Arbeitsrecht Standort-Malus
Firma eins ist konkursreif, Firma zwei übernimmt die Marken- und Vertriebsrechte, schließt die Produktion, sichert rund ein Drittel der Arbeitsplätze: So reibungslos, so nüchtern vollzieht sich bisweilen industrieller Wandel.
In grauer Theorie.
Real dagegen sind: eilfertige Advokaten, dienstbeflissene Richter und - vor allem - 563 durstige Rentner der Dortmunder Kronen-Brauerei.
Die wollten sich nicht damit abfinden, dass sie nach dem Übergang der Kronen-Vertriebsgesellschaft an die benachbarte Dortmunder Actien-Brauerei im Oktober 1996 auf eine sozialstaatliche Errungenschaft verzichten sollten: 20 Liter Gratisgebräu jeden Monat bis an ihr bierseliges Ende. Deputat heißt so etwas.
Gibt es das Freibier auch unter neuem Label? Oder fällt mit dem Aus für die Kronen-Bierherstellung die Geschäftsgrundlage für den Seniorentrank weg? Ein zweifelsohne süffiges Sujet, das fürderhin so manch trockenen Thekentreff belebte und juristische Schriftsätze füllte.
Unterstützt von ihrer Gewerkschaft, klagten die streitbaren Pensionäre vor dem Arbeitsgericht Dortmund; die schäumende Angelegenheit gelangte vor die nächste Instanz; das Landesarbeitsgericht Hamm entschied zwei Musterfälle, zu Lasten des Unternehmens.
Jetzt werden wohl noch die Bundesarbeitsrichter bemüht. Die könnten vielleicht irgendwann im Herbst 2000 klären, wer die Zeche zahlt. Dann jährt sich der Auslöser für die Prozesswelle, die Übernahme einer maroden Firma, zum vierten Mal.
Skurrile deutsche Arbeitswelt.
Deutschland scheint auf dem besten Weg, seinen Ruf als Wirtschaftsplatz mit einer Mischung aus juristischer Detailfreude und manischer Rechthaberei zu Grunde zu richten. "Jede Lappalie", schimpft Ernst-Dieter Berscheid, Vorsitzender des Arbeitsrichter-Bundes, "wird heutzutage durch die Instanzen getrieben."
Das Arbeitsrecht als Standortfalle?
Wer hier zu Lande einem Mitarbeiter kündigt, seinen Betrieb umbauen oder mit einem anderen fusionieren will, muss stets gewärtigen, vor Gericht zitiert zu werden - und dort nicht immer an die Richtigen zu geraten. Selbstgerechte Urteilsfinder, die sich im Zweifelsfall auf die Arbeitnehmerseite schlagen, entscheiden oft wider ökonomische Vernunft; die unausweichliche Härte des Weltmarktes etwa passt nicht so recht in ihr Argumentationsschema.
Reichlich Ärger hat sich darüber aufgestaut landauf, landab. Noch nicht einmal jeder zehnte Betrieb hat Vertrauen in die Arbeitsrechtsprechung, so eine Mitgliederbefragung der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU). Und mehr als drei Viertel sehen sich durch das Arbeitsrecht daran gehindert, neue Jobs zu schaffen.
Jeder juristische Kniff wird genutzt, um wenigstens den widersinnigsten Klauseln zu entgehen. Verunsicherte Unternehmer flüchten aus den Tarifverbänden oder treten gar nicht erst ein. Ausländische Investoren sind bestenfalls irritiert, schlimmstenfalls bleiben sie weg.
Derweil produziert die Klagebranche im Akkord. Mehr als 600.000 Konflikte werden jedes Jahr vor den 124 deutschen Arbeitsgerichten ausgetragen (siehe Grafik oben). Auf die Gesamtheit der deutschen Unternehmen umgelegt, findet sich dort jeder Betrieb alle drei Jahre als Beklagter oder Kläger ein. Zwar gingen die Erstinstanzverfahren im vergangenen Jahr um rund 7 Prozent zurück, gleichzeitig aber werden die Auseinandersetzungen verbissener. Deutlich mehr Streitigkeiten kamen vor die Landesarbeitsgerichte, das Bundesarbeitsgericht (BAG) meldete ebenfalls einen Zuwachs.
In den drei Instanzen urteilen mehr als 1.100 Berufsrichter; Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände benennen zusätzlich zigtausend ehrenamtliche Beisitzer.
