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zuletzt aktualisiert: 24. Juni 2002, 09:33 Uhr
Heft 5/2002:
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Neue Bundesländer Welkende Landschaften

Von Henrik Müller

Aufschwung Ost? Längst vorbei. Die neuen Länder stecken tief in der Krise. Nur eine Radikalkur könne helfen, sagen Ökonomen. Weniger Subventionen, geringere Sozialleistungen - jede Menge Zumutungen.

 Sorgenkind: Deutschland Ost heute - das sind welkende Landschaften, überdüngt mit Sozialleistungen und Subventionen
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Sorgenkind: Deutschland Ost heute - das sind welkende Landschaften, überdüngt mit Sozialleistungen und Subventionen

Was treibt diesen Mann bloß in den fernen Osten Deutschlands? Sein halbes Leben ist Klaus Wiemer durch die Welt gereist und hat Chipfabriken gemanagt. Nun, mit 64 Jahren, könnte er sich das Leben etwas behaglicher einrichten, könnte zu Hause in Dallas mit seiner Frau den Ruhestand genießen.

Aber Klaus Wiemer, ein Texaner deutscher Herkunft, sitzt lieber im ungemütlichen Frankfurt/Oder. Sein Büro hat er im "Technologiepark Ostbrandenburg" eingerichtet, einem der vielen überdimensionierten Gewerbegebiete in Ostdeutschland, wo viele leere Parkplätze von der Hoffnung auf Aufschwung künden, wo aber bislang leider nur das Gras zwischen dem Gehwegpflaster wuchert.

Wiemer hat einen gigantischen Plan. In Frankfurt/Oder baut er derzeit eine Chipfabrik für anderthalb Milliarden Euro - eines der größten Industrieprojekte Ostdeutschlands.

Warum ausgerechnet hier? Warum in Frankfurt, jener von vielen guten Geistern verlassenen Grenzstadt?

Wiemers Antwort ist wortreich. Mit Henry-Kissinger-Akzent schwärmt er vom Standort ("Das hier war früher das Zentrum der DDR-Halbleiterindustrie"); von der Weltniveau-Technologie des öffentlichen Frankfurter Instituts für Halbleiterphysik (IHP); von den vielen qualifizierten Leuten; von den 4000 Bewerbungen, die er schon bekommen hat.

Klingt alles schlüssig. Aber sind das die wahren Gründe? Also: Warum ist Klaus Wiemer wirklich in Frankfurt/Oder?

Die Antwort liegt nahe: Wegen all des Geldes, das in Ostdeutschland herumschwappt und nach Kanälen sucht, in die es fließen kann.

Mit rund 350 Millionen Euro direkten Subventionen kann Wiemers Firma Communicant rechnen. Zusätzlich gibt es eine öffentliche Bürgschaft über Kredite von rund 500 Millionen Euro. Und 38 Millionen Euro Eigenkapitalbeteiligung vom Land Brandenburg. Und eine 280-Millionen-Beteiligung des Emirats Dubai, vom Potsdamer Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß (CDU) eingefädelt.

Staatskapitalismus Ost. Geld, Initiative, Know-how - alles kommt vom Staat. So läuft das Geschäft in der früheren DDR. Auch zwölf Jahre nach der Einheit.

Deutschland Ost heute - das sind welkende Landschaften, überdüngt mit Sozialleistungen und Subventionen.

Nach dem Motto "Viel hilft viel" haben Bundes- und Landesregierungen mittlerweile eine Dreiviertelbillion Euro gen Osten geschickt. Geld, das zwar der großen Mehrheit der Bürger zu einem höheren Lebensstandard verholfen hat, das aber die Privatinitiative erstickt.

Wer baut und wer einreißt, wer eine Maschine kauft und wer eine verkauft, wer Bäume pflanzt und wer welche abholzt, wer jemanden einstellt und wer nur seinem Hobby nachgeht im Beitrittsgebiet gilt fast alles als förderungswürdig.

Der Osten braucht eine Entziehungskur

"Das ganze Geld aus dem Westen", urteilt der Hallenser Psychiater Hans-Joachim Maaz, der wohl profilierteste Analytiker der Ost-Befindlichkeit, habe die DDR-typische Passivität der Menschen konserviert. Schlechte Voraussetzungen für ein Leben in der Marktwirtschaft (siehe: "Psychiater Maaz über die Mentalität der Ostdeutschen").

