Luftfahrt Abheben in die Zukunft
Eisig pfeift der Dezemberwind an der Küste von North Carolina: Windstärke vier. Auch sonst gibt es wenig positive Vorzeichen für das Projekt, das die Besitzer einer Fahrrad-Reparaturwerkstatt in den kahlen Dünen von Kitty Hawk vorbereitet haben: Das zerbrechliche Gerät aus Sperrholz und Segeltuch, das im Zentrum des Experiments steht, ist nur behelfsmäßig geflickt.
Wilbur, der ältere der beiden Werkstattbesitzer, hat es drei Tage zuvor bei einem ähnlichen Versuch zerschmettert. Wie durch ein Wunder blieben seine Knochen bei dem Unfall heil.
Jetzt friert Orville, Wilburs jüngerer Bruder, in dem fragilen Gerüst. Um 10.35 Uhr am 17. Dezember 1903 stellt er den Gashebel des hinter ihm eingebauten Petroleum-Vierzylinders auf volle Kraft. Lederriemen treiben zwei Holzpropeller, laut knatternd setzt sich das 6,43 Meter lange Gefährt in Bewegung. Immer schneller gleiten seine Kufen über die Bretterrampe, schließlich hebt der "Flyer" ab: Orville Wright fliegt!
Gerade einmal zwölf Sekunden dauert sein Triumph, dann landet er das ungelenke Fluggerät im Dünensand, ganze 36 Meter entfernt vom Startpunkt. Doch mit dem Hüpfer an jenem kalten Dezembermorgen vor nunmehr 100 Jahren ging ein Menschheitstraum in Erfüllung: Die Schwerkraft war überwunden.
Die Gebrüder Wright waren die ersten Erdenbürger, die nicht nur passiv gleiten konnten, wie Otto Lilienthal und andere Pioniere. Ihre Maschinen hoben sie in die Lüfte und würden sie, das war sofort klar, schon bald selbstständig überall hin fliegen.
1. Die Herausforderung
Keine technische Errungenschaft hat die Welt so sehr und im wahren Wortsinn beflügelt wie die Erfindung des Flugzeugs. Konzerne wie Boeing, Lockheed und EADS/Airbus sind entstanden; weltweit leben viele Millionen Menschen von der Fliegerei: im Flugzeugbau und seinen Zulieferbranchen, bei den Luftfahrtgesellschaften, in der Ferntouristik und bei den Flughafenbetreibern. Allein in Deutschland hängen 700.000 Arbeitsplätze von ihr ab.
Und es geht weiter, 100 Jahre nach dem Erstflug der Brüder Wright stehen viele Innovationen an, die das Fliegen noch komfortabler, das Flugzeug noch perfekter machen; die Energie sparen, die Umwelt schonen.
Raffinierte Kombination
2. Raffinierte Kombination
Die zentralen Innovationen kommen aus der Antriebstechnik, von neuen Werkstoffen und aus der Aerodynamik. Die anstehenden Veränderungen bedeuten keine technische Revolution. Im Gegenteil: Auf den ersten Blick wirken die Modifikationen, die sich in der Fliegerei der nächsten 10 bis 15 Jahre abzeichnen, fast trivial.
Das Flugzeug der Zukunft wird zwei Flügel haben und in der Mitte einen Rumpf, der die Hauptnutzlast befördert - also Passagiere oder Fracht; im Falle von Militärmaschinen: Bomben oder Munition, Aufklärungsgerät oder Treibstofftanks.
Auf absehbare Zeit werden Flugzeuge von Verbrennungsmaschinen angetrieben. Ruder und Klappen, die vorbeiströmende Luft ablenken, dienen zur Steuerung - alles wie gehabt.
Aus diesen Standardrequisiten müssen neue Modelle gezaubert werden, die vermeintliche Widersprüche auflösen, etwa die Forderung nach stärkeren Antrieben, die zugleich effizienter, umweltschonender und leiser laufen.
