Luxusuhren Made in Germany
Wenn Richard Müller auf seinen Besuch im italienischen La Spezia zu sprechen kommt, beginnt seine Stimme immer noch zu stolpern. Vergangenes Jahr im Sommer war es, dass der Bayer dort zur Schiffstaufe auf die "Maltese Falcon" eingeladen war, jene etwa 100 Millionen teure Super-Segeljacht des amerikanischen Internetmilliardärs Tom Perkins.
Der führte ihm und vier anderen unter den rund 500 geladenen Gästen am Rande eine kleine Reisesammlung von Armbanduhren vor, vier Stück im Gesamtwert von vielleicht einer Million Euro. Dazu gab es Rotwein, "den besten meines Lebens", sagt Müller im Idiom des Kabarettisten Gerhard Polt.
Anlass der fürstlichen Bewirtung: Am Vormittag vor dem Empfang hatte der Uhrmacher aus Gräfelfing unten in der Halle eine Schiffsuhr aus seiner Werkstatt montiert, die "Nautis", einen neun Zentimeter dicken Klotz von Uhr, 21 Zentimeter im Durchmesser, 9,5 Kilo schwer. Ein Schmuckstück im Edelstahlgehäuse, feinste Mechanik, präzisester Gang.
Derlei Spezialitäten sind Müllers Geschäft, der seit fünf Jahren die Traditionsfirma Erwin Sattler zusammen mit der Tochter des Gründers leitet. Die Manufaktur am Rande Münchens stellt mit 25 Mitarbeitern Präzisionsuhren im Großformat her, vorrangig Wand- und Standuhren mit Pendel, alles Luxusklasse. Mit Weltgeltung, wie man sieht.
"Wir müssen wieder Vertrauen fassen zum Made in Germany", poltert Müller, "zur guten Qualität, das ist in der Welt gefragt, da ist ein Markt da, da muss man stolz drauf sein und nicht heimlich irgendwo in China fertigen lassen."
Seit drei Jahren läuft das Geschäft so gut, dass die Firma jetzt neu bauen konnte, eine kleine Fabrikationsstätte im Gewerbegebiet gleich neben der grünen Wiese. Wie ein Ausrufezeichen des Triumphes wird jetzt noch eine gewaltige Pendeluhr zwei Stockwerke hoch vor die Art-déco-Fassade gesetzt.
Je teurer, desto lieber
Es regt sich was in Deutschlands Uhrmacherei. Nachdem einstmals große Marken von unfähigen Managern reihenweise in den Ruin gewirtschaftet wurden, scheint jetzt die Wende erreicht. Nicht nur im sächsischen Erzgebirge, wo nach der Vereinigung Traditionsfirmen wie Lange & Söhne und Glashütte Original neu entstanden, andere wie Nomos oder Wempe dazugekommen sind. Quer durchs Land erblüht die alte Zunft zu neuer Prachtentfaltung.
Es ist, als ob die deutsche Uhrmacherei aus einem langen Dornröschenschlaf wachgeküsst worden wäre, der hohen Schule der Feinmechanik neues Leben eingehaucht würde. Mal werden traditionsreiche Firmen reanimiert, so Askania in Berlin. Mal versucht man sich mit bahnbrechenden technischen Innovationen, wie bei Erwin Sattler in München und Sinn in Frankfurt. Mal werden gänzlich neue Marken erfunden - Meistersinger in Münster oder Hentschel in Hamburg.
Und die Uhren-Märchenprinzen reiben sich erstaunt die Augen: Überall übersteigt die Nachfrage die Kapazität der Werkstätten, werden ihnen die Preziosen förmlich aus den Händen gerissen, von Kunden in Deutschland, mehr aber noch aus Japan oder den USA. Und es gilt die Regel: je teurer, desto lieber.
"Wir könnten 10.000 Uhren im Jahr verkaufen", sagt Leonhard Müller, der gerade in Berlin die Traditionsmarke Askania wieder auf die Beine bringt. "Aber wir machen nur zwischen 3000 und 4000 Stück."
