Interview
"Ihr seid die Champions im Nichtarbeiten"
Arbeitsmarktforscher Daniel Hamermesh von der Universität Austin (Texas) erklärt, warum Amerikaner viel arbeiten und Deutsche lieber ihre Wohnung putzen.
Herr Professor Hamermesh, warum arbeiten die Deutschen im Schnitt so wenig?
Hamermesh: Die Deutschen verbringen ihre Zeit anders. Umfragen zeigen, dass sie mehr zu Hause arbeiten; sie putzen, kümmern sich um den Garten, basteln an ihren Autos, solche Dinge. Und die Deutschen haben viel mehr Urlaub: Zu jeder Jahreszeit sind mehr Deutsche als Amerikaner in den Ferien, obwohl wir dreimal so viele Menschen sind.
mm: Hier zu Lande sind sechs Wochen üblich, in Amerika nur zwei.
Hamermesh: Wir Amerikaner sind schon verrückt. Sogar die Japaner arbeiten nicht mehr so irre wie wir.
mm: Bitte? Als Ökonom halten Sie es nicht für ein Problem, wenn wenig gearbeitet wird?
Hamermesh: Warum sollte es ein Problem sein? Ihr arbeitet mehr zu Hause - wir kaufen mehr Dienstleistungen ein. Ist das eine besser als das andere? Wenn ihr Deutschen wenig arbeiten wollt, bitte schön. Aber offenbar sind eure Manager über diese Entwicklung besorgt.
mm: Kein Wunder: Die rückläufige Arbeitsleistung lässt in Deutschland Wachstum und Produktivitätsfortschritt erlahmen.
Hamermesh: So what! Als Ökonom geht es mir nicht um Wachstum oder Produktivität, sondern darum, dass es den Leuten gut geht. Wenn sie sich für mehr Freizeit entscheiden, dann fühlen sie sich damit offenbar wohler.
mm: Umfragen zeigen das Gegenteil: Keine andere westeuropäische Nation ist so pessimistisch wie die Deutschen. Offensichtlich sind wir im Schnitt mit unserem Leben ziemlich unzufrieden.
Hamermesh: Das mag ja sein. Aber es erklärt nicht, warum die Deutschen wenig arbeiten. Vielleicht sind Unzufriedenheit und Pessimismus einfach deutsche Wesenszüge, die mit dem Arbeitsmarkt gar nichts zu tun haben. Offenbar genügt den Leuten, was sie an Einkommen haben. Sonst würden sie mehr arbeiten, Zweitjobs annehmen zum Beispiel.
mm: Glauben Sie, wir sind fauler geworden?
Hamermesh: Es gibt keinen Zweifel, dass die Deutschen die Champions im Nichtarbeiten sind, während wir Amerikaner immer mehr arbeiten und uns in einem Rattenrennen verausgaben. Offensichtlich sind hierfür eher kulturelle als wirtschaftliche Unterschiede verantwortlich.