Den Fortschritt wollen die Flugzeugingenieure durch cleveres Kombinieren erzwingen. Mehrere Faktoren müssen zusammengeführt, viele Elemente aufeinander abgestimmt werden - was bei der Entwicklung eines Flugzeuges wie dem "Super-Airbus" A 380 enorme elf Milliarden Euro verschlingt.
Schritt für Schritt arbeiten sich die Flugzeugbauer voran. So hat die nächste Triebwerkgeneration jeweils größere Ausmaße als das Vorläufermodell: Durch den Lufteinlass des Trent-900-Modells von Rolls-Royce, das auch den A 380 antreiben soll, könnte fast eine U-Bahn fahren. Es misst im Durchmesser 2,95 Meter.
Pro transportierten Passagier wird dieses Triebwerk 12 Prozent weniger Kerosin verbrennen als die Turbinen, die heute unter eine neue Boing 747 geschraubt werden. Die Treibstoffersparnis ist das beste Mittel gegen rapide steigende Kerosinpreise; sie sorgt zudem für geringeren Schadstoffausstoß.
Die Monstermaschinen unter den Tragflächen brauchen höhere Fahrwerke. Die müssen aufwändiger konstruiert werden, damit sie beim Starten und Landen nicht abknicken. Und gleichzeitig aus besonders leichten Werkstoffen gebaut sein, damit sie keine Gewichtsprobleme machen.
Der doppelstöckige A 380 wird beim Start bis zu 590 Tonnen wiegen. Wenn diese Masse - so schwer wie ein Güterzug von über 300 Metern Länge - dann mit etwa 250 Stundenkilometern über die Betonpiste donnert, sind fünf Fahrwerke mit bis zu sechs mannshohen Rädern maximal belastet. Die Stelzen, mehrere Meter hoch, müssen beim Aufsetzen auf der Landebahn größere Querkräfte aushalten als etwa das Stahlgerüst eines Wolkenkratzers bei Windstärke zwölf. Und dürfen dennoch nur einen Bruchteil wiegen.
Die Kabine als Resonanzboden
3. Die Kabine als Resonanzboden
Ähnliche komplexe Zusammenhänge ergeben sich aus dem Einsatz neuer Werkstoffe. Beispiel: der Verbund aus Carbonfasern und Kunststoffen (CFK).
Schon heute werden die gesamten Heckpartien einzelner Airbus-Modelle aus CFK produziert. Das Material ist deutlich leichter und zugleich stabiler als etwa dünnes Eisenblech oder Aluminium.
Haushohe Bauteile können aus CFK fugenlos hergestellt werden - und verursachen deshalb in der Luft weniger Widerstand. Das spart ebenfalls Treibstoff, erhöht Reichweite und Reisegeschwindigkeit und mindert zugleich den Außenlärm.
Allerdings dämpft CFK kaum Schwingungen. Vibrationen, die an bewegten Systemen - und damit auch an Flugzeugen - unausweichlich entstehen, werden hart bis in die Kabine fortgeleitet. Die starre Röhre verstärkt den Geräuschpegel - etwa der Turbine im Heck, die den Strom produziert - wie der Resonanzboden eines Musikinstruments. Weshalb die Materialwissenschaftler beschönigend vom "Geigeneffekt" sprechen.
4. Unpraktische Stummelflügel
Bei künftigen Großflugzeugen wird deshalb der Rumpf zunächst nicht vollständig aus CFK gebaut werden, sondern aus einer Kombination mit anderen modernen Materialien. Bei kleinerem Fluggerät sollen computergesteuerte Piezo-Elemente gezielte Gegenschwingungen auf die Rumpfhülle übertragen - und so die Vibrationen eliminieren.
