Outsourcing Weg damit!
Der Anschluss von Universal Leven steht in keinem Telefonbuch. Das Büro des Lebensversicherers im Städtchen Zeist, östlich von Utrecht, finden nur Ortskundige. Gerade einmal drei Mitarbeiter zählt das zum Allianz-Konzern gehörige Unternehmen - einen Direktor, einen Account Manager und einen Produktentwickler.
Bilanz der Minifirma: 22.000 Policen, 50 Millionen Euro Prämieneinnahmen pro Jahr. Mit besonders preiswerten Offerten und flexiblem Service hat sich der 1997 gegründete Newcomer im hart umkämpften niederländischen Lebensversicherungsgeschäft etabliert.
Das Erfolgsgeheimnis von Universal Leven heißt Outsourcing. Die Drei-Mann-Zentrale legt ausschließlich die Strategie fest. Um das operative Geschäft kümmern sich Externe: Selbstständige Makler verkaufen die Policen, Investmentfonds verwalten die Prämiengelder, und der IT-Dienstleister Accenture organisiert die Vertragsabwicklung.
Das virtuelle Versicherungsnetz verschafft der Allianz enorme Kostenvorteile. Ein Geschäft in der Größenordnung von Universal Leven würde bei dem Assekuranzriesen allein in der Verwaltung rund 40 Mitarbeiter erfordern. Outsourcing-Anbieter Accenture erledigt den Job mit 17 Mann.
Schlanker geht es nicht. Universal Leven führt eine Bewegung an, der immer mehr europäische Unternehmen folgen. Siemens, Ericsson, RWE oder Infineon lagern ganze Geschäftsprozesse wie Personalverwaltung, Entwicklung oder Logistik an externe Dienstleister aus.
Business Process Outsourcing (BPO) gilt als Zaubermittel, mit dem Firmen Kosten sparen, ihre Flexibilität erhöhen und Innovationen beschleunigen.
"Nach Fließband und Lean Production kann BPO die dritte Revolution der Wertschöpfung auslösen", schwärmt Accenture-Deutschland-Chef Stephan Scholtissek. Seinen Berechnungen zufolge sei es der deutschen Wirtschaft möglich, durch Auslagerung von Verwaltungsaufgaben und Dienstleistungen die Gemeinkosten um bis zu 40 Milliarden Euro zu senken.
Ein verlockendes Szenario
Ein verlockendes Szenario. Die Unternehmen ächzen unter steigenden administrativen Lasten. Das Ausgliedern von Sachbearbeitern, Forschern oder Buchhaltern scheint ein wohlfeiler Ausweg aus der Kostenklemme.
Wirklich? Taugt Outsourcing tatsächlich als Wunderwaffe gegen überdimensionierte Hauptverwaltungen, aufgeblähte Entwicklungsabteilungen und ineffiziente Lager? Oder steckt - wie zahlreiche misslungene Ausgliederungsprojekte vermuten lassen - hinter den Versprechungen der Serviceanbieter nur eine clevere Verkaufsstrategie?
Infineon wagt die Probe aufs Exempel. Als eines der ersten deutschen Unternehmen wird der Chiphersteller die Verwaltung zerlegen. Ab Januar erhalten 20.000 Infineon-Mitarbeiter in Deutschland und Österreich ihre Gehalts- und Spesenabrechnungen nicht mehr von der internen Personalabteilung, sondern vom IT-Serviceunternehmen EDS.
Der Vertrag der Münchener mit EDS läuft über zehn Jahre und hat ein Volumen von schätzungsweise 45 Millionen Euro. Die Aufwendungen für Personaldienste von Infineon sollen durch die Auslagerung um einen einstelligen Millionenbetrag sinken.
Mit einem Schlag entledigt sich Konzernchef Ulrich Schumacher eines ungeliebten Erbes der früheren Muttergesellschaft Siemens: Bislang erstellten Angestellte in München, Regensburg, Dresden, Warstein und Villach mithilfe unterschiedlichster Software die Lohnzettel.
Demnächst übernimmt EDS etwa 40 Infineon-Mitarbeiter und beschäftigt sie in seinem neuen Bereich Personalservice. Gemeinsam mit EDS-Fachleuten arbeiten sie ein standardisiertes Personalwesen für Infineon aus. Die technische Abwicklung und die Administration finden zu großen Teilen am ungarischen Billigstandort Vasvar statt.
Die 40 neuen Mitarbeiter will EDS mit weiteren Outsourcing-Verträgen auslasten. Vertriebschef Carsten Gram rechnet fest mit Aufträgen: "Infineon hat in Deutschland das Eis gebrochen."
