Türkei Europas letzte Chance
Wenn europäische Spitzenpolitiker über die Türkei sprechen, dann hört sich das so an: Natürlich stehe sie als Bundeskanzlerin zu den "ergebnisoffenen" EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, sagt Angela Merkel bei ihrem Besuch in Istanbul. Aber als CDU-Vorsitzende bevorzuge sie weiterhin eine "privilegierte Partnerschaft".
In Brüssel betrachtet EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Islam als "einen Teil des europäischen Erbes". Und macht gleichzeitig klar: "Wir werden unsere Werte auf keinen Fall ändern. Die Türkei will der EU beitreten, nicht umgekehrt."
Geht es um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, dann verfallen die meisten EU-Politiker in eine Sprache, wie sie sonst gegenüber ungeliebten Verwandten üblich ist. Gegenüber verarmten Vettern oder schrulligen Schwägern, die man mit allerlei vorgeschobenen Einwänden doch noch von ihrem lange geplanten Besuch abzuhalten hofft.
Die Wortwahl entspricht ziemlich genau den wahren Gefühlen. Ein gutes Jahr nach dem Beginn der Beitrittsverhandlungen wird das Anklopfen der Türken vor allem als Ruhestörung empfunden. Keine europäische Regierung hat mehr Lust, sich entschlossen für den EU-Beitritt der Türkei einzusetzen. Die Kommission bemängelt in ihrem Fortschrittsbericht vor allem die Defizite des Landes, und das EU-Mitglied Zypern droht damit, die Verhandlungen gänzlich zu blockieren.
Wenn Ömer Sabanci die Argumente gegen die Mitgliedschaft seines Landes im Europa-Club hört, dann huscht ein Schatten der Ungeduld über sein Gesicht. Zu oft hat er sich diese Sätze schon anhören müssen. Sabanci ist Vorstandsmitglied der zweitgrößten Industrieholding der Türkei - geführt wird die Sabanci Group von seiner Cousine - und zugleich Präsident des türkischen Industrieverbands Tüsiad. "Die EU braucht den Beitritt der Türkei genauso dringend, wie die Türkei die EU braucht", sagt Sabanci. Einer dieser Sätze, die in der EU momentan kaum einer hören mag. Vielleicht, weil er in geradezu schmerzlicher Weise wahr ist.
Für die Europäische Union verkörpert die Türkei die vielleicht letzte Chance, ihre Wachstumsschwäche zu überwinden und ihrer heraufziehenden demografischen Krise zu begegnen.
Wirtschaftswunder alla turca
Die türkische Wirtschaft wird im laufenden Jahr mit rund 6 Prozent pro Jahr wachsen, fast so schnell wie die Indiens oder Chinas. So arm weite Landstriche der Türkei heute noch sein mögen - kaufkraftbereinigt liegt die Wirtschaftsleistung pro Kopf knapp unter der des ärmsten EU-Mitglieds, Bulgarien -, das Land entwickelt sich rasant.
Die Beratungsgesellschaft PwC rechnet für die kommenden Jahrzehnte mit einem türkischen Trendwachstum von jährlich 5,6 Prozent - gegenüber 1,5 Prozent in Deutschland. Bis 2050 könnte die türkische Wirtschaft bis auf zwei Drittel der deutschen herangewachsen sein.
Folge des Booms: In den kommenden Dekaden werden Millionen von Türken aus der Armut in die Mittelschicht aufsteigen, werden Lebensversicherungen abschließen, Autos kaufen, Urlaubsreisen antreten. Ein gigantischer Markt.
Sicher, vom türkischen Wirtschaftswunder können hiesige Unternehmen bereits heute profitieren. Die Türkei und die EU verbindet eine Zollunion. Der Warenverkehr für Nicht-Agrarprodukte ist bereits seit Jahren liberalisiert. Doch wenn die Türkei Mitglied wäre, könnten EU-Unternehmen dort auch Dienstleistungen ungehindert anbieten - und umgekehrt. Nach einigen Jahren Übergangsfrist dürften dann auch türkische Bürger überall in der EU arbeiten.
Gerade dieser letzte Punkt macht den Deutschen Angst: Noch mehr Kopftücher in unseren Städten? Bloß nicht! Knapp 70 Prozent der Bundesbürger lehnen den EU-Beitritt der Türkei ab, gegenüber 48 Prozent im EU-Schnitt.
