Peugeot Tanzender Löwe

Christian Streiff hat zwei wilde Jahre hinter sich: rausgeworfen bei Saint-Gobain, geflohen bei Airbus, gelandet bei Peugeot. Der hochbegabte Außenseiter wird den Konzern umkrempeln.

Betriebsratschef Jakob Dreuw hatte schon so manchen Franzosen kommen sehen. Wie oft hatte die Zentrale in Paris Leute geschickt, die sie nicht mehr gebrauchen konnte? Manager, die jedes Risiko scheuten, die nur darauf achteten, dass sie nicht selbst untergingen - und die Gevetex so immer tiefer ins Minus lenkten.

Rund 30 Millionen Mark Verlust schrieb der Textilglashersteller aus Herzogenrath 1984. Immer lauter wurden die Gerüchte, dass Saint-Gobain  die deutsche Tochter schließen würde.

Dann entsandte die Zentrale einen blauäugigen Lockenkopf namens Christian Streiff: jung, gerade mal 30 geworden, breite Schultern vom Rugby-Spielen und doch ein Babyface, ewig lächelnd, als leite er eine Truppe Animateure im Robinson Club - und nicht ein Unternehmen mit fast 800 Mitarbeitern. "Was soll das nur wieder geben?", fragte sich Dreuw damals.

Er sollte überrascht werden. Als Streiff sechs Jahre später wieder ging, wollte niemand mehr das Werk in Herzogenrath schließen. Mittlerweile verdienten dort 1280 Beschäftigte ihr Geld, statt eines Verlusts stand ein ordentlicher Gewinn in der Bilanz.

Das Babyface hatte Unerhörtes gewagt. Als viele in der Branche Anlagen stilllegten, erhöhte der junge Franzose die Kapazität. Einen schon zur Stilllegung bestimmten Glasofen hatte er mithilfe eines riskanten Verfahrens renoviert - und zur Überraschung des gesamten Marktes plötzlich etwa 60 Prozent mehr produziert.

Lange hatte er seinen Plan der Zentrale verheimlicht. Streiff wusste, dass das Projekt sonst wohl verhindert worden wäre. Also wartete er mit der Ankündigung, bis es zu spät war, die Sache wieder zu stoppen.

"Geduld ist nicht seine Stärke"

Wäre es schiefgegangen, seine noch junge Karriere wäre abrupt beendet gewesen.

Aber die Nachfrage nach Textilglas zog an, die Preise stiegen, Gevetex schaffte in einem Jahr 54 Prozent Umsatzwachstum. Christian Streiffs Aufstieg begann.

Das war 1989.

18 Jahre später lenkt Streiff (52) den französischen Autohersteller PSA Peugeot Citroën. Ein bulliger, kraftstrotzender Mann ist er immer noch. Sein Animateurslachen blitzt wieder auf, die hochgekrempelten Ärmel signalisieren unverändert zupackendes Management. Nur die kleinen Löckchen sind inzwischen grau und deuten an, dass Streiff zuletzt mehr erlebt hat als viele andere Manager im ganzen Berufsleben.

Binnen 17 Monaten verlor er zweimal spektakulär seinen Job. Im Mai 2005, Saint-Gobain-Chef Jean-Louis Beffa (65) hatte seinem designierten Nachfolger Streiff die Führung bereits weitgehend überlassen, überwarfen sich die beiden.

Streiff musste gehen. Im Oktober 2006 warf Streiff bei Airbus hin. Genervt von ständigen Einmischungen der Anteilseigner, kündigte er nach nur drei Monaten an der Spitze des Flugzeugbauers.

Nicht anpassungsfähig sei er, rüde im Ton und noch dazu illoyal, werfen ihm seine Gegner vor. Für einen einzigartig Begabten hält ihn seine Fangemeinde. Was kein Widerspruch sein muss.

"Christian Streiff ist höchst intelligent, will schnell viel bewegen. Geduld ist nicht seine Stärke", sagt ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, der Streiff aus gemeinsamer Zeit bei Saint-Gobain kennt und ihn bei ThyssenKrupp  ins Kontrollgremium geholt hat.

"Reif für eine Sanierung"

Der neue Peugeot-Chef ist lange schon Teil der europäischen Wirtschaftselite, spricht Deutsch fast so perfekt wie Französisch, ist zugleich aber ein Außenseiter geblieben. Zeit seiner Schul- und Studienjahre Jahrgangsbester, lehnte der Beamtensohn es trotzdem ab, an die renommierteste französische Universität, die Kaderschmiede École Polytechnique, zu gehen. Er wollte keine Uniform tragen.

