Altersvorsorge Renten-Marathon

Hohe Sparleistung, niedrige Erträge - Deutschlands Finanzdienstleister machen zu wenig aus dem Geld ihrer Kunden. manager magazin zeigt, woran das liegt und wie Anleger sich aus der Klemme befreien können.
Von Patricia Döhle und Dietmar Palan

Der Traum eines deutschen Anlegers, der ordentlich für sein Alter vorsorgen will, könnte in etwa so aussehen: Er packt seine Ersparnisse in einen Koffer, steigt in den nächsten Flieger und versucht, bei einem der besten Vermögensverwalter der Welt zu landen.

Sein Traum führt ihn zum Boston Logan International Airport, er winkt sich ein Taxi heran und lässt sich ins Federal-Reserve-Gebäude, 600 Atlantic Avenue, chauffieren. Beim Aussteigen fröstelt er ein wenig, denn es ist zugig auf dem weiten, von Wolkenkratzern umstellten Platz vor der Bostoner Niederlassung der US-Zentralbank. Er ist müde, die Zeitumstellung macht sich bemerkbar.

Egal, er will die Sorgen um seine Rente loswerden. Am Eingang zeigt er seinen Pass, er bekommt einen Besucherausweis, anschließend wendet er sich nach links zu den Aufzügen. Der Vermögensverwalter, den er sucht, sitzt im 16. Stock. Oben angekommen, deutet eine Empfangsdame auf eine Gruppe hellgrauer Ledersessel. Fünf Minuten später hat der Deutsche endlich sein Ziel erreicht: "Er hat jetzt Zeit für Sie", sagt die Rezeptionistin.

"Er", das ist Mohamed El-Erian (48). Oberster Vermögensverwalter der Harvard Management Company (HMC), die das 29 Milliarden US-Dollar schwere Stiftungsvermögen der US-Eliteuniversität verwaltet. El-Erian blickt den deutschen Anleger aus dunklen, freundlichen Augen aufmerksam an: "Machen Sie sich keine Sorgen. Wir kümmern uns sorgfältig um Ihr Geld. In den vergangenen zehn Jahren haben wir im Schnitt 15,2 Prozent Rendite jährlich erwirtschaftet und nicht ein Verlustjahr gehabt. Kommen Sie wieder, wenn Sie in Rente gehen - dann können Sie sich ein schönes Vermögen abholen."

Und in genau diesem Moment piept der Wecker. El-Erian und seine 15,2 Prozent verschwinden. Der US-Profi nimmt kein Geld von Privatanlegern, arbeitet nur für die Harvard-Stiftung. Im wahren Leben haben deutsche Anleger es mit Vermögensverwaltern zu tun, die ihnen, etwa für eine Lebensversicherung, eine garantierte Verzinsung von demnächst 2,25 Prozent anbieten.

Um an dieser Stelle Missverständnissen vorzubeugen: HMC ist alles andere als ein hoch spekulativer Hedgefonds, und El-Erian ist kein Hasardeur. Seine Strategie wird von konservativen US-Honoratioren im Auftrag der Harvard-Stiftung kontrolliert. Kapitalerhalt hat wie auch bei deutschen Lebensversicherern oberste Priorität. Und die Aufseher erwarten eine jährliche Ausschüttung von um die 5 Prozent. Geld, das die Universität braucht, um Bücher zu kaufen, den Campus zu unterhalten und die Professoren zu bezahlen.

Was also haben Harvards Geldleute den deutschen Vermögensverwaltern voraus?

In den 70er Jahren stecken geblieben

"Wie wir unser Geld anlegen, ist kein Geheimnis", sagt El-Erian. "Wir sind sehr transparent und bekommen Besuch aus aller Welt." Es müsste sich also nur eine Delegation aus Versicherungsmanagern, Finanzaufsehern und ein paar Regierungsexperten auf den Weg an die US-Ostküste machen, um sich die Strategie der Amerikaner genauer anzusehen. Aus Deutschland allerdings hat sich an der Atlantic Avenue bislang niemand blicken lassen.

Dabei könnten die Asset-Manager hierzulande - die Verwalter von Pensionskassen, Lebensversicherungen und andere Fondsmanager, die behaupten, für ihre Kunden langfristige Finanzvorsorge und Vermögensaufbau zu betreiben - dringend Nachhilfe gebrauchen. Es scheint, als sei Deutschland in dieser Hinsicht weitgehend in den 70er Jahren stecken geblieben.