Musik in den Ohren von Accenture, CSC, IBM, SBS oder T-Systems. Die angeschlagene Zunft der IT-Dienstleister hofft auf lukrative Geschäfte. Der westeuropäische BPO-Markt wird bis 2007 um jährlich gut 9 Prozent auf rund 39 Milliarden Dollar wachsen, schätzen die Analysten der Gartner Group.
Der Trend zum Auslagern
Der Trend zum Auslagern kommt aus Großbritannien. Auf der Insel haben bereits etliche Unternehmen ihren Verwaltungsapparat an Spezialisten entsorgt. Die Explorationsgesellschaft des Mineralölkonzerns BP lagerte zum Beispiel das Rechnungs- und Personalwesen an Accenture aus. Folge: Seit 1991 sind die Kosten sukzessive um insgesamt 50 Prozent geschrumpft.
Jetzt soll die BPO-Welle auf den Alten Kontinent schwappen. Allein in Deutschland rechnet Andrew Kris, Vorsitzender des Outsourcing-Verbands SBPOA, für 2004 mit dem Abschluss von bis zu 30 großen Verträgen.
Eine optimistische Prognose. Zwar plant etwa Infineon, weitere Zentralfunktionen auszugliedern. Die Deutsche Bank will ihren Einkauf an einen Dienstleister abtreten. Beim Gros der Entscheider hier zu Lande aber hält sich die Begeisterung für das Auslagern von Geschäftsprozessen in Grenzen. Aus gutem Grund: Viele deutsche Unternehmen haben schlechte Erfahrungen beim Outsourcing ihrer IT-Abteilung gemacht.
Laut einer Studie der Kölner KDL Consulting unter den 130 größten deutschen Firmen erzielen gut geführte Konzerne durch EDV-Ausgliederung keine finanziellen Vorteile.
Beispiel Porsche: "Outsourcing kostet keineswegs per se weniger als ein interner Dienstleister", konstatiert Ulrich Flatau, IT-Stratege bei dem Sportwagenhersteller. Der Experte holte das an IBM vergebene Rechenzentrum wieder ins eigene Haus zurück.
Leere Versprechungen, lausige Qualität, knüppelharte Knebelverträge - so mancher Manager erteilt den externen Helfern schlechte Noten.
Besonders hart traf es den Kleinwagenproduzenten Smart. Die Firma, die ihre IT dem Dienstleister Accenture anvertraut hat, geriet in Schwierigkeiten, als die Computersysteme mehrfach angepasst werden mussten. Gründe für das Finetuning: DaimlerChrysler übernahm den Anteil des Schweizer Swatch-Produzenten an dem Joint Venture. Smart erweiterte die Modellpalette, musste die IT auf das Jahr 2000 und den Euro umstellen.
Accenture hatte sein Angebot extrem knapp kalkuliert und verlangte für die im Vertrag nicht vorgesehenen Änderungen Mondpreise. Als Smart nicht zahlen wollte, reduzierte Accenture die Investitionen in die Technik.
Ex und hopp funktioniert nicht
Der Versuch der IT-Outsourcer, klammheimlich die Margen zu steigern, verprellt so manchen potenziellen Kunden. Aber viele Probleme erzeugen die Auftraggeber auch selbst. "Oft kennen die Firmen ihre internen Abläufe nicht richtig, sie handeln schlechte Konditionen aus oder vernachlässigen das Controlling", listet Holger Neinhaus vom Beratungshaus SMP die Sünden auf.
Wer etwa nicht weiß, wie viel eine Überweisung oder der Transport eines Ersatzteils das eigene Unternehmen kostet, kann schwerlich die Preiswürdigkeit eines Outsourcing-Angebots beurteilen. Auf solch schwammiger Grundlage werden dann falsche Kriterien für die Leistungen der Serviceanbieter oder zu starre Regelungen festgeschrieben.
"Outsourcing funktioniert nicht von selbst, sondern muss sorgfältig gemanagt werden", mahnt Charles Homs vom Marktforschungsunternehmen Forrester Research.
Der Kunde muss permanent mit seinem Dienstleister in Kontakt bleiben, dessen Leistungen kontrollieren, die Zielvereinbarungen überprüfen und über Innovationen diskutieren. Für dieses Beziehungsmanagement bedarf es im Haus kompetenter Experten - die sollten tunlichst nicht an den Outsourcer verkauft werden.
Genau diese Erfahrung machte Hermann-Josef Lamberti. Der unter anderem für Technik zuständige Vorstand der Deutschen Bank übergab die kontinentaleuropäischen Rechenzentren des Finanzriesen mit Mann und Maus an IBM. Alle 900 Mitarbeiter wechselten den Arbeitgeber.
