Firmenjets Chefetage auf Schwingen
Die Erfüllung seines Lebenstraums kostete ihn zwölf Millionen Dollar und 16 Monate intensiven Suchens, Feilschens und Organisierens.
"Ich kann jetzt", resümiert Nathan P. Myhrvold, Cheftechnologe bei Microsoft, am Ende der kostspieligen Mühsal, "ohne Schweißausbruch an drei Tagen hintereinander an einem Event in Santa Barbara, an einer Klausur in Chicago und einem Meeting in Manhattan teilnehmen."
Und auch für Ferienfreuden ist gesorgt: "Wenn ich an der Westküste bin, ist Hawaii ein komfortabler Wochenendtrip. An der Ostküste sind Palm Beach und die Bahamas ähnlich nahe." Er jubiliert: "Mein Weltbild ist wie neu erschaffen."
Was ist geschehen? Der Mann aus der Softwarebranche hat sich einen Business-Jet gekauft, eines jener elegant schlanken, zwei- oder dreistrahligen Flugzeuge, in die der stolze Besitzer jederzeit und ohne Ticket schlüpfen kann, um eben mal mit Mach 0,85 einen halben Kontinent weiter zu fliegen. In feinem Ledergestühl sitzend, umgeben von Luxustapisserie und unterhalten von einem persönlich zugeschnittenen Bordprogramm.
Das Thema Firmenjet ist heiß. Ein neuer Weltmarkt ist entdeckt. Die globale Epoche legt sich ihr maßgeschneidertes Reisemittel zu: globales Fluggerät. Im Zeitalter der Internationalisierung sind Topmanager mehr unterwegs als im heimischen Büro. Und da braucht es mobile Führungskräfte, die jederzeit an den Brennpunkten des Wirtschaftsgeschehens, auch den entlegensten, aufkreuzen können. Big Business in Himmelfahrtslaune.
Im Abstand von Monaten kommen neue Jet-Typen auf den Markt, die Wartelisten sind lang, die Wartezeiten liegen oftmals bei 24 Monaten und mehr. Und das bei Anschaffungspreisen von 20 bis 40 Millionen Dollar pro Flugzeug, jährlichen Betriebskosten zwischen 500.000 und 800.000 Dollar.
Es geht um Jets, die bis zu 14 Stunden in der Luft bleiben und rund 12.000 Kilometer, etwa die Strecke Tokio New York, nonstop zurücklegen können. Und alles dabei haben, was der Top dog braucht: Büroausstattung mit Telephon, Fax, Kopierer, eine komplette Küche, Bett, Dusche.
Gerade eben hatten die Hersteller Gulfstream und Bombardier ihre Gulfstream V (GV) und den Global Express (GEX) auf den Markt gebracht, superschnelle Luxusgeschosse mit exorbitanten Reichweiten, da folgen auch schon Boeing und Airbus mit der Auslieferung ihrer ersten Großraum-Geschäftsflieger. Die bieten obendrein Konferenzräume und Lounges. Und sogar ein separates Büro für den Chef.
Bei Boeing und Airbus brummt das Geschäft
Als sich Mitte der 90er Jahre der Boom für Business-Flieger abzeichnete, mochten die Linienanbieter den traditionellen Kleinjetherstellern wie Bombardier, Dassault oder Gulfstream den Markt nicht allein überlassen. Sie entwickelten aus erprobten Modellen, der 737 und dem A319, eigene Versionen. Zuerst kündigte Boeing seinen BBJ (für Boeing Business Jet) an, wenig später folgte Airbus Industrie mit dem A319CJ, wobei CJ für Corporate Jet steht.
Airbus hat bereits zehn Kunden, Boeing wird noch in diesem Jahr 29 Maschinen ausliefern. Der erste BBJ geht Mitte Juli in Dienst als fliegende Chefetage für den Miterfinder und Boeing-Geschäftspartner Jack Welch von General Electric.
Auch ohne die Großen von Boeing und Airbus brummt das Geschäft. Weltweit verbuchten die Hersteller 1998 Rekordergebnisse: Die General Aviation Manufacturers Association (GAMA) meldete unlängst, daß die Auslieferungen ihrer Mitglieder im vierten Jahr in Folge gestiegen seien, allein 1998 um 42 Prozent gegenüber 1997.
Bei Gulfstream, dem Marktführer, verdoppelten sich die Bestellungen von 46 Einheiten 1997 auf 90 Einheiten 1998, und Dassault Falcon Jet schaffte mit 99 Einheiten das beste Ergebnis seiner Geschichte. Marktkenner rechnen mit einem Anhalten des Booms, ein Hochrechner geht gar von 6500 Geschäftsfliegern aus, die zwischen 1999 und 2009 ausgeliefert würden.