 Besserung in weiter Ferne: Teurer Standort, schwache Konjunktur, hartnäckige Job-Lücke - Ostdeutschland fällt als Wirtschaftsstandort immer weiter zurück
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Besserung in weiter Ferne: Teurer Standort, schwache Konjunktur, hartnäckige Job-Lücke - Ostdeutschland fällt als Wirtschaftsstandort immer weiter zurück
Höchst kritisch sehen viele Ökonomen die Lage: Wer den nicht mehr ganz so neuen Ländern wirklich helfen wolle, fordern OECD und EU-Kommission einstimmig, müsse dem Osten eine Entziehungskur verordnen: Lohnzurückhaltung, geringere Sozialleistungen, weniger Subventionen (siehe "Ratschläge - was die EU-Kommission empfiehlt"). Nur so könne Ostdeutschland dauerhaft ökonomisch und sozial gesunden. Nur so wäre den Menschen dauerhaft geholfen.

Ein Fitnessprogramm. Aber eben auch eine Zumutung, die Politiker aller Parteien scheuen. Lieber versprechen sie wieder mal viel, viel zusätzliches Geld. Weil sich in Ostdeutschland die Bundestagswahlen entscheiden, steigern sich Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Kandidat Edmund Stoiber (CSU) in Spendierlaune: der Mittelstand, die Existenzgründer, die Forschung - hat noch jemand einen Wunsch?

Eine Chipfabrik in Frankfurt/Oder? Klar, unterstützen wir, hat der Kanzler zugesichert. Im Gegenzug hat die brandenburgische Landesregierung das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat passieren lassen. Auch eine Ananas-Plantage am Greifswalder Bodden ließe sich vermutlich im Wahljahr finanzieren.

Gegen jede ökonomische Vernunft haben Kanzler und Kandidat die Ex-DDR zur Tabuzone erklärt. Ein großer Fehler: Im Osten entscheidet sich nicht nur das politische Schicksal Schröders und Stoibers, sondern, ungleich wichtiger, das ökonomische Schicksal der gesamten Republik.

Das Geld, das nach Ostdeutschland strömt, wird aus Zuflüssen im Westen gespeist. 70 Milliarden Euro sammelt der Staat bei den Bürgern und Unternehmen im Westen jährlich ein, um sie gen Osten zu überweisen. Zwischen 4 und 5 Prozent der West-Wirtschaftsleistung. Jahr für Jahr. Seit 1991. Ende offen.

Die direkten Zuweisungen des Bundes an die Ostländer, finanziert insbesondere durch den "Solidaritätszuschlag", machen nur einen relativ kleinen Teil der Transfers aus. Eine weitaus größere Summe wird über die Sozialversicherungen umverteilt.

Dass sich Deutschland seit Jahren deutlich schlechter entwickelt als alle anderen Euro-Staaten, sei unter anderem ein Resultat der Einheit, analysieren Alfred Boss und Carsten-Patrick Meier vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Eine aktuelle Studie der EU-Kommission kommt zum gleichen Ergebnis (siehe: "Deutschland - kein Vorbild für Europa"). Während viele der europäischen Nachbarn in den 90er Jahren Steuern und Abgaben senkten, stieg die Belastung in Deutschland. Gift für die wirtschaftliche Dynamik.

Die neuen Länder - Deutschlands Problemzone

Die neuen Länder - Deutschlands Problemzone. Binnen fünf Jahren würden "blühende Landschaften" entstehen, hatte Helmut Kohl 1990 versprochen. Zunächst schien aus dem "Aufschwung Ost" tatsächlich etwas zu werden. Dank Bauboom wuchs die Ost-Wirtschaft zunächst viel schneller als die westdeutsche - und bescherte ganz nebenbei gut verdienenden Westdeutschen mittels Sonderabschreibungen sanierte, inzwischen aber vielfach schwer vermietbare Ostimmobilien.