Doch wer sollte nun die Leistungen der IT-Fachleute beurteilen oder auf technische Neuerungen drängen? Mittlerweile hat die Deutsche Bank wieder eine 40 Mann starke Truppe aufgebaut, die das Verhältnis zu IBM pflegt.
Ex und hopp - so funktioniert Outsourcing nicht. Wer sich nur in aller Eile eines Problems entledigen will, wird garantiert enttäuscht.
Kaum ein Outsourcing-Projekt rentiert sich innerhalb weniger Monate. Die Veränderungen der Geschäftsprozesse, die überhaupt erst Effizienzgewinne ermöglichen, dauern lange. Anfänglich kann sogar der Aufwand steigen - schließlich müssen das alte und das neue System parallel laufen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Erfolgreiche Arrangements beruhen daher immer auf einer langfristig angelegten, gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Auftraggeber und Dienstleister.
Wie Outsourcing richtig geht
Wie dies richtig geht, zeigt das Beispiel der britischen RWE-Tochter Thames Water, die für die Wasserversorgung im Themse-Tal zuständig ist.
1995 gründete Thames Water gemeinsam mit Accenture das Joint Venture Connect 2020. Das Gemeinschaftsunternehmen ist verantwortlich für die Logistik und das Lager, es hält Rohre, Ventile und Kanaldeckel auf Vorrat und liefert die Ersatzteile zu den jeweiligen Reparaturorten.
Als das Projekt startete, stauten sich die Ersatzteile in 26 verschiedenen Einzellagern. Nicht selten rostete eine 200.000 Euro teure Pumpe fünf Jahre in den Regalen vor sich hin, ehe sie benötigt wurde.
Ein riesiges Optimierungspotenzial. Doch es vergingen Jahre, bis die Effizienzsteigerungen realisiert werden konnten. Heute liegen alle Produkte in einem einzigen Zentrallager. Für selten benötigte Teile hat Connect Just-in-time-Verträge mit Lieferanten vereinbart. Seither ist der Logistikaufwand von Thames Water durch die permanente Verbesserung der Prozesse um circa 80 Prozent gesunken.
Das Geschäft mit Gullys und Auffangfiltern entspricht etwa 15 Prozent des Umsatzes von Thames Water - ein ordentlicher Brocken. So große Teile aus dem Kerngeschäft herauszuschneiden, hat noch kein deutsches Unternehmen gewagt. Die Firmen testen bislang lieber kleine Projekte am Rande ihres Angebotsspektrums.
Die Vorsicht ist berechtigt. Wer noch keine Erfahrung mit Outsourcing gesammelt hat, tut gut daran, in überschaubaren Schritten vorzugehen. Scheitert der erste Versuch, ist der Schaden nicht allzu groß.
Auch die Manager der Handy-Sparte von Siemens tasten sich vorsichtig auf das neue Terrain vor. Siemens Mobile (ICM) vergab die Entwicklung und die Produktion seiner neuen Mobiltelefone der Marke Xelibri an drei Spezialhersteller in Finnland, Frankreich und Taiwan. Das außergewöhnliche Design entwarfen die Nürnberger Agentur Brandis und die kalifornische Ideo. Im Konzern selbst verblieb nur das Marketing.
Aus eigener Kraft hätte Siemens die Ausweitung seiner Produktpalette um vier ausgefallene Modelle so schnell nicht geschafft. Im Sommer 2002 beschloss ICM-Chef Rudi Lamprecht die Einführung der Zweitmarke. Im Januar 2003 stellte er die ersten Modelle in London vor.
Für das Wagnis Xelibri mussten die Münchener keine Produktionskapazitäten aufbauen. Da verschmerzt es ICM leichter, dass der Vertrieb von Xelibri über Modeboutiquen schleppend lief und die schrillen Geräte jetzt bei Discountern wie Penny verkauft werden. Sollte auch die zweite Xelibri-Kollektion zu wenige Käufer finden, werden die Verträge mit den Auftragsfertigern nicht verlängert.
Erfolgschancen von 50 zu 50
Mehr Tempo, mehr Innovation, mehr Flexibilität - das Auslagern von Verwaltung, Entwicklung, Logistik oder Forschung kann auch lohnen, wenn keine großen Einsparungen entstehen. "Wer Outsourcing nur unter dem Kostenaspekt sieht, greift zu kurz", konstatiert Peter Kreutter vom Institut für Industrieorganisation der Otto-Beisheim-Hochschule Koblenz. Im besten Fall hilft das Auslagern von Geschäftsprozessen den Unternehmen, ihren Wettbewerbsvorsprung auszubauen.
