Tchibo Kaffee-Pause
Die Tchibo-Kundschaft war im vergangenen Frühjahr verwundert. Die Straßen waren schneebedeckt, der Winter wollte nicht weichen, und der Kaffeeröster hatte in seiner wöchentlich wechselnden Warenwelt Fahrräder im Angebot. Ein paar Skier wären passender gewesen. So aber blieb Tchibo auf den Rädern sitzen.
Ein Artikel zur falschen Zeit am falschen Ort. Und dennoch konnte Tchibo-Chef Dieter Ammer darin nichts Schlimmes erkennen. Flugs machte er den Fehler zum Fallbeispiel. Für den Flop sei er dankbar, denn daraus könne man etwas lernen, erklärte der Konzernlenker.
Typisch Ammer. Für den bulligen Bremer mit dem kräftigen Kinn gibt es immer nur eine Richtung: vorwärts. Klein beigeben ist seine Sache nicht.
Was für Ammer gilt, galt lange Zeit auch für Tchibo. Umsatz, Gewinn, Mitarbeiterzahl - der Hamburger Kaffeehändler schien ein Abonnement auf Wachstum gebucht zu haben.
Dieses Abonnement ist kürzlich offenbar abgelaufen. Am 5. September musste Ammer in einer Analystenkonferenz - das Unternehmen hatte vor zwei Jahren eine Anleihe begeben - mehrere für Tchibo untypische Neuigkeiten verkünden.
Dem Konzern droht ein Einbruch beim Ergebnis. 2005 lag der Wert noch bei 454 Millionen Euro. Von einem möglichen Minus von 30 Prozent im laufenden Geschäftsjahr ist jetzt intern die Rede. Das Wachstum auf gleicher Fläche geht zurück. Das Minus soll bei rund 9 Prozent liegen. In den Tchibo-Lagern häufen sich Restposten wie die Fahrräder aus dem Frühjahr.
Wenige Wochen später verkündete Ammer, mit welchem Programm er der Misere Herr werden will. Der Projektname: "Stärken stärken". Der Inhalt: Die Marke auffrischen, die Kunden wieder überraschen und Kaffee teurer verkaufen.
Was Ammer verschwieg: Der Masterplan ist auch das Eingeständnis einer persönlichen Niederlage. Angetreten war er vor drei Jahren, um das ohnehin schon erfolgreiche Unternehmen Tchibo noch erfolgreicher zu machen. Die Vorzeigefirma sollte unter seiner Ägide zum großen Sprung nach vorn ansetzen.
Ins Stottern geraten
Doch stattdessen ist die Gelddruckmaschine Tchibo ins Stottern geraten. Die einzigartige Mischung aus Kaffee und einem ständig wechselnden Sortiment von Textilien und Gebrauchsgegenständen für den Alltag hat viel von ihrem Reiz verloren. Es häufen sich die Probleme.
Der Hamburger Händler hat
- die Auslandsexpansion verpatzt - den weit überwiegenden Teil seines Umsatzes macht Tchibo immer noch auf dem umkämpften deutschen Markt;
- keine Antworten auf die wachsende Konkurrenz der Discounter gefunden - immer erfolgreicher kopieren Aldi und Co. Tchibos Strategien;
- Topmanager verloren - Spitzenkräfte verlassen die Firma und laufen mitunter direkt zur Konkurrenz über.
Sicher, Tchibo ist weit davon entfernt ein Sanierungsfall zu sein. Doch das Geschäftsmodell ist beschädigt. Die Pionierzeiten sind vorüber. Die Hanseaten können ihre Wettbewerber mit rasch wechselnden Warenwelten, Reiseofferten und Mobilfunkverträgen nicht mehr überrumpeln. Jetzt beginnt der im Handel übliche Frontalwettbewerb auch für Tchibo. Die Zeit der traumhaften Zuwachsraten ist wohl vorüber.
Dabei war alles ganz anders geplant: Als Ammer im Juni 2003 den Vorstandsvorsitz übernahm, herrschte in der Zentrale am Hamburger Überseering Aufbruchstimmung. Tchibo verdiente jedes Jahr mehr Geld. Zudem hatte der Konzern wenige Jahre zuvor den Anteil am Nivea-Hersteller Beiersdorf aufgestockt und sich so verstärkt.
