Psychologie Lob der Eitelkeit
Klassentreffen, o Mann. Da sitzt du nun seit zwei Stunden mit diesem ehemaligen Mitschüler am Tisch, und der redet und redet und redet und hat nur ein Thema: sich selbst. Seine Biografie, seine Erfolge, seine Pläne, seine ich weiß nicht was. Und dass er es ist, der auf Geschäftspapieren unten links signieren darf, an der wichtigsten Stelle, wie jeder weiß.
Er redet so lange, bis es ihm selbst peinlich wird und er - aufatmen - sich unterbricht. "Du lieber Himmel, da rede ich die ganze Zeit über mich, wie unhöflich. Lass uns doch mal über dich reden: Wie hat dir der Artikel im manager magazin über mich gefallen?"
Sollst du nun lachen, hysterisch aufschreien oder weinen?
Aber für die Antwort bleibt gar keine Zeit. Plötzlich wird dir klar: Das Ego ist die treibende Kraft des Erfolgs. Das große "M" steht nicht mehr für Management. Nicht mehr für Modelle und Methoden. Es steht für kreativen Mut und individuelle Meisterschaft, geboren aus der Lust an der Selbstdarstellung großartiger Leistungsfähigkeit. Diese Eitelkeit, dieser Narzissmus, dieser Drang zum Erfolg, der mit deinem Namen verbunden ist, lässt dich all das aushalten, was ein Spitzenjob heute erfordert: Anspannung, Zeitnot, Verlust des Privatlebens, Druck und Hektik.
Gleichzeitig aber raunt die warnende Stimme des professionellen Gewissens: Wenn du so wirst wie dieser Typ da neben dir, landest du dann nicht früher oder später in einer unkontrollierten Überheblichkeit?
Doch schon verweht auch dieser Gedanke wieder, und die Porträts der Erfolgreichen erscheinen auf der Projektionswand deiner Zukunftsträume. Es sind die Köpfe derer, die eitel sind und erfolgreich, große Namen der deutschen Wirtschaft.
Diese neuen Siegertypen, diese unübersehbaren Egos beflügeln die Karriereträume von jungen Leuten, so viel ist schon mal sicher. In einer Befragung des manager magazins im Jahr 2000 nannten 500 Uni-Absolventen ihre Vorbilder. Da standen sie alle auf den vorderen Plätzen, die großen Namen: DaimlerChrysler-Lenker Jürgen Schrempp, Ron Sommer, zu jener Zeit noch Chef der Deutschen Telekom, Ferdinand Piëch, damals Vorstandsvorsitzender des VW-Konzerns, Wendelin Wiedeking, der menschgewordene Porsche. Ebenfalls ganz oben auf der Liste rangierte Thomas Haffa, damals noch Chef von EMTV.
Mal ehrlich: Wer wollte nicht so sein? Mitten im Lichtgewitter der Fotografen stehen, dass es ohne Ray Ban kaum auszuhalten ist? Du weißt schon, diese Sonnenbrille aus "Men in Black", die amerikanische Filmpolizisten und smarte New-Economy-Manager so unglaublich cool aussehen lässt. Solche Egos braucht das Land, hieß es damals.
Und nun?
Der Abstieg zur Egomanie
Ron Sommer. Wie schnell zerstob der Traum vom Reichtum für alle, dessen Garant der Telekom-Chef sein sollte. Und wie plötzlich endete die Karriere des einst hofierten Börsenlieblings.
Thomas Haffa. Einer der bestaussehenden Bankrotteure. Großmutters Spruchweisheiten scheinen so falsch nicht: Hochmut kommt vor dem Fall.
Genau diese Typen wecken deinen Zweifel, du spürst das Dilemma:
Ohne Eitelkeit kein Erfolg. Doch wenn du die Grenze überschreitest, diese fast unsichtbare, gestrichelte graue Linie zwischen notwendiger Eitelkeit und drohendem Größenwahn, wirst du scheitern.
Diese kleine Schramme in der Eitelkeit, weil dein ehemaliger Schulkamerad links unterschreiben darf - markiert sie nicht längst jenen Schritt, der unweigerlich über die Grenze führen wird, wo das selbstbewusste Ego in peinliche Eitelkeit übergeht? Bist du nicht längst gefährdet, für den äußerlichen Erfolg dein wahres Ego unbotmäßig aufzuputzen und dich zu korrumpieren?
