Telefónica Vormarsch der Eroberer
Am liebsten schweigt der Mann. Seit seinem Amtsantritt im Juli 2000 hat Telefónica-Chef César Alierta (60) kein Interview gegeben. Auch wenn er seine wenigen öffentlichen Auftritte absolviert, scheut der Jurist mit dem Knautschgesicht die freie Rede und hält sich peinlich genau an das Redemanuskript.
Selbst als Alierta am 31. Oktober vergangenen Jahres in Madrid seinen bislang spektakulärsten Deal verkündete, gab er sich maulfaul. Mit dürren Worten verkündete er die größte Cash-Offerte, die je ein Unternehmen im europäischen Telekommunikationsmarkt unterbreitet hat. Für 26 Milliarden Euro will Telefónica den britischen Mobilfunker O2 übernehmen. Ende Januar teilte Telefonica mit, bereits 76,5 Prozent an O2 zu halten. Die Spanier sehen damit die Bedingungen für eine Übernahme als erfüllt an.
Die Südländer sind wieder auf Beutezug. Drei Jahre nachdem sie kläglich mit ihren UMTS-Engagements in Europa gescheitert sind, suchen sie nun erneut, ihr Imperium gen Norden auszuweiten. Mit der O2-Akquise sichert sich der Ex-Monopolist eine viel versprechende Ausgangsposition im britischen, irischen und deutschen Mobilfunkmarkt. Schon fürchten die Manager in der Bonner Telekom-Zentrale die Spanier als härteste Konkurrenten.
In Lateinamerika sind die Konquistadoren der Neuzeit bereits die Champions. Telefónica dominiert das Telekommunikationsgeschäft in Brasilien, Argentinien und Peru. In seiner fünfeinhalbjährigen Amtszeit gelang es Alierta, das Unternehmen zum führenden Mobilfunkbetreiber in Südamerika auszubauen.
Doch "Cäsar", so sein Spitzname, will mehr. Telefónica soll "zum besten und größten integrierten Telekommunikationsanbieter der Welt" aufsteigen.
Ein ambitioniertes Vorhaben. Dem hoch gewachsenen Krauskopf trauen Kenner indes einiges zu. "Bislang hat Alierta immer das Richtige zum richtigen Zeitpunkt getan", lobt Nahúm Sánchez, Analyst bei der Caja Madrid Bolsa. "Als der Markt eine Restrukturierung forderte, hat er das Nötige getan. Als der Markt Wachstum wollte, ging er auf Expansionskurs."
Jenseits der spanischen Landesgrenzen ist das Vertrauen in den Mann aus Zaragoza weniger ausgeprägt. "Die Akquisition von O2 wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet", resümiert Bosco Ojeda, Analyst bei UBS Investment Research. Telefónicas Vorpreschen in reife und wettbewerbsintensive Märkte sei wenig überzeugend, bemängelt Ojeda. Zumal der Goodwill beim O2-Erwerb - also der Preis, der über den Buchwert hinaus bezahlt wird - bei rund elf Milliarden Euro liegt.
Trümmer des New-Economy-Wahns
Schon gibt es Befürchtungen, der scheue Alierta trete in die Fußspuren seines schillernden Vorgängers Juan Villalonga (51), der Telefónica Ende der 90er Jahre mit überteuerten Zukäufen belastete.
Doch keiner kennt die Fehler Villalongas genauer als Alierta. Der Ex-Tabakmanager leitete nach seinem Amtsantritt im Juli 2000 einen radikalen Kurswechsel ein, trennte sich von unrentablen Beteiligungen, baute massiv Personal ab und richtete das Unternehmen wieder auf das Kerngeschäft aus.
Ein Mammutjob, galt es doch, die Trümmer des New-Economy-Wahns zu beseitigen, die Publikumsliebling Villalonga ab 1996 angehäuft hatte: Radio- und Fernsehbeteiligungen, Web-Firmen und TV-Produzenten - viel Luft, wenig Substanz. 12,5 Milliarden Dollar hatte der spanische Eroberer per Aktientausch in die Internetplattform Lycos investiert, die sich als Dauer-Verlustbringer erwies. Aktien im Wert von 4,8 Milliarden Euro blätterte er für den Big-Brother-Produzenten Endemol hin, der heute gerade mal 1,25 Milliarden Euro wert ist.
