Agnelli-Familie Jaki der Ernste
Mit faszinierender Regelmäßigkeit kanalisiert John Jacob Elkann seine Energie in die Hände. Schöne Hände. Lange Finger, schmucklos, nicht einmal den Ehering trägt er, geschweige das Familiensiegel, die Nägel picobello manikürt. Die Hände eines Zupackers? Er sitzt am langen Konferenztisch, die ganzen 1,89 Meter seines Körpers aufrecht und unbewegt. Nur von Zeit zu Zeit, sparsam und effektvoll dosiert, setzt er die Arme mit Schwung zur Landung an.
In solchen Momenten stellt er die Fingerkuppen senkrecht auf den Tisch, während sich sein Handballen in ein kleines Ufo verwandelt. Sein Blick kommt aus der Tiefe dunkelbrauner Augen, verbindlich und verschlossen. Ein Mann, der weiß, dass der Röntgenstrahl auf ihn gerichtet ist. Und doch scheint er auf eine ganz selbstverständliche Weise der nette Junge von nebenan zu sein, dem ab und zu lausbübischer Schelm übers Gesicht flitzt. Wären da nicht dieser Ernst und diese Gravität, als habe die Welt eine überirdische Last auf seinen Schultern deponiert.
John Elkann hat uns warten lassen. Ein Zeremoniell der Mächtigen. Oder sollten wir nur die Chance nutzen, in der städtischen Palastresidenz seiner Vorfahren, dem Elternhaus seiner Mutter noch, die modernen Kunstwerke, schwarze Monochrome und Klassiker der Arte povera, auf uns wirken zu lassen und einmal die Welt durch diese hohen Fenster zu betrachten:
Pitsch. Peng. Dong. Auf der prachtvollen Allee des Corso Matteotti fallen die reifen Kastanien. Ein Schauspiel, das die Anwohner über Jahrhunderte fasziniert beobachteten. Der Matteotti ist eine der großen Achsen im Zentrum Turins, der Hauptstadt des Piemont. Hier liegt, wie jeder weiß, die Geburtsstätte von FIAT, der "Fabbrica Italiana Automobili Torino", als deren Schöpfer die Agnellis gelten. So wurde ihr Name Legende und garniert seit einem guten Jahrhundert den Globus mit Italo-Flair wie Medici und Michelangelo, Pizza und Pasta, Sugo und Spaghetti-Familienkapitalismus.
Mit nur 31 Jahren ist John Elkann das mächtige Clanoberhaupt der Agnellis, Pater familias, King of the Show. Seine erste Tat: Er sorgte dafür, dass es Fiat überhaupt noch gibt.
Wir erinnern uns, das Unternehmen war eigentlich tot. Einst unter den ersten sechs Autobauern der Welt, ging es bis 2004 derart rapide bergab, dass kaum noch jemand an eine glückliche Fügung glauben mochte. Der Erbe der Familienehre wollte sich damit aber nicht abfinden. Noch in jener Mai-Nacht im Jahr 2004, als sein Großonkel Umberto starb, als klar war, dass die Verantwortung nun an ihn gehen würde, es war ein Donnerstag, machte er sich auf den Weg zu einem Mann, in den er alle Hoffnung setzte: zu Sergio Marchionne. Der Sohn eines nach Kanada ausgewanderten Carabiniere arbeitete damals in der Schweiz für SGS Societe Generale de Surveillance, einen Weltmarktführer für Inspektions- und technische Überprüfungsdienste: ein rigoroser Manager, frei von allen Tabus und Verbindlichkeiten, die im System Agnelli zuvor geherrscht hatten. Zugleich ein Kenner italienischer Verhältnisse.
Arrivederci Todesfurcht!
Drei Tage und drei Nächte zitterte der damals 28-jährige Elkann, dann kam der erlösende Handschlag. Mit aller Entschlossenheit und Härte schickte Marchionne das alte Management nach Hause und formte sein eigenes Team. Elkanns Kalkül ging auf: Mit Marchionne hieß es zum ersten Mal nach zehn bangen Jahren - Arrivederci Todesfurcht! Nun ging es in die neue Kurvenlage - Erfolg.