Schließlich die Aerodynamik: Hier wird es unter anderem darum gehen, ein Prinzip öfter anzuwenden, von dem bislang vor allem Militärmaschinen profitieren: zusätzliche Stummeltragflächen, so genannte Entenflügel. Sie schaffen mehr Auftrieb und Extrastabilität am Flugzeugbug, Boeings aufgegebener "Sonic Cruiser" sollte damit ausgestattet werden.
Noch allerdings sind einige Probleme ungelöst. Die Stummelflügel erhöhen den Lärmpegel in der Maschine. Außerdem sind sie gefährlich sperrig, was beim Einparken des Flugzeugs am Flugsteig Schwierigkeiten bereiten kann.
Die Großflugzeug-Modelle in der Entwicklungspipeline der Branchenführer haben deshalb noch keine Stummeltragflächen. Bei kleineren Verkehrsmaschinen, auch bei Businessjets, werden Entenflügel künftig immer häufiger auftauchen.
Landen auf dem Bürohausdach
5. Landen auf dem Bürohausdach
Den größten Technologiesprung wird ein kleiner Zweig der Luftfahrtbranche erleben: der der Hubschrauber. Erfreulicherweise ist hier ein deutsches Unternehmen Weltmarktführer - Eurocopter im bayerischen Donauwörth, ein Ableger der EADS.
Hubschrauber werden zu einer immer attraktiveren Alternative für Geschäftsflieger: Anders als die heute üblichen Businessjets gelangen Drehflügler bis in die Innenstädte und Wirtschaftszentren. Idealerweise starten und landen sie auf dem Flachdach jenes Bürogebäudes, das der Heli-Passagier besuchen will.
Durch umfassende technische Neuerungen werden schon bald Hubschraubermodelle auf den Markt kommen, die komfortabler, leiser, robuster, schneller und zuverlässiger sind - was dieser Form des Reisens zum Durchbruch verhelfen soll.
So scheint alles auf dem besten Weg: Schon die nächste Generation von Flugzeugen wird, so prophezeihen es die Experten, 15 bis 20 Prozent weniger Betriebskosten verursachen. Der Außenlärm wird um bis zu 20 Dezibel geringer sein. Der Kohlendioxidausstoß wird um 20 Prozent, die Emission von Stickoxiden gar um 80 Prozent reduziert.
6. Fliegen ist Freiheit
Das verbessert die Akzeptanz der Fliegerei beim zahlenden Publikum, bei Politikern, Anwohnern und Umweltschützern. Doch erhalten diese Verbesserungen auch die Faszination der Luftfahrt, die sie in ihren ersten 100 Jahren zweifelsfrei besessen hat?
Manch einer vermisst kühne Projekte wie stromlinienförmige Überschall-Großflugzeuge, Nur-Flügel-Modelle oder Senkrechtstarter mit Schwenktragflächen oder -rotoren.
Diese Konzepte - in der Kleinserie militärischer Anwendungen teilweise durchaus praktikabel - rechnen sich nicht im großen Maßstab. Das beweist Boeings "Sonic Cruiser"-Projekt: unrentabel, daher aufgegeben. Das belegt das allmähliche, klägliche Ende der Concorde-Ära.
Die Flugzeugtechnologie wird schrittweise verbessert, der große Sprung bleibt aus. Heute verlangen die Kostenrechner von den Konstrukteuren, dass sie Fluggeräte entwickeln, deren Technik billigeres Fliegen ermöglicht. Für die Verwirklichung von Ingenieurträumen fehlt oft das Geld, oder die Visionen erwiesen sich als unrealistisch.
Und dennoch: Bei der Luftfahrt geht es nie nur um schnöden Mammon und kalte Technik. Ein A 380, der 550 Passagiere nonstop über 14.000 Kilometer weit transportiert, wird die Zeitgenossen bei seinem ersten Linienflug im Jahr 2006 wieder einmal zum Staunen bringen. Für die meisten Menschen hat Fliegen noch immer mehr mit Freiheit zu tun als mit Bilanzen oder Normwerten.
Fast so, wie es damals bei den Brüdern Wright war.
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