Die Erkenntnisse moderner Kapitalmarktforschung werden von den Unternehmen ebenso wie vom Gesetzgeber und den Aufsehern offenbar weitgehend ignoriert. Stattdessen investieren die Portfoliomanager der Versicherungskonzerne und Pensionskassen das Geld ihrer Kunden wie anno dazumal. Langfristig machen sich die Folgen bei den Kunden in drastischer Form bemerkbar. Schon 1 oder 2 Prozentpunkte Rendite pro Jahr können über eine Ansparphase von zwei oder drei Jahrzehnten einen Unterschied von mehreren hunderttausend Euro ausmachen.

Um zu zeigen, dass es auch anders geht, hat manager magazin rund um den Globus hochkarätige Investoren ausfindig gemacht, deren Ziele und Risikoprofile nahezu deckungsgleich sind mit denen langfristig orientierter Privatanleger. Dazu gehören die Stiftungen von Harvard und Yale ebenso wie der Pensionsfonds der norwegischen Zentralbank in Oslo oder die in Kalifornien beheimatete US-Fondsgesellschaft Pimco, weltweit die unangefochtene Nummer eins auf den Anleihemärkten.

Sie alle investieren konservativ, zählen Kapitalerhalt und stabile Erträge zu ihren Prioritäten. Und sie alle widerlegen das Mantra deutscher Versicherer und Pensionskassen, demzufolge auf Rendite verzichten muss, wer langfristig und verlässlich vorsorgen will.

"Der Anleiheboom ist vorbei"

Dabei ist es gar nicht so schwer, von der Geldelite zu lernen. Entscheidend für den Erfolg ist aber, die selbst aufgestellten Regeln konsequent umzusetzen und durchzuhalten. Kaum einer weiß das besser als Yale-Vermögensverwalter David Swensen, "Es gilt nach wie vor die Beobachtung von John Maynard Keynes", sagt Swensen. "Auf konventionelle Weise zu scheitern wird in unserer Gesellschaft eher akzeptiert, als auf ungewöhnliche Weise Erfolg zu haben."

Dafür muss man freilich eine ganze Menge tun. Harvard-Chefanleger Mohamed El-Erian etwa liebt Charts und Tabellen. Für jede seiner Thesen hat der in New York geborene Diplomatensohn mindestens eine Zahlenreihe parat. Gleichzeitig besitzt El-Erian die unter seinesgleichen seltene Gabe, die hoch komplexen Zusammenhänge auf den Finanzmärkten in klaren und einfachen Sätzen erklären zu können - was wohl einer der Gründe gewesen sein dürfte, weshalb er vor zwei Jahren als möglicher Präsident des Internationalen Währungsfonds gehandelt wurde.

Die Erfolgsformel der Harvard-Stiftung kling aus seinem Munde fast schlicht, wenn man auch ahnt, dass der Teufel im Detail steckt. "Der Grund für unsere Performance ist die immer weiter zunehmende Diversifikation", sagt El-Erian und zückt sogleich eine Tabelle, die zeigt, wie dramatisch die Anlageklassen sich seit 1980 verändert haben.

Damals bestand der Fonds nur aus amerikanischen Staatsanleihen und Aktien. Heute sind es sieben verschiedene Anlagekategorien - darunter internationale Aktien, Hedgefonds, Private Equity und sogenannte Real Assets wie Ländereien und Immobilien.

Mehr noch: Mittlerweile dominieren die sogenannten alternativen Anlageklassen. Der Anteil der festverzinslichen Papiere, der Anfang der 80er Jahre mehr als ein Drittel des Depots ausmachte, ist auf unter 10 Prozent gesunken. "Der Boom an den Anleihemärkten ist vorbei. Langfristig werden sich die Zinsen auf dem heutigen niedrigen Niveau stabilisieren", begründet El-Erian seine Strategie. "Mit festverzinslichen Papieren sind langfristig keine überdurchschnittlichen Renditen mehr zu erzielen."

Erstaunlich: In den Portfolios deutscher Versicherer und Pensionsfonds lässt sich seit dem Börsencrash genau das Gegenteil beobachten: Der Anteil der festverzinslichen Papiere liegt bei den meisten um oder sogar über 80 Prozent. Aktien machen zwischen 10 und 15 Prozent aus, alternative Anlagen liegen - wenn überhaupt vorhanden - im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Wie können Investoren mit ähnlichen Zielen derart unterschiedlich agieren? Erkauft El-Erian seine hohen Renditen womöglich mit extremen Risiken? Handeln die Deutschen also in Wahrheit verantwortungsbewusster?