Villalonga hatte nichts unversucht gelassen, in neuen Märkten dick mitzumischen. 1999 heuerte er gar den damaligen EU-Kommissar Martin Bangemann (71) mit einem hoch dotierten Beratervertrag als Cheflobbyisten an. Das Engagement des branchenkundigen Schwergewichts löste europaweit eine Debatte über Interessenkollisionen zwischen Wirtschaft und Politik aus.
Als Villalonga sich im Sommer 2000 anschickte, Telefónica mit dem niederländischen Telefonkonzern KPN zu fusionieren und er zudem in den Verdacht des Insiderhandels kam, drängte der Aufsichtsrat den visionären Entertainer zum Rücktritt.
Sosehr Villalongas Abgang beklatscht wurde, so wenig überzeugte anfänglich die Nachfolgeregelung in dem imposanten Firmensitz an der Madrider Prachtstraße Gran Vía. Die Berufung von César Alierta im Juli 2000 galt als Notlösung. Schließlich verfügte der Ex-Banker und Chef des Tabakriesen Altadis über keinerlei Erfahrung im Telekommunikationsgeschäft.
Selbst eine genauere Kenntnis der Branche hätte Alierta vermutlich nicht vor seinem größten Missgriff bewahrt - der Ersteigerung von UMTS-Lizenzen. Europaweit überboten sich die Telekom-Granden, um an die begehrten Luftleitungen zu kommen.
Der Höhepunkt des Auktionswahns fand in Deutschland statt. Und als die neu gegründete Mobilfunkgesellschaft Quam dann im November 2001 in Deutschland startete, verfügte sie über keinen einzigen Kunden, aber über Flaggschiff-Stores in den erlesensten Stadtlagen. "I have a dream" fabulierten die Werbetexter von Quam.
Zwischenlösung als Zugpferd
Der großspurige Auftritt geriet zum Alptraum. Im November 2002 stellte Telefónica seinen Mobilfunkdienst ein und empfahl seinen wenigen Kunden, zu T-Mobile zu wechseln.
Nach dem Quam-Desaster besann sich Alierta seiner buchhalterischen Fähigkeiten. Als Erster unter den großen europäischen Telekom-Chefs schrieb er rund fünf Milliarden Euro für seine UMTS-Lizenzen in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz ab und zog sich jenseits von Spanien aus dem europäischen Privatkundengeschäft zurück.
Konsequent baute Alierta den Konzern um. Er trennte sich von unrentablen Beteiligungen, reduzierte den Schuldenstand und stampfte die von Villalonga kreierte Medientochter Admira ein. Telefónica erhielt eine klare Ausrichtung mit drei operativen Einheiten: Festnetz Spanien, Aktivitäten in Lateinamerika sowie Mobilfunk (Telefónica Móviles).
Bereits ein Jahr nach dem Rekordverlust im Jahr 2002 schrieb der Konzern wieder schwarze Zahlen. Alierta, die vermeintlich blasse Zwischenlösung, erwies sich als dynamisches Zugpferd.
Und als Machtmensch. Völlig überraschend trennte er sich im Herbst 2003 von Fernando Abril-Martorell, den er drei Jahre zuvor als geschäftsführenden Vorstand zu Telefónica geholt hatte. Insidern zufolge war es zu einem Kompetenzgerangel zwischen den beiden Topmanagern gekommen. Mit dem Abgang Abrils stieg Alierta zum Alleinherrscher im Telefónica-Reich auf.
Zurückhaltend nach außen, fordernd nach innen, beschreiben Mitarbeiter Aliertas Führungsstil. Er sei ein Hierarch, der hinter verschlossenen Türen durchaus lautstark werden könne. Aliertas engster Führungszirkel ist ein fünfköpfiges Gremium, dem die Lenker der drei operativen Einheiten sowie der Finanzvorstand und der Strategiechef angehören.
