Sanierungsfall Deutschland Die Job-Lücke

Der trübe Westen und der goldene Westen liegen dicht beieinander. manager magazin analysiert, warum in Deutschland Millionen Jobs fehlen - und in Holland Arbeitskräfte.

Aachen, das ist der trübe Westen. Die wirtschaftliche Lage: dürftig. Derzeit streichen die örtlichen Unternehmen Investitionen und Jobs zusammen, die Arbeitslosenquote liegt bei 9,4 Prozent. Industriemumien wie Bergbau und Schwerindustrie behindern neue Dynamik. Aachen: typisch Nordrhein-Westfalen, typisch Deutschland.

Der goldene Westen liegt gleich jenseits der Grenze: in Maastricht, keine 30 Kilometer von Aachen entfernt. Dort plagt nicht ein Mangel an Jobs die Wirtschaft, sondern ein Mangel an Mitarbeitern. Auf niederländischer Seite liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei 2 Prozent. Der weltweite Abschwung hat zwar auch hier die Dynamik gedämpft, dennoch geht es weiter aufwärts. Maastricht: typisch Holland.

In kaum einem anderen EU-Land sind in den vergangenen Jahren mehr Jobs entstanden als in den Niederlanden - und in kaum einem EU-Land weniger als in Deutschland. Seit Jahren wächst die niederländische Wirtschaft fast doppelt so schnell wie die deutsche. Während die Bundesregierung 2002 mit dem Euro-Stabilitätspakt hadert, weist der niederländische Staatshaushalt einen soliden Überschuss aus.

Politik pervers

Gesundes Holland - krankes Deutschland. Wie können sich zwei so ähnliche Nachbarländer so unterschiedlich entwickeln?

Weil sie unterschiedlich regiert werden. Anders als die Deutschen handeln die Niederländer gemäß einer schlichten, aber wahren Erkenntnis: dass mehr Beschäftigung mehr Wohlstand bringt und dass die Politik deshalb alles tun muss, um Menschen an die Arbeit zu bringen.

Eine Einsicht, von der die Volksparteien und die Gewerkschaften in Deutschland noch weit entfernt sind. Jahrzehntelang haben sie sich zuvörderst mit der Verteilung von Arbeit und Einkommen befasst - nicht mit der effizienten Mehrung des Wohlstands.

Politik pervers. Weil sich in Deutschland legale Beschäftigung für viele Menschen nicht lohnt, entwickelt sich insbesondere ein Sektor dynamisch: die Schattenwirtschaft. Sie wächst 2002 voraussichtlich um 3,5 Prozent, wie der Linzer Ökonom Friedrich Schneider prognostiziert - viermal so stark wie die legale Ökonomie.

Vorbild Holland

Die Gründe der deutschen Jobmisere

Rund sechs Millionen Menschen sind in Deutschland offen oder verdeckt arbeitslos, aber 1,4 Millionen Stellen bleiben unbesetzt; Unternehmen finden nur schwer Mitarbeiter.

Zum Beispiel der Autozulieferer ZF Friedrichshafen. 10 Prozent der Lehrstellen und 20 Prozent der Ingenieurjobs bleiben unbesetzt, weil es zu wenige fähige Bewerber gibt.

Auch mit der Mobilität sei es nicht weit her, erzählt Personalvorstand Uwe Berner: Als während der großen Autokrise 1993/94 die Geschäfte schlecht gingen, bot ZF an, Mitarbeiter aus gering ausgelasteten Werken Ostdeutschlands in besser laufende West-Betriebe zu holen.

Mit mäßigem Erfolg. "Die Leute sind lieber im Osten arbeitslos, als dass sie im Westen arbeiten." An der grundsätzlichen Immobilität habe sich bis heute nichts geändert, sagt Berner. Selbst ein Wechsel zwischen westdeutschen Standorten finde so gut wie gar nicht statt.

Vorbild Niederlande

Kaum verwunderlich, denn Flexibilität lohnt sich für deutsche Beschäftigte kaum. Auf ihnen lastet die EU-weit zweithöchste Steuer- und Abgabenlast. Und werden sie arbeitslos, bekommen sie zunächst so generöse Bezüge, dass sie bei der Arbeitssuche wählerisch sein können.

Die Gründe für die deutsche Jobmisere liegen in falschen Regulierungen. Unternehmen zahlen extrem hohe Arbeitskosten. Beschäftigungsfeindliche Vorschriften verhindern Einstellungen.

Anders in den Niederlanden: Dort liegen Steuern und Abgaben niedriger. Die Gewerkschaften ermöglichen seit 1982, dass die Löhne langsamer steigen als die Produktivität - während ihre deutschen Kollegen alle paar Jahre das "Ende der Bescheidenheit" verkünden, so auch dieses Jahr.

Die holländischen Regelungen bei Kündigung und befristeter Beschäftigung sind deutlich lockerer als die in Deutschland. 1999, als die rot-grüne Bundesregierung begann, die Arbeitsgesetze zu verschärfen, liberalisierten die Holländer weiter.

Das Vorbild Holland zeigt: Nicht eine einzige Maßnahme, sondern nur viele Reformschritte können den Arbeitsmarkt revitalisieren. Und: Es dauert Jahre, bis Reformen wirken.

Was tun?

Was tun?

  • Strukturreformen anpacken: Die Flächentarifverträge aufbrechen; den Kündigungsschutz einschränken; befristete und geringfügige (325-Euro-Jobs) Beschäftigung ausweiten.


  • Die Arbeitslosenversicherung schrittweise abschaffen. Sie ist ein Relikt aus Zeiten, als Arbeiter so wenig verdienten, dass sie von Elend bedroht waren, wenn sie arbeitslos wurden. Heute gibt es Sozialhilfe und private Ersparnisse. Ohne Arbeitslosenversicherung würde die Abgabenlast erleichtert; und Arbeitslose stünden unter stärkerem Druck, sich rasch um eine neue Stelle kümmern zu müssen.


  • Dauerhafte Lohnsubventionen für Niedrigverdiener gehören mittlerweile in vielen Ländern zum beschäftigungspolitischen Arsenal. Auch in Deutschland könnte endlich ein Niedriglohnsektor für Geringqualifizierte entstehen.


  • Das Handwerkskartell knacken. Dass es in Deutschland keinen Niedriglohnsektor und wenig Firmengründungen gibt, liegt insbesondere an den restriktiven Handwerksregelungen, ohne die auch hier zu Lande einfache Dienstleistungen zu bezahlbaren Preisen angeboten werden könnten - und zwar legal.
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