Zehn Milliarden Euro ist der Familienbesitz heute wert; damit sind die Agnellis wieder in der ersten Reihe der reichsten Reichen Italiens, der größte Arbeitgeber des Landes ohnehin. Der Kurs der Fiat-Aktie, einst auf dramatische vier Euro gefallen, hat sich mit derzeit rund 18 Euro mehr als vervierfacht.
Corso Matteotti Nr. 26 beherbergt heute den Firmensitz der Familie. Man betritt ihn durch immense Holzportale, unter einer kleinen Überwachungskamera, die Noblesse von gestern heruntergekühlt auf Stahl-und-Glas-Moderne, die enormen Säle verwandelt in eine kleine Bürowelt mit abgewetzten Teppichböden und dem unvermeidlichen Ficus Benjamini. Trotzdem lässt sich der Hauch der Historie nicht vertreiben, obschon man vergeblich den Namen der berühmtesten Familie Italiens sucht.
Auf einem blank polierten Halbrund im Eingang finden sich lediglich die schmalen Lettern "IFI" und darunter "IFIL". Das klingt nach quietschenden Comicfiguren, es sind aber Finanzgesellschaften, in denen sich die Schätze der Familie bündeln. Dabei kontrolliert IFI IFIL, und IFIL gehören 30 Prozent von Fiat. John Elkann ist Vorsitzender der IFI und Stellvertreter bei IFIL. Aber bald wird er auch hier die Führung übernehmen.
Im innersten Tabernakel des weit verzweigten Agnelli-Imperiums existiert noch ein ganz besonderer Schatz, die Privatholding Dicembre. Elkanns jüngere Geschwister, Lapo und Ginevra, besitzen davon jeweils ein knappes Viertel, er selbst kontrolliert über 50 Prozent der Stimmrechte. Diese Mehrheit garantiert, dass bei allen Entscheidungen, die Fiat betreffen, niemand in der Dynastie an John Elkann vorbeikommt. Mit Dicembre verfügt er über 34 Prozent der Stimmanteile am Aktienpaket.
So steht er rein rechnerisch mit einer satten Mehrheit da; wie einst sein Großvater Gianni Agnelli, besser bekannt als "L'Avvocato". Der letzte große Patriarch, der mit einem Räuspern Bataillone in Stellung bringen konnte. Der Homme à Femmes, den sich auch Jackie Kennedy zum Ehemann wünschte. Der Mann, der mit Marella an seiner Seite für die Sehnsucht nach italienischen Royals stand. Wie soll man in die Fußstapfen einer solchen Legende treten, ohne vom Mythos erschlagen zu werden?
"Ich möchte nicht in Konkurrenz treten zu Gianni Agnelli, Imitation ist nicht meine Sache. Mir ist nur wichtig, mein Bestes zu geben", sagt John Elkann bescheiden. "Jaki" nennen ihn seine Freunde und die Familie liebevoll, auch die Menschen, die geschäftlich um ihn herum sind; scheinbar lockerer amerikanischer Führungsstil eben. Gepaart mit dem Motto, das er nie versäumt zu wiederholen: "Respekt wird nicht vererbt, sondern verdient." Dass Gianni Agnelli persönlich ihn zu seinem Nachfolger ernannt hat, widerspricht dem nicht.
Jaki präsentiert sich im marineblauen Anzug mit hellblauem Hemd und Biedermann-Schlips, dunkelblau mit dicken, weißen Querstreifen. Blau ist seine Farbe. Es gäbe vornehmere und auch solche, die mit seinen dunklen Augen besser harmonierten. Doch mittlerweile haben wir die erste Lektion in Symbolik gelernt. Blau - Imitation ist nicht Elkanns Ding? - war schon die Farbe des Avvocato. Wie dieser liebt Elkann Schnellboote; in Familien wie den Agnellis sind solche Leidenschaften status- und wahrscheinlich sogar gengesteuert. Aber im Gegensatz zum Großvater vermeidet er, im internationalen Jetset zu leuchten. Mit Journalisten spricht er selten.
Ein Mann, der bisher immer im Hintergrund blieb. Von Ausnahmen abgesehen, wie im Frühjahr 2006.
"Life is competition"
Als publik wurde, dass es im hauseigenen Fußballklub Juventus Turin - dem italienischen Pendant zum ewig siegreichen FC Bayern - Manipulationsabsprachen gab, ging Elkann demonstrativ ins Stadion und bedauerte vor den Presseleuten mit eisiger Miene den Verlust seines Vertrauens. Das Management wusste umgehend zu reagieren - es trat zurück. Seither steht Jaki auch für Fairplay und saubere Verhältnisse.