Auf Markowitz' Spuren

Die Antwort lautet: nein. El-Erian fährt schlicht und einfach die intelligentere Strategie. Der Amerikaner nutzt sehr viel stärker, als es die deutschen Versicherer tun, Markowitz. Der Kapitalmarkttheoretiker fand bereits 1952 heraus, dass ein Portfolio, das aus vielen verschiedenen Investments besteht, die Erträge erhöht und gleichzeitig das Risiko reduziert. 38 Jahre später bekam er für diese Erkenntnis den Nobelpreis.

Konkret in eine Anlegestrategie übersetzt, folgt aus dem Lehrsatz: Wer einem Depot aus Renten und Aktien in bestimmter Weise hochrentierliche, aber riskante Hedgefonds hinzufügt, senkt sein Risiko und steigert seine Chancen - und das, obwohl Hedgefonds für sich genommen hohe Risiken bergen können.

Der Trick funktioniert, weil die Preise von Hedgefonds in der Regel nicht von den Kursentwicklungen auf Anleihe- und Aktienmärkten beeinflusst werden, mithin also einen stabilisierenden Effekt auf die Wertentwicklung des Gesamtdepots haben. Ein diversifiziertes Portfolio, so Markowitz' Schlussfolgerung, ist einem weniger breit gestreuten umso überlegener, je unabhängiger voneinander die Wertentwicklung der darin enthaltenen Anlagen verläuft.

Harvard-Manager El-Erian macht sich genau diesen Zusammenhang zunutze. Die deutschen Versicherer tun es entweder nur unzureichend oder gar nicht, mit den entsprechenden Folgen für die Renditen der Anleger.

Dieter Rentsch, Partner des auf alternative Anlagen spezialisierten Investmenthauses Aquila Capital in Hamburg, hat das Markowitz-Theorem für die derzeitige Kapitalanlagestruktur der deutschen Lebensversicherer nachgerechnet und deren Risiko-Rendite-Struktur mit dem Portfolio der US-Universität Yale verglichen, die ähnlich wie Harvard agiert. Das Ergebnis: "Würden die Deutschen ähnlich diversifizieren wie Yale, wäre ihre durchschnittliche Renditeerwartung bei gleichem Risiko um rund 4 Prozentpunkte höher als bisher."

Natürlich verschenken Deutschlands Lebensversicherer die potenziellen Gewinne ihrer Kunden nicht freiwillig. Es ist eine merkwürdige Mischung aus antiquierten rechtlichen Vorgaben, einer ängstlichen Aufsicht und einem traditionell übervorsichtigen Geschäftsmodell, das die Konzerne daran hindert, den Grundsätzen von Markowitz zu folgen und die Kundengelder in höher rentierliche Anlageformen umzuschichten. Die Miniaturrenditen sind in erster Linie der Preis für eine extreme Form der Absicherung. Konkret: die Garantie der Versicherer, das Geld der Kunden zwischen 2,25 (ab Januar 2007) und 4 Prozent (für zwischen Juli 1994 und August 2000 abgeschlossene Policen) jährlich zu verzinsen.

Genau hier setzt der Teufelskreis für die Anleger ein. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die über die Erfüllung dieses Versprechens wacht, fordert von den Versicherern, dass sie nicht nur am Ende der Laufzeit einer Police ihre Garantie erfüllen können, sondern dass sie ihren Kunden am Ende eines jeden Jahres den versprochenen Zins gutschreiben müssen.

"Überzogenes Sicherheitsniveau"

Aus diesem Grund dreht sich das Kapitalanlagemanagement der Lebensversicherer nicht um eine möglichst hohe Verzinsung der Kundengelder, sondern um die Erfüllung einer kurzfristigen Garantie. Aktien, die zwar langfristig erwiesenermaßen hohe Erträge bringen, deren Kurse aber stark schwanken, sind allenfalls in homöopathischen Dosen einsetzbar. Weil die Assekuranzmanager sich nicht darauf verlassen dürfen, dass sie das Minus eines schlechten Jahres mit dem Plus aus einem guten Jahr wettmachen können, steckt der Großteil der Kundengelder in Hochsicherheitspapieren, die Magerzinsen abwerfen.