Die überdrehte Juristerei verschlingt jährlich hunderte Millionen Mark - für Personal, Arbeitsausfall oder Spesen. Unternehmen zahlen mehrfach. Sie allein tragen die Kosten für betriebliche Einigungsstellen, im Konfliktfall dem Rechtsweg vorgeschaltet.
Das verästelte System geht nicht nur ins Geld, seine Urteile strapazieren den Menschenverstand bisweilen aufs Ärgste. "Erfahrungssätze des Lebens", weiß der Bonner Arbeitsrechtler Klaus Hümmerich, würden nicht selten "über Bord geworfen". Was am Ende dabei herauskomme, seien Fälle, die der Rheinländer unter "Karnevalisierung des Arbeitslebens" subsumiert.
Warum ein Banker bei offener Bürotür bügelt? Man kann nicht immer nur Kreuzworträtsel lösen.
Das Landesarbeitsgericht Berlin entscheidet zu Gunsten eines Bankangestellten, der nach einer gescheiterten Änderungskündigung kaum noch etwas Sinnvolles zu tun bekommt. Der Banker nutzt den Freiraum, löst während der Dienstzeit Kreuzworträtsel, bessert Kleidungsstücke aus und bügelt auch schon mal bei offener Bürotür - zeitweilig bleibt er gar daheim. Alles im Einklang mit Recht und Gesetz, bürsten die Hauptstadtrichter das klagende Geldinstitut ab: Weil er "nicht angemessen" beschäftigt worden sei, habe der wortgewandte Hausmann seine Arbeitsleistung "zurückbehalten" können.
Warum sich ein rückgratlädierter Betriebsrat in seinem Zweitjob krumm legt? Der Laden muss schließlich laufen.
Ein Versicherungsangestellter, nebenbei Betriebsratsvorsitzender, überschüttet seinen Arbeitgeber nach dem Urlaub mit ärztlichen Attesten (Verdacht: Bandscheibenvorfall). Die Assekuranzmanager finden heraus, dass ihr Mitarbeiter geschäftsführender Gesellschafter einer Berliner Firma ist - und entwickeln detektivisches Gespür.
Bei einem Lokaltermin in Berlin sehen sie den Lendenwirbelgeplagten eine schwere Kiste aus dem Auto wuchten; wenig später stellen sie ihn an seinem Büroschreibtisch zur Rede. Der Mann schweigt, wird mit Zustimmung des Betriebsrats fristlos entlassen, klagt - und bekommt Recht. Nebentätigkeiten, so das Kölner Landesarbeitsgericht, dürfen prinzipiell auch während einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ausgeübt werden.
Warum ein untreuer Teppichverkäufer Betriebsrente bekommt? Aber es tat ihm doch leid.
Der Substitut in der Teppichabteilung eines Düsseldorfer Kaufhauses betrügt seinen Arbeitgeber jahrelang mit gefälschten Verkaufsquittungen um insgesamt 190 000 Mark und wird schließlich wegen fortgesetzter Untreue verurteilt. Das Unternehmen kündigt dem Mitarbeiter fristlos. Dessen betriebliche Altersrente muss es trotzdem zahlen, befindet das Bundesarbeitsgericht. Der Mann habe sich reuig gezeigt, zudem ließen "viereinhalb Jahre Treulosigkeit" nicht die gesamte Dauer seiner Betriebszugehörigkeit "als wertlos erscheinen".
Wer beim Drachenfliegen nach Dienstschluss in knochenbrecherische Turbulenz gerät oder sich beim sonntäglichen Fingerhakeln verknotet, bekommt während der verletzungsbedingten Fehlzeit weiter sein Gehalt. Wer häufiger unentschuldigt fehlt, darf trotzdem nicht gekündigt werden, wenn er früher immer pünktlich gekommen ist. Wer auf der Insel Föhr gedankenverloren im Watt wandert, tut dies zu Recht auf Firmenkosten, der erholsame Trip ist schließlich als Bildungsurlaub deklariert - Thema: "Nordsee - Müllkippe Europas?"
Stehen Unternehmen vor Gericht, wirkt die Sache nur in geraffter Rückschau spaßig. Niederschmetternd sei das Ganze, befinden die Firmenlenker; der unerfreuliche Trend, befürchten sie, verschärft sich noch.