"Life is competition" hat der Franzose Ben Vautier in weißer Farbe auf himbeerroten Hintergrund gepinselt; jedes Mal springt dieser Satz Elkann an, wenn er von seinem gläsernen Schreibtisch aufschaut. Was soll denn das? "Es soll mich nur daran erinnern." Das Leben als Wettkampf.
John Jacob Elkanns Position im Clan der Agnellis war nicht immer konkurrenzlos. "Wir waren niemals für die Erbfolge vorgesehen", erinnert sich Mutter Margherita. "Die Herrschaft sollte an das Geschlecht meines Onkels Umberto übergehen." Dort stand ihr Cousin Giovanni Alberto, den sie alle "Giovannino" nannten, "kleiner Giovanni", bereits mit geschäftlichen Meriten geschmückt, in den Startlöchern. Er starb jedoch mit nur 33 Jahren an Magenkrebs.
Durch Blutsbande vereint, zählt die Familie, in der sechsten Generation nunmehr, an die 120 Mitglieder aus den unterschiedlichen Zweigen der Campello-Teodorani, der Rattazzi, Brandolini oder der Nasi. 70 von ihnen sind auch geschäftlich aneinandergekettet, und einige davon arbeiten in den zahlreichen Firmen der Familie, um so ihren Einfluss zu sichern. Ein kaum überschaubares Konglomerat, schwer zu zügeln, gälte nicht nach wie vor das Motto des Avvocato: "Bei den Savoyern wie bei den Agnellis regiert nur einer."
New York: Im Morgengrauen des 1. April 1976 wird Jaki im Cornell University Hospital auf der Upper East Side geboren. Seine Mutter, die einzige Tochter von Gianni Agnelli, ist erst 20. Sein Vater Alain Elkann (26) taumelte nur so im Glück, als er die Klinik verlässt. An seiner Seite Großmutter Marella, Prinzessin aus dem Haus Caracciolo di Castagneto, eine Schönheit voller Grazie und Glamour, obendrein mit dem "perfekten Hals für Colliers", wie Agnelli-Biograf Enzo Biagi spöttelt.
Dass der Sohn einmal Jacob heißen sollte, stand für den Vater schon immer fest. Nach jüdischer Familientradition haben alle Elkanns auch biblische Namen. Er selbst heißt David, sein Vater Isaak und dessen Vater Abraham. Warum aber nannte er den Sohn John Jacob, denkt mancher dabei doch unwillkürlich an den einzigartigen Wirtschaftsgranden John Jacob Astor! "Den hatte ich vor Augen", sagt Alain Elkann. Auch sein Vater Jean-Paul Isaak war Unternehmer und über viele Jahre der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Frankreich.
Bodenständigkeit statt Bodyguards
"Jaki war ein fröhliches Kind", sagt die Mutter, auch sie eine musische Person. Sie malt und schreibt Gedichte. "Er war sehr erfinderisch, mitfühlend und hatte seine Freude daran, der Leithammel zu sein." Nach der Scheidung der Eltern 1981, Jaki war gerade mal fünf, wird er für die beiden jüngeren Geschwister, Lapo, heute 30, und Ginevra, 28, zum Fixpunkt. "Wir waren froh, einander zu haben, Jaki war wie ein Vater zu uns", erzählt Ginevra. Man ahnt, wie einsam diese Kinder waren.
Aus der zweiten Ehe von Margherita Agnelli mit dem russischen Adligen de Pahlen bekommen sie noch einmal fünf (Halb-) Geschwister. Margherita geht ganz in der Mutterrolle auf und konvertiert zum russisch-orthodoxen Christentum. Nach Stationen in London und Rio de Janeiro zieht die Familie nach Paris, wohl in ein gemeinsames Haus, aber sie leben wie zwei getrennte Sippen in zwei unterschiedlichen Flügeln.
Jaki, "Chef" seines Flügels, ist jetzt zwölf. Sobald die Ferien anbrechen, sind die Elkann-Kinder mal beim Vater und dessen Eltern, einem italo-französischen Clan, zu dessen Unternehmungen eine Bank und eine Kosmetikfirma zählen; mal bei den Agnellis auf deren Stadt- und Landsitzen.