 Wenig Industrie, viel Bau: Branchenstruktur in Ost und West
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Wenig Industrie, viel Bau: Branchenstruktur in Ost und West
Ein Strohfeuer. Ab 1997 wurden die Sonderabschreibungen zurückgefahren. Seither stagniert die Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit hat sich bei 19 Prozent verfestigt. Die Bauwirtschaft stürzt in sich zusammen; bedrängte Unternehmer hoffen auf Abrissaufträge, denn der steuersubventionierte Bauboom hat ein Überangebot von 1,2 Millionen Wohnungen hinterlassen. Die Menschen gehen; seit 1997 rollt eine anschwellende Auswanderungswelle. Was zurückbleibt, ist vielerorts Hoffnungslosigkeit.

Zum Beispiel in Stremlow/Vorpommern. Ein winziges Dorf am Rande des bundesdeutschen Universums. Viele sind längst weggezogen, nur 100 Menschen leben noch dort.

Stremlow verfügt über eine ansehnliche Zahl von "Sehenswürdigkeiten" (Eigenwerbung). Der Ort hat eine "Heimatstube" (Sammlung alter Hausgeräte), eine "Wanderkoje" (Mini-Jugendherberge), eine "Wasserkaskade" (Steinhaufen mit eingebauter Pumpe), ein "Agrarmuseum" (Rasenfläche mit ein paar alten Ackergerätschaften).

Warum gibt es in Stremlow solche Dinge? Weil das viele Geld vom Staat ausgegeben werden muss. Irgendwie.

Die Stremlower "Sehenswürdigkeiten" haben die ABM-Kräfte vom Strukturförderverein Tebeltal angelegt. Und weil das Dorf inzwischen voll gestellt ist mit größtenteils sinnlosen Anlagen, bauen nun einige ABMler "Schmuck" für die Märkte in der Gegend - mannshohe Pappmaché-Hasen für Ostermärkte zum Beispiel.

 der Weiterbau der A 44 (im Bild Brückenpfeiler im Rohbau) zwischen Kassel und Eisenach ist vorerst gestoppt
DPA
der Weiterbau der A 44 (im Bild Brückenpfeiler im Rohbau) zwischen Kassel und Eisenach ist vorerst gestoppt
Für solche Tätigkeiten erhalten sie 550 Euro netto im Monat. In Vorpommern, wo das Land leer und das Leben billig ist, können sich die Leute für dieses Geld allerhand kaufen.

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind das wohl schädlichste aller Ost-Programme. Aus vier Gründen: Erstens finden die Menschen kaum wieder einen normalen Job. Sie seien stigmatisiert und fürs echte Arbeiten versaut, sagen sogar die Verantwortlichen vom Strukturförderverein, die selbst ABM-Kräfte sind.

Zweitens: Die ABM-Leute bauen Sachen, die keiner braucht wie die Stremlower "Sehenswürdigkeiten". Beitragsgelder der Arbeitslosenversicherten werden sinnlos vergeudet.

Drittens: ABM schafft unkontrollierte kommunale Nebenhaushalte. Die regionalen Arbeitsämter verteilen die Gelder im Zusammenspiel mit Trägervereinen und Bürgermeistern. Viel Raum für Mauscheleien.

Viertens: Die ABM-Leute erledigen Arbeiten, die eigentlich reguläre Unternehmen ausführen sollten. Ob Bauarbeiten oder Grünflächenpflege - die ABM-Gesellschaften erdrücken die wenigen, die es gewagt haben, "sich privat zu machen" (Ost-Jargon).

Landflucht als Sanierungsmaßnahme

Einer wie Hans-Peter Schmitz, Garten- und Landschaftsbauunternehmer im vorpommerschen Pentz, kommt daher kaum mit den Gemeinden ins Geschäft. Um das kommunale Grün kümmern sich fast ausschließlich ABM-Leute.