"Im Prinzip verzichten die Kunden auf Erträge, weil ihnen ein völlig überzogenes Sicherheitsniveau verkauft wird", sagt Dieter Rentsch von Aquila Capital. "Wichtig ist doch, ob das Ergebnis stimmt, wenn die Police ausgezahlt wird, und nicht, ob man jedes Jahr 2 oder 3 Prozent auf ein Konto gutgeschrieben bekommt, an das man, wie im Falle einer Lebensversicherung, ohnehin über Jahre nicht herankommt."

Kurioserweise ist keine Gesellschaft, die in Deutschland Lebensversicherungen verkaufen möchte, dazu gezwungen, eine Mindestverzinsung zu garantieren. Das Versprechen - so will es das Gesetz - ist freiwillig. Dennoch bestehen die über 100 deutschen Lebensversicherer geschlossen auf dem Verkaufsargument Garantiezins - "weil Sicherheit und Berechenbarkeit eben zur Altersvorsorge gehören", wie es Johannes Lörper, im Vorstand der Hamburg-Mannheimer und der Victoria Lebensversicherung für private Altersvorsorge zuständig, stellvertretend für die gesamte Branche proklamiert. Nur die Mühe, den Kunden zu erklären, wie viel dieses extreme Sicherheitsdenken kostet, hat sich bislang noch kein Unternehmen gemacht.

Was gute Geldleute ohne diese Fesseln leisten, lässt sich im zweiten Stock des Jugendstilgebäudes in der Akersgata 40 in Oslo besichtigen. Dort bestimmt Martin Skancke, Leiter des Asset Management Departments des norwegischen Finanzministeriums, wo die Milliarden investiert werden, die durch die Erdölförderung ins Land fließen.

Seit 1998 legt Norwegen seine Überschüsse aus dem Ölgeschäft an den internationalen Aktien- und Anleihemärkten an. 180 Milliarden Euro haben sich mittlerweile im Government Pension Fund angesammelt, was rund drei Viertel des jährlichen Bruttosozialprodukts des Landes entspricht, jeden Monat müssen 2,8 Milliarden Euro neu angelegt werden.

Skancke und seine Leute geben die Anlagerichtlinien vor, die anschließend von Finanzminister und Parlament abgesegnet werden müssen. Sie legen fest, wie viel Risiko tragbar ist, wie viel in Aktien und Anleihen geht, in welche Länder und Branchen investiert werden soll. "Diese Vorgaben entscheiden über 85 bis 90 Prozent des Anlageerfolgs", sagt Skancke. 40 Prozent des International Pensionfunds liegen derzeit in Aktien, eine Quote, die sich seit 1998 nicht geändert hat, der Rest des Geldes ist auf den Anleihemärkten untergebracht.

Prozyklisch und manisch-depressiv

Die Erwartungen sind sportlich: Die Substanz des Vermögens soll erstens erhalten werden und zweitens im Schnitt 4 Prozent jährlich abwerfen - genau die Rendite, die Deutschlands Lebensversicherer ihren Kunden noch in den 90er Jahren garantiert hatten. Weniger dürfen es nicht sein, weil die Erträge auf Jahre hinaus verplant sind: Sie müssen 4 Prozent des norwegischen Staatshaushalts finanzieren. Trotz Asien-Krise und Aktienmarktcrash hat der Fonds den verlangten Durchschnittswert bislang punktgenau geliefert.

Der Mann, der diese Vorgaben an den Kapitalmärkten umsetzen muss, der also darüber entscheidet, welche Aktien oder Fonds und welche Staats- oder Unternehmensanleihen gekauft werden sollen, heißt Knut N. Kjaer und hat sein Büro ein paar Blocks weiter im Gebäude der Zentralbank am Bankenplassen 2. Kjaer kann sich bei seiner Arbeit auf stabile Rahmenbedingungen verlassen.

Finanzministerium und Parlament hielten selbst in Phasen heftiger Verluste konsequent an der Aktienquote von 40 Prozent fest. Deshalb konnte Kjaer zu günstigen Kursen nachkaufen und auf diese Weise von dem im Frühjahr 2003 einsetzenden Comeback der Börsen in vollem Umfang profitieren.