Trotz des berühmten Großvaters und der schwierigen Familiensituation verbringt Jaki eine relativ normale Kindheit. Fußballer möchte er werden, als er in Rio de Janeiro mit den Jungs von nebenan barfuß am Sandstrand dötscht. Später ist er überzeugt, ihm sei die Rolle des James Bond bestimmt.
Bewusst sind die Eltern aus Italien weggezogen. "Es war zu gefährlich damals, die Entführungen der Roten Brigaden, die allgegenwärtige Gewaltbereitschaft. Ich wollte kein Leben mit Bodyguards." Sagt Margherita Agnelli, die sich auch von Promipartys und Presserummel fernhält.
Natürlich gehört zur Erziehung Jakis auch die englische Gouvernante. "Englische Manieren und französische Schule halte ich für unabdingbar, das sind feste Werte", offenbart Alain Elkann seine Erziehungsideale.
Er ist Literat und kennt alle großen menschlichen Tragödien, als Clanmitglied auch die der Agnellis. Von den Kindern verlangt er, dankbar zu sein für die außergewöhnlichen Privilegien, die ihnen so selbstverständlich zufallen. So gedeiht trotz aller Abgehobenheit eine gewisse Bodenständigkeit.
Der König von Turin
Jaki ist gerade 21, als er in die Verantwortung genommen wird. Seit drei Jahren lebt er, zum ersten Mal überhaupt, fest in Italien, immer in engem Kontakt zum Avvocato. Sie speisen häufig in dessen Villa auf dem Hügel vor den Toren der Stadt, gehen zu den Spielen von Juventus, fliegen zum Skifahren nach St. Moritz oder zum Segeln an die Côte d'Azur. Das Übliche eben. Jedenfalls muss der Großvater schnell bemerkt haben, dass sein Enkel Interesse am Hause Agnelli zeigte.
Der Junge hatte nicht nur eine gewisse natürliche Grandezza und das gute Aussehen für einen künftigen König von Turin, er hatte auch, was Agnelli über alles schätzte - gute Manieren.
Aber wie und wo nahm der Tycoon den Enkel zur Seite, um ihm zu offenbaren, dass er der Auserwählte sei? "Er hat mir nie wirklich gesagt, ich sei sein Nachfolger. Mein Großvater hat nicht viel gesprochen. Als ich mit 21 in den Aufsichtsrat von Fiat kam, sollte ich lediglich ein Vertreter der jungen Generation sein."
Geschäftlich hielt sich Elkann an Agnellis Vertrauten über drei Jahrzehnte, Gianluigi Gabetti, der zu seinem Mentor wurde. In die große, feine Gesellschaft aber führte ihn der Großvater persönlich ein.
Jaki Elkann ist immer auf der Hut mit seinen Äußerungen. Wenn es um seine Rolle als Clanchef geht, hält er sich noch mehr zurück. Will er vermeiden, Gegner in Stellung zu bringen? Da wäre ja noch Andrea Agnelli gewesen, aus der Linie von Umberto, (Halb-) Bruder von Giovannino und der einzige Namensträger.
Andrea hatte bereits Erfahrungen gesammelt bei IFIL und Fiat und ganz gewiss Hoffnungen auf die Nachfolge. Gemeinsam mit seiner Schwester gehören ihm 10 Prozent der Familientorte. Er stellte sich auch schon öffentlich gegen Jaki, als es darum ging, dass die Familie in die eigene Tasche greift und den Fiat-Anteil nach den Krisenjahren wieder knapp über 30 Prozent hält. Ganz offensichtlich hat sich auf die Cousins Jaki und Andrea die alte Rivalität der Brüder Gianni und Umberto vererbt. Da Jakis Fiat-Strategie aber aufging, ist seine Position gefestigter denn je.
Und welche Rolle spielt Lapo, der ein Jahr jüngere Bruder Jakis? Mit seinem Witz, seiner Schlagfertigkeit und Kreativität, erst recht seinem Dandy-Charme, eroberte er einen relativ unbekannten Fleck - das Herz des Patriarchen. "Er brachte den Großvater zum Lachen", erzählt Schwester Ginevra.