Der neue Chef kam mit reichlich Vorschusslorbeeren von der Bremer Brauerei Beck. Dort hatte der gewiefte Händler bei der Übernahme durch den Bierriesen Interbrew einen satten Preisaufschlag für die Alteigentümer herausgehandelt.
Ammer konnte seinerseits auf viele Freiheiten hoffen. Als er den Job übernahm, traf er auf einen zerstrittenen Gesellschafterkreis. Das Herz-Brüdertrio Michael, Joachim und Wolfgang zankte mit dem Geschwisterpaar Daniela und Günter um die Vorherrschaft. Der neue Chef konnte seinen Posten in dem sicheren Glauben antreten, dass die Gesellschafter sich gegenseitig in Schach halten würden - und er befreit aufspielen könnte.
Ammer - zunächst gewinnend im Auftritt und stets für einen Scherz zu haben - machte sich in der Firmenzentrale in der Hamburger City Nord schnell Freunde. Bald waren sich die Verantwortlichen sicher: Das ist der Richtige. Alles sprach dafür, dass die Tchibo-Erfolgsstory der vergangenen Jahrzehnte unter ihm weitergehen würde.
"My way, or highway"
Ammer war seinerseits von einem mächtigen Wachstumsdrang beseelt. Das Tchibo-Handelsgeschäft sollte mit noch mehr Filialen noch schneller an Größe gewinnen. Das Konzept dafür lag bereits in der Schublade bereit. "Triple Seven" hieß das Aufstiegsprogramm, mit dem er den Umsatz von rund drei Milliarden Euro binnen sieben Jahren auf sieben Milliarden Euro mehr als verdoppeln wollte.
Intern war der Vorwärtskurs allerdings umstritten. Manch einem Manager ging das alles zu schnell. Tchibo könne sich angesichts der großen Ziele überheben, warnten Skeptiker. Ammer zeigte sich in diesen Fällen von seiner harten Seite. Nach dem Motto "My way, or highway" drohte er Spitzenkräften schon mal mit Rauswurf, wenn sie seinen Expansionsplan nicht unterstützten.
Doch der Widerstand wuchs an anderer Stelle - im Kreis der Familiengesellschafter. Seit sich Daniela und Günter Herz hatten auszahlen lassen, waren sich die Tchibo-Eigentümer plötzlich einig. Die Brüder Michael, Wolfgang und Joachim kontrollierten alle Anteile gemeinsam mit ihrer Mutter Ingeburg und misstrauten zunehmend der Blinker-links-Strategie Ammers. Aus ihrer Sicht packte der Neue die Expansion zu forsch an. Vor eineinhalb Jahren kassierte der Aufsichtsrat Teile des Triple-Seven-Programms. Die Kontrolleure senkten die Vorgaben. Damit Ammer nicht das Gesicht verlor, erfolgte die Korrektur in aller Stille. Seither fährt der Vollgas-Mann auf der Kriechspur.
Wenig glücklich agierte Ammer auch bei der Stärkung des Auslandsgeschäfts. 2004 kaufte Tchibo für rund 30 Millionen Euro den französischen Versender NWMC - obwohl es im Aufsichtsrat Bedenken gab. Zu Recht, das Engagement entwickelt sich alles andere als erfreulich. Erhoffte Synergien blieben aus, das Management musste gehen, ein zweistelliger Millionenbetrag wurde nachgeschossen. Insider halten NWMC für unsanierbar. "Man sollte sich schleunigst davon trennen", sagt ein Konzernkenner.
Der Einstieg in den US-Markt wurde trotz weit gediehener Vorbereitung gleich ganz abgeblasen. Rund 40 Mitarbeiter waren dafür schon eingestellt. Sogar Ware hatte Tchibo bereits geordert.
Das Vorhaben wäre ein mutiger Schritt gewesen, in Nordamerika dominieren Ketten wie Starbucks das Kaffeegeschäft. Und die sind so stark wie ein doppelter Espresso.