Dieser Haffa hat seinen Laden ja nicht mit Absicht ins Aus manövriert: Da drängt sich schon die Frage auf: An welchem Punkt verlor er die Kontrolle? Und die anderen, die jüngst in den Schlagzeilen standen: In welchem Moment übertrat der 1999 noch als erfolgreichster Manager der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte gefeierte Enron-Chef Kenneth Lay die gestrichelte Linie vom übersteigerten Selbstbewusstsein zur zerstörerischen Egomanie?
Man sieht es ja am Anfang nicht. Doch dann übersetzt sich tief innen in der Seele mancher Supermanager der öffentliche Jubel in das Gefühl, auserwählt zu sein, befreit von allen Regeln der schnöden wirtschaftlichen Normalität.
Von diesem Zeitpunkt an geht es schnell.
Die Ansammlung von Jasagern, die sich wechselseitig bestätigen, schwächt das Krisenbewusstsein. Fusionen, Expansionen, Prestigeobjekte werden kritiklos beklatscht. Die Anmaßungen wachsen, bis hin zur himmelstürmenden Omnipotenzfantasie, wie viele New-Economy-Ikarusse sie goutierlich pflegten, bis ihnen die Flügel verbrannten.
Doch auf der Projektionsfläche der Karriereträume glänzten ja auch Namen, die nicht nur für Eitelkeit standen, sondern für dauerhaften Erfolg. Wendelin Wiedeking zum Beispiel, der Porsche-Chef.
Wie der sich sonnt im Applaus seiner Auftritte, seiner auf Wirkung hin maßgeschneiderten Rhetorik. Wie der es genoss, sich im feinen Hamburger "Atlantic Hotel" für den ersten Platz der Imageprofile des manager magazins von der Elite der deutschen Wirtschaft feiern zu lassen, und zwar zum zweiten Mal in Folge.
Aber Wiedekings Eitelkeit riegelt, anders als die Rassemotoren seiner Autos, bei einer gewissen Geschwindigkeit ab. "Ich weiß, dass es nun gefährlich wird", zügelte er sich selbst in seiner Dankesrede, wohl wissend, dass die Neider frohlocken werden, wenn es beim nächsten Mal nur zum zweiten Platz reicht. Eitelkeit mit eingebautem ESP, dem Elektronischen Stabilitätsprogramm, das ein Auto daran hindert, aus der Kurve zu fliegen.
Die Kunst des Bremsens
Nun ja, mit großartigen Ausnahmepersönlichkeiten und schillernden Marken lässt sich gut argumentieren. Aber führt eine solche Show nicht in die Irre? Was ist in den Biotopen des ganz normalen Alltags in Deutschland? Wie ist es da?
Nicht anders.
Es gibt ungezählte überzogene Patriarchen und selbstherrliche Bosse, die sich auf Kosten ihrer Mitarbeiter profilieren, miese Stimmung verbreiten und böse gucken, wenn einer ein größeres Auto fährt als sie.
Aber da sind auch die anderen, die sich bremsen können, die es halten wie Wiedeking.
Was ist ihr Geheimnis?
Nichts Besonderes. Keine Morgengebete um Bescheidenheit, keine Askese in griechischen Bergklöstern. Was wir da draußen finden, sind normale Typen. Sie sind selbstbewusst bis zur Eitelkeit und mitunter eitel bis an den Rand des Narzissmus.
Doch mit einem ganz einfachen Mittel haben sie sich im Griff: Ihr Selbstbewusstsein gründet im nachweislichen Erfolg ihrer beruflichen Aufgabe. Es scheint zwar manchmal, als ginge es um bloße Selbstinszenierung. Aber der erste Eindruck kann täuschen.
Säße da zum Beispiel statt dieses ehemaligen Schulkameradenein Wolfgang Grupp (60) an deinem Tisch, alleiniger Inhaber der Trigema T-Shirt-Fabrik in Burladingen auf der Schwäbischen Alb, dann wäre dieser Eindruck unvermeidlich.
Selbst in der Werbung (du erinnerst dich, das ist die Werbung mit dem Schimpansen) tritt der Chef als sein eigenes Model auf. Braun gebrannt, gepflegt und sportlich sitzt er einem gegenüber. Du würdest verwundert zur Kenntnis nehmen, dass nicht einmal die Maßkleidung wagt, eine einzige Falte zu werfen.
