Venture Capital Viel gewagt - und verloren
In den Gängen stehen Umzugskartons. Alles wirkt etwas provisorisch, ungeordnet. Am Empfang diskutieren zwei Mitarbeiter die ungewisse Zukunft: "Wie lange bist du noch hier?"
Selbst der Chef macht einen fahrigen Eindruck. Hektisch zieht Oliver Borrmann (35), Vorstandsvorsitzender der Venture-Capital-Firma BMP, an seiner Zigarette. Man müsse sparen, erklärt er die Abbruchstimmung. Die Büros im Zentrum Berlins, unweit des Gendarmenmarktes, seien überflüssig. Das Unternehmen ziehe um in den Stadtteil Moabit, in kleinere, billigere Räume.
Sieht so ein Wagnisfinanzierer aus? Einer dieser smarten Geldgeber, die durch die frühzeitige Beteiligung an jungen Hightech-Firmen ein Vermögen machen wollten?
Die Antwort lautet leider: ja. Borrmanns BMP geht es im Moment miserabel, ebenso wie der gesamten Konkurrenz. Die Venture-Capital-Unternehmen stecken in einer tiefen Krise.
Die Risikogeldgeber haben zu viel riskiert. Angelockt vom märchenhaften Anstieg der Aktienkurse am Neuen Markt, hat sich in den vergangenen Jahren eine ganze Branche verspekuliert.
Die Beteiligungsmanager (im Branchenjargon Venture Capitalists, kurz VCs, genannt) haben Unsummen in zweifelhafte Garagenfirmen mit kaum durchdachten Geschäftsmodellen gesteckt. Sie haben Gründer finanziert, ohne deren Managementqualitäten zu hinterfragen - stets im Vertrauen darauf, im Handumdrehen an der Börse ein Vielfaches der investierten Mittel zurückzuerhalten.
Solange die Aktienkurse der Hightech-Firmen immer weiter emporkletterten, funktionierte das System. Jetzt aber stecken die Risikofinanziers in einem Dilemma. Die im Boom teuer eingekauften Start-up-Firmen können nicht mehr Gewinn bringend an der Börse platziert werden. Den Anlegern ist nach den zahlreichen Pleiten, Bilanzskandalen und Betrugsfällen am Neuen Markt jeglicher Spaß am Spiel mit Risiken vergangen (siehe: "Die Chronik einer Kapitalvernichtung").
Den VCs bleiben nur die Alternative: Sie können ihre Garagenfirmen entweder zusperren und das investierte Geld abschreiben oder aber die Gründer durchpäppeln, bis sich die Börsenlage wieder bessert. Bloß: Wann das sein wird, weiß keiner.
Der Frust ist daher groß, erste Auflösungserscheinungen sind unübersehbar. Vor allem VC-Firmen wie BMP, die selbst den Gang an die Börse gewagt haben, ringen ums Überleben. Ihre Aktienkurse sind so tief gesunken, dass ihnen keiner mehr frisches Kapital zuführen mag.
Das gleiche Schicksal droht vielen Wagniskapitalfonds, die sich durch private Investoren finanzieren. Die Kapitalgeber, misstrauisch geworden, weigern sich, neue Mittel nachzuschießen.
Was ist schief gelaufen in jener Branche, die angetreten war, hier zu Lande einen neuen Gründerboom zu initiieren? Die Misere der VC-Industrie hat eine ganze Reihe von Gründen. Einige, etwa die extremen Kursbewegungen an den Aktienmärkten für junge Wachstumsfirmen, konnte in dieser Dimension sicher niemand vorhersehen. Doch zu einem gut Teil hat sich die Branche selbst ins Abseits manövriert.
Spät eingestiegen, teuer bezahlt
Spät eingestiegen, teuer bezahlt
Obwohl es das Geschäft mit den Gründerfinanzierungen in Deutschland schon seit Anfang der 80er Jahre gibt, ist das Gros der VC-Firmen erst seit einigen Jahren aktiv. Allein zwischen 1998 und 2001 stieg die Zahl der im Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) versammelten Risikofinanzierer um 100 auf 215.
"Der Neue Markt hat viele Spieler angelockt", sagt Hellmut Kirchner, einer der wenigen deutschen Beteiligungsmanager mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung. Für den Chef der Münchener Gesellschaft Venture Capital Management (VCM) sind die Neulinge "Schönwettersegler ohne jede Krisenerfahrung".
In der Tat: Firmen wie die Frankfurter IVC oder die Hamburger Earlybird entstanden in der zweiten Hälfte der 90er Jahre - mitten im Internet-Boom.
Die neue, vermeintlich revolutionäre Technik und die rasant kletternden Börsenkurse der Hightech-Unternehmen zogen die jungen Wagnisfinanziers magisch an. Earlybird investierte einen erheblichen Teil der Investorengelder in Internet-Firmen, als die Kurse am Neuen Markt schon kräftig gestiegen waren - und die Gründer der jungen Dotcoms selbstbewusst hohe Preise für Beteiligungen an ihren Garagenfirmen forderten.