Stattdessen stieg er bei der ebenfalls präsentablen École des Mines ein, machte bei Saint-Gobain unaufhaltsam Karriere - und leistete sich die Extravaganz, ein misslungenes Projekt in einem Roman zu verarbeiten. Die französische Politelite adelte ihn mit der Berufung zum Airbus-Chef - und er stieß die Mächtigen mit seinem Abgang nur drei Monate später vor den Kopf.

Der Peugeot-Clan um Aufsichtsrats-Chef Thierry Peugeot (49), ausgestattet mit 45 Prozent der Stimmrechte an PSA , hat sich mit Streiff einen der eigenwilligsten europäischen Unternehmensführer ins Haus geholt. Warum? Weil er wieder, wie damals in Herzogenrath, so etwas wie ein Wunder vollbringen soll.

Der Absatz des zweitgrößten europäischen Autobauers stagniert. Der Gewinn reicht kaum noch aus, die Dividende zu bezahlen, die Qualität der Peugeot- und Citroën-Modelle liegt weit unter dem Branchendurchschnitt, der konzerneigene Zulieferer Faurecia schrieb 2006 sogar Verlust. "Der Konzern ist kein Krisenfall", sagt Streiff. "Aber er ist reif für eine Sanierung."

Streiffs erste Monate bei PSA zeigen, was den Konzern erwartet: Es wird unkonventionell zugehen in nächster Zeit.

Wie schnell Streiff sein kann, hat er seiner neuen Mannschaft gleich an seinem ersten offiziellen Arbeitstag bewiesen. An diesem 7. Februar präsentierte er in Paris nicht nur die PSA-Geschäftszahlen für 2006, er schnitt auch gleich die komplette Konzernspitze auf sich zu.

Champagner als Motivationshilfe

Vier Vorstände tauschte er aus, einen fünften holte er neu dazu, die Strategie für die Marken Peugeot und Citroën unterstellte er ausgerechnet einer Frau mit einem Doktortitel in Neuropharmakologie, seiner früheren Saint-Gobain-Kollegin Isabel Marey-Semper (39).

Zusätzlich erweiterte Streiff den Vorstand um ein fünfköpfiges Gremium, dessen Mitglieder direkt an ihn berichten. So knackt er in dem Konzern, der Insidern "als fast militärisch organisiert" gilt, eingefahrene Strukturen und Befehlsketten.

Wagemutige Unternehmer will er um sich haben, Mitarbeiter, die, wie er schon als junger Manager, etwas riskieren. "Das finde ich auch heute noch gut", sagt er. "Wenn mir jemand so ein Ergebnis bringt wie wir damals in Herzogenrath, zahle ich sofort den Champagner."

Streiff hat Zehnerteams gebildet, die sämtliche Konzernteile auf Verbesserungspotenzial durchforsten. Sie durchleuchten damit auch die Arbeit ihrer Kollegen. Konflikte sind programmiert. Es wird unbequemer bei PSA.

Streiff ist nicht der erste Außenseiter, den die Familie Peugeot zum Konzernchef gemacht hat. Sein Vorgänger Jean-Martin Folz (60) kam von einem Lebensmittelkonzern. Davor engagierte der Clan Jacques Calvet, einen ehemaligen Präsidenten des Kreditinstituts BNP .

Streiff ist kein Car-Guy. Aber er ist vielseitig. Bei Saint-Gobain hat er Flach- und Textilglas produziert, er hat Schleifmittelhersteller und Baustoffunternehmen auf Vordermann gebracht, und er hat bei Airbus einen Crashkurs in Sachen Flugzeugbau absolviert. Von alldem profitiere er jetzt, sagt Streiff: "Ich glaube nicht, dass man einen Vorstandschef für die Detailkenntnis seines Geschäfts wählt. Es geht viel mehr um die Fähigkeit, Dinge zu lernen, zu bewegen, neue Ideen einzubringen."

Speed, Speed, Speed

Welche Ideen das sein werden, will Streiff in zwei Schritten verkünden: im Mai legte er zunächst das Programm bis 2010 vor. So sollen zwischen 2008 und 2010 statt der bisher geplanten 35 nun 41 neue Modelle auf den Markt kommen. Außerdem sollen zusätzlich zu den bereits bekannten 10.000 Stellenstreichungen weitere 4800 Jobs wegfallen.

Im September folgt dann die langfristige Vision. Sein Ziel ist beschrieben in einer Kalligrafie, die, schwarz und glänzend gerahmt, in seinem Büro hängt. Kunstvoll getuscht, steht da in chinesischen Schriftzeichen: "Der Löwe tanzt" - heute noch mehr Wunsch als Wirklichkeit beim Wappentier des Autobauers.