Mensch, ist der eitel, würdest du denken, und dich bestätigt sehen, wenn du seiner Einladung ins Unternehmen nach Burladingen folgen würdest. In der kurzen Wartezeit im Treppenhaus hättest du ausgiebigst Gelegenheit, den Chef zu bewundern: Überall hängen Fotos der Grupp-Familie, von der Hochzeit mit der 24 Jahre jüngeren Frau, von den blitzsauberen Kindern. Broschüren über Firmenjubiläen zeigen ihn, Grupp, mit der Familie die Spaliere der Mitarbeiter abschreitend.
Wer die Inszenierung des Stücks "Grupp" lediglich als eitle Selbstdarstellung versteht, der nimmt nur das oberflächliche Bild wahr: Grupps Liebe zur Publicity resultiert aus der Lust am Beweis, dass mittelständische Textilunternehmen auch in Deutschland viel Geld verdienen können und dass er, der Unternehmer Grupp, diesen Beweis leibhaftig verkörpert. Seine Selbstdarstellung ist untrennbar verbunden mit dem Erfolg seiner Firma. Der Burladinger Fabrikant würde es als Verletzung seines ausladenden Selbstbewusstseins empfinden, wenn er auch nur einen Mitarbeiter entlassen müsste.
Charakter? Du lieber Himmel!
Oder stell dir vor, du säßest mit einem Herbert Detharding (64) an einem Tisch, vielleicht in einem kleinen italienischen Restaurant in Hamburg. Er würde von seinen großartigen Erfolgen berichten. Aber er würde auch ein sehr wirksames Mittel gegen die Verführung durch den Jubel der Umgebung, der Analysten und Shareholder schildern: beizeiten die Mitarbeiter qualifizieren, Talente entwickeln und rechtzeitig dafür sorgen, dass ein Headhunter den richtigen Nachfolger auftreibt.
40 Jahre dauerte Dethardings Karriere, vom Lehrling bei Mobil Oil bis zum Chef der BASF-Tochter Wintershall. Von 1991 bis 2001 war er Vorstandsvorsitzender, jetzt ist er pensioniert. Eitelkeit sei ihm fremd, Statussymbole bedeuteten ihm nichts, sagt er. Selbst als CEO habe er dienstlich lange Zeit die Mercedes-E-Klasse gefahren. "Passte von der Größe einfach besser zu mir." Auch sonst: keine großartigen Inszenierungen.
Aber wenn es um den Erfolg seiner Arbeit geht, gibt es klare Ansagen: Das Unternehmen sei unter seiner Leitung "um Größenordnungen besser" geworden, das operative Ergebnis von 100 Millionen auf 2,5 Milliarden Mark gestiegen. Der wichtigste Punkt, das betont Detharding - und du merkst, dass er darauf sehr stolz ist -, war allerdings die nahtlose Übergabe der Geschäfte. Nicht nur für die Position des Vorstandsvorsitzenden, sondern auch auf den Ebenen darunter. Nun regieren die und fahren selbstverständlich S-Klasse als Dienstwagen.
Detharding macht kein Hehl aus der Tatsache, dass er sich an seine neue Rolle als Ruheständler noch nicht gewöhnt hat: "Es ist schwer, in der Bedeutungslosigkeit leben zu müssen." Doch er wird den Fehler vieler seiner Leidensgenossen nicht wiederholen und den Nachfolgern ins Geschäft hineinpfuschen. Sie würden ihn als störend empfinden, und das will er nicht, dazu ist er dann doch zu eitel.
Diese Haltung ist allerdings nicht allein vorsorgliche Eitelkeit. Sie ist auch eine Sache des Charakters: Ein Mensch mit ausgereiftem Ego schafft die Grenzziehung zwischen dem Anspruch fortgesetzter Bedeutung und der Selbsterkenntnis, dass er im Grunde nur Träger einer opulent ausstaffierten Position war und ist. Wunderbare Annehmlichkeiten, große Autos, Reisen, Prominenz, gelten nicht in erster Linie dem Einzelnen, sondern dem Unternehmen, das er zu vertreten hat. Beizeiten loslassen zu können, das zeugt vom Charakter eines selbstbewussten Egos.
Charakter? Du lieber Himmel!