Eine ganze Reihe dieser Investments - etwa die von Earlybird mitfinanzierte Online-Drogerie Vitago - erwiesen sich bald schon als Flops. Mehr als die Hälfte ihrer Investitionen mussten die VCs im vergangenen Jahr abschreiben, ergab eine Untersuchung der Unternehmensberatung Mackewicz & Partner.
Doch selbst die Erfolg versprechenden Start-ups können die Beteiligungsmanager nach dem Platzen der Börsenblase kaum wieder verkaufen - schon gar nicht mit einem kräftigen Aufschlag. Die Folge: Bis heute kann Earlybird-Partner Rolf Mathies (39) kaum einen "Exit" vorweisen, wie der erfolgreiche Verkauf eines Unternehmens im Branchenjargon genannt wird.
Keine Kraft für lange Wegstrecken
Keine Kraft für lange Wegstrecken
Die Vertrauenskrise am Neuen Markt zwingt die VC-Firmen dazu, ihre Beteiligungen deutlich länger als geplant im Portfolio zu behalten. Nicht nur der Ausstieg über die Börse bleibt den Wagnisfinanziers versperrt. Auch ein Verkauf der Beteiligungen an andere Unternehmen, in der Sprache der VCs ein "trade sale", ist derzeit nur zu niedrigen Preisen möglich - wenn überhaupt.
Es waren ja vor allem die auf Wachstum geeichten Neuer-Markt-Firmen, die der VC-Branche viele Beteiligungen abgekauft haben. Doch den krisengeschüttelten Börsenfirmen ist die Lust an der Expansion schon lange vergangen.
Statt ein- oder zweimal frisches Geld in die Gründer zu investieren und dann mit hohem Gewinn auszusteigen, müssen die VCs jetzt vier oder fünf so genannte Finanzierungsrunden aufbringen, um die meist noch nicht profitablen jungen Firmen am Leben zu erhalten.
Auf diese lange Wegstrecke sind manche Wagnisgeldgeber nicht vorbereitet. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als zu versuchen, ihre Start-up-Firmen an andere Risikofinanzierer weiterzureichen - notfalls zu Spottpreisen.
So gab die Gold-Zack-Gruppe Teile ihres Beteiligungsportfolios an die US-Firma Paul Capital ab. Das Unternehmen aus San Francisco, ein so genannter Secondary Investor, hat sich darauf spezialisiert, bei Konkurrenten einzusteigen, die in Bedrängnis geraten sind.
Eine ganze Reihe weiterer Risikofinanzierer hat angeblich bei verschiedenen Wettbewerbern vorgefühlt, ob Interesse an den Beteiligungen besteht.
Aber weder die börsennotierte Münchener VC-Gesellschaft Knorr Capital Partner noch die Wagniskapitalfonds Atama und AA Fortuna - letztere vor allem bekannt geworden, weil der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog im Aufsichtsrat sitzt - konnten bisher ihr Firmenbündel loswerden.
Die Geldgeber drehen den Hahn zu
Die Geldgeber drehen den Hahn zu
Bislang ist es noch eine Minderheit der deutschen Venture-Capital-Firmen, die das Tafelsilber verhökern muss. Die meisten haben noch genügend Mittel, um ihre Portfolio-Unternehmen eine Weile durchzufüttern.
Schließlich arbeiten die Firmen nur zu einem geringen Teil mit eigenem Vermögen. Die Beteiligungsmanager legen Fonds auf, in denen Gelder von Versicherungen, Banken, Pensionsfonds oder vermögenden Privatiers gesammelt werden.
Dieses Kapital wird in der Regel über einen Zeitraum von zehn Jahren zur Verfügung gestellt. Da die meisten aktuellen Fonds erst einen Teil der zugesagten Gelder ausgegeben haben, bleibt den Beteiligungsmanagern noch etwas Luft.
Gleichzeitig müssen die VCs allerdings versuchen, neues Geld aufzutreiben, um ihre langfristige Existenzgrundlage zu sichern. Dieses Geschäft aber, im Branchenjargon Fundraising genannt, liegt brach. Vor allem jüngere VC-Gesellschaften haben zur Zeit kaum Chancen, sich frische Mittel zu beschaffen.
"Der Kreislauf ist unterbrochen", sagt VCM-Mann Kirchner. "Solange die Investoren nicht wenigstens einen Teil ihres Einsatzes zurückerhalten haben, sind sie nicht bereit, neues Geld anzulegen."
Selbst den etablierten Adressen der Branche fällt das Geldeinsammeln schwer. So hat die Münchener Techno Venture Management (TVM), eine der ältesten deutschen VC-Firmen, einige Probleme, Anleger für einen neuen Fonds zu finden, der in den IT-Sektor investieren soll.