"Vielleicht hat er ihn deshalb nicht gewählt, weil sie sich so ähnlich sind!", vermutet der Vater. Allzu gut soll der Avvocato die Abgründe gekannt haben, die sich auftun, wenn Kokain das Leben beschleunigt.
Ein Faible für Mathematik
Einmal, erinnert sich Alain Elkann und seine Hände landen dabei ebenfalls in Ufo-Position, habe Gianni Agnelli ihm gegenüber bedauert, dass er Jaki so früh schon in die Pflicht nehmen musste und ihn eigentlich um seine Jugend brachte.
Nach dem Abitur 1994 am naturwissenschaftlichen Pariser Gymnasium Victor Duruy zog Jaki, 18-jährig, nach Turin, um sich am Polytechnikum zum Wirtschaftsingenieur auszubilden.
Er studierte wie einer, der sein Ziel kennt, aber keine Worte darüber verliert; hatte hervorragende Noten und war engagiert im doppelten Sinne: die Semesterferien nutzte er, um in ausländischen Fiat-Niederlassungen zu arbeiten, in Polen und England; erhielt auf diese Weise Einblick in die Produktionsabläufe und wollte sich sogleich auf deren Optimierung stürzen. Ein auffällig ehrgeiziger Mann. "Ehrgeizig?", er muss niesen, schneuzt sich und führt dann in seinem erdigen Tonfall an: "Ich bin entschlossen und neugierig, und - ich weiß Chancen zu schätzen."
Diese Entschlossenheit lernte schon Großpapa kennen, der es wahrlich nicht gewohnt war, dass man seinen Wünschen nicht Folge leistete. Ihm wäre es lieber gewesen, der Enkel hätte Wirtschaft in Mailand studiert. Aber Jaki sah sich und seine Pläne in Turin. Dass er ein Faible für Mathematik hat, "gerade weil sie schwierig ist", für Naturwissenschaften und technische Abläufe, war durchaus hilfreich, um sich in der Branche Respekt zu verschaffen. "Il Ingegnere" nennen sie ihn bei Fiat.
Schon zu Jakis Studienzeiten seien ihm dessen analytische Fähigkeiten aufgefallen, erzählt uns Luca Cordero di Montezemolo. Im Auftrag der Studentenzeitung suchte ihn der Jungspund eines Tages im Ferrari-Werk in Maranello auf, um ihn über alle bedeutenden Aspekte des Unternehmens auszufragen. Von da an wusste Montezemolo, der Jaki natürlich schon seit Kindheitstagen kennt, dass hier ein ernsthafter Geschäftsmann heranwuchs.
Als Präsident des Arbeitgeberverbandes Confindustria ist der agile Montezemolo auch eine Schlüsselfigur der italienischen Wirtschaft, die den jungen Agnelli-Chef von Anfang an unter ihre Fittiche nimmt und ihn in die richtigen Kreise einführt. Im Fiat-Aufsichtsrat hält er ihm den Stuhl des Vorsitzenden warm.
Im Januar 2003 starb Gianni Agnelli. Jaki, der Anwärter auf die Macht, war damals 26. So schlimm es um das Unternehmen auch stand, noch half ihm Großonkel Umberto, der zunächst die Stelle des Avvocato einnahm. Der Kronprinz sollte in Ruhe in seine dynastische Rolle hineinwachsen. Unglücklicherweise starb Umberto schon eineinhalb Jahre später.
"Ich bin stolz, Italiener zu sein"
"Das war der absolute Einschnitt, jetzt war es definitiv", erinnert sich John Jacob Elkann an den Schock. Und wieder landet ein Ufo auf dem Konferenztisch, auf dem ansonsten nur ein Ferrari-Modell steht und ein Korb mit Zuckerbonbons. Von Zeit zu Zeit steckt sich Jaki eines in den Mund und faltet akkurat das Papier, ehe er es in seiner Jackentasche verschwinden lässt.
Was ist das für ein Mann, der Fiat gerettet hat? Fragen wir doch ganz offiziell beim italienischen Botschafter in Berlin an, bei Antonio Puri Purini, der qua Amt die erste Familie seines Landes im Visier hat und auch die Elkanns gut kennt. "Jaki hat sehr gute Voraussetzungen", glaubt Purini. "Er ist ein Weltbürger, bescheiden, verlässlich, was er denkt, das sagt er auch; der spielt nicht." Am Ende ein Preuße? "Eine Mischung aus Virtuosità italiana und deutscher Tugend." Ein bisschen spritzig ist er also schon.