 Staatskapitalismus: Das wohl ambitionierteste Industrieprojekt Ostdeutschlands ist eine Chipfabrik in Frankfurt/Oder. Möglich wird sie erst durch staatliche Finanzspritzen von hunderten Millionen Euro. Staatskapitalismus Ost - so läuft das Geschäft in der früheren DDR, ohne absehbares Ende.
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Staatskapitalismus: Das wohl ambitionierteste Industrieprojekt Ostdeutschlands ist eine Chipfabrik in Frankfurt/Oder. Möglich wird sie erst durch staatliche Finanzspritzen von hunderten Millionen Euro. Staatskapitalismus Ost - so läuft das Geschäft in der früheren DDR, ohne absehbares Ende.
Was Schmitz noch mehr ärgert: Die relativ hohen ABM-Verdienste verderben das Lohnniveau. Angelernte Grünpfleger, schimpft der Gartenbauer, könne er nicht einstellen, "weil ich denen nicht so viel zahlen kann wie das Arbeitsamt". Nicht verwunderlich, dass keine Niedriglohnjobs entstehen.

237.000 ABM-Kräfte gab es zeitweise in den neuen Ländern. Heute sind es immer noch mehr als 78.000 sowie 41.000 in Strukturanpassungsmaßnahmen. Schröder und Stoiber wollen an ABM festhalten. Warum? Weil die ABMler plus Familien eine beachtliche Wählergruppe sind. Das Geld wird hingegossen, wo es gerade opportun erscheint. Zum größten Teil fließen die West-Ost-Transfers in den Konsum, nicht in Investitionen - die Hälfte wird für Soziales ausgegeben, nur ein Achtel für den Ausbau der unternehmensnahen Infrastruktur. Eine krasse Fehlsteuerung.

Bei sozialer und innerer Sicherheit, selbst bei Kultur ist der Osten pro Kopf besser ausgestattet als der Westen. Die Ost-Rentner bekommen längst höhere Bezüge als die West-Rentner. Gleichzeitig, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, mangelt es immer noch an einer elementaren Voraussetzung für den Aufschwung: an Straßen.

Nicht einmal die Autobahn zwischen Berlin und Dresden, den beiden wichtigsten Ost-Städten, ist fertig gestellt. Auch kommunale Wege fehlen: In Halle zum Beispiel führen nur zwei Brücken über die Saale - weshalb die Stadt stillsteht im Dauerstau. Solche Engpässe könnten längst behoben sein, würde sich der Ausbau der Infrastruktur auf die wenigen potenziell dynamischen Zentren wie Dresden, Leipzig und Halle fokussieren, meint Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Stattdessen versickern die Gelder großflächig in den verlassenen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts.

Nur in Ballungsräumen, so zeigt die weltweite Erfahrung, entfaltet sich wirtschaftliche Dynamik. Dort sollten die Gelder konzentriert werden. In den Randregionen hingegen sollten Förderung und Sozialleistungen heruntergefahren werden, rät die EU-Kommission. "Passive Sanierung" nennen das die Fachleute. Vulgo: Lasst die Leute wegziehen!

Die "überinvestierte Wirtschaft"

Es ist nur so: Auch die Ost-Metropolen sind längst keine wettbewerbsfähigen Standorte. Nur mit hohen Subventionen können sie Investitionen anlocken.

 Massenarbeitslosigkeit: Nur mit hohen Subventionen lassen sich im Osten Deutschlands Investitionen anlocken
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Massenarbeitslosigkeit: Nur mit hohen Subventionen lassen sich im Osten Deutschlands Investitionen anlocken
BMW hat voriges Jahr 250 Städte in ganz Europa geprüft. Am Ende bekam Leipzig den Zuschlag. Dort entsteht derzeit eine neue Fabrik. Investitionssumme: 1 bis 1,3 Milliarden Euro. 35 Prozent, also 300 bis 450 Millionen Euro, soll der Staat zuschießen als direkte nicht rückzahlbare Subventionen.

Ohne dieses Zuckerl würden die Bayern anderswo bauen. Hätte Leipzig keine Subventionen geboten, wäre BMW wohl nach Kolín in Tschechien gegangen, vor allem wegen der Lohnkosten, die bei einem Fünftel des Leipziger Niveaus liegen. Peter Claussen, bei BMW für den Bau der Fabrik verantwortlich, spricht fein von der "betriebswirtschaftlichen Differenz" zwischen Leipzig und Kolín.

Natürlich, für Leipzig ist das BMW-Werk eine tolle Sache. 5500 Jobs wollen die Bayern und ihre Zulieferer schaffen. Die Hoffnungen der Bürger sind gigantisch. 38.000 haben sich schon beworben.