"Die Investoren sind im Moment sehr nervös und übervorsichtig", beobachtet Frank Böhnke, Partner beim Münchener Wagnisfinanzierer Wellington. Einige Geldgeber ziehen sich bereits wieder aus dem Geschäft zurück.
VC-Aktien im Ausverkauf
VC-Aktien im Ausverkauf
In argen Nöten, neues Kapital aufzutreiben, sind zudem börsennotierte VCs wie BMP, Knorr Capital Partner oder TFG Venture. Im Vertrauen auf weiter steigende Aktienkurse hatten sich diese Firmen vor Jahren entschieden, keine Mittel bei privaten Großanlegern einzusammeln, sondern lieber das Geld ihrer Aktionäre zu investieren.
Die gegen null gehenden Aktienkurse machen es den Börsen-VCs nun unmöglich, weitere Gelder über den Kapitalmarkt einzusammeln. Mit der GUB Capital aus Schwäbisch Hall musste bereits ein börsengehandelter Wagnisfinanzierer Insolvenz anmelden.
Auch Gold-Zack-Chef Dietrich Walther kämpft ums Überleben seiner Firma (siehe: "Der König ist tot, es lebe der König"). Mit der Insolvenz der 45-prozentigen Tochter Gontard & Metallbank droht das Beteiligungshaus, das wie kaum ein anderes mit Aufstieg und Niedergang des Neuen Marktes verbunden ist, unterzugehen. Walther, der vor kurzem erneut die Firmenleitung übernahm, will sich durch Verkäufe von Beteiligungen retten (siehe: "Letzter Rettungsanker").
Den anderen Firmen bleibt nur ein Ausweg: sparen. TFG-Vormann Jürgen Leschke verkleinert seine Mannschaft und konzentriert das Geschäft auf Frankfurt. Knorr Capital Partner trennt sich sogar von drei Vierteln der Mitarbeiter - einschließlich Vorstandschef Thomas Knorr, der in den Aufsichtsrat wechselt.
BMP-Chef Oliver Borrmann nutzt ebenfalls jede Möglichkeit, die Kosten zu reduzieren. Sein Unternehmen zieht in günstigere Büroräume um; der Berliner Beteiligungsmanager hat außerdem Tochterfirmen verkauft und die Gesellschaft aus dem Aktienindex Smax streichen lassen.
Knapp sieben Millionen Euro hatte BMP Anfang dieses Jahres noch in der Kasse; bis 2003, hofft Borrmann, wird das Geld noch reichen. Ist die Stimmung an der Börse auch dann noch nicht umgeschlagen, wird es eng.
Die Branche hat nichts dazugelernt
Die Branche hat nichts dazugelernt
Keine Aussicht auf frische Investorengelder, kaum Chancen, die teuer bezahlten Portfolio-Unternehmen wieder zu verkaufen - was haben die VCs aus ihrem Fiasko gelernt?
Offenbar nicht viel. "Die meisten Beteiligungsmanager verhalten sich immer noch wie die Lemminge", sagt Falk Strascheg (62). Der große alte Mann der deutschen Venture-Capital-Szene, der ehemalige Börsenstars wie Brokat und Intershop aufs Parkett führte (und ausstieg, bevor sich diese Firmen in ihrem Wachstumsdrang verhedderten), spart nicht mit Kritik an den Kollegen.
"Kaum einer traut sich noch zu investieren", beobachtet Strascheg, "dabei sind die Möglichkeiten gerade jetzt ideal." Die Preise beispielsweise für junge IT-Firmen seien seit Jahren nicht so niedrig gewesen.
Doch ein solch antizyklisches Verhalten ist der Branche offenbar zu riskant. Nach einer Umfrage von Mackewicz & Partner sanken die Investitionen der VCs im ersten Quartal dieses Jahres auf 223 Millionen Euro - nicht einmal die Hälfte der Summe des Vorquartals.
Die wenigen noch aktiven Venture Capitalists setzten stattdessen auf die nächste Börsenblase, höhnt Strascheg: "Momentan ist gerade Biotech in Mode - mit dem Effekt, dass wieder einmal Firmen finanziert werden, die alle ähnliche Geschäftsmodelle verfolgen."
Ob die Kritik Folgen hat, scheint allerdings fraglich. Viele in der Branche orten den Schuldigen für die Misere lieber woanders. Wortreich beklagen die VCs die seit mehr als einem Jahr anhaltende Diskussion um die Besteuerung der Erträge von Investoren und Beteiligungsmanagern. Diese - in besseren Zeiten äußerst üppigen - Gewinne sind bislang steuerfrei; ob das so bleibt, hat der Fiskus noch nicht entschieden.
"Wenn wir nicht bald Rechtssicherheit bekommen, werden einige Gesellschaften ins Ausland abwandern", ereifert sich der Branchenverband BVK. Mit üblen Folgen für den Standort, so die VC-Lobbyisten; schließlich versorge die Branche die Wirtschaft mit neuen Ideen und Technologien.
Im mm-Archiv: Was von der Gründerwelle bleibt