Interview Wechsel-Kurs
mm:
Herr Acampora, viele amerikanische Investoren sind nicht gut auf Sie zu sprechen. Sie werfen Ihnen vor, den Dow Jones heruntergeredet zu haben. Seither nennt man Sie höhnisch Ralph "make 'em poorer" - Ralph, mach sie ärmer.

Acampora: Die Leute sollten nicht auf Gurus wie mich hören, sondern Finanzprobleme zusammen mit ihrem Vermögensberater lösen.
mm: Bis Anfang August waren Ihre Prognosen für die US-Börse geradezu enthusiastisch. Unzählige Anleger sind Ihnen fast blindlings gefolgt. Dann haben Sie plötzlich Ihre Meinung radikal geändert. Warum?
Acampora: Die Menschen haben mich mißverstanden. Ich habe damals lediglich vor übertriebenen Gewinnerwartungen bei US-Aktien gewarnt. Aber die Marktteilnehmer sind angesichts der weltweiten Krisen derart nervös, daß jede noch so kleine Äußerung Reaktionen am Markt nach sich zieht.
mm: Was ist der Grund für die Nervosität?
Acampora: Die Zahl der Privatanleger, die ihr Geld in Aktien anlegen, ist in den USA enorm gestiegen. Hier gibt es kaum einen Haushalt, der nicht Anteile an einem Investmentfonds besitzt. Andererseits war die Sparquote meiner Landsleute niemals so gering wie zur Zeit. Das ergibt ein brisantes Gemisch. Wenn es dann zu einer kleinen Korrektur kommt, verlieren die Kleinanleger die Nerven.
mm: In Deutschland haben sich Privatinvestoren im Gegensatz zu den institutionellen Anlegern sehr besonnen verhalten.
Acampora: Das wundert mich nicht. Sie haben in Europa auch nicht diese enorm hohe Aktienquote wie in den USA. Hier ist das Thema Altersvorsorge mit Aktien in den vergangenen Jahren zu einem entscheidenden Faktor für die Wall Street geworden. Jetzt machen sich die Leute angesichts der Rückschläge Sorgen um ihren Ruhestand.
mm: Sie können doch nicht die amerikanischen Kleinaktionäre für den Verfall der Börsenkurse verantwortlich machen. Haben Sie mit Ihren Kommentaren nicht den Pessimismus erst geschürt?
Acampora: Nein. Die Anleger waren bereits vor meinem Meinungswechsel sehr vorsichtig. Im Juli haben Investoren 27,3 Milliarden Dollar in Geldmarktfonds gesteckt, aber nur 1,7 Milliarden Dollar in Aktienfonds. Im Juni war das Verhältnis umgekehrt.
mm: Und Sie haben mit Ihrer Warnung draufgesattelt?
Acampora: Ich habe meinen Optimismus gezügelt.
mm: Wie ist das zu verstehen?
Acampora: Ich bin seit dreieinhalb Jahren bullish gewesen, obwohl wir in dieser Zeit auf dem amerikanischen Markt 14 zum Teil heftige Korrekturen verzeichnen mußten. Der Dow-Jones-Index ist bei diesen Mini-Crashs im Durchschnitt um 7 Prozent innerhalb von drei Wochen gefallen. Von solchen Einbrüchen habe ich mich nicht beirren lassen. Diese Ereignisse waren für mich lediglich "Tarnkappenkorrekturen".
mm: So wie der Tarnkappenbomber der amerikanischen Luftwaffe?
Acampora: Ganz genau. Man weiß, daß diese Flugzeuge in der Nähe sind, aber man kann sie nicht auf dem Radarschirm sehen.
mm: Wie sehen solche versteckten Korrekturen aus?

Acampora: Um ein passendes Beispiel zu finden, muß ich zwei Jahre zurückgreifen. Im Sommer 1996 hatten wir eine klassische Tarnkappenkonstellation auf dem US-Aktienmarkt. Mehr als die Hälfte aller SmallCap-Werte - und die machen die weitaus größte Zahl der amerikanischen Titel aus - verloren fast 20 Prozent ihres Wertes. In der gleichen Zeit büßten die 30 Standardwerte aus dem Dow-Jones-Index lediglich 8,5 Prozent ein. Das ist eine Tarnkappenkorrektur: Der gesamte Aktienmarkt fällt in eine Baisse - nur die Dow-Titel können dem Abwärtssog widerstehen.
mm: Wie ist die Situation heute?
Acampora: Viel schlimmer. Wir haben keine versteckte, sondern eine tiefgreifende Krise am amerikanischen Finanzmarkt. Aus einer Tarnkappenkorrektur ist eine offene Baisse geworden. Selbst die Bewertungen von bislang starken Standardwerten wie 3M, Boeing, Disney, General Motors und Procter & Gamble sind rasant gefallen. Und es beunruhigt mich, daß der Dow Jones für die Anleger nicht mehr die Funktion eines sicheren Hafens hat.
mm: Sind die Ursachen für den Rückschlag nicht eher in Fernost und Rußland zu suchen?
Acampora: Die Asien- und die Rußland-Krise haben den Prozeß lediglich beschleunigt. Früher oder später hätte der Aktienmarkt in diesem Jahr seinen Tiefpunkt erreicht. Wir befinden uns nämlich am Ende eines vierjährigen Hausse-Zyklus. Ein ähnliches Phänomen konnte man übrigens schon zwischen 1962 und 1966 beobachten.
mm: Hier spricht der technische Analyst. Holen Sie jetzt die Theorie von den Elliott-Wellen aus der Mottenkiste?
Acampora: Diese Theorie ist gar nicht so verstaubt, wie viele behaupten. In den 90er Jahren hat es bisher alle vier Jahre einen idealen Zeitpunkt zum Einstieg in den Markt gegeben. Schauen Sie sich den Börsenverlauf der vergangenen zehn Jahre an. Der letzte günstige Zeitpunkt für Aktieninvestitionen zu billigsten Kursen war im November 1994, ebenso wie vier Jahre davor - im Oktober 1990 - zu Beginn des Golf-Kriegs. Und ich denke, daß wir jetzt im Oktober wieder eine Talsohle erreichen werden.
mm: Uns steht also ein weiterer Crash bevor?
Acampora: Sollte der Dow in der nächsten Zeit weiter massiv unter Druck geraten, wird es kein Halten mehr geben. Dann wird der Index noch weiter unter seinen diesjährigen Höchstständen notieren. Das heißt, der Dow Jones könnte im Ernstfall bis auf 7400 Punkte stürzen.
mm: Wie können sich Anleger auf den Rückschlag vorbereiten?
Acampora: Generell würde ich erst einmal abwarten, bis der amerikanische Aktienmarkt seinen Tiefstand erreicht hat.
mm: Und was machen Sie dann?
Acampora: Nach dem Crash gibt es wieder unzählige Möglichkeiten, sich für die kommende Hausse günstig mit Aktien einzudecken. Wie ich schon sagte, die Anleger haben mich mißverstanden. Ich habe mich nicht zum skeptischen Bären gewandelt, sondern bin immer noch auf lange Sicht ein äußerst optimistischer Bulle.
Geldanlage: Die richtige Strategie in der Krise