Der Neuberliner Müller, angetan mit Nadelstreif über dem schwarzen T-Shirt, von Geburt und Dialekt Badener und einst in der Schweizer Uhrenindustrie zu Hause, residiert in einem funkelnagelneuen zweistöckigen weißen Kubus auf einem Hinterhof in Friedenau. Ganz in der Nähe der alten Askania-Werke, 1871 gegründet, bei denen bis zum Kriegsende etwa 15.000 Mitarbeiter Mikroskope und Ferngläser, Filmkameras und Feinwaagen, aber auch Fluginstrumente und Fliegeruhren herstellten. Zuletzt schlummerte die Firma als Karteileiche in einer Schublade des Siemens-Konzerns.
Der Code klassischer Uhren
Dort hat sie Müller hervorgezerrt und mit allerhand Entdeckergeist und Marktgespür im Januar 2006 neu lanciert. Mittlerweile arbeiten wieder 15 Leute bei Askania, sind die Produkte in zwölf Ländern vertreten, liegen die Preise der ansehnlichen Retro-Look-Modelle zwischen 500 und 5000 Euro. Ungeniert winkt Müller mit dem Label "Hauptstadtuhr" und spielt durchaus frivol mit der anrüchigen Warenästhetik der 30er und 40er Jahre, Leni Riefenstahl inklusive.
Die Uhren, die nach Flugzeugtypen dieser Zeit heißen oder Berliner Geschichte zitieren, sind dennoch begehrt, Friedbert Pflüger und Klaus Wowereit haben eine und auch Arnold Schwarzenegger im fernen Kalifornien.
An eine gänzlich andere Tradition knüpft der Hamburger Uhrmacher Andreas Hentschel an. Als er nach dem Studium der Sozialpädagogik eines Morgens in einem Sinnloch erwachte, entdeckte er die Uhr als neuen Lebenszweck, und damit die nahezu vergessene Hamburger Chronometertradition.
Die blühte vor 200 Jahren im damals dänischen Altona, gefördert vom König in Kopenhagen. Denn nichts neben dem Wind brauchten die Kapitäne damals dringender als genau gehende Uhren, um sich auf hoher See zurechtzufinden. Und so kam es, dass die Hamburger Uhrmacherschule älter ist als die von Glashütte, gegründet genau drei Tage früher als die in Sachsen.
Andreas Hentschel, der nach der Uhrmacherlehre bereits in den 90er Jahren eine Werkstatt in einer Wohnstraße im feinen Eppendorf gleich hinter dem Uniklinikum eröffnete, ist denn auch besessen von einer fixen Idee. Er will den Code der klassischen Uhr knacken.
Forsch behauptet er, die großen Schweizer Manufakturen, die er als Scout einer kleinen Sammlergemeinde allesamt besucht hat, hätten diesen Code verloren. "Die kochen auch nur mit Wasser", behauptet der 42-Jährige.
Und so verlässt sich Hentschel im Tagesgeschäft auf historische Werke, die das Unternehmen bei Uhrmachern und Manufakturen in der Schweiz erwirbt. Die er mit sieben Mitarbeitern in ihre Einzelteile zerlegt, mit neuen Schrauben und Goldchatons versieht, ihnen klassisch-schlichte Zifferblätter mit historischen Zeigern verpasst und sie dann in seine minimalistischen Gehäuse einfügt.
Vorzüge rarer Uhrmacherei
So entsteht ein Angebot von Kleinserien der Linien "H 1" und "H 2", zudem bietet Hentschel eigenwilligen Kunden die Möglichkeit, sich eine Uhr ganz nach individuellen Wünschen bauen zu lassen. Ein Angebot, das gern von Japanern wahrgenommen wird, die er über eine Dependance in der Tokioter Ginzha betreuen lässt, während deutsche Luxusliebhaber auch in den Ferien versorgt werden - in einem Laden auf Sylt.
Einen Großkunden gewann der Uhrmacher jüngst in Gestalt des Hamburger SPIEGEL-Verlags (zu dem auch manager magazin gehört), der eine Edition von 60 Stück zum 60-jährigen Bestehen des Blattes bestellte. Leon Botstein, Dirigent und Direktor der American Symphony, kehrt gern im kleinen Laden in Eppendorf ein. Wo man bei einem Rotwein und einer Zigarre die Vorzüge rarer Uhrmacherei bewundern kann.
