Editorial Die große Versuchung
Seminare über Wirtschaftsethik haben Hochkonjunktur. Im Verein mit Soziologen und Philosophen sinnieren Konzernlenker über den rechten Umgang mit der Macht, über gesellschaftliche Verantwortung und Anstand. Sie formulieren Verhaltenskataloge, die das Bewusstsein der Mitarbeiter für Moral schärfen sollen. Sie grübeln über vorbildliche Unternehmensführung und entwickeln einen Katechismus für gute Corporate Governance. Doch die Erneuerer haben es offenbar schwer, mit ihrer Botschaft anzukommen. Anstand, Ethik, Moral - das sind immer noch Begriffe, die schnell stören, wenn es ums Geschäft geht.
Beispiel Hubertus von Grünberg. Der Chefkontrolleur der Continental AG hat im Nebenjob für ein paar hunderttausend Euro im Jahr die Münchener General Capital Group beraten; ausgerechnet jenen bis dato wenig bekannten und in der Branche eher umstrittenen Beteiligungsberater, der Mitte 2006 den Versuch gestartet hat, Conti komplett zu kaufen.
Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Dass Finanzinvestoren einen Dax-Konzern übernehmen wollen, geht völlig in Ordnung - sofern dies nach den Vorschriften des Aktien- und Kapitalmarktrechts läuft und der Corporate-Governance-Kodex eingehalten wird. Wenn aber ein Finanzinvestor eine Börsenfirma kaufen will, deren Aufsichtsratschef er kurz zuvor noch auf seiner Payroll hatte, dann hat das nicht nur ein Geschmäckle, dann dürfte das einen gravierenden Verstoß gegen den Geist des Aktiengesetzes und die Prinzipien des Corporate-Governance-Kodex darstellen.
Wie kann ein bis dahin angesehener Multi-Kontrolleur wie von Grünberg so leichtfertig seinen guten Ruf riskieren? War es Naivität, die so gar nicht zu dem ansonsten überkorrekten Aufseher passt? Oder war es die Versuchung, seine magere AR-Vergütung (bei Conti im vergangenen Jahr rund 200.000 Euro) aufzubessern?
Grünberg war sichtlich verlegen, als die mm-Redakteure Dietmar Student und Thomas Werres ihn auf sein Geschäftsgebaren ansprachen. Schließlich gab er doch Auskunft und versuchte, sein Verhalten zu verteidigen. Offenbar war er von seinem Plädoyer aber selbst nicht sehr überzeugt. In einem "Focus"-Interview hat er anschließend noch schnell versucht, sich reinzuwaschen und einen Interessenkonflikt zwischen seinem Mandat als Conti-Oberaufseher und seiner Beratertätigkeit wortreich wegzureden. Ob ihm das Ruf und Posten retten kann, darf bezweifelt werden. Etliche Conti-Kontrolleure sind empört über das Verhalten ihres Kollegen. Spätestens auf der Hauptversammlung am 24. April in Hannover wird Hubertus von Grünberg sich weitere kritische Fragen gefallen lassen müssen.
Die Geschichte der Affäre Continental lesen Sie ab Seite 36.