Gut möglich. Nach der rot-grünen Machtübernahme funktioniert die Symbiose zwischen Rechtsprechern und Gesetzgebern bislang jedenfalls blendend:
- Zum 1. Januar strich die Schröder-Regierung etliche Gesetze aus der Kohl-Ära, unter anderem Erleichterungen beim Kündigungsschutz.
- Die Novelle zur Scheinselbstständigkeit erweitert den Geltungsraum des Arbeitsrechts und erweist sich, trotz Reparatur, als "bürokratisches Ungetüm" (DIHT-Präsident Hans Peter Stihl).
- Neue Steuerparagrafen verteuern Abfindungen: Die Unternehmen müssen brutto mehr zahlen, damit netto das Gleiche für ihre Ex-Beschäftigten übrig bleibt; tun sie das nicht, droht ein kostspieliger Rechtsstreit.
- Die Bundesarbeitsrichter räumten den Gewerkschaften ein Klagerecht gegen tarifwidrige Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Betriebsräten ein (siehe Kasten links). Jetzt sind viele betriebliche Bündnisse für Arbeit gefährdet.
- Die Regierung will das Betriebsverfassungsgesetz reformieren. Setzen sich die bisher bekannten Vorstellungen durch, werde der Betriebsrat zum Mitunternehmer, sorgt sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Präsident Dieter Hundt: "Ein standortgefährdendes Abenteuer".
Die Rechtsoffensive von links, so viel scheint gewiss, bringt mehr Arbeit für die Robenträger. Die stöhnen schon jetzt über die Klageflut. Ein Arbeitsrichter in erster Instanz muss im Schnitt 660 Verfahren pro Jahr betreuen, 100 mehr als der Personalschlüssel vorsieht.
Über zwei Jahre erstrecken sich Kündigungsschutzprozesse. Eine "flotte Geschichte" findet das der neue BAG-Präsident Hellmut Wißmann (siehe "BAG-Präsident Wißmann verteidigt die Rechtsprechung"). Für Praktiker wie Siemens-Personalvorstand Peter Pribilla wirkt das "umfangreiche, unübersichtliche und teilweise zu komplizierte" Arbeitsrecht dagegen als "Bremse". Die Verfahren, fordert der Konzernmanager, müssten "schneller entschieden" werden.
Dabei war alles gut gemeint anno 1839, als das preußische "Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" den Beginn des gesetzlichen Arbeitsschutzes markierte. Fast 100 Jahre später wurde die Arbeitsgerichtsbarkeit aus dem allgemeinen Zivilrecht ausgegliedert. Staatliche Arbeitsgerichte ersetzten Gewerbe-, Kaufmanns- oder Innungsgerichte. 1953 schließlich entstand als letzte Stufe das Bundesarbeitsgericht.
Bis heute allerdings fehlt das passende Gesetz zum ausgeklügelten Instanzenkonstrukt. Das Arbeitsrecht ist zersplittert in eine Vielzahl unterschiedlichster Regelwerke und Tarifverträge. Ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch, schon im vergangenen Jahrhundert angemahnt, gibt es in Deutschland immer noch nicht.
Die Konsequenzen der legislativen Impotenz sind fatal. Der ökonomisch so bedeutsame juristische Zweig wurde nahezu komplett den Richtern überlassen. Die suchen nach einer möglichst gerechten Lösung im Einzelfall. Normen, die den Unternehmen Rechtssicherheit über den Kasus hinaus garantieren, können sie nicht setzen.
Das Arbeitsrecht scheint "ins Schleudern" geraten zu sein, resümiert der ehemalige BAG-Präsident Otto Kissel in seinem Buch "Standortfaktor Arbeitsrecht"*. Zufällig, beliebig und vorläufig seien die Bestimmungen. Personalplanung werde zum Hasardspiel, "gesamtwirtschaftliche Gefahren" drohten.
Ganz so zufällig erscheint vielen Unternehmern die vermaledeite Jurisdiktion indes nicht. Sie zweifeln an deren Objektivität. Viele Berufsrichter, so ihre Erfahrung, sympathisierten mit dem Arbeitnehmerlager.
Was Wunder: Das ganze System ist darauf angelegt. Über das Bundesarbeitsgericht wacht der Bundesarbeitsminister, traditionell ein Gewerkschaftsmann; die Richter wählt ein politisch besetzter Ausschuss, der Arbeitsminister muss dem Vorschlag zustimmen.