In der Zeit, als Kjaer seinen Fonds mit ruhiger Hand durch die Krise an den Aktienmärkten steuerte, spielte sich in Deutschland das Gegenteil ab. Die Versicherer, die ihre Aktienquoten erst Ende der 90er Jahre massiv aufgestockt hatten und die Anfang März 2000, als die Technologieblase die erste Luft verlor, laut einer Studie von Lazard Asset Management "jeden dritten Anteilschein eines deutschen Unternehmens" hielten, begannen ihre Positionen drastisch abzusenken. Bis März 2003 schmolz die Quote von 26 auf 7 Prozent ab.

Die Folge: Ein Dax-Einbruch von bis zu 73 Prozent - weitaus mehr als das britische Börsenbarometer FTSE 100 (minus 53 Prozent) oder der US-Leitindex Dow Jones  (minus 39 Prozent) in der Spitze verloren hatten - und eine drastische Reduzierung der den Versicherten gutgeschriebenen Gewinnbeteiligungen von im Schnitt deutlich über 6 auf knapp über 4 Prozent.

Im Prinzip agierten die Versicherer wie manisch-depressive Kleinanleger: Sie kauften zu Spitzenkursen und stiegen zu Tiefstkursen wieder aus. "Die Lebensversicherer haben sich prozyklisch verhalten", gibt Daniel von Borries, Finanzvorstand des Düsseldorfer Ergo-Konzerns, zu: "Aber unter den gegenwärtigen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen können wir gar nicht anders agieren."

In der Tat machte die BaFin während der Krisenjahre eine reichlich unglückliche Figur. So übte die Behörde auf besonders aktienlastige Unternehmen Druck aus, den Anteil ihrer Dividendentitel zu reduzieren. Auf den Terminmärkten abgeschlossene Kontrakte zur Absicherung der Aktienpositionen ignorierten die Aufseher.

Ausnahmeerscheinung Bill Gross

Rigide Stresstests, mit denen die BaFin seit drei Jahren die Finanzkraft der Assekuranzen prüft, haben den Exodus aus Aktien beschleunigt. In einer komplexen Simulation analysieren die Aufseher einmal pro Jahr, ob die Versicherer dazu in der Lage sind, sämtliche Kunden innerhalb der nächsten zwölf Monate auszuzahlen, wenn zuvor gleichzeitig Anleihe- und Aktienmärkte um 10 beziehungsweise um 35 Prozent einbrechen würden. "Diese Testbedingungen können Sie mit einer Situation vergleichen, in der alle Vögel gleichzeitig tot vom Dach fallen", sagt der Finanzchef eines großen Versicherungskonzerns.

Die Auswirkungen dieses Finanzchecks auf die Renditen der Policen sind deutlich sichtbar. Von der Börsenerholung der vergangenen Jahre bekamen die Versicherten so gut wie nichts mit. Und die Gewinngutschriften werden auf Jahre hinaus mager bleiben, weil die Konzerne ihre Aktienpositionen klein halten - aus Angst, erneut ins Visier der Aufsichtsbehörde zu geraten.

Bei allen offensichtlichen Schwächen der deutschen Versicherungsaufsicht gehen die Assekuranzmanager jedoch großzügig über eine Tatsache hinweg: Im internen Machtgefüge eines deutschen Versicherers stehen die Kapitalanleger nicht gerade an oberster Stelle.

Während Knut Kjaer eine hoch qualifizierte Truppe von rund 140 Investmentprofis aus 18 Ländern dirigiert und seine Leute so bezahlt, dass die Gehälter auch mit denen der Topadressen an der Wall Street oder der Londoner City mithalten können, rangieren die Geldleute in Deutschlands Assekuranzfirmen üblicherweise im grauen Mittelfeld. "Jeder Generalagent verdient mehr, als ich früher bekommen habe", sagt einer, der lange bei einem Versicherungskonzern angestellt war und heute für einen unabhängigen Vermögensverwalter arbeitet. "Wirklich gute Kapitalmarktleute haben in der deutschen Versicherungswirtschaft Seltenheitswert."

Und während Geldverwalter wie El-Erian, Swensen oder Kjaer externen Asset-Managern hohe Summen anvertrauen, wenn es darum geht, Marktsegmente wie Private Equity oder Hedgefonds abzudecken, für die sie selbst keine eigenen Spezialisten haben, schalten deutsche Versicherer höchstens mal befreundete Geldhäuser ein. So wird in den Vermögensverwaltungsgesellschaften der meisten deutschen Versicherer erst lange über die hohen Gebühren und Erfolgsbeteiligungen debattiert, die bei hochklassigen US-Adressen üblich sind, um am Ende vielfach doch auf die Dienste der Topliga zu verzichten.