Gegen die Marktführer wollte Tchibo mit einem lokalen Partner antreten. Doch ein geeigneter Verbündeter fand sich nicht. Ohne amerikanisches Know-how erschien das Risiko zu groß, es blieb nur der kostspielige Abbruch.
Das verbleibende Auslandsgeschäft bietet wenig Anlass zu Freudentänzen. So verbucht Tchibo Anlaufverluste in den jüngst erschlossenen Märkten in Osteuropa, England und in den Niederlanden. Nur die Dependancen in der Schweiz und Österreich verdienen nennenswerte Beträge.
Verschärfte Konkurrenz
Angesichts der zahlreichen Baustellen verzichtet Tchibo vorerst auf weitere Auslandsexperimente. Entsprechend wenig wird sich am niedrigen Internationalisierungsgrad ändern. Immer noch stammen nahezu 80 Prozent des Tchibo-Umsatzes aus dem Inlandsmarkt.
Wegen der Margenschwäche und des gnadenlosen Wettbewerbs im hiesigen Einzelhandel hält eigentlich kein Händler auf Dauer eine derart hohe Heimatabhängigkeit durch. Tchibo allerdings hat das lange kaum tangiert. Die Firma hat über die Jahre ein fein austariertes System entwickelt, um die Kunden in die deutschen Filialen zu locken. Die Mischung aus Kaffee und einem wöchentlich wechselnden Angebot von Mode, Küchenwerkzeug, Schmuck und Wellness-Produkten sucht in der Branche ihresgleichen.
Die Non-Food-Artikel liegen zum kleinen Preis in edler Anmutung unter der Dachmarke TCM in den Regalen. Das Kürzel steht für Tchibo-Magazin. In dem Reklameblättchen preist der Händler regelmäßig seine aktuelle Warenwelt an.
Zu rund zwei Dritteln stammen die Tchibo-Erlöse aus dem Verkauf von Pyjamas, Körperfettwaagen und ähnlichen Dingen des Alltags. Auf der Ertragsseite soll die Quote noch höher sein.
Kaffee hat deswegen nicht an Bedeutung verloren. Viele Kunden kommen gerade wegen des Bohnentrunks in die Läden - und decken sich dann mit TCM-Produkten ein. Tchibo hat das Kaffeegeschäft in den vergangenen Jahren zudem gestärkt und sich als Premiumanbieter etabliert.
Die Konkurrenz schaute lange neidisch zu - und begann dann, die Hanseaten zu kopieren. Zunehmend mischten auch Discounter wie Aldi, Lidl und Plus im Non-Food-Geschäft mit und wechselten teilweise mehrmals pro Woche die Sortimente. Anfänglich war die Ware - anders als die TCM-Produkte - häufig von minderer Qualität, entsprechend schlecht der Ruf.
Doch zusehends verliert Tchibo den so wichtigen Vertrauensvorsprung. Die Billigheimer bieten oft die gleiche Qualität. Und sie ahmen die Hamburger auch in der Präsentation nach. "Wir arbeiten vermehrt mit edler Verpackung und eigenen Marken, genau wie Tchibo", sagt ein führender Manager eines Discounters.
Misere zu spät erkannt
Selbst bei Dienstleistungsofferten - in den vergangenen Jahren stets ein Erfolgsgarant - verpasst Tchibo den Anschluss. Billigmobilfunk haben unterdessen auch Aldi und Schlecker im Sortiment. Sogar die Kleiderkette C&A bietet Autoversicherungen an. Von Tchibo gab es dagegen zuletzt selten schlagzeilenträchtige Aktionen. Stattdessen die Wiederholung des immer Gleichen.
Ammer, getrieben von seinen Wachstumsvisionen, hatte die Misere viel zu spät erkannt. Jetzt wissen die Verantwortlichen um den Ernst der Lage. "Wir müssen wieder überraschen", hat ein Non-Food-Mann in Hamburg begriffen, "selbst wenn nicht alles zum Verkaufsschlager wird."
