Geschäftsberichte Sprachfehler
Bürokratendeutsch im Geschäftsbericht der Biotest AG. Vorstand Dieter Merz verkündet die Strategie des Unternehmens. Wörtlich heißt es dort: "Dr. Dieter Merz, Vorstandsvorsitzender, sieht in der konsequenten Nutzung unserer Kernkompetenz und Spezialisierung vor dem Hintergrund der zunehmenden Konzentration im Wettbewerb die wesentlichen Aufgaben der nächsten Jahre."
Alles klar? Nein? Verzweifeln Sie nicht, wenn Sie nach der Lektüre des Biotest-Geschäftsberichts nicht verstanden haben, was genau die wesentlichen Aufgaben des Unternehmens sind. Den meisten deutschen Aktionären geht es nicht anders.
Das Beispiel Biotest stammt aus der diesjährigen Analyse des Düsseldorfer Germanistikprofessors Rudi Keller und ist typisch für deutsche Geschäftsberichte. Die sprachliche Qualität ist nach wie vor schlecht. Es wird viel geschrieben, aber wenig mitgeteilt. Nur 20 der Top-100-Geschäftsberichte aus Industrie und Handel konnten die mm-Jury sprachlich überzeugen.
Keller und sein Team von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität haben im mm-Test die Geschäftsberichte anhand von 29 Kriterien geprüft. Verständlich und überzeugend sollen sie sein, sympathisch formuliert, zum Image des Unternehmens passen und lesefreundlich geschrieben sein; die meisten Berichte sind jedoch lieblos erstellt. Lange Sätze, eine bürokratische Wortwahl und eine verquere Argumentation erschweren selbst interessiertem Fachpublikum die Lektüre. "Ein schlechter Stil", wirft Keller den Firmen vor, "ist ein konstruktiver Beitrag zur Geschäftsschädigung."
Die Fehler sind zahlreich. Viele Autoren von Geschäftsberichten verwenden zum Beispiel sprachliche Bilder, um den Zahlenwust anschaulicher zu verpacken. Das lobenswerte Vorhaben bewirkt allerdings oft nur unfreiwillige Komik. Mal fahren die Preise zur See: "Die Rohstoffpreise dürften sich ebenfalls in einem ruhigen Fahrwasser bewegen, überwiegend unterhalb des Vorjahresniveaus" (Bayer). Mal nimmt das Personal "bereinigt um 155 Mitarbeiter ab" (BDAG).
Die beste Sprache
Der Geschäftsbericht von Audi zeugt von einer ausgeprägten Kommunikationskultur des Unternehmens. Der gesamte Text besticht durch wohlstrukturierte Sätze, ohne jemals monoton zu sein. Die Sprache ist unbürokratisch, die Wortwahl prägnant und abwechslungsreich. Sprachliche Bilder kommen wohldosiert zum Einsatz. Zum besseren Verständnis trägt die hervorragende Struktur des Textes bei: Vorspänne und gelungene Überschriften erleichtern den Textzugriff. "Leserorientierung", wertet Germanist Keller, "ist bei Audi tatsächlich als Kundenorientierung verstanden worden." |
Unbedingt vermeiden sollten Unternehmen eine bürokratische Wortwahl: "Die erfolgreiche Umsetzung der 1996 eingeleiteten Maßnahmen zur Steigerung der operativen Ertragsfähigkeit haben sich 1997 in einer signifikanten Verbesserung der Ertragslage niedergeschlagen" (Berliner Elektro). Das gleiche gilt für unsinnige Spielchen mit der Statistik: "Die Zahl der Unfälle stieg 1997 um 4 auf 215 leicht an. Wegen der geringen Zahl der insgesamt Beschäftigten nahm die Unfallquote je 100 Mitarbeiter auf 5,4 Prozent (1996: 4,7 Prozent) zu" (Brau und Brunnen).