Die findet man, wenngleich mit völlig anderen Vorzeichen, auch im Frankfurter Vorort Rödelheim. Dort hat in einem nüchternen Gewerbebau inmitten von Mietshäusern der 60er Jahre die Firma Sinn ihren Sitz. Ihr Geschäftszweck laut Firmenprospekt: Spezialuhren.
Die Unruhe in dem 66-Mitarbeiter-Werk, das 14.000 Uhren im Jahr fertigt, ist der gelernte Diplomingenieur Lothar Schmidt. Der 58-jährige Gemütsmensch hat sich erste Sporen bei der Schweizer Edelmanufaktur IWC verdient. In den 90er Jahren übernahm er den damals verschuldeten Frankfurter Kleinbetrieb Sinn und baute ihn rasch zu einem angesehenen Nischenanbieter aus, der besonders bei hoch dotierten Ingenieuren, Autobauern und - selbstverständlich - Frankfurter Bankern beliebt ist. Ex-Börsenchef Seifert, Ex-Deutschbanker Kopper, Privatbankier Metzler - sie alle besitzen eine Sinn.
Und zwar die sogenannte "Finanzplatzuhr": ein markantes Edelstahlmodell mit schwarzem Zifferblatt, entspiegeltem Saphirglas vor- und rückseitig, druckfest bis 100 Meter Wassertiefe und der Anzeige von bis zu drei Zeitzonen. Die Gravur auf dem Rotor des Automatikwerks: Bulle und Bär.
Angebot für zartere Gemüter
Sinn brilliert vor allem mit technologischen Pioniertaten. Etwa mit der Diapal-Ankerhemmung, die völlig ohne Öl auskommt. Oder einer eigens entwickelten Trockenhaltetechnik, die jedes Beschlagen auch in Extremsituationen verhindert.
Für den Outdoor-Freak und Abenteurer gibt es das "Modell 900", einen Chronografen mit elf unterschiedlichen Funktionen. Damit können Naturburschen Himmelsrichtung und Marschgeschwindigkeit ablesen, Puls und Atemfrequenz; ein Telemeter erlaubt die Bestimmung der Entfernung zum Gewitter, indem der Zeitraum zwischen Blitz und Donner gestoppt wird.
Für das Angebot für zartere Gemüter hat Schmidt die schöne Fadime Güner angestellt. Die Graveurin zaubert mit Stahlzirkel und Handstichel die feinsten Ziselierungen auf Werke und Gehäuse. Das kostbarste Stück im Angebot: eine Uhr mit handskelettiertem Werk zum Preis von circa 14.500 Euro.
"Es ist wunderbar, wie sich die deutsche Uhrenindustrie bewegt", schwärmt Schmidt mit Blick auf seine Sinn-Werke. Und beteuert: "Wir werden unseren Teil dazu beitragen."
Wie das geht, führt der Großuhrenbauer Richard Müller vor. Der hat den Betrieb von 3 auf 25 Mitarbeiter hochgebracht, in einer Zeit, als Wohnzimmeruhren überall aus den Geschäften verschwanden. Heute baut er im Jahr mehr als 1000 Uhren, 300 Werke für Dritte und 100 rechnergesteuerte Uhrenbeweger für Sammler. 30 verschiedene Modelle zu Preisen zwischen 1800 und 50.000 Euro, feinste Mechanik in minimalistischem Design, vertrieben ausschließlich über wenige gute Händler. Aber er ist sicher, dass dies gerade mal der Anfang ist. Und er denkt bereits über eine dritte Schicht nach, Arbeit rund um die Uhr.
"Man muss gute Sachen machen", lautet sein Credo. "Dann ist es nicht wichtig, was so ein Stück kostet. Ich baue einfach eine Uhr, die mir Spaß macht, eine, die ich selbst gern hätte."
Deutsche Uhrmacher: Luxus in Bildern