In der Tat wäre die Bundesrepublik das Hauptziel für türkische Migranten. Der Ökonom Harry Flam von der Universität Stockholm kommt in einer Modellrechnung zu dem Ergebnis, dass bei Freizügigkeit zwischen Deutschland und der Türkei über einen 30-jährigen Zeitraum rund 1,5 Millionen Türken nach Deutschland einwandern würden.
Verweigern statt gestalten
Was für viele Deutsche nach einem Alptraumszenario klingt, könnte der Bundesrepublik in Wahrheit enorm nutzen. Sollte die Türkei irgendwann um 2015 herum der EU beitreten und vielleicht ab 2020 Freizügigkeit herrschen - dann wird die demografische Krise in Deutschland voll ausgebrochen sein. Die geburtenstarken Jahrgänge der 50er und 60er Jahre werden sich um 2020 in den Ruhestand verabschieden, ihre Renten muss die nachfolgende, deutlich kleinere Pillenknickgeneration erwirtschaften.
Wenn zwischen 2020 und 2050 rund 1,5 Millionen Türken nach Deutschland kommen sollten, dann klingt das nach einer großen Zahl. Und es wäre doch nur etwa ein Sechstel jener Einwanderer, die Deutschland im selben Zeitraum benötigt, um seine Bevölkerungszahl konstant zu halten.
Außer dem kleinen Irland gehen alle EU-Staaten ähnlichen demografischen Problemen entgegen wie Deutschland. Besonders dramatisch fällt der Geburtenrückgang in den osteuropäischen Ländern aus. Schon bald wird sich vom Baltikum bis Bulgarien das derzeit noch kräftige Wirtschaftswachstum abschwächen, weil es an Arbeitnehmern und Konsumenten fehlt.
Anders in der Türkei. Dort liegt die Geburtenrate bei 2,2 Kindern pro Frau. "Heute kann sich das noch niemand vorstellen", sagt der frühere Chef der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Jean-Claude Paye, "aber in 15 Jahren werden sich Länder wie Deutschland wieder über junge türkische Einwanderer freuen."
Es wäre die Aufgabe der deutschen Politik, diese Zuwanderung zu steuern. Dafür zu sorgen, dass qualifizierte Türken nach Deutschland kommen, die hier arbeiten wollen. Nicht jene, die das deutsche Sozialsystem lockt.
Doch statt auf Gestaltung setzen viele deutsche Politiker auf Verweigerung: "Wenn es nicht signifikante Fortschritte der Türkei in ihrer Reformpolitik gibt, bin ich dafür, die Verhandlungen über einen Beitritt Ankaras zur EU vom 1. Januar an komplett auszusetzen", tönte der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) im Herbst und kann sich sicher sein, dass solche Kraftmeiereien bei den türkeiskeptischen CDU-Wählern gut ankommen. Aus ähnlichen Gründen steht die Türkei-Frage auch während der gerade begonnenen und bis Mitte 2007 dauernden deutschen EU-Ratspräsidentschaft ziemlich weit hinten auf Merkels Agenda.
Europas Politiker sehen nicht die Chancen, sondern nur die Probleme eines EU-Beitritts des Landes: Die schiere Größe der Türkei - wegen ihrer höheren Geburtenrate würde sie Deutschland etwa 2020 als bevölkerungsreichstes EU-Mitglied überholen. Die verbleibenden Defizite bei Demokratie und Menschenrechten. Und schließlich die Zweifel, ob ein islamisches Land zur christlich geprägten europäischen Staatengemeinschaft passt.
"Nur noch negative Signale"
"Wir senden in Richtung Türkei fast nur noch negative Signale", sagt EU-Industriekommissar Günter Verheugen, einer der wenigen verbliebenen Beitrittsbefürworter. "Wir konzentrieren uns auf die Schwächen des Landes, ohne Mut zur Veränderung zu machen."
Dabei haben viele der Probleme weniger mit der Türkei zu tun als mit der EU selbst: Schließlich ist es die Europäische Union, die sich obskure Entscheidungsstrukturen leistet, die dem Beitritt eines so bevölkerungsreichen Landes niemals gewachsen wären.