Die Plagiatoren haben einen großen Vorteil: den Preis. "Im direkten Vergleich hat Tchibo keine Chance gegen Aldi und Co.", sagt Thomas Roeb, Handelsexperte an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg. Nach seinen Berechnungen liegen die Betriebskosten der Hamburger im Vergleich zur Billigkonkurrenz doppelt so hoch. Entsprechend leicht können die Discounter Tchibo beim Preis unterbieten.
"Aldi kann Tchibos Konzept leicht kopieren. Aber Tchibo kann kaum Aldis Kostenstrukturen nachahmen", erklärt Roeb das Dilemma. Und so lässt die Kundschaft die TCM-Ware zunehmend links liegen.
Bei Tchibo hat die Krise unterdessen einen Namen: Restanten. Die Rückläufe nicht verkaufter Artikel wachsen bedrohlich. Bisher hat Tchibo die Liegenbleiber in eigenen Restpostenfilialen verramscht. Immer wieder landeten Rückläufer auch in aktuellen Sortimenten, als Altartikel in neuem Gewand. Dass die Verantwortlichen zuletzt allerdings versuchten, Restanten an die Erzrivalen vom Discount weiterzureichen, wertet man dort als Alarmsignal. "Bei Tchibo muss die Not groß sein. Uns wurden im großen Stil TCM-Produkte angeboten", heißt es bei einem Wettbewerber.
Umsatz-Ranking: Die größten Non-Food-Anbieter im Lebensmitteleinzelhandel
1. Aldi | 4,5 Milliarden Euro |
2. Lidl | 2,3 Milliarden Euro |
3. Tchibo | 2,2 Milliarden Euro |
4. Plus | 0,9 Milliarden Euro |
Ammer macht nun Tabula rasa - und sei es auf Kosten des Ergebnisses. Die Restposten will er möglichst rasch abschreiben, notfalls landet Ware auf dem Müll.
Während er so ein Problem löst, droht an anderer Stelle neues Ungemach. Denn auch bei den sogenannten Depots kriselt es. Dahinter verbergen sich Regale, die Tchibo in SB-Warenhäusern und Supermärkten betreibt. An den Ständen bietet das Handelshaus Artikel aus dem eigenen Sortiment an. Der Filialbetreiber verkauft die Artikel auf Kommissionsbasis.
Im Einzelhandel hatten die Depots trotz geringer Margen bislang einen guten Ruf. Zusehends aber dreht sich die Stimmung. Es gebe zu häufig Lücken im Sortiment, heißt es beispielsweise bei Edeka. Noch bleibt es meist beim Murren. Doch wenn die Marktleiter die Depots reihenweise schließen, hat Ammer ein weiteres Problem. Dann würde er eine wichtige und im Vergleich zu den Filialen profitablere Vertriebsschiene verlieren.
Ungewohnte Defensive
Das schwierige Geläuf macht Ammer spürbar zu schaffen. Keiner spricht mehr von Sieben-Jahres-Plänen. Stattdessen muss der Vorstandschef Restposten entsorgen und mäkelnde Kleinkrämer beruhigen.
Kein Wunder, dass sich auch Ammers Führungsstil der neuen Situation angepasst hat. Von dem gewinnenden Auftreten der frühen Phase sei kaum etwas geblieben, heißt es im Unternehmen. Zwar herrsche Ammer mit gewohnter Kraft, allerdings verbreite er statt Aufbruchstimmung oft Angst. "Hinter seiner aufgesetzten Fröhlichkeit von früher ist seine Eiseskälte sichtbar geworden", sagt einer, der viel mit ihm zu tun hat.
Und so hat sich bei Tchibo angesichts der ungewohnten Defensivhaltung nicht nur an der Konzernspitze die Stimmung eingetrübt. Auch auf der mittleren Ebene nimmt die Verunsicherung rapide zu: "Das ist völlig neu für die Organisation, bisher kannten wir nur Erfolge", sagt ein Einkäufer.