Letztlich, so der Kölner Rechtsanwalt Wolfgang Höfft, stünden die Juristen damit unter mittelbarer Dienstaufsicht der Gewerkschaften: "Wer aufsteigen will, darf es sich mit ihnen nicht verderben."
Sicher: Auch im heraufziehenden 21. Jahrhundert gibt es noch rüde Machiavellis in den Chefetagen, die ihre Beschäftigten Manchester-like auf die Rolle des willfährigen Lohnempfängers reduzieren wollen. Doch genauso sicher haben sich im deutschen Arbeitsrecht Fehlentwicklungen verfestigt, die den kooperativsten Unternehmensführer schaudern lassen - weil sie wirtschaftlichen Wandel blockieren, die Jobkrise konservieren, den Standort blamieren.
Wer seinen Betrieb grundlegend verändern, mit einem anderen zusammenschließen oder eine Firma kaufen will, tappt nur zu leicht in die Fangeisen des Arbeitsrechts. Viele Unternehmen unterschätzen die Gefahren im Umgang mit Interessenausgleich, Sozialplan und Sozialauswahl.
Gewiss, der Gesetzgeber hat die Leitlinie für Sozialplanansprüche vorgegeben: Das Gesamtvolumen solle den Fortbestand des Unternehmens nicht gefährden. Doch das BAG ist in mehreren Entscheidungen längst von diesem Präjudiz abgerückt. Ein Sozialplan dürfe sich durchaus "einschneidend" auf die Ertragskraft des Unternehmens auswirken. So könne er etwa die Summe, die durch die Betriebsänderung in einem Jahr eingespart würde, komplett aufzehren.
Bei größeren Umbauten kommt einiges zusammen. 215 Arbeitsgerichtsprozesse führte zum Beispiel der krisengeschüttelte Bauriese Philipp Holzmann im vergangenen Jahr, 46 Millionen Mark gab der Frankfurter Konzern für Abfindungen aus.
Solche Summen mögen Großbetriebe noch verkraften; Mittelständler aber treiben überdimensionierte Sozialpläne nicht selten in den Ruin. Bei einem rheinischen Holzverarbeiter überstiegen die Kosten das Stammkapital - der Inhaber meldete Konkurs an.
Von wegen freies Unternehmertum: Das Tempo des industriellen Wandels bestimmen meist die Betriebsräte. Bis Jahresanfang konnten die Arbeitnehmervertreter eine Umstrukturierung durch geschicktes Taktieren maximal drei Monate hinauszögern, seit dem 1. Januar 1999 gilt diese Grenze nicht mehr. Die Konsequenz: Die Räte sind oft nur dann zum schnellen Abschluss eines Interessenausgleichs bereit, wenn beim anschließenden Sozialplan ein paar Mark draufgelegt werden.
Auch das Umwandlungsgesetz, das unter anderem den Umbau von Konzernen regelt, hat seine Tücken: So haftet nach einer Aufspaltung in mehrere Betriebe der gesündere Teil noch fünf Jahre für den siechen Part mit - und droht bei dessen Exitus gleichfalls zu Grunde zu gehen.
Eine ökonomisch vernünftige Sozialauswahl wird, dank der Rechtsprechung, zur Denksportaufgabe. Die Sichtweise des Arbeitsrechts ist klar: Wenn schon betriebsbedingt entlassen, dann nicht die Älteren, auch nicht die mit langer Betriebszugehörigkeit, erst recht nicht die mit Unterhaltspflichten.
Am Ende trifft es die leistungsstarken, flexiblen Singles, mit denen das Unternehmen eigentlich noch viel vorhatte. "Eine sinnvolle Sozialauswahl", weiß Arbeitsrechtler Hümmerich, "ist in größeren Betrieben kaum mehr durchführbar."
Norbert Sondermann, früherer Personalvorstand und seit September neuer Chef beim Frankfurter Anlagenbauer Lurgi, hat das gerade erst bitter erfahren. Die Firma hatte sich vor zwei Jahren betriebsbedingt von 226 Mitarbeitern getrennt. Weil das Unternehmen einen "homogenen Altersaufbau" sicherstellen wollte, hatte Sondermann mit dem Okay des Betriebsrats die Beschäftigten in drei Altersklassen geteilt und dann innerhalb der Gruppen nach sozialen Kriterien gekündigt.