Es ist die EU, die zwei Drittel ihres Budgets für unsinnige Agrarsubventionen und weitgehend wirkungsfreie Regionalförderung verschleudert - Ausgaben, die nach einem Beitritt des armen Agrarstaats Türkei natürlich ins Unermessliche steigen würden. Und schließlich hat es die EU in den 50 Jahren seit dem Abschluss der Römischen Verträge nicht geschafft, sich über eine grundsätzliche Frage klar zu werden: Inwieweit gehört eigentlich das Christentum zwingend zum Wertefundament, auf dem unsere Gemeinschaft ruht?
"Bis zu einem Beitritt muss sich die EU ebenso stark reformieren wie die Türkei", sagt Tüsiad-Chef Ömer Sabanci. "Es sollte niemand vergessen, dass auch die Türkei am Ende der Beitrittsverhandlungen sagen kann: Danke, aber solch einer EU wollen wir nicht beitreten."
Ein gar nicht mal so unrealistisches Szenario, das Sabanci da entwirft. Während sich die EU mit Veränderungen schwer tut, verläuft der politische und wirtschaftliche Wandel in der Türkei in geradezu atemberaubendem Tempo - auch wegen der Aussicht auf den EU-Beitritt.
Hosdere ist ein Dorf 40 Kilometer westlich von Istanbul. Oder vielmehr: Hosdere war ein Dorf 40 Kilometer westlich von Istanbul. Innerhalb von 15 Jahren ist aus dem Dorf eine Trabantenstadt geworden, untrennbar verschmolzen mit der nahen Zehn-Millionen-Metropole. An Hosdere lassen sich viele jener Veränderungen ablesen, die die Türkei binnen weniger Jahre vom kranken Mann am Bosporus zum Tigerstaat vor Europas Haustür gemacht haben.
Wie in China oder Indien ist es das riesige Reservoir billiger Arbeitskräfte, das für Wachstum sorgt. Aus den Bauerndörfern Anatoliens zieht es immer mehr junge Türken in die Wirtschaftsmetropolen Istanbul, Izmir oder Bursa. Oft ergattern sie in Vorstädten wie Hosdere einen Job als Fabrikarbeiter, verdienen ungleich mehr als daheim auf dem Feld - und tragen gleichzeitig zum Wirtschaftswachstum bei, weil sie in der Industrie eine höhere Wertschöpfung erzielen als in der Landwirtschaft. Das Geld wiederum, mit dem die Fabriken gebaut werden, strömt zum großen Teil aus dem Ausland herein. Das Leistungsbilanzdefizit der Türkei klafft bei 6 Prozent. Die ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei haben sich in den vergangenen drei Jahren fast verzehnfacht.
Boomender Binnenmarkt
Einer dieser Investoren ist DaimlerChrysler . Seit 1995 baut der Autokonzern in Hosdere Omnibusse, immer wieder wurden seitdem die Fertigungsanlagen erweitert. Rund zwei Drittel der Produktion gehen in den Export.
In der Busmontage liegt der Lohnkostenanteil bei rund 30 Prozent, deutlich höher als bei Pkw. Da lohnt es sich besonders, dass die Arbeitskosten pro Stunde in Hosdere überschaubare neun Euro betragen - bei einem deutlich besseren Ausbildungsstand der Arbeiter als in China oder Indien. Mit dem Niveau der meisten übrigen OECD-Staaten kann das türkische Bildungssystem allerdings noch nicht mithalten.
Trotz des raschen Wirtschaftswachstums stiegen die Lohnkosten im Buswerk in den vergangenen Jahren real lediglich um 1 bis 2 Prozent, Ausfalltage durch Streiks gibt es kaum. Noch immer arbeitet ein Drittel der Türken in der Landwirtschaft. Dieses Reserveheer beschränkt die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften.
Die Mischung aus sozialem Frieden, relativ niedrigen Löhnen, ordentlicher Ausbildung, ungehindertem EU-Marktzugang und einem boomenden Binnenmarkt macht die Türkei besonders für die Autoindustrie zu einem attraktiven Standort. Nahezu alle großen Hersteller und Zulieferer sind hier vertreten. In wenigen Jahren könnte die türkische Autoproduktion bereits jene Italiens übersteigen.