Bis die Allianz  die kalifornische Bondfirma Pimco aufkaufte, war es für einen deutschen Assekuranzkonzern undenkbar, dass ein hochdekorierter Geldprofi - ähnlich wie an der Wall Street - mehr verdienen könnte als ein Vorstand. Und Pimco-Gründer Bill Gross, der über fünf Jahre 200 Millionen Euro kassierte, wird auf absehbare Zeit eine Ausnahmeerscheinung bleiben.

"Mit gefesselten Händen"

Ihr Geld haben die Münchener für eine Legende ausgegeben. Für einen, der mit seinem Fonds in 24 von 30 Jahren besser war als der Markt, für einen, der seit Anfang der 70er Jahre eine Investmentmaschinerie aufgebaut hat, die auf den weltweiten Anleihemärkten ihresgleichen sucht, für einen, der mit seiner Firma dem Markt immer einen Schritt voraus war, sei es beim Einsatz von komplexen Terminmarktkontrakten, bei Investments in Firmenanleihen, Emerging-Market-Bonds oder Rohstoffe, und der für seine Kunden über die Jahre hinweg unvorstellbare Summen verdiente.

Für einen Teil der deutschen Allianz-Klientel hat sich die Rekordgage für den "König der Anleihemärkte" schon ausgezahlt. Seit Pimco im Herbst 2001 das Regiment über die Anleihefonds der Allianz-Tochter Dit (seit jüngstem umbenannt in Allianz Global Investors) übernommen hat, hat sich die Performance laut den Statistiken des Bad Homburger Analysehauses Feri deutlich verbessert. Doch der Schub für die Gewinnbeteiligung der Versicherten ist ausgeblieben.

Offensichtlich können die US-Bond-Profis bei den Geldern der Versicherten nicht so agieren wie bei den Dit-Rentenfonds oder bei ihrer Klientel aus der US-Lebensversicherungsindustrie. Schuld daran sind die antiquierten und unflexiblen Anlagerichtlinien des deutschen Versicherungsaufsichtsgesetzes. Terminmarktkonstrukte, riskantere Unternehmensanleihen, Emerging-Market-Bonds - alles, was an den Anleihemärkten höhere Renditen verspricht als klassische Staatsanleihen, ist den deutschen Versicherern entweder komplett untersagt oder nur in homöopathischen Dosen zugänglich. "Im Prinzip managen wir die deutschen Versicherungsgelder mit gefesselten Händen", klagt Pimco-Chef Bill Thompson.

Was bedeutet die Renditemisere der deutschen Lebensversicherer und Pensionskassen nun für den Aufbau einer privaten Altersvorsorge?

Es sind vor allem zwei Dinge:

  • Erstens: Die Anleger sollten den Lebensversicherern nur das überlassen, was die Konzerne wirklich beherrschen: die Absicherung finanzieller Risiken. Also Berufsunfähigkeitspolicen gegen den Ausfall der eigenen Arbeitskraft, Risikolebensversicherungen als Hinterbliebenenvorsorge oder private Rentenpolicen als lebenslanges Basiseinkommen im Ruhestand. Die Vermögensbildung aber müssen Anleger selbst in die Hand nehmen - zumindest solange sich an Geschäftsmodell und Rahmenbedingungen der Assekuranzen nichts geändert hat.
  • Zweitens: Auf gar keinen Fall dürfen die Anleger die Fehler der Lebensversicherer wiederholen. Sie müssen anders als die Assekuranzen ihr Kapital breit streuen. Und sie müssen die einmal eingeschlagene Strategie konsequent durchhalten: kaufen, wenn die Kurse steigen, und verkaufen, wenn die Kurse fallen, führt ins finanzielle Desaster.

Einen Vorteil haben Privatanleger schließlich gegenüber den Kapitalanlegern der Lebensversicherer: Sie müssen sich weder mit antiquierten Gesetzen noch mit einer übervorsichtigen Finanzaufsicht herumschlagen.

Musterdepot: Goldene Regeln Was ist besser: Fondsmanager oder Indexpapier? Lebensversicherungen: Sicherheit zuerst Interview: Geduldspiel

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