Editorial Außer Kontrolle
Ferdinand Piëch sprach den schlichten Satz vor fünf Jahren aus. Es war jene historische Pressekonferenz, auf der er den umstrittenen Wechsel des Chefeinkäufers Ignacio López von General Motors zu VW rechtfertigte und über seine Branche vermerkte: "Es ist Krieg."
Im Krieg gelten keine Regeln. Im Krieg gibt es weder Strafrecht noch Zivilrecht, da herrscht ein rechtloser Zustand. Siegen ist alles.
Was bedeuten in einer solchen Gedankenwelt schon Eigentumsrechte, was Verträge? VW kauft für 1,4 Milliarden Mark Rolls-Royce; daß die Namensrechte für die Hauptmarke bei einem anderen britischen Unternehmen liegen, wird schlicht mißachtet. Ein Piëch, so lautet das Wolfsburger Axiom, kriegt, was er haben will.
Im Eifer des Gefechts und in heilloser Selbstüberschätzung hat der VW-General dann auch noch geflissentlich übersehen, daß die Kollegen in München dank ihrer Verbindung zum Triebwerkhersteller Rolls-Royce quasi in einer Vetoposition saßen. Das Ergebnis war ein Waterloo, wie es ein deutscher Unternehmenschef selten, wenn überhaupt jemals, erlebt hat.
Ein Ausrutscher, eine einmalige Fehlleistung? Wohl kaum. Der leidvolle Fall López weist verblüffende Parallelen zum Kampf um Rolls-Royce auf; nur daß hier nicht bestehende Verträge ausgeblendet wurden, sondern einige Paragraphen des Strafrechts. Kistenweise hatte, wir erinnern uns, Ignacio López, das vermeintliche Managementgenie, Unterlagen von General Motors mitgehen lassen. Wie im Fall BMW schien Piëch nicht mit Widerstand des Gegners zu rechnen.
Doch GM/Opel wehrten sich heftig. Den VW-Managern drohte schließlich in den USA ein Prozeß wegen "organisierter Kriminalität", Piëch mußte die Kapitulation einreichen. López, der Unverzichtbare, wurde verabschiedet; zum Preis von 100 Millionen Dollar war GM bereit, den Kampf einzustellen. Das Debakel war einzigartig.
Ferdinand Piëch, keine Frage, verfügt über bemerkenswerte Qualitäten. Er hat VW für die globalisierten Märkte fit und zum unangefochtenen Marktführer in Europa gemacht, er hat den Börsenwert vervierfacht. Doch einer, der Wettbewerb mit Krieg verwechselt und dann auch noch so handelt der bedarf eines Umfelds, das ihm zuweilen Grenzen steckt, um Deutschlands zweitgrößtes Unternehmen vor Schaden zu bewahren.
Im Vorstand von VW gibt es offenkundig keinen (mehr), der dies wagen würde. Und was tut der Aufsichtsrat? Schon bei der López-Affäre war zu fragen, warum das Kontrollgremium nicht rechtzeitig mäßigend eingriff. Beim Erwerb von Rolls-Royce haben sich die Aufsichtsräte auf die Rolle des Beifallspenders beschränkt: Wieder mal ein schönes Beispiel, wie Unternehmenskontrolle hierzulande verstanden wird.