Aber sind derart hohe Subventionen sinnvoll? In Wahrheit weisen sie auf einen Grundfehler der deutschen Vereinigung: die sture Übernahme des gesamten aufwändigen bundesrepublikanischen Regelwerks. 1990 bekamen die neuen Länder mit der D-Mark das teure westdeutsche Sozialsystem. Dann vereinbarten Gewerkschaften und Arbeitgeber auch noch die rasche Annäherung der Löhne. Folge: Die Lohnkosten stiegen viel schneller als die Produktivität. Um dem Standortnachteil hoher Lohnstückkosten entgegenzuwirken, subventioniert der Staat wiederum Maschinen, Anlagen und Gebäude. So entstehen superrationalisierte Betriebe, die zu kapitalintensiv sind, gemessen an den Bedürfnissen der Volkswirtschaft Ost, wo rund zwei Millionen Menschen einen Job suchen.

Ostdeutschland sei eine "überinvestierte Wirtschaft", analysiert Albert Müller vom Münchener Ifo Institut. Wichtiges Indiz: Die Produktivität der Beschäftigten stagniert seit Jahren bei 70 Prozent des Westniveaus.

Inzwischen ist auch die Produktivität des Kapitals unter Westniveau gesunken.

Ein Alarmsignal. Solange Kapital im Osten keine höheren Erträge abwirft als im Westen, fehlt der Anreiz zu investieren. So lange wird es kein selbsttragendes Wachstum geben. So lange wird der Westen Milliardenhilfen leisten müssen.

Viel Geld - wenig Wirkung

Vom "Aufschwung Ost" über den "Aufbau Ost" zum gesamtdeutschen Stillstand - nach zwölf Jahren Einheit ist es höchste Zeit zu erkennen, dass auch hunderte Milliarden Euro an staatlichen Hilfen die Kluft nicht zu schließen vermögen. Weder ökonomisch noch emotional.

"Vor zwei Jahren war die Stimmung noch besser als die Lage. Jetzt hat sich die Stimmung der Lage angepasst", sagt der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke, inzwischen stellvertretender Chef der Unionsfraktion im Bundestag.

Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Wenn Polen, Tschechien, Ungarn und andere osteuropäische Staaten ab 2004 der EU beitreten, werden diese Länder als Standorte noch attraktiver. Zeitgleich will EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti die Subventionen für Großinvestitionen in den neuen Ländern beschränken. Ostdeutschland in der Zange - der Konkurrenzdruck steigt.

So unpopulär es sein mag: Die nächste Bundesregierung wird um drastische Maßnahmen nicht herumkommen. Weil es wirtschaftlich notwendig ist. Und weil sich die soziale Lage zuspitzt.

Eine wachsende Zahl von Menschen bekommt zwar vom Staat genug Geld zum Leben. Sie können sich aber nicht entfalten, können nicht selbst für ihr Leben sorgen. Im Osten, befürchtet Psychiater Maaz, breite sich eine "resignierte, latent aggressive Haltung" aus.

In Frankfurt/Oder ist die Stimmung gedrückt. 44.000 Leute suchen derzeit in der Region einen Job. Ein Brennpunkt rechtsradikaler Gewalt sei die Stadt geworden, stellt das Innenministerium in Potsdam fest.

Wie es in Frankfurt aussehe, bekomme er kaum mit, sagt Klaus Wiemer. Von morgens acht bis abends zehn arbeite er an seiner Chipfabrik. Keine Zeit für Seitenblicke.

Ob die Chipfabrik der Stadt hilft? Fraglich. 1500 Jobs will Wiemer schaffen. Wenn alles gut läuft, soll noch einmal ein Vielfaches an Stellen rundherum entstehen.

Wenn es schlecht läuft, sind 900 Millionen Euro Staatsbeteiligung weg. 600.000 Euro pro Job - ein verdammt hohes Risiko.

Aber angesichts all des Geldes, das in Ostdeutschland herumschwappt, fast noch Peanuts.

Probleme: Woran die ostdeutsche Wirtschaft krankt Lösungen: Was die EU-Kommission empfiehlt Interview: Psychiater Maaz über die Komplexe der Ostdeutschen Sanierungsfall Deutschland: Die ziellose Republik

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