"Er ist der richtige Mann an der richtigen Stelle", glaubt Mutter Margherita. Während Vater Elkann jedem, der mit Jaki arbeitet, rät, sich nicht zu oft zu wiederholen. "Er hat ein fantastisches Gedächtnis. Häufig hat man den Eindruck, er hört gar nicht zu, aber Jahre später spricht er einen genau auf die Dinge an, die man in solchen Momenten erzählt hat." Ein Spätzünder? Ein Pokerface? Scheu gar, wie er so oft beschrieben wird? Dafür ist sein Auftritt jedoch viel zu selbstbewusst. "Was viele für scheu halten, das ist in Wahrheit seine Zurückhaltung", interpretiert Elkann senior.
Und in welche Richtung deutet der Betroffene, um den Schlüssel zu seinem Wesen zu finden? "Dass ich in vielen verschiedenen Ländern und Kulturen aufgewachsen bin. Ich könnte mich überall und allen Situationen anpassen. Das empfinde ich als Vorteil."
Gute Voraussetzungen also für den häufig unbequemen Ort namens Weltmarkt? Jaki Elkann lässt keinen Zweifel daran, dass er sich als globalen Unternehmer sieht. Natürlich weiß der junge König trotz alledem, was er seinen Landsleuten schuldig ist. "Ich bin stolz, Italiener zu sein" und, falls doch jemand daran zweifeln sollte, "ich habe starke Wurzeln in Turin".
Mobil muss sein, wer ein Mitglied der Elkann-Familie sprechen möchte. Die Jüngste, die Filmemacherin Ginevra etwa, weilt gerade in Frankreich, aber dann macht sie noch einen Abstecher nach Turin, bevor sie nach London weiterfliegt, ihrem Wohnsitz. Wir treffen uns im "Scrigno", dem Schmuckkästchen, das sie managt. Auch eine Art Ufo, das der Architekt Renzo Piano auf die Teststrecke des Lingotto setzte. Mit einem fantastischen Blick auf die Stadt, beherbergt es die Pinakothek Giovanni und Marella Agnelli, die kleine Gemäldesammlung, die der alte König von Turin seiner Stadt vermacht hat: Marmorstatuen von Canova, Gemälde von Canaletto, Tiepolo und Matisse.
Bruder Lapo lebt in New York, von wo aus er sein eigenes Unternehmen leitet mit dem unüberhörbaren Statement "Ich bin ich": "I-I", "Italia Independent". Ein Label für Lifestyle-Accessoires, darunter Sonnenbrillen, die bei der Jeunesse dorée bereits als ultimatives Markenzeichen gelten. Was immer Lapo anfasst, kommt umgehend unter Kultverdacht.
"Die Liebe ist der Zement"
Dann Mutter Margherita. Eigentlich presseabstinent. Soeben hält sie eine Rede für eine gerechtere Welt auf einer Frauenkonferenz in Oslo, also versuchen wir unser Glück. Sie verspricht ein Gespräch in Genf, wohin sie sich zurückgezogen hat, und hält ihr Wort.
"Geografie spielt für uns keine Rolle", erläutert Alain Elkann. Er pendelt zwischen Rom und Paris, New York und Turin, wo er als Präsident des "Egizio" amtiert. Noch ein kultureller Schlüssel der Stadt in den Händen des Clans, das "Ägyptische Museum", das größte außerhalb Kairos. Umgeben von anmutigen Artefakten und dem Plastikbecher fürs Mineralwasser, mit einer Stimme, die ihre Wirkung kennt, gibt er seine Familienphilosophie preis: "Die Liebe ist der Zement, der alles zusammenhält."
Jaki Elkann hat sich 2004 nach guter Agnelli-Tradition vermählt mit Lavinia Borromeo, Tochter des deutschen Ex-Models Marion Zota und des Mailänder Grafen Carlo Borromeo. Damit ist der Adelstitel gesichert, und dass es eine Märchenhochzeit war, herrlich inszeniert mit 700 Gästen auf der "Isola Bella" im Lago Maggiore, ein Lieder schmetternder Berlusconi mittendrin, versteht sich sowieso.