Erneut kneift das Dilemma: Viele der umstrittenen Charaktere sind doch gerade mit ihrem Machtstreben, mit ihrer Egozentrik, mit ihrem kalten Narzissmus und ihren gigantischen Ansprüchen so weit nach oben gekommen, dass ihnen nun nichts mehr passieren kann, selbst wenn sie scheitern.
Was würde zum Beispiel für Kajo Neukirchen oder Jürgen Schrempp - stets zitierte Figuren, wenn es um das Thema Ego und Eitelkeit geht - das Zerbersten ihrer Perspektive bedeuten? Eine persönliche Niederlage vielleicht.
Was bedeutete das Aus für Haffa?
Der wird doch schon wieder in den Klatschspalten der Boulevardpresse abgelichtet - strahlend grüßt er (mit einem mutmaßlichen Vermögen von 250 Millionen Euro im Hintergrund) von Bord einer bronzefarbenen Jacht namens "Tiketitoo". Mit Ray Ban auf der Nase und einer Ersatzsonnenbrille in der Hand. Die südliche Sonne des dolce far niente ist grell.
Der Traum von der Großartigkeit
Solche Misserfolge würdest du gern mehrere haben, oder?
Ethik?
Junger Mann!
Verehrteste!
Ethik!
Wir sind in einem Spiel. Reality-Monopoly.
Spiel mit.
Stell dir vor, du wärst an der Stelle von Klaus Esser, mit einer Abfertigung von rund 30 Millionen Euro. Von den Fällen gibt es ja noch ein paar. Lebenslänglich verurteilt zu Champagner im Chatöchen in einem sonnigen Landstrich in Frankreich.
Der Weg ist gefährlich, o ja.
Aber er ist gangbar.
Die Welt ist eben so.
Doch die Frage, die jeder für sich beantworten muss, ist die: Bist du so? Hart, machiavellistisch, kriegerisch und nichts als rücksichtslos erfolgreich? Oder einer dieser Anpassungsvirtuosen, die der Philosoph Gerd Achenbach als situationskonforme windige Chamäleons bezeichnet hat?
Du meinst, dass du ein solches Leben aushalten kannst? Okay. Dann sind auch die Konsequenzen klar: Jasager um dich herum. Du wirst niemals mehr wissen, ob es irgendjemand ehrlich meint, wenn er dir zuhört.
Bevor du dich für diesen Weg entscheidest, blättere erst einmal in den Krankenakten vieler deiner Vorbilder: Paranoide Zustände, emotionale Verkümmerung, zwangsneurotisch um Kontrolle der Umgebung bemüht, von Misstrauen zerfressen, depressiv und mühsam von persönlichen Coaches aufrechterhalten.
Sieht so Erfolg aus?
Erfolg sieht anders aus.
Nicht zufällig wabert das Thema Work-Life-Balance durch die Gedanken der Spitzenkräfte. Wer bei diesem Schlagwort allein an die lieben Kinderchen daheim denkt, die man häufiger mal sehen möchte, hat den Kern des Problems missverstanden. Es geht um die seelische Gesundheit. Die ist ohne solides Selbstbewusstsein nicht zu denken. Eitelkeit, Narzissmus, himmelstürmender Wahnsinn utopischer Pläne und sei es die Herrschaft über den Weltmarkt, ja, ja und noch mal ja. Für jeden Berufseinsteiger und jungen Professionellen gehört der Traum von der Großartigkeit zum Leben. Nur so kann ein unverwechselbares Lebenswerk entstehen, das untrennbar mit deiner Person verbunden ist.
Hängst du allerdings um bloßer Karrierestürme willen dein Ego an die Großartigkeit einer Position, reihst dich ein in die jasagende Gefolgschaft führender Egomanen, um vielleicht etwas abzukriegen vom Glanz des Status und seiner Symbole, wirst du nie etwas anderes sein als eine austauschbare Charaktermaske.
Irgendwann wirst du mit Äußerlichkeiten herumprahlen - wie dieser geschwätzige Schulkamerad an deinem Tisch, der sich nicht einkriegen kann, dass er links unterschreiben darf, dieser Blödmann. Es wird das letzte Warnzeichen sein, kurz vor dem Totalverlust deines Egos.
Ego-Test: Prüfen Sie den Grad Ihrer Eitelkeit Star-Allüren: Kleine Stilkunde des Narzissmus Bücher: Vier erhellende Blicke in die Egozonen