Vor allem in den höheren Führungsrängen spüren die Manager die schwachen Ergebnisse auch an ihrem Gehalt. Denn traditionell besteht die Vergütung in diesen Sphären aus einem vergleichsweise niedrigen Fixum und einem hohen variablen Anteil. Die aktuellen Gehaltsverluste stärken nicht unbedingt die Treue zum Arbeitgeber.
In den vergangenen zwölf Monaten haben mehrere Spitzenkräfte das Unternehmen verlassen. Besonders bitter wirken die Abgänge im Non-Food-Bereich. Nicht wenige der Abtrünnigen zieht es ausgerechnet zum Discount. So profitieren etwa Plus und Lidl künftig vom Know-how ehemaliger Tchibo-Leute.
Die Lücken zu füllen, fällt den Hamburgern schwer. Monate war der Posten des Kaffee-Vorstands vakant. Nachdem Peter Wolf, der in dem Geschäft wieder Absatzerfolge verbuchen konnte, zum Warenhauskonzern KarstadtQuelle gewechselt war, kümmerte sich niemand mehr um die Fortentwicklung der Sparte.
Und wenn schnell ein Nachfolger für eine freie Aufgabe bereitsteht, ist er nicht immer die erste Wahl. So übernahm Finanzvorstand Thomas Vollmoeller nach dem Abgang von Non-Food-Chef Stephan Swinka dessen Job. Vollmoeller hat den Ruf eines soliden Buchhalters, gilt aber als schlechter Ersatz für den Marken- und Handelsmann Swinka. Schon warnen Beobachter vor einer Dominanz der Controller.
Alles kalter Kaffee
Managerflucht, Stillstand im Ausland, drängende Discounter - im vierten Jahr der Ammer-Amtszeit steht der Händler schlechter da als zu Beginn. Die Vorwärtsfirma Tchibo steckt in der Defensive. Alle großen Wachstumsambitionen aus Ammers Triple-Seven-Programm wurden de facto einkassiert.
Statt das Modell Tchibo ins weite Ausland zu tragen, steckt das Management die Grenzen nun enger. Nur in Österreich und der Schweiz sowie Polen, Tschechien, den Niederlanden und Großbritannien soll man Tchibo-Läden finden.
Statt im Inland mit vielen Waren viel Umsatz zu machen, soll künftig weniger, dafür Ausgesuchtes angeboten werden. Die Hoffnung ruht jetzt, wie in Anfangszeiten, wieder mehr auf dem Kaffeegeschäft. Mehr Ausschank, mehr Espresso und mehr Pads (Kleinportionspackungen) sollen das Geschäft beleben.
Damit hat Tchibo akzeptiert, dass sich sein Geschäftsmodell nur sehr begrenzt ausdehnen lässt. Schlimmer noch: Die Hamburger mussten erkennen, dass sie bei Gebrauchswaren - dem Hauptgeschäft - austauschbar geworden sind. Alles kalter Kaffee, bis auf den Kaffee.
Die neue Einsicht und Bescheidenheit passten so gar nicht zu dem Machertypen Ammer, der Tchibo zu neuen Höhen führen wollte. Tatsächlich erkennen Konzerninsider im aktuellen Programm "Stärken stärken" die Handschrift von Markus Conrad. Seit Anfang des Jahres leitet der 46-Jährige das Handelsgeschäft im Unternehmen: die operativ zentrale Position. Ammer fungiert seither als Chef der Holding, unter der Tchibo und Beiersdorf zusammengefasst sind.
Anders als der Konzernchef gilt Conrad als enger Vertrauter der Familie Herz - und dort hat die Bereitschaft für weitere Offensivexperimente stark abgenommen. Deshalb verändern die Gesellschafter auch das Gehaltssystem der Spitzenkräfte. Um den Expansionsdrang zu bremsen, soll die Vergütung künftig nicht mehr so stark vom kurzfristigen Umsatz- und Ergebnisplus abhängen.
Die Ammer-Projekte sind beerdigt. Aber was wird aus Ammer? Kaum einer glaubt, dass er sich mit dem Posten des Holdingchefs auf Dauer zufriedengeben wird. Da sind die Spielräume für den Visionär und Strategen Ammer sehr eng.