"La Stampa", drittgrößte Tageszeitung des Landes und fest in Agnelli-Händen, reihte Superlativ an Superlativ, interpretierte jede Garderobe und jede Geste der Gäste, beobachtete voll mitfühlender Genugtuung die "sehr lange Umarmung" zwischen Jaki und Mama Margherita. Es sollte die bisher letzte sein.
Jakis Erbfolge ist bereits gesichert, mit Leone Moses. Der kleine Prinz kam nicht nur demonstrativ in einer Turiner Klinik zur Welt, die Elkann-Borromeo-Familie residiert nun auch im Haus des Großvaters auf der Collina di Superga.
Mitte November kam mit Oceano der zweite Stammhalter zur Welt.
Am Hochzeitstag vor gut drei Jahren schien trotz aller Fragezeichen bei Fiat das Leben der Agnellis noch in Balance. Noch war Margherita eine von ihnen. Und Lapo, der Kreative und damals Populärste in der Familie, in der Fiat-Führung; zuständig für das neue, pfiffige Marketing und überaus erfolgreich. Bis in jener Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 2005 ein Transvestit die Notrufnummer 118 wählt und Hilfe für einen reglosen Menschen anfordert.
Drogenkoma und Erbschaftsstreit
Nach Tagen der Ungewissheit hat Lapo das Drogenkoma überlebt. Seine Karriere bei Fiat hingegen war gestorben und Jaki in wochenlange Schlagzeilen verwickelt, die ihm nicht gefielen.
Schließlich stand er für den Neuanfang. Und hier war er nun mit einem Skandal konfrontiert, der die alten Tragödien der Generationen vor ihm fortschrieb. Dann der Erbschaftsstreit mit der Mutter, der hinter den Kulissen seit dem Tod des Avvocato wie ein Schwelbrand gefährliche Gifte in die Atmosphäre schickt und schließlich eine Beziehung zerstört, die für jeden Italiener am wichtigsten ist - die zu la mamma.
2004 liess sich Margherita Agnelli auszahlen. Das einzige überlebende Kind des Avvocato hat die herrschaftliche Villa Frescot in Turin bekommen sowie ein römisches Anwesen, Gemälde im Wert von 500 Millionen Euro und obendrein einen Barscheck von über 100 Millionen. Im Gegenzug unterschrieb sie ein Abkommen, in dem sie alle Ansprüche am Familienbesitz aufgab. Dennoch zog sie im vergangenen Mai in Turin vor Gericht. Die Nachricht schlug in Italien und den Kreisen des internationalen Who's who ein wie ein Blitz, dessen Donnergroll noch lange nicht verhallt ist. In diesem Monat sollen Turiner Richter darüber entscheiden, wie es mit Margheritas Anliegen weitergeht.
Sie verlangt die Offenlegung aller Konten; glaubt, dass ihr zum Zeitpunkt der Aufteilung nicht das gesamte Vermögen aufgelistet wurde; dass gar ein Schattenreich existiert. "Alles, was ich verlange, ist Transparenz."
Flugs erklärte Montezemolo, die "private Angelegenheit" sei wohl traurig, werde aber keinerlei Auswirkung auf die Geschäfte von Fiat haben. Ist Margherita Agnelli der fünfte Beatle der Familie, wie viele fragen, einfach zu früh ausgestiegen? Die Fiat-Sanierung hat die Familienschatulle wieder ordentlich gefüllt; aber die Mitglieder langten dafür auch tief in die eigenen Taschen und steuerten 250 Millionen Euro bei.
Sohn Jaki kann sich die Motive der Mutter nicht erklären, will über das Familiendrama gar nicht reden. Könnte schon jedes falsche Wort die Lunte am Pulverfass entzünden? Seine Großmutter Marella Agnelli bezog zuletzt überraschend doch öffentlich Position - gegen ihre Tochter und für Jaki.
Niemand lastet dem jungen Clanchef das Trauerspiel an. Wer die Pressearchive nach ihm durchforstet, findet ausschließlich lobende Worte. Ist er also tatsächlich der ernsthafte Mann, erhaben über Zweifel und Tadel? Zumindest muss er zum ersten Mal lachen.
John Elkann: "Wir sind wieder da" Fiat: Agenda 2010