Inmitten des Booms lassen sich in Hosdere aber auch noch die Überbleibsel dessen besichtigen, was in der Türkei über Jahrzehnte hinweg das Wirtschaftswachstum bremste: ein absurdes Maß an Überregulierung. So stehen morgens überall an der Ausfallstraße von Istanbul nach Hosdere kleine Gruppen von Arbeitern und warten auf den Firmenbus. Viele Arbeitgeber in der Türkei sind bis heute laut Tarifvertrag dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten auf eigene Kosten zur Schicht zu fahren und zurück nach Hause zu bringen.
Noch immer übersteigt der türkische Mindestlohn das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in vielen Regionen des Landes - was es für zahlreiche Mittelständler nahezu unmöglich macht, Arbeiter legal zu beschäftigen. Folge: Rund die Hälfte der Türken arbeitet schwarz.
Das Tempo der Veränderung
Der Trend geht jedoch in die richtige Richtung. "In den vergangenen Jahren hat die türkische Regierung in dramatischem Maße Bürokratie abgebaut", sagt DaimlerChrysler-Landeschef Jürgen Ziegler, der sich auf der türkischen Seite seiner Visitenkarte mit dem schönen Titel "Direktörler" schmücken darf.
Wie im Lehrbuch hat die Türkei zum Beispiel die Körperschaftsteuer von 30 auf 20 Prozent gesenkt und im Gegenzug staatliche Investitionsbeihilfen gestrichen. Insgesamt acht Reformpakete wurden in der laufenden Legislaturperiode durchs Parlament geschleust: Bankenreform, Rentenreform, Strafrechtsreform. Solange der Wille zum Wandel anhält, dürfte auch ausländisches Kapital weiter ins Land strömen - was wiederum das Wachstum vorantreibt. Zustande brachte all dies eine der seltsamsten großen Koalitionen der Menschheitsgeschichte: Islamisten und Militärs machen gemeinsame liberale Sache.
Seit drei Jahren regiert Premierminister Recep Tayyip Erdogan die Türkei, gestützt auf eine absolute Mehrheit seiner gemäßigt islamistischen Partei AKP. Vom Amtsantritt an widerlegt Erdogan nach Kräften das Vorurteil, wonach Islam und Demokratie nicht zusammenpassen. Sicher, wer vor allem den Status quo bewertet, wird sagen: In der Türkei bleibt noch viel zu tun. Doch wer das Tempo der Veränderung betrachtet, kommt zu dem Ergebnis: Nicht nur in Sachen Wirtschaftsliberalisierung, auch bei Meinungsfreiheit, Menschenrechten und Minderheitenschutz hat die Türkei in den vergangenen drei Jahren schnellere Fortschritte erzielt als jemals zuvor in ihrer Geschichte.
Würde Erdogans Kurs nicht vom türkischen Generalstab geduldet, wäre der Premier chancenlos. Seit 1923, seit der Gründung der Türkei, nimmt das Militär über eine ganze Reihe von Privilegien Einfluss auf die Politik. Traditionell sein wichtigstes Anliegen: die strikte Trennung von Religion und Staat. Was gegenüber einer islamistischen Regierung mit absoluter Parlamentsmehrheit natürlich eine interessante Herausforderung darstellt. Doch fromme Muslime und stramme Generäle arbeiten bislang leidlich harmonisch zusammen. Das gelingt, weil sie ein gemeinsames Projekt eint: Europa!
Neben der Trennung von Religion und Staat war es das zweite große Anliegen von Staatsgründer Atatürk, die Türkei von einer asiatischen in eine europäische Nation zu verwandeln. Diesem Auftrag sieht sich der türkische Generalstab verpflichtet. In seinen Augen wäre die Türkei mit der EU-Mitgliedschaft quasi am Bestimmungsziel ihrer Geschichte angekommen.
"Gemeinsame Interessen"
Das Ziel von Erdogans AKP wiederum: Die Türkei soll endlich ein unwiderruflich demokratischer Staat werden, in dem kein Militär dem Premierminister dreinredet. Das lässt sich in Erdogans Augen am besten durch eine feste Einbindung in die EU erreichen. "Den Türken geht es bei der EU um große Dinge", sagt Ferhat Boratav, Chefredakteur des Nachrichtensenders CNN Türk. "Um die europäische Bestimmung, um Demokratie, um einen hundertjährigen Weg nach Westen. Jetzt sehen sich die Türken am Ende ihres historischen Wegs angelangt und möchten gebührend willkommen geheißen werden."