Außerdem beschäftigen den Privatunternehmer Ammer zahlreiche Geschäfte, die mehr Spannung versprechen. Hier kann er seine Qualitäten entfalten und muss nicht, wie bei Tchibo, lavieren. Nicht ausgeschlossen also, dass Ammer von sich aus den Rückzug antritt. Zumal Clanchef Michael Herz keine Initiative zeigt, seinen Spitzenmann zu halten. Ammers Vertrag läuft im Juni 2008 aus.
Immerhin kann sich der Konzernlenker dann rühmen, es für Tchibo-Verhältnisse lange an der Spitze ausgehalten zu haben. Die durchschnittliche Verweildauer der letzten 15 Vorstände liegt bei rund drei Jahren.
Herz-Schmerzen
Herz-Schmerzen
Wer über Tchibo entscheidet - und wer nicht mehr
Familien-Trennung: Jahrzehntelang führte die Familie Herz selbst bei Tchibo die Geschäfte. An der operativen Spitze standen nach dem Tod des Vaters die Brüder Günter (66), Michael (63) und Wolfgang (56).
Im Hintergrund wirkten Bruder Joachim (65), Schwester Daniela Herz-Schnoeckel (52) und Mutter Ingeburg (86). Doch die Krämerdynastie geriet in Streit.
Der 17. Juni 2003 markiert in der Familienhistorie den Tag der Trennung. Enttäuscht, weil die übrigen Gesellschafter ihm nicht länger die Führung überlassen wollten, ließ sich Günter auszahlen, ebenso Schwester Daniela. Nun agieren die Herz-Stämme getrennt voneinander.
Kaffee-Runde: Seit der Spaltung teilen sich nur noch vier Herzens die Kontrolle über Tchibo. Neuer Herr im Hause ist Michael. Nachdem der ältere Bruder Günter ihm das Feld überlassen hat, wacht vor allem er über das Familienerbe. Michael und Wolfgang sind überdies bei der Floristikkette Blume 2000 und beim Buchgroßhändler Libri engagiert.
Sport-Verein: Rund vier Milliarden Euro erhielten Günter und Daniela zum Abschied für ihre Anteile. Das Geld brachten Bruder und Schwester in ihre Vermögensverwaltung Mayfair ein.
An einen ruhigen Lebensabend denkt Günter aber nicht. Nachdem sich Mayfair gut 25 Prozent am Sportartikler Puma gesichert hatte, übernahm der Tchibo-Erbe dort einen Sitz im Aufsichtsrat.
Ammers Nebenjobs
Das ist Ammer
Was den Tchibo-Chef nebenberuflich bewegt
Sonnenkönig: Der 17. März des vergangenen Jahres dürfte Dieter Ammer noch in guter Erinnerung sein. Da feierte die Conergy AG ihr erfolgreiches Börsendebüt; das Papier war 29-fach überzeichnet.
Der Hamburger Solaranlagenhersteller ist quasi Ammers Hobby - das ihn reich gemacht hat. Er selbst zählte 1998 zu den Gründern, beim IPO trennte er sich von Anteilen in Höhe von rund 45 Millionen Euro.
Ammer hält noch 12,67 Prozent an der Firma (Umsatz 2005: 530 Millionen Euro) und ist damit zweitgrößter Aktionär. Überdies sitzt der Tchibo-Chef dem Conergy-Aufsichtsrat vor.
Papierhändler: Über seine Ammax-Vermögensverwaltung pflegt der Tchibo-Vormann weitere Engagements. So besitzt Ammer 71,6 Prozent an dem Hamburger Papier- und Zellstoffhandel Gratenau & Hesselbacher (Umsatz pro Jahr: 200 Millionen Euro). Auch hält er 25 Prozent an dem Schweizer Mineralwasserhersteller Icelandic Water.
Aufseher: Ammer beschäftigen einige weitere Aufsichtsratsmandate. So sitzt er unter anderem in Kontrollgremien bei der Gea AG, bei der Heraeus Holding und bei der IKB Deutsche Industriebank.
Und tschüss: Topmanager verlassen Tchibo