Noch gehören Konzerne wie Siemens und Infineon zu den wenigen Mutigen in Deutschland, die sich an das Business Process Outsourcing heranwagen. Die zwiespältigen Erfahrungen mit fremdbetreuten Rechenzentren wirken offenkundig immer noch nach.
Gleichwohl wäre es ein Fehler, BPO-Projekte als Modegag findiger Berater abzutun. Wer die Ausgliederung behutsam plant und die Zusammenarbeit mit den Spezialisten ordentlich organisiert, kann gewaltige Potenziale heben.
Das Beispiel der Automobilindustrie lehrt, wie eine Branche durch intelligente Vernetzung mit den Zulieferern eine internationale Spitzenposition erobern kann. Nichts anderes verbirgt sich hinter BPO: Parallel zur Verringerung der Fertigungstiefe in der Produktion können Unternehmen durch das Outsourcing von Dienstleistungen und von Aufgaben in der Verwaltung ihre Leistungstiefe reduzieren und dadurch das Kerngeschäft stärken.
Sicherlich: Die Auslagerung wichtiger Prozesse ist nicht ungefährlich. Die Experten der Gartner Group schätzen die Erfolgschancen von Outsourcing-Projekten auf 50 zu 50. Unternehmen, die Externen Teile ihrer Wertschöpfungskette anvertrauen, fehlt der direkte Zugriff, sie liefern sich der Expertise und der Redlichkeit der Partner aus. Doch die Erfahrungen der Trendsetter zeigen, dass die Chancen bei gutem Management der Ausgliederungsvorhaben größer sind als die Risiken.
So hat der Telekommunikationsausrüster Ericsson Teile seiner Entwicklung im Bereich traditioneller Mobilfunknetze an TietoEnator abgegeben. Die Spezialisten des schwedisch-finnischen IT-Dienstleisters entwickeln Produkte für den derzeitig genutzten Mobilfunkstandard GSM und programmieren Anwendungen für die bestehenden Ericsson-Netze.
Ein schlauer Schachzug. Mit den GSM-Produkten von TietoEnator bedient der schwedische Konzern seinen bestehenden Kundenstamm. Die hoch qualifizierten Fachleute im eigenen Hause konzentrieren sich derweil überwiegend auf die modernste Breitbandtechnologie, UMTS. Mithin bleibt Ericsson an vorderster Front der technischen Entwicklung und kann mit erstklassigen UMTS-Netzen seine führende Marktposition ausweiten.
Ein Beispiel, das zur Nachahmung gereicht.
Sündenliste und Lernmittel
Sündenliste
Was bei der Auslagerung alles schief laufen kann
Durch Auslagern von Buchhaltung oder Entwicklung können Firmen Kosten sparen, ihre Flexibilität steigern und Innovationen beschleunigen. Doch viele Projekte scheitern, weil Manager immer wieder die gleichen Fehler machen.
Kein Plan: Meist existiert keine Strategie hinter den Outsourcing-Vorhaben. Die Entscheider schielen nur auf kurzfristige Einsparungen oder wollen schnell ein Problem entsorgen.
Keine Ausschreibung: Viele Projekte werden dem nächstbesten Anbieter anvertraut. Der übervorteilt den Kunden häufig beim Vertrag, bietet anfangs hohe Kostenvorteile und kassiert später ab.
Kaum Kontrolle: Selten werden Erfolgskriterien festgelegt, noch weniger werden sie regelmäßig überprüft und angepasst. Outsourcing gelingt nur, wenn der Kunde für eine enge Beziehung zur Servicefirma sorgt. Rund 10 Prozent des Vertragswertes kostet die Pflege.
Lernmittel
Bücher über Outsourcing
Theorie: Managementprofessor Dietmar Fink, Accenture-Deutschland-Chef Stephan Scholtissek und sein Amtsvorgänger Thomas Köhler erklären in ihrem Gemeinschaftswerk "Die dritte Revolution der Wertschöpfung. Mit Co-Kompetenzen zum Unternehmenserfolg" (Econ, Januar 2004, 207 Seiten, 29 Euro) wie Unternehmen von der Auslagerung von Verwaltung und Diensten profitieren können.
Praxis: Die Experten des Marktforschungsunternehmens Gartner Group geben in der kostenlosen Broschüre "Strategic Outsourcing. The Book" realitätsnahe Ratschläge für eine erfolgreiche Auslagerung von Unternehmensteilen. Per E-Mail zu bestellen bei: gabriele.rogg@gartner.com.