"Alierta hat sich mit einem exzellenten Managementteam umgeben", urteilt Javier Baigorri, Partner beim Beratungsunternehmen DiamondCluster, "seine größte Stärke ist jedoch die Orientierung an den Finanzmärkten." Persönliches zählt da nicht. Als Aliertas Vertrauter Joaquín Agut, Leiter der Internetsparte Terra Lycos, anhaltend Verluste produzierte, musste er seinen Posten räumen und wurde zu Endemol abgeschoben.
Südamerika-Expansion als Bremsklotz
Abwickeln, umstrukturieren und neue Ziele ansteuern. Wie keinem Zweiten in der gebeutelten Telekom-Branche gelang es Alierta, den Konzern wieder auf Wachstumskurs zu trimmen. Im Heimatmarkt konnte Telefónica trotz scharfen Wettbewerbs seine dominante Stellung behaupten. Gezielt akquirierte Alierta weiter in Lateinamerika, um die Vormachtstellung seines Unternehmens zu sichern.
Für 4,7 Milliarden Euro kauften die Spanier vom US-Konzern Bell South zehn Mobilfunkbetreiber in Mittel- und Südamerika. Der Deal verhalf Telefónica zu führenden Positionen in zahlreichen Ländern, darunter Venezuela, Uruguay, Ecuador und Nicaragua.
Nahezu die Hälfte des Telefónica-Umsatzes stammt mittlerweile aus Südamerika. Das garantiert dem Konzern Wachstum, birgt aber auch Risiken. Stark schwankende Wechselkurse, politische Unsicherheit und teils hohe Inflationsraten in den lateinamerikanischen Staaten belasteten in den vergangenen Jahren immer wieder das Konzernergebnis und verschnupften die Finanzmärkte.
Für Alierta ein Ärgernis. Ausgerechnet die herausragende Stellung in Lateinamerika erwies sich als Bremsklotz für eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes. "Telefónica brauchte dringend eine neue Story für die Finanzmärkte", urteilt Berater Baigorri.
Die erste Chance zum Strategiewechsel bot sich im Frühjahr 2005. Gegen die Konkurrenz von Swisscom und Belgacom erhielten die Spanier für 2,7 Milliarden Euro den Zuschlag für die Mehrheit an Cesky Telecom, dem führenden Telefonkonzern Tschechiens.
Schon seit Monaten befindet sich die Branche im Übernahmefieber. Gefragt sind vor allem Mobilfunkunternehmen. So schnappte sich die Deutsche Telekom die österreichische Telering, KPN übernahm den Konkurrenten Telfort, und France Télécom sicherte sich für 6,4 Milliarden Euro die Mehrheit am drittgrößten spanischen Mobilfunker, Amena.
Im August vergangenen Jahres schickte sich die Deutsche Telekom an, den Überraschungscoup des Jahres zu landen. Gemeinsam mit KPN plante Konzernchef Kai-Uwe Ricke die Übernahme von O2. Der 20-Milliarden-Deal schlug jedoch fehl, weil sich Deutsche und Holländer nicht über Finanzfragen einigen konnten.
Es war die Stunde Aliertas. In Rekordzeit legte er O2-Chef Peter Erskine (54) ein freundliches Übernahmeangebot vor. Einstandspreis: 26 Milliarden Euro. "Das Angebot hat im Markt wie eine Bombe eingeschlagen", konstatiert Karl-Gerhard Eick (51), Finanzvorstand der Deutschen Telekom. Der gesamte Telekommunikationssektor geriet an den Aktienmärkten unter Druck, weil Ängste vor einem neuen Hype aufkamen.
Wie einst unter König Karl V.
Fürs Erste hat Alierta sein Ziel verfehlt, den Wert seines Unternehmens zu steigern. Zu teuer sei der Kauf, zu gering seien die Synergien, klagen viele Analysten.