Was Peugeot braucht, was Streiff liefert, ist Bewegung. In den drei Monaten zwischen seiner Berufung und dem Amtsantritt besuchte er Händler und Fabriken, bereiste die ausländischen Niederlassungen und traf sich mit den rund 50 Vizepräsidenten zu jeweils ein- bis zweistündigen Einzelgesprächen.

Seine Folgerungen sind simpel - doch schwer zu realisieren. Die Peugeots und Citroëns der Zukunft sollen deutlich schneller auf den Markt kommen und gleichzeitig so zuverlässig werden, dass sie in der Qualitätstabelle von weit unten nach ganz oben klettern.

Wie das gehen soll? Zwischen 1997 und 2001 hätten vor allem drei Modelle PSA erfolgreich gemacht, analysiert Streiff: Der Peugeot-Kleinwagen 206, der 307 und der Minivan Citroën Xsara Picasso.

Zwei davon, der 206 und der Xsara Picasso, seien im Hauruckverfahren gemacht worden: "Keine Zeit, kein Geld, super Erfolg. Die Ingenieure haben eine alte Wagenbasis genommen und sie selbstständig weiterentwickelt."

Speed, Speed, Speed: Die Maxime des früheren DaimlerChrysler-Chefs Jürgen Schrempp gilt auch für Streiff. "Wir haben hier sorgfältig ausgefeilte Entwicklungspläne über mehr als vier Jahre", erklärt er. "Die sollen die Entwicklung risikolos machen. Aber sie nehmen auch die Dynamik aus der Organisation."

Schnelle Erfolge sind schwierig für einen neuen Chef, gerade in der Autoindustrie mit ihren bis zu sechsjährigen Entwicklungszyklen. Doch Streiff will gleich mit dem ersten wichtigen Neuling seiner Amtszeit glänzen, dem Peugeot 308. Um die Qualität zu verbessern, hat er die Probefahrten verdreifacht; "das kostet einige Millionen, aber ich glaube, das ist höchst rentabel."

"Eher Mittelständler als Weltkonzern"

Nachdem Hoffnungsträger wie Peugeots Microvan 1007 floppten, benötigt Streiff dringend ein Erfolgsmodell. Als reiner Kostenkiller, das weiß er, kann er die Wende nicht schaffen. Sparsam ist das Haus schließlich heute schon.

Wer hier von Topmanagern zum Gespräch empfangen wird, dem werden Wasser und Kaffee in Plastikbechern serviert. Im kleinen Innenhof der Pariser Zentrale öffnet sich der Blick auf graue Betonwände. Der sauber geschnittene Rasen darf nicht betreten werden: zu klein für einen kurzen Spaziergang in der Mittagspause.

Lediglich ein paar farblich abgesetzte Balkons mit Grünpflanzen strahlen so etwas wie Wohnlichkeit aus. Die Büros der Familienmitglieder? "Nein, der Bereich gehört LVMH, dem Luxuskonzern", klärt ein Mitarbeiter auf. PSA sei protestantisch geprägt. "Wir stecken das Geld nicht in die Gebäude, sondern in die Produkte und Fabriken." Ein Konzerninsider sagt es deutlicher: "Die sind fast schon geizig, eher wie ein Mittelständler als wie ein Weltkonzern."

Streiffs Vorgänger Jean-Martin Folz wurde lange für die effiziente Produktion bei PSA gerühmt. Er kooperierte quer durch die Autowelt mit Konkurrenten und sparte so Entwicklungskosten. Dennoch: Falls der Konzern nicht bald deutlich mehr Autos verkaufe, werde Streiff eine weitere Fabrik schließen, glaubt ein Weggefährte.

Viele in Frankreich erwarten vom neuen PSA-Chef radikale Schnitte: "Folz hat Investitionen und Gehälter eingefroren", sagte ein Funktionär der kommunistischen Gewerkschaft CGT nach Streiffs Berufung. "Jetzt müssen wir die Taschentücher herausholen."

Der Mann hat offenbar nicht mit seinen deutschen Kollegen gesprochen. Was in Herzogenrath und Umgebung über Christian Streiff erzählt wird, grenzt an Heiligenverehrung. Unter seiner Führung führte Gevetex Mitarbeiterprämien ein und, damals noch ein tarifpolitisches Sakrileg, flexibilisierte die Arbeitszeit. Die Betriebsräte zogen mit, teilweise gegen den Widerstand der Gewerkschaft.