Doch das Begrüßungskomitee hat sich verdrückt. Viele EU-Politiker befremdet der brennende türkische Europa-Idealismus, der ebenso leicht in nationalistische Kränkung umschlägt. In den vergangenen Jahrzehnten hat man sich in Brüssel trefflich darin eingerichtet, über Milchquoten zu diskutieren und jeden aufbrechenden Konflikt mit einem neuen Strukturfonds zuzuschütten.
Diese Strategie funktioniert im Umgang mit der Türkei nicht. Das nüchtern rationale Europa der Bürokraten muss sich auf einmal Fragen nach seiner eigenen Identität stellen, nach dem Wesen Europas und seinen Grenzen.
Umgekehrt ahnen die Türken, dass die EU womöglich doch nicht als das große nationale Ziel taugt. Die ursprünglich sehr hohe Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft in der türkischen Bevölkerung ist in den vergangenen Monaten drastisch zurückgegangen. Im kommenden Jahr hat Erdogan Parlamentswahlen zu bestehen. "Immer mehr türkische Politiker erliegen der Versuchung, mit Anti-EU-Rhetorik Stimmen zu sammeln", sagt Boratav. Die Zypern-Frage wird zur Frontlinie erhoben, an der ein anständiger Türke keinesfalls zurückweichen dürfe.
Wenn schlichte Entscheidungen zu Fragen der Ehre verklärt werden, steht es meist nicht gut um ein politisches Projekt. Natürlich sollten der Türkei für ihren Beitritt keine Sonderkonditionen eingeräumt werden. Es wäre aber viel gewonnen, wenn einer der wichtigeren europäischen Regierungschefs den Türken signalisieren würde: Ihr seid im Prinzip willkommen in der EU.
Er müsste dazu nur die schlichte Wahrheit wiederholen, die Joost Lagendijk, Türkei-Beauftragter im Europäischen Parlament, so formuliert: "Es wird gern so getan, als handele es sich bei der Aufnahme der Türkei um ein Sozialprojekt der EU. Aber in Wahrheit geht es hier um gemeinsame Interessen."
Der lange Weg nach Europa
Ost-West-Straße: Der lange Weg der Türkei nach Europa
1963: Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft.
1995: Zollunion zwischen EU und Türkei; freier Warenverkehr.
1999: Die EU-Kommission räumt der Türkei offiziell den Status eines Beitrittslandes ein.
2004: Die Kommission stellt fest, dass die Türkei die Kopenhagener Kriterien in ausreichendem Maße erfüllt. Das ist die Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.
-> Die Kopenhagener Kriterien: ... wie institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte. Schutz von Minderheiten, Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU standzuhalten.
2005: Beginn der Beitrittsverhandlungen. Wichtigster Bestandteil: Umsetzung des EU-Gemeinschaftsrechts in türkische Gesetze.
-> Umsetzung des Gemeinschaftsrechts: Die mehreren zehntausend Seiten mit EU-Vorschriften wurden für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in 35 Kapitel unterteilt, von Patentrecht bis Umweltschutz. Bisher sind die Verhandlungen zu einem Kapitel beendet (Wissenschaft) und zu drei weiteren eröffnet worden.
2006: Aus Protest gegen die Sperrung türkischer Flug- und Seehäfen für das EU-Mitglied Zypern setzt die Europäische Union die Verhandlungen mit der Türkei teilweise aus. Acht von 35 Beitrittskapiteln werden vorerst auf Eis gelegt. Sie betreffen vor allem Wirtschaftsfragen.
Zwischen 2010 und 2015: Möglicher Abschluss der Beitrittsverhandlungen. Nun müssen die EU-Staaten einstimmig die Aufnahme der Türkei beschließen. Unter anderen in Frankreich ist dazu eine Volksabstimmung vorgeschrieben.
Zwischen 2015 und 2020: Realistischer Zeitraum für einen Beitritt der Türkei.
Nach 2020: Im Anschluss an eine Übergangsfrist dürfen türkische Bürger überall in der EU leben und arbeiten.