Große Unterschiede innerhalb der Branchen
Einige Branchen haben es sprachlich möglicherweise schwerer, den Lesern der Berichte ihre Produkte und Dienstleistungen näherzubringen, vermutet Keller. Doch eine schlechte Sprache ist lediglich ein Indiz dafür, daß sich die Autoren der Berichte keine Mühe geben, verständlich zu formulieren. Das belegen auch die großen Unterschiede innerhalb der einzelnen Branchen.
So wurde der Bericht des Mischkonzerns Degussa für die lebendigste Wortwahl ausgezeichnet. Und die vermeintlich drögen Finanzdienstleister können auch anders. Der Allianz-Bericht besticht durch die größte Lesefreundlichkeit aller untersuchten Reports. Die Bayerische Vereinsbank siegte gleich dreimal in der Kategorie Sprache. Ihr Bericht hat das übersichtlichste Inhaltsverzeichnis, die beste Textstruktur und weist außerdem die klarste Argumentation auf.
Flüssig formuliert
Die Einzelsieger in der Kategorie Sprache |
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Die lebendigste Wortwahl: | Degussa |
Der gelungenste Satzbau: | Audi |
Der angenehmste Stil: | Pro Sieben |
Die klarste Argumentation: | Vereinsbank |
Die beste Textstruktur: | Vereinsbank |
Das übersichtlichste Inhaltsverzeichnis: | Vereinsbank |
Die größte Lesefreundlichkeit: | Allianz |
Weitere Informationen zur sprachlichen Analyse nach 29 Kriterien und Kommentar: Prof. Dr. Rudi Keller, Universität Düsseldorf, Fax-Nummer: 02 11/8 11 52 30. |
Beim Vorwort fehlt die persönliche Ansprache
Vielleicht schneiden die Börsenneulinge daher meistens schlecht ab. Die jungen Unternehmen haben offenbar noch andere Sorgen. Eine löbliche Ausnahme bildet Pro Sieben. Der Report des Medienunternehmens hat den angenehmsten Stil aller untersuchten Berichte.
Sieger in der Kategorie Sprache ist in diesem Jahr Autobauer Audi (siehe Kasten). Dessen Bericht erhielt bei allen Kriterien eine überdurchschnittlich hohe Punktzahl. "Ein klares Zeugnis für die ausgeprägte Kommunikationskultur des Unternehmens", erläutert Keller das Jury-Urteil.
Auch Gesamtsieger Daimler-Benz rangiert sprachlich im Test ganz weit vorn. Juror Keller lobt besonders die einleitenden Worte des Vorstandsvorsitzenden Schrempp an die Aktionäre. Das Vorwort sei der persönlichste Teil eines Geschäftsberichts. "Leider lesen sich die meisten Vorworte", klagt Keller, "als seien sie vom Oberbuchhalter einer Behörde verfaßt, nicht aber vom Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft."
Die sprachlichen Mißstände deutscher Geschäftsberichte finden sich in den Annual Reports der größten Unternehmen aus den übrigen europäischen Ländern wieder. Offenbar werden die Berichte häufig in zu großer Eile und ohne Sorgfalt aus der Landessprache ins Englische übersetzt.
"Die Folge ist ein unprofessioneller Mix aus amerikanischem und britischem Englisch", analysiert Jury-Mitglied Kimberley Duenwald von der University of California at Davis.
Bester ausländischer Bericht in der Kategorie Sprache ist der Report des englischen Pharmakonzerns Glaxo Wellcome. Besonders positiv aufgefallen sind ein Glossar und ein Index, in dem Glaxo Wellcome notwendige Fachausdrücke verständlich und knapp erläutert.
Trotz einzelner Lichtblicke in der diesjährigen Untersuchung bleibt für die Unternehmen viel zu verbessern. Die Sprache, erinnert Germanistikprofessor Keller, ist eines der wichtigsten Instrumente, die Unternehmensreputation zu pflegen und die Unternehmenskultur zu repräsentieren.
"Wer allerdings Wert auf das Image eines Einwohnermeldeamts legt", lästert Keller, "sollte ruhig bei seinem Bürokratendeutsch bleiben."
Warum sich soviele Firmen optisch unter Wert verkaufen
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