Nichts als die Wahrheit

Streiff habe in seiner Zeit bei Saint-Gobain die komplette Glasindustrie revolutioniert, sagt der frühere Saint-Gobain-Manager Peter Weinmann. "Er hat als Erster erkannt, dass wir nur mit besserer Qualität gegen die Billigkonkurrenz aus Osteuropa und Asien bestehen würden." Gleichzeitig habe Streiff auf Globalisierung gesetzt, Werke in Taiwan und Korea gebaut und die Arbeiter von dort zum Lernen nach Deutschland geholt. "Das klingt heute selbstverständlich", sagt Weinmann. "Aber damals hat das noch niemand gemacht."

Auch bei Airbus hat er den richtigen Weg erkannt. Sein Restrukturierungsprogramm "Power 8" wird jetzt von Nachfolger Louis Gallois (63) zumindest weitgehend umgesetzt.

Doch Streiff ist kein Diplomat. Er will machen, nicht taktieren. So einer nimmt keine Rücksicht. Daran scheiterte er schon bei Saint-Gobain, und das machte es ihm auch bei Airbus schwer.

Streiff sei stets ein Fremdkörper im Unternehmen geblieben, erzählt ein Airbus-Manager. Als völlig Branchenfremder habe er alles besser gewusst, sich dabei häufig im Ton vergriffen. "Manche Leute sind es nicht gewohnt, die Wahrheit zu hören", kommentiert Streiff solche Vorwürfe.

Auftritte wie seine Hamburg-Visite hatte es bis dahin nicht gegeben bei Airbus. Genervt davon, dass Dutzende von Beratern das Verkabelungsproblem beim Riesen-Airbus A380 nicht in den Griff bekamen, hatte Streiff sich selbst auf Ursachenforschung in die deutsche Airbus-Zentrale begeben. Zwei Tage sprach er mit Mitarbeitern. Dann ließ er die Verantwortlichen zusammenrufen und machte ihnen klar, er werde nicht gehen, bevor er die Wahrheit wisse.

Keine Lust auf die Trottel-Rolle

Die anschließenden Wutausbrüche kamen nicht gut an in Hamburg. Und auch nicht in Ottobrunn bei München. Dort sitzt Thomas Enders (48), Co-Chef der Airbus-Mutter EADS .

Der wurde schleunigst informiert, Streiffs Benehmen passe wohl nicht recht zu Airbus.

Der ständigen Einmischungen der EADS-Spitze überdrüssig, verknüpfte Streiff sein Programm Power 8 mit einigen Bedingungen. Die wichtigste: Er wollte sich seine Führungsmannschaft völlig frei zusammenstellen.

"Nicht akzeptabel", befand der EADS-Verwaltungsrat. Streiff lagen zu dem Zeitpunkt drei Jobangebote vor. Er verließ den Konzern. "Ich habe mich bereits gesehen, wie ich drei Jahre später als der Trottel dastehe, der die Probleme nicht gelöst hat", erzählt Streiff.

Was er aus der Airbus-Episode gelernt hat? "Nie wieder einen Job innerhalb von drei Tagen annehmen", sagt er. Und dann, aber es klingt nicht wirklich überzeugt, "diplomatischer werden".

Selbst wohlwollende Begleiter raten ihm dazu. "Wie viele Europäer gibt es schon, die innerhalb von 18 Monaten Chef von Saint-Gobain, Airbus und Peugeot sind? Das ist schon eine außergewöhnliche Leistung", sagt ThyssenKrupp-Aufseher Gerhard Cromme. "Aber er sollte das Schicksal nicht noch einmal herausfordern."

Der Schöngeist

Der Schöngeist: Streiff als Romanautor

Erkenntniswert: Christian Streiff erzählt in seinem Roman "Kriegspiel" von den Gewissenskonflikten eines französischen Managers, der während der Wendezeit ein ostdeutsches Unternehmen kaufen soll – um es plattzumachen. Just diese Aufgabe hatte auch Streiff in jener Zeit. Der Autor sagt, das Buch sei nicht autobiografisch. Weggefährten finden jedoch viele Parallelen zur Realität.

Stil: Ausbaufähig. Aber beachtlich für jemanden, der vor dem Frühstück schreibt und hauptberuflich Vorstandsmitglied eines Milliardenkonzerns ist.

Nutzwert: Ein Buch für unterhaltsame Stunden während einer Zugfahrt wollte Streiff schreiben. Das Ziel hat er erreicht. Der Roman ist allerdings nur noch in Bibliotheken und Antiquariaten erhältlich.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren