliche Voraussetzungen für den Erfolg.
Gebraucht wird eine Kombination aus monetären und sachlichen Anreizen. Diese reichen von größeren Entscheidungskompetenzen über eine transparente Karriereplanung bis hin zur offiziellen Anerkennung besonderer Leistungen.
Die Vergütung sollte sich nicht nur an der individuellen Leistung ausrichten, sondern übergreifende Faktoren wie die Förderung der Teamkultur oder die Weiterentwicklung von Geschäftsprozessen berücksichtigen.
Und durch Beteiligungsmodelle ließe sich das Interesse der Mittelmanager am Unternehmenserfolg steigern. Im Grunde geht es darum, Führungsinstrumente für die zweite und dritte Führungsebene auch in den Etagen darunter anzuwenden. Dieses unbestellte Feld wird viel Arbeit machen, vor allem aber stellt es eine große Chance dar, es besser zu machen.
Am Anfang steht etwas ganz Entscheidendes: Die Topetage muss erkennen, dass im mittleren Management der Schlüssel für die Gewinnsteigerungen der Zukunft versteckt liegt.