Exklusives Fluggerät für die Vorstände
Zusätzlichen Schub bekommt das Geschäft mit den Business-Fliegern, seitdem ein Investor im Markt mitmischt, der Flugzeuganteile zum Kauf anbietet, für Interessenten, denen Charter zuwenig, ein kompletter Flieger jedoch zuviel ist.
An einem Vormittag im April hatte er zum Gespräch in einen unscheinbaren Bau am Rande des Frankfurter Flughafens gebeten, ein älterer Herr in leicht zerknautschtem C&A-Anzug, auf der Knollennase dicke Brillengläser im Kassengestell, Typ Kolonialwarenhändler vom Eckladen. Warren Buffet, Amerikas zweitreichster Mann nach Bill Gates, war eingeflogen, um für seine Neuerwerbung NetJets zu trommeln, die solche sogenannten Fractional ownerships feilhält.
"Wir haben mit diesem Programm einen völlig neuen Markt erschlossen", sekundierte Daniel Lütolf, Chef von NetJets Europe. "80 Prozent unserer Kunden hatten zuvor kein eigenes Flugzeug, die Hälfte davon hat auch nicht gechartert."
Und so geht das Business: Der Kunde kauft ein Achtel oder ein Viertel eines Flugzeugs, das ihm dann für 75 oder 150 Flugstunden pro Jahr zur Verfügung steht. Wo immer ein passabler Airport vorhanden ist. Und zwar spätestens sechs Stunden nach Anfrage. Dafür bezahlt er eine monatliche Managementgebühr und die genutzten Flugstunden.
Von seiner Frau und seiner Tante, die das System zuvor nutzten, hatte Buffett zuvor nur Gutes darüber gehört. Im Juli 1998 kaufte er sich für 725 Millionen Dollar bei der amerikanischen Muttergesellschaft Executive Jet ein. Jetzt geht er das Europa-Geschäft in großem Stil an, nach der Devise: möglichst schnell möglichst groß und möglichst gut. Und hat sogleich 32 Flugzeuge im Wert von 600 Millionen Dollar bestellt. Auch der BBJ soll ins Programm, neun Stück sind geordert, für 16 gibt es Optionen. Ein furioser Start.
International operierende Großkonzerne wie Texaco, AT&T oder Ford unterhalten mit speziellen Business-Jets allerdings längst eigene Luftflotten für ihr Führungspersonal wie für den Werksverkehr. Andere, so etwa ein österreichischer Automobilzulieferer, denken angespannt darüber nach.
Auch (einige wenige) deutsche Unternehmen wollen da nicht abseits stehen: DaimlerChrysler, dessen Stuttgarter Stammhaus noch vor sieben Jahren die eigene Flotte aufgelöst hatte, legte sich unlängst eine Aviation GmbH zu. Von November an soll die Strecke Stuttgart Detroit mit einem eigenen Corporate Jet, einem A319 aus dem Hause Airbus Industrie, bedient werden, zweimal die Woche hin und zurück. Für die Vorstände steht freilich exklusiveres Fluggerät zur Verfügung.
Bei BMW und VW gibt es ähnliche Pläne. Offen reden mögen freilich nur wenige darüber, beim Thema Firmenjets verwandeln sich die Kommunikationsprofis der Konzerne unversehens in Stockfische.
Geheimniskrämerei um die eigenen Firmenjets
Als das manager magazin für diesen Bericht bei 25 deutschen Topunternehmen das Thema Firmenjets abfragte, stieß es mehrheitlich auf betretenes Schweigen. Oder die Auskunft lautete, so bei Hoechst, Bayer und der Commerzbank, daß grundsätzlich nur Linie geflogen werde. Bei ABB gar reisen selbst die Vorstände innerdeutsch in der Holzklasse. Deutschland, so scheint es, liegt aeromobil noch im Tiefschlaf, angesagt sind Sack und Asche. Wer sich dennoch einen Firmenjet gönnt, versteckt ihn besser. Wie Ron Sommer, der vor zwei Jahren eine Challenger 604 leaste und prompt von "Bild" geoutet und an den Pranger gestellt wurde.
Vier Millionen Dollar allein für die Ausstattung
Einige wenige bekennen sich offen zu eigenen Jets. So etwa die Bertelsmann AG, die in Deutschland mit einem eigenen Flugdienst, der zwei Firmenflieger, Typ Falcon 50, unterhält, ihren benachteiligten Standort Gütersloh auszugleichen sucht. Oder die BASF, deren Führungskräfte für Flüge in Europa und Amerika "auf einen kleinen Flugzeugbestand zurückgreifen" können mit aufmerksamem Blick auf ein "angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis", aber nichtsdestotrotz allerfeinstens ausgestattet.