Abwarten. Mit dem Kauf des britischen Mobilfunkers, der rund 26 Millionen Kunden zählt, erhöht Telefónica seinen europäischen Umsatzanteil außerhalb des Heimatmarktes von 5 auf 21 Prozent. Gemessen an der Kundenzahl ist O2 hinter T-Mobile und Vodafone die Nummer drei in Großbritannien und die Nummer vier in Deutschland.
Das Unternehmen gilt als Perle. 2001 von British Telecom (BT) abgespalten, entwickelte sich der marode Mobilfunkanbieter unter der Leitung Erskines zu einer der am schnellsten wachsenden Firmen des Sektors. Der deutsche Ableger konnte sowohl im dritten als auch im vierten Quartal 2005 sogar mehr Neukunden gewinnen als Primus T-Mobile.
Kann Alierta diese Erfolgsgeschichte fortschreiben? Sowohl der deutsche als auch der britische Markt sind weitgehend gesättigt und gelten mit vier beziehungsweise fünf Netzbetreibern als überbesetzt. Neue Billiganbieter jagen den etablierten Mobilfunkern Marktanteile ab.
Bislang ist es O2 mit aggressivem Marketing und innovativen Services gelungen, seine Position auszubauen und sich als Kultmarke zu positionieren. Wohl deshalb will Alierta O2 zunächst als eigene Marke und Tochtergesellschaft weiterführen und das bisherige Topmanagement halten.
Ein Etappenziel auf seinem Weg zum Weltkonzern hat der Telefónica-Chef mit der O2-Übernahme zumindest erreicht: Mit weltweit über 170 Millionen Kunden avanciert Telefónica zum größten europäischen Telekom-Konzern.
Doch damit ist der große Schweiger längst nicht zufrieden. "Wir wollen international weiter wachsen", verkündet der Telefónica-Chef - und handelt. Mitte November 2005 erlaubte ihm die chinesische Regierung, seinen Anteil am zweitgrößten chinesischen Festnetzbetreiber, China Netcom, auf 9,9 Prozent zu verdoppeln.
Im Reich des César Alierta geht die Sonne nie mehr unter - wie einst unter dem spanischen König Karl V.
Deutsche Perle
Deutsche Perle: Der Mobilfunker O2 hofft auf Eigenständigkeit
Prima Klima: Rudi Gröger (51) sieht sich als Gewinner. Klappt die Übernahme - und alles sieht danach aus - durch Telefónica, wird der Deutschland-Chef von O2 in die Führungsriege von Mobilfunktochter Telefónica Móviles aufsteigen. O2, das sicherten die Spanier zu, soll als eigenständige Marke erhalten bleiben. Gut für das Unternehmen, das in Deutschland rund 4300 Mitarbeiter zählt. Noch sind die Münchener mit knapp zehn Millionen Kunden der kleinste Netzbetreiber, doch sie holen mit Riesenschritten auf. Im vierten Quartal 2005 akquirierte O2 mit 823.000 Neukunden mehr Handynutzer als T-Mobile.
Pfiffige Offerten: Mit dem Kombi-Angebot "Genion" macht O2 Jagd auf die Kunden der Telekom. Der Dienst ermöglicht innerhalb einer Homezone Handygespräche zum billigen Festnetztarif. Seit gut einem Jahr paktiert O2 mit Kaffeeröster Tchibo, in dessen Filialen er Prepaid-Karten und Endgeräte vermarktet. Bislang konnte O2 über 440.000 "Tchibofonierer" gewinnen. Das Konzept, mit günstigen Einheitstarifen Kunden zu locken, hat zahlreiche Nachahmer gefunden, darunter Aldi.
Zu neuen Ufern: Spätestens Ende 2006 will Gröger in Konkurrenz zur Telekom ins DSL-Geschäft einsteigen. Telefónica Deutschland, die Geschäftskunden wie AOL betreut, könnte auch O2 die superschnellen Web-Anschlüsse liefern.