Der Gruppenzwang führte dazu, dass etliche Lurgi-Senioren entlassen wurden, Jüngere dagegen bleiben durften. Ende Juni erklärte das hessische Landesarbeitsgericht die elegante Rausschmiss-Variante für unhaltbar. Lurgi wollte weiter kämpfen, doch die Landesrichter verweigerten die Revision. Jetzt muss die Firma Millionen Mark Gehälter nachzahlen - und die Ausgesonderten wieder beschäftigen.
So wenig kalkulierbar schon betriebsbedingte Kündigungen sind, bei Entlassungen, die sich auf das Verhalten des Arbeitnehmers stützen, sind Unternehmen oft einer "lotteriegleichen Rechtsprechung" (Hümmerich) ausgeliefert.
Die provoziert bei juristischen Laien nicht selten kopfschüttelnde Verständnislosigkeit. So erklärte das Arbeitsgericht Bonn die Kündigung eines Arbeitnehmers für unwirksam, der wegen Vergewaltigung verurteilt worden war. Der Arbeitgeber hätte die Rechtskraft des Urteils abwarten müssen, bevor er den Mann entließ. Der Mitarbeiter verschwand schließlich hinter Gittern - mit einer üppigen Lohnnachzahlung auf dem Konto.
Absurd erscheint auch ein Urteil des nordrhein-westfälischen Landesarbeitsgerichts in Hamm. Eine Schwangere muss bei einer Bewerbung über ihren Umstand keinerlei Auskunft geben. Es sei denn, sie will einen Job, den sie während ihrer Schwangerschaft, etwa aus gesundheitlichen Gründen, nicht ausüben darf oder kann. Schwieg sie auch in diesem Fall, konnte der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag anfechten - bis zum Hammer Urteil im März dieses Jahres. Seitdem hat er diese Möglichkeit nicht mehr. Der Arbeitgeber muss somit für eine Arbeitsleistung bezahlen, die von vornherein nicht erbracht werden konnte.
So paradox es klingt: Am schwersten tut sich ein Unternehmer, der einen Mitarbeiter gar nicht entlassen, sondern ihn nur auf eine andere Stelle setzen will. Das Bundesarbeitsgericht stelle an eine Änderungskündigung so scharfe Anforderungen, klagt die BDA, dass der Eindruck entstehe, der Inhalt eines Arbeitsverhältnisses sei "stärker geschützt" als dessen Bestand.
Für Anwalt Hümmerich verbirgt sich hinter all diesen Miss-Fällen ein völlig verfehltes Ökonomieverständnis: Das Weltbild vieler Arbeitsrichter, so der Jurist, sei von einem "Kindchen-Schema" geprägt - der "gute" Arbeitnehmer müsse vor dem "bösen" Kapitalisten geschützt werden.
Allzu häufig mangelt es den Arbeitsrichtern zudem an wirtschaftlicher Expertise. Drei Viertel der Unternehmen glauben laut ASU-Umfrage, dass Arbeitsrichter weder über genügend ökonomische Kenntnisse verfügen, noch wüssten sie, was wirklich in den Betrieben geschehe.
Skrupel, sich über die Unternehmen auszulassen, haben sie gleichwohl nicht. Als die Gelsenkirchener Veba Oel AG, eine Tochter des Veba-Konzerns, wegen personeller Überkapazitäten und hoher Verluste im Raffineriebereich Mitarbeiter entließ, erteilten die Arbeitsrichter dem Unternehmen in einem Kündigungsschutzprozess eine Abfuhr. Der gesamte Stellenabbau sei "willkürlich", verfielen die Rechtswalter ins Grundsätzliche, schließlich habe der Veba-Konzern kontinuierlich die Gewinne gesteigert und obendrein hohe Dividenden ausgeschüttet.
Das reichte den Juristen - und vielen Beobachtern auch, die aus der Urteilsbegründung "klassenkämpferische Töne" heraushörten.
Solche Rechtsergüsse klingen besonders in den Ohren von Managern, die sich im globalen Wettbewerb bewähren müssen, wie Hohn. Der Weltmarkt, stellt Gesamtmetall-Präsident Werner Stumpfe lapidar fest, nehme "auf die Wünsche deutscher Arbeitsrichter keine Rücksicht".