Oder auch Reinhold Würth, der vom hohenlohischen Künzelsau ein weltumspannendes Schraubenimperium steuert, mehr als 190 Gesellschaften in 72 Ländern. Bei Würth fliegen acht Piloten eine Turbopropmaschine und drei Jets (zwei Citation II, eine Falcon 50 EX). "Unsere Zeitmaschinen", sagt Chefpilot Gerd Specht, "schließlich sitzen wir in the middle of nowhere." Und außerdem ist Reinhold Würth selbst ein begeisterter Flieger.
Bei aller Zurückhaltung auch im flügellahmen Deutschland regt sich etwas. Auf dem Sprung ist Hapag-Lloyd, deren Flugabteilung potentiellen Firmenflotten-Gründern das Management der Flieger abnehmen möchte. Auf dem Sprung ist auch die Lufthansa Technik AG, die gerade eine Abteilung Executive Jet in ihrer Werft in Hamburg-Fuhlsbüttel eingerichtet hat.
Neben der schweizerischen Jet Aviation, einem international tätigen Allroundanbieter im Luftfahrtservice, ist Lufthansa Technik das einzige europäische Unternehmen, das Lizenzen für die Innenausstattung des Airbus wie des BBJ besitzt.
Und weil sich die Hanseaten von der Möblierung der Firmenjets ein gutes Geschäft versprechen, haben sie professionell hingelangt und für ihre sogenannte XXL-Class eigens einen VIP-Salon mitsamt Modell-Zentrum geschaffen. Dort kann der Kunde, der mindestens vier Millionen Dollar für die Ausstattung seines Jets hinblättern muß, wie im Möbelhaus aussuchen, was er an Sesseln, Betten, Schränken, aber auch an Unterhaltungselektronik für sein fliegendes Büro haben möchte.
Der erste Kunde der XXL-Class ist der amerikanische Entrepreneur Michael A. Chowdry, der es seit Anfang der 90er Jahre mit seinem Luftfrachtunternehmen Atlas Air zum weltdritten Cargo-Anbieter gebracht hat.
Strahlend weiß steht sein BBJ im Hangar der Werft, die zwei Meter hohen Winglets, die dem Flieger 5 Prozent Kerosin sparen helfen, an den Tragflächenenden stolz in die Höhe gereckt. Eine schlichte Werkstattstiege führt in den Rumpf der Maschine, wo Mechaniker mit Kabelsträngen und Raumteilern ringen. Es stehen gerade erst die Wände für das Bad im hinteren Teil, dahinter wird es eine Schlafkammer geben, davor Büro, Konferenzraum, Lounge.
Mischung aus High-Tech und Biedermeier
Chowdry, der 220 Tage im Jahr unterwegs ist, hat sich für ein Empire-Enterieur entschieden, Wurzelholzmöbel, versehen mit blinkenden Metallbeschlägen und edlen Intarsien, dazu Sessel und Sofas mit blau-gelb gestreiften Polstern, US-Geschmack.
Zwei Möbeldesigner, eigens aus dem nordamerikanischen Seattle eingeflogen, liefern die Entwürfe, 30 Schreiner in der Lufthansa-Werkstatt bauen Kommoden, Schränke und Récamieren zusammen. Alles leicht, feuerresistent, luftfahrttauglich eben. Am 31. August soll das Biedermeier-High-Tech-Wunderwerk in Hamburg abheben.
Warum der ganze Aufwand?
"Der Mann will vor allem Zeit sparen, auch das Hotel sparen, die Transfers", sagt Joachim von Holtzapfel, Verkaufschef der XXL-Class, "so hat er überall auf der Welt sein Flugzeug dabei, das Hotel und Büro zugleich ist."
Am Horizont zeichnet sich der Kampf der Luftfahrtgiganten um die neuen Märkte ab. Wer bietet die höchste Geschwindigkeit, die größte Reichweite, die beste Raumnutzung, die geringsten Betriebskosten, die perfekteste Sicherheit? Wer bietet das strahlendste Image, wer holt die meisten Kunden? Wer wird Daedalus sein, wer Ikarus?
Einer ist gerade abgestürzt. Der französische Hersteller Dassault, mit der Falcon-Serie bestens im Business-Geschäft plaziert, wollte noch höher hinaus und einen Überschalljet für Manager auf den Markt bringen. Anfang März mußte Vize-Chef Charles Edelstenne kleinlaut bekennen, daß Dassault kein vernünftiges Antriebsaggregat für den Superflieger finde. Vorerst liegen die Pläne brach.
Vorerst. Das globale Zeitalter wird sich schon das passende Fluggerät schaffen.
Interview: Borge Boeskov über die Firmenflugzeuge der Zukunft