Als wäre die Lage nicht schon desperat genug, mischen sich auch noch die Euro-Richter zunehmend in das deutsche Arbeitsrecht ein. Unter tätiger EU-Mithilfe hat es so der reichlich triviale Krankheitsfall des italienischen Wartungsschlossers Vittorio Paletta zu juristischem Weltruhm und nebenbei zum zehnjährigen Jubiläum gebracht (siehe "Wie der Schlosser Vittorio Paletta zum Jahrhundertfall wurde").
Meist orientiert sich der Europäische Gerichtshof bei seinen Entscheidungen am höchsten sozialen Schutzniveau. Motto: Das arbeitnehmerfreundlichste Land diktiert die Rechtsprechung.
So recht, so schlecht. Muss die deutsche Wirtschaft die quälende Juristerei machtlos hinnehmen?
Es sieht so aus, die politische Gemengelage ist jedenfalls danach. Ob sich in der Bundesregierung wirklich die wirtschaftsfreundliche Schröder-Linie durchsetzt, bleibt ungewiss. Und wenn - ein liberaleres Arbeitsrecht steht auch dann nicht obenan.
An Auswegen aus der Arbeitsrechtskrise mangelt es zwar nicht, nur gehen will sie keiner der Verantwortlichen. Für eine Radikallösung, die Integration des Arbeitsrechts in das allgemeine Wirtschaftsrecht, gibt es keine politische Mehrheit. Das überfällige Arbeitsgesetzbuch kommt wohl auch in dieser Legislaturperiode nicht.
So bleiben, wenn überhaupt, kosmetische Korrekturen: ein Kündigungsschutz light für Existenzgründer vielleicht oder Maßnahmen zum Beschleunigen von Prozessen.
Bei all dem Wehklagen - viele Unternehmen verdienen es nicht besser. Denn meist wird hinter verschränkten Händen gegrummelt, offensiv äußern sich nur wenige. Das Arbeitsrecht, sagt Anwalt Hümmerich, werde von einer "Mauer des Schweigens" umschlossen.
Das Thema tangiert das soziale Grundverständnis und ist deshalb so brisant. Wer als Unternehmer zu lautstark reklamiert, läuft Gefahr, dafür im nächsten Arbeitsgerichtsprozess büßen zu müssen.
Einige Arbeitgebervertreter scheinen gar von einer akuten Beißhemmung befallen - aus Angst, sonst mit einer besonders unternehmerfeindlichen Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes abgestraft zu werden. "Wir stecken in einer taktischen Zwickmühle", jammert ein Lobbyist, "und warten lieber erst einmal auf die Vorschläge der Regierung."
Vielleicht hat die auffällige Reserviertheit auch etwas mit der spezifischen Win-win-Situation unmittelbar Beteiligter zu tun. Die Personalchefs von Großunternehmen etwa lernen als ehrenamtliche Beisitzer mit der Zeit eine Menge Arbeitsrichter kennen und spekulieren, allzu menschlich, auf deren Wohlwollen, steht ihre eigene Firma vor Gericht. Und die hauptamtlichen Urteilsverkünder streichen bisweilen ein stattliches Zweitsalär ein - als Vorsitzende der betrieblichen Einigungsstellen der Konzerne.
Da werden schon mal Honorare von 150.000 Mark und mehr ausgeschüttet. Alles in allem wenden deutsche Unternehmen nach einer Hochrechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft jährlich rund 190 Millionen Mark für die Zusatzverdienste der beamteten Juristen auf.
Was auch immer die verbreitete Zurückhaltung befördern mag: Der Standort Deutschland droht derweil weiter zurückzufallen.
Im jüngsten Wettbewerbsranking des Genfer Weltwirtschaftsforums sackte Deutschland unter 59 Ländern auf Rang 25 ab - hinter Österreich und Belgien. Einer der Gründe für das miese Zeugnis: der rigide Arbeitsschutz.
Nur in einem Fall nehmen die Verteidiger des strengen deutschen Arbeitsrechts die sozialen Standards offenbar nicht so genau: wenn sie selbst Arbeit geben. Vor dem Düsseldorfer Landesarbeitsgericht klagen derzeit Mitarbeiter des Deutschen Gewerkschaftsbunds gegen die Kürzung ihrer betrieblichen Altersrente - mit guten Chancen.
In erster Instanz haben sie schon gewonnen.
*Otto Rudolf Kissel: "Standortfaktor Arbeitsrecht"; FAZ-Verlag, Frankfurt/Main 1999, 68
Mark.
Warum der Fall Burda die